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Zwanzigstes Kapitel

Excelsior, auf See die gepflegte Stätte der Ordnung, schien hier, im Hafen, wie der Seemann, alle Tugenden zu verlieren. Zu Tisch kam niemand pünktlich, der Steward war an Land gegangen und schlecht vertreten, Kapitän unsichtbar, Kabinen heiß, Fenster geschlossen, vor allem aber Schwärze überall, da die Jacht Kohlen nahm und das Rattern an den Bunkern nicht enden wollte.

Als Scherer selbst mit halbstündiger Verspätung in der Speisekabine erschien, saß Wilhelm allein vor seinen Tellern und schnitt, da er doch warten wollte, in eine Orange Initialen ein, wobei er leise das Schumannsche Lied pfiff.

»Sie hungern, armer Freund,« sagte Scherer, »und vertreiben sich meine Unpünktlichkeit mit den Zeichnungen der Liebe. Darf man die Keilschrift entziffern?«

Wilhelm hob die Frucht auf, drehte sie ihm zu und er las: D. W.

»So sehr sind Sie verliebt?« fragte er mit lächelndem Ernste.

»Wieso?«

»Nun, wenn Sie Ihren Vornamen zu dem des Fräuleins gesellen?«

»Meinen? Das heißt natürlich nur: Diana de Wassilko, bei dem kleinen d, das den Adel bedeutet, ist mir nur das Messer ausgerutscht, man kann es aber bei gutem Willen noch erkennen. Ich wollt' es auf ihren Platz legen, damit alle gewissermaßen sehen, wo sie sitzen würde, wenn sie da wäre.«

Scherer las, nach einem Worte der Entschuldigung, in seinen Briefen, die er inzwischen hatte abholen lassen.

»Ja, wenn ich Initialen schneiden wollte,« fing Wilhelm beim Essen wieder an, »da müßten verschiedene andere Lettern neben dem D stehen!«

»Und welche?« fragte Scherer amüsiert.

»Sie werden mich keinesfalls herauslocken, Herr Scherer,« kopierte Wilhelm in weltlichem Tone. »Ich sage nur, daß sich darunter ein E, ein K, und auch ein S befände!«

»Auch ein S?« fragte Scherer.

»Natürlich, aber ich meine das alles passiv, wissen Sie, nicht etwa aktiv von D, nein, nein!«

»Und aktiv?«

»Aktiv? Nichts! Reines D! Sehen Sie, wie ich jetzt alles Doppelsinnige zuhalte? Auf Ehrenwort! Reines D!«

 

Eduard und Kyrill folgten einander rasch. Der Russe schien angeregt, beweglich, warf seine Briefe durcheinander, schimpfte auf russisch, wohl weil ein Erwartetes fehlte, fragte Scherer, ob er nicht mit Salvatore zusammentreffen wollte, der hier die Sozialistische Presse führte, worauf Scherer ihm Ricci offerierte, beide im Bewußtsein, getrennte Sphären nie vereinigen zu können. Der Prinz dagegen war versonnen, schweigsam, sagte, er hätte nichts gesehen und auch Dimiter, mit dem ihn Kyrill allein gelassen, hätte ihn gelangweilt. Dieser lachte und entschuldigte sich artig. Eduard bemerkte, daß er ihn heut zum ersten Male lachen sah, und diese herrlichen Zähne, die er dabei zeigte, brachten ihn auf.

Schließlich kam Franklin, hastig, mit etwas schiefer Krawatte, zerstreut und ungesellig.

»Leider kann ich Ihre Stimmung nicht durch Briefe heben,« sagte Scherer. »Für Sie ist nichts dabei.«

»Ich habe sie selbst abgeholt,« log Franklin und aß schweigend.

Ein Matrose trat ein, um Scherer einen Brief einzuhändigen, dessen Überbringer Antwort erheische. Scherer las und gleich darauf las er der Tafel vor:

 

»Ich habe meinen Vater getroffen. Bis zur Abfahrt möchte ich bei ihm bleiben. Bitte senden Sie Mary zu mir. Sie, lieber Herr Scherer, und Ihre Freunde, erwarten wir morgen …

Die Ihre

D. W.«

 

Die Überraschung, mit der die Runde diese Zeilen aufnahm, wurde zuerst von Wilhelm unterbrochen, der nun seine Orange aufhob und sagte: »Sehen Sie, meine Herren: da steht es schon, vorgeahnt: D. W.«

»Und dies ist offenbar …« fuhr Scherer fort, öffnete ein zweites Kuvert und las:

 

»Grigori de Wassilko

gibt sich die Ehre … für morgen abend sieben Uhr einzuladen. Palazzo Tiepoletto.«

 

»Und da liegen vier Karten, für jeden der Herren eine.« Er verteilte sie sorglich und während Wilhelm sie nahm und las und umdrehte und das Geheimnis einer Visitenkarte, die Enthüllung eines Namens auf einem weißen Papier dichterisch zu durchdringen suchte, sagte Scherer:

»Tiepoletto? Sind da nicht drei?«

»Der letzte, von hier aus, ist es,« sagte Eduard nebenbei und legte die Karte weg.

»Sie wissen –?«

Plötzlich sahen alle von den Karten weg auf Eduard.

»Alter Herr mit weißem Bart, sehr soigniert,« sagte Eduard mit künstlicher Blasiertheit. »Proponiere unsererseits Kartengestöber!«

Er hatte, als er Dianas Gondel folgte, sie bald darauf, hinter der ersten Biegung des Kanals halten und beide aussteigen gesehen.

Während Scherer im Namen der Freunde die Einladung annahm, standen diese in der Speisekabine herum, wortkarg, fremd, dem Rattern der Kohlenbunker, wie feindlichen Symbolen, die auf See verwöhnten Ohren trotzig aussetzend. Wilhelm war auf seine Art eines schmiegsamen Toren über Dianas Schäferlaune durch stumme bittersüße Scherze hinweggekommen, ohne, seit ihren abweisend freundlichen Worten an jenem ersten Abend, sie je wieder als ein Liebender anzureden. Eduard, ratlos wie ein Liebender, der dicht vor der Krisis die Erwählte plötzlich meiden muß und sei's für einen Tag, war heut nur Nerv, Unruhe, Ungeduld. Kyrill und Franklin hatten sonderbare Dinge erlebt.

Von Franklin erfuhr man Näheres nicht. Als alle von Bord waren, ließ er seine Koffer an Land schaffen, und statt seiner fand am Abend der Herr des Schiffes nur diesen Brief:

 

»Ein Schreiben, das mich hier erwartete, ruft mich eiligst auf unser Amt nach Wien, zwingt mich also verfrüht, das weiße Schiff zu verlassen, das Sie, werter Gastfreund, uns allen so hold bereitet haben. Verzeihen Sie mir, daß ich ohne ein mündliches Adieu an Sie und die Gefährten forteile, doch es gilt, den Nachtzug noch zu erreichen, und Sie waren bis jetzt, sechs Uhr, nicht aufzutreiben.

Es kommt die Zeit, wo ich mündlich danken darf.

Franklin.«

 

Daneben fand sich dieses zweite Blatt, jugendlicher beschrieben, ungehemmter, in schrägen Kurven, wie eine Rhapsodie, zuweilen rhythmisch abgeteilt:

»Nein! Es soll Wahrheit leben zwischen Freunden! Darf ich Sie heut so nennen? Kein Brief, kein Nachtzug! Eine Begegnung, – begreifen Sie! Eine Begegnung in einer Gasse! Untertauchen in so schwerblütig gebreitete Arme, in so schwermütig geweitete Augen – alles vergessen, was Bildung, Ehrgeiz, Wissen uns nahm! Sie lächeln? In meinen Jahren sorgen die Götter nicht mehr so gern, nicht mehr so oft für überströmte Stunden! Ja, es ist wahr, diese letzten Tage, da sich's um das Mädchen zusammenzuziehen scheint, haben mich verwirrt, verjüngt – und so gesteh' ich's gern: es war die Jägerin, die mich dieser Bettlerin von Venedig zutreibt, einer Königin. Ihr Haar ist wie beim älteren Palma, aber ihre Haut ist wie bei Franklin dem Jüngeren.« –

»Come un principe!« hatte Salvatore am Vormittage gerufen, als sein russischer Genosse in das enge Redaktionszimmer trat, das mühselig mit Glasspiegeln Licht aus einem dunklen Hofe der vollgestopften Gassen holen mußte. Klein, schnell, mit schwarzem Schnurrbart und Zwicker war er der Typus des intelligenten Milanesen und in jedem Worte Kyrills Gegenspieler, dem er auch um zehn oder fünfzehn Jahre des Lebens und der Parteipraxis überlegen war. »Wie ein Fürst!« rief er ihm im Stakkato des Mailänder Dialektes zu. »Rauscht durchs blaue Meer, dieser Volksfreund, wie in 'nem Roman. Leugnen Sie nicht, Genosse: Wir wissen alles!«

Kyrill, wunderlich an- und abgezogen von staubig-krauser Wirrnis einer Redaktion, die er nie gemocht hatte, ließ sich's indes vor dem Kollegen nicht merken, schwieg und fragte mit heimlichem Hochmut. Seine Herrennatur trat vor den Seinigen stets so stark hervor, wie sein Gemeinschaftswille vor den Oberen, und so hatte er auch die Eleganz der Jacht zwar nur mißtrauisch ertragen, wenn er etwa die Gesellschaft als ein Bild am reichen Tische sah, und doch wie ein ihm völlig Adäquates hingenommen. Sein Herz schlug stärker in Fanatismen als in Brüderlichkeit, denn im Grunde war Kyrill eine anarchische Natur, keine soziale.

»Laßt mich nur fahren!« rief sein voller Bariton zurück. »Ich bohre indessen das Schiff an, auf dem ihr mich nur gaudieren seht.«

Er schob ein Pack Zeitungen zurück, hockte breit aufs niedere Fensterbrett, holte sich mit dem großen Schuh eine Zeitschrift vom Boden heran, auf der er russische Buchstaben erkannte, und war lesend, suchend, blätternd, nur gelangweilt von den Namen und Zahlen, die ihm der Italiener referierte, maschinenmäßig, wie man Ziegel zuwirft. Beide schienen sich für diese gewohnten Details des Parteilebens kaum zu interessieren.

»Hm. Und sonst habt ihr nichts geleistet,« sagte Kyrill und hörte kaum seine Frage.

»Per bacco! Wir sind doch in keinem Jachtklub! Gehen Sie wieder nach Rußland?«

Kyrill stand auf: »Nach Deutschland.«

»Da waren Sie doch früher, denk' ich.«

Der Russe trat dicht vor ihn hin, drohend, als wollte er ihn von seinem Stehpult blasen, aber er sagte ganz ruhig: »Wie lange, glaubt ihr wohl, nehme ich mir Zeit für so eine Fahrt?«

»Ich hörte, Sie würden mit diesen – diesen Leuten sechs bis acht Monate segeln.« Kyrill, an Übertreibungen gewöhnt, lächelte nun doch: »Heut vor vierzehn Tagen von Berlin abgereist. Spätestens in zehn Tagen wieder dort.«

»So fix? Wollen Sie bei dem famosen Scherer leitartikeln?« Der Italiener blinzelte: »Wie macht sich denn dieser Mann à deux?«

»Anständig,« sagte Kyrill kurz.

»Ganz verbohrt oder nur halb verbohrt?«

»Zweidrittel.«

»Aber – unrettbar?«

»Bleibt beim Umschwung rechts, doch nur um nicht Opportunist zu erscheinen.«

»Na also,« sagte nach diesem geklapperten Dialoge Salvatore langsam, ohne etwas zu denken, und fuhr animiert fort: »Und – was ist denn das für'n Prinz, sagen Sie mal!«

Kyrill, ungern gefragt, ohnehin wegen seiner Verschlossenheit in der Partei beargwöhnt, wollte doch nicht seiner Natur nach abbrechen; er wußte, daß, was er jetzt sagte, nach allen möglichen Orten, völlig übertrieben, mitgeteilt würde, und mäßigte sich deshalb, indem er, mit der Briefwage spielend, als wäge er die Worte, leise, mehr für sich sagte:

»Reine Natur, legiert mit blöder Erziehung, verbaut durch Zynismus, schamhaft und, um nicht frech zu scheinen, müde. Sein Herz weiß längst, was wir wissen, und mein Verstand weiß, was er weiß. Aber sein Verstand begreift nicht mein Herz, und mein Herz nicht seinen Verstand.« Er versann sich und schwieg.

»Das ist mir zu russisch, Genosse!« rief der Italiener und zerriß jenem die Stimmung.

»Adieu,« sagte Kyrill ruhig und ging. –

 

Zu gleicher Zeit hatte Eduard, von den Erfahrungen des Vormittags bewegt, nach dem Versuch eines Mittagsschlafes das laute staubige Schiff verlassen. Er fuhr mit Kyrill und Wilhelm an Land, die sich gemeinsam in die entlegenen Viertel der Stadt durchschlagen wollten, um, aus sehr verschiedenen Gründen, unter das Volk zu geraten. Dem Russen, der kaum Italienisch sprach, kam Wilhelm gelegen, der auf Radfahrten durch Italien, durch alte und neue Lieder und durch die Gelegenheit ihrer Erkundung die Sprache von Grund aus kannte. Nun wollten sie sich von Giorgino führen lassen, der aus Vicenza stammte, doch in Venedig aufgewachsen war.

Eduard gefiel das Unternehmen, doch konnte er sich nicht entschließen, mit von der Partie zu sein. Ihm schien es unmöglich, neben diesem Russen durch Volk zu waten, den er erst seit ein paar Stunden, mit Neid, zugleich mit Scheu darin recht autochthon empfand. Als er ging, glitt ihm Wilhelms langer Hundeblick ins Innere, und er dachte, warum sich denn alle immer mißverstehen müßten. Indem er ziellos weiterging, fürchtete sich der Verliebte vor dem langen Nachmittage, vollends als ihm einfiel, der morgige Tag wäre auch noch bis sieben Uhr einsam zu überstehen. – Man hätte sich Scherer anschließen sollen, dachte er, durch die um diese Stunde leeren Gassen tappend. – Frauen. Man sollte irgendwie bei einer Frau herumsitzen … Adelheid wäre eigentlich eine Zuflucht! Sie wohnen so hübsch und wenn auch Umberto, ihr Marito, wieder ausschließlich vom Principe Doria reden wird, so macht doch sie eine famose Figur und ist immer anständig gewesen. Und nun sah er sich auch noch von einem Blumenmädchen bedrängt, die ihn mit ihren Narzissen in ein Boudoir zu zitieren schien. Er rief eine Gondel und ließ sich an den Palazzo fahren.

»Edward!« rief die hübsche große Frau, als sie, kaum daß sie seine Karte gelesen, in den kleinen Salon trat. »Edward the Confessor! Wann tauchst du einmal auf!«

»1042-1066, teure Adelaide!« sagte Eduard und ließ sich umarmen. »Übrigens bin ich nicht als Bekenner gekommen, sondern als getreuer Knappe, um dir diese Narzissen an den noch immer jugendlichen Busen zu legen!« Sie gab ihm einen Streich, steckte, ohne sie anzusehen, die Blumen vor, und wie dies ganz stereotyp geschah, dachte Eduard, wie anders Diana aus darreichenden Händen einen Strauß zu nehmen pflegte. Und er begriff nicht, daß er in diese volle freundliche Frau vor Jahren um ihrer Schlankheit willen ein bißchen verliebt gewesen.

»Im Gegenteil!« rief nun Adelheid. »Bin ich plötzlich nicht mehr alt genug, um dir wie ehedem als mütterlicher Beichtstuhl zu dienen, da ja eure edle Linie sich leider so protestantisch gebärdet? Dio mio! Was treibst du! Was macht Onkel Heinrich? Und Elisabeth! Und Katharina! Und wo kommst du her?«

Eduard gab kurzen Bericht, lenkte dann auf ihren Mann und ihre Kinder ab, erfuhr, daß jener in Rom, daß diese heut über Land wären, bewunderte alle in zahllosen Photographien, die überall die Tischchen besetzt hielten, so daß er seine Teetasse, wie er sagte, gleich einem Weihgeschenk zu Füßen Margheritas, seiner kleinen Großcousine, abstellen mußte. Bei alledem nahm ihm die heitere, weltkluge Frau die Schwere, und nach einer halben Stunde, in der sie, mit manchem kleinen Seitenseufzer, sich immer wieder zu ihrer gemeinsamen Jugend bekannte, pries er seinen Einfall und daß Conte Umberto, Erbe eines Palazzo von Venedig, sein Vetter war und noch dazu verreist.

»Eure Aussicht ist gradezu baedekerhaft, Adelaïde,« sagte er am Fenster, zwischen die Platten der Jalousien blickend.

»Ich bitte mir die deutsche Fassung meines Namens aus!«

»Es ist die beethovensche,« sagte er mit großer Verbeugung und kam zu ihr zurück, »und ich entsinne mich, daß ich mir schon im Matrosenkragen, wenn Therese das Lied sang, immer vorstellte, diese ewige Geliebte müßte rotblond gewesen sein wie du!«

»Caro mio, man wird demnächst grau und daran ist die vielgepriesene Aussicht nicht unschuldig. Wie ich hier als grünes Ding zum ersten Male plätscherte, fand ich alles himmlisch. Aber fünfzehn Jahre, lieber Vetter, nichts als Wasser und schwarze Kähne und nie ein Auto und selbst Motorboot nicht erlaubt: mir ist das zu pathetisch für die Dauer! Wie überhaupt die romantischen Venezianer in der Nähe und als Verkehr –! Melancholisch lieben – à la bonne heure, aber heiraten sollte man doch nur auf dem Trocknen!«

»Weder naß noch trocken, Adelheid! Unbeweibt schwebt man im dritten Element!«

»Oder man brät im vierten!« rief sie und drückte ihn neben sich in das blaue Barocksofa. »Und nun, bekenne, Edward Confessor, wie du es ehedem auf eben diesem kleinen Sofa getan, wann endlich wirst auch du – und vor allem: wen!«

»Stefan muß vorausgehen,« sagte er, um abzulenken.

»Stefan ist leidend, Heinrich zwar vermählt, aber ohne Erfolg, und dies bereits im dritten Jahr! Auf, Eduard, sichere den Thron, wenn du es schon nicht für den Altar tun magst!«

»Meine Brüderlein werden für zahlreiche Erben sorgen, es ist doch ein so hübsches Gesellschaftsspiel!«

»Fi donc!« Sie lachte.

»Warum? Findest du nicht?«

Nun lachte sie noch mehr.

»Du hast wohl Erfahrung?«

»Nur Erkenntnisse.«

»Keine privaten Sprossen?«

»Ich bin allein – leider nicht in der Lage …«

»Nun, es soll ja schöne Damen geben, die gelegentlich leichtgeschürzt wie bei Phidias Bild stehen – oder war das schon Michelangelo …?«

Eduard war eigentlich froh, Dianas Bild sich nun auch im Gespräch vorzaubern zu können, er verweilte bei Atalanta, sah wieder Knöchel und Hals und die kühne Abwehr dieses Profils. Dicht daneben sah er sie in ihrem engen Sweater an der Spitze des Schiffes, im tiefen Dekolleté ihres schwarzen Abendkleides und verlor sich in der Reproduktion von hundert Stellungen, Gesprächen, Blicken, Gedanken, um schließlich wieder die Szene von heute mittag auf der Löwentreppe vor sein Auge zu befehlen. Das ging in Sekunden vor sich, immerhin schwieg er länger als sie erwartete, und so fügte sie, sich selber instinktiv zur Vorsicht mahnend, in gedämpftem Tone hinzu:

»Oder werde ich dir zu indiskret?«

Eduard, mutterlos und schwesterlos, von Kindheit her dieser Cousine brüderlich verbunden, hatte, als er achtzehnjähriger Leutnant und sie achtundzwanzigjährige Mutter zweier Söhne war, ihr die erste und einzige Geschichte seines Herzens gestanden, und zwar auf eben diesem Sofa, wie sie's eben angedeutet, und, nach Art sehr junger Männer, sein Vertrauen zu der damals noch schlanken und noch nicht resignierten jungen Frau bei diesen Konfessionen in eine sublime Neigung zu der mütterlichen Freundin sich verwandeln sehn. Doch war alles nur der Hauch einer September-Abendstunde gewesen.

Und wie er nun in diesen nachmittäglich halb besonnten Kissen neben der Freundin saß, stieg in ihm, nach den seltsamen Worten und Bildern dieses Vormittages, nach dieser Seefahrt zwischen Ebbe und Flut seines Herzens das alte Vertrauen empor, und er sagte, zurückgelehnt, zwischen Zähnen und Zigarette, mit etwas schwankendem Ernste:

»Keine Sorge, liebe Adelheid. Da aber das Gerücht bis an deine Lagune gedrungen ist, möcht' ich dir die fatale Konfession machen, daß ich ungern abfällig über die Dame reden höre – oder doch nicht von dir …«

»Oh!« rief sie leise, überrascht.

»Tja, weißt du,« fuhr Eduard unbeweglich fort, »das ist nämlich eine seriösere Affäre als damals, obwohl das ja natürlich eine kleine Herzogin war. Zwischendurch, in diesen zehn Jahren, war übrigens Windstille in diesem sonderbaren Segel. Na! Und jetzt, siehst du, weiß ich eben nicht, ob ich die Fahrt wagen soll …«

Sie horchte bewegt, beseelt.

»Eine lange Fahrt?« fragte sie schließlich. Er stand auf und sagte kurz:

»Die Fahrt, liebe Adelheid, oder gar keine!«

Sie erschrak. Eduard galt in der Familie als Sonderling und Freigeist, der aber durch seine peinliche, vielleicht sogar romantische Pflege der Traditionen vor Gefahren geschützt schien. Nun war es, als erwöge er den denkbar stärksten Abfall von den Bräuchen des Fürstenhauses.

»Ja, kennt denn – weiß denn …« fragte sie verwirrt.

»Niemand weiß, was nicht existiert. Obwohl auch Papa schon einiges schlucken mußte. Wollte dir nur andeuten, wie töricht die Fama urteilt. Meinerseits hoff' ich« – und er fand seinen gewohnten Ton zurück – »usque ad naufragium, solo zu segeln, was weit unbedenklicher und billiger verläuft. Verzeih. Melodramatisches Intermezzo. Keinerlei Lebensgefahr … Hast du was von Papa gehört? Heinrich schreibt mir heute, der Professor fänd' ihn unverändert. Sollte man nicht mal zum Rechten sehn?«

Er stand auf.

»Bist du denn auf dem Heimweg? Du sagtest, glaub' ich, Jacht mit Freunden. Wie und wo soll ich mir das vorstellen?«

»Mittelmeer. Adria. Holde Ziellosigkeit mit Dampf und Leinwand. Keine Museen, nur Wind und Deckstuhl. Von hier noch etwas dalmatinische Küste …«

»Apropos. Vorigen Dienstag war die Münsterberg hier. Du weißt doch, die mit den Tigerbewegungen und dem verrückten Verhältnis. Ach, du warst ja glücklicher Zuschauer!«

»Auf dem Heimweg?«

»Sie wollte den nächsten Tag Dampfer nach Ragusa nehmen, es ist recht umständlich über Triest. Wie kann man nur so weit weg wohnen!«

Eduard kombinierte im Kopfe: – Wenn wir Olivia besuchten, fände Diana endlich einen Hintergrund. Einzige Gelegenheit sie in solchem Milieu zu sehn. Zwar wozu? Weiß ja alles voraus. Immerhin … Aber er sagte:

»Tja, teure Adelheid! Wie kann man nur so weit weg wohnen!«


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