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Siebenundzwanzigstes Kapitel

In Triest wurde dem Prinzen die bestellte Depesche beim Landen an Bord gebracht. Sie war über die k. k. Statthalterei gegangen, um sie sicher und rasch zu befördern, und so war die Hafenpolizei avisiert. Der Erbprinz war tot. Eduard war Thronfolger.

Nach einem sehr späten Frühstück hatte man die letzten Stunden an Bord still hingewartet, gemeinsam, und Eduard, wie zu einem Quietiv, hatte zum Schach gegriffen, das er mit Kyrill spielte, Diana und Scherer waren die Zuschauer. Kyrill gewann. Bei der Revanche gewann er wieder. Als dann, nach zwei Uhr, die Stadt auftauchte, ging das dritte Spiel zu Ende: Kyrill gewann zum drittenmal.

»Nun müssen Sie mir erst recht Revanche geben!« rief Eduard, ungewöhnlich erregt.

»Bis Wien, wenn Sie wünschen.«

»Sie reisen mit mir? Enchanté! Dann spielen wir ohne Ende und einmal, spätestens in St. Pölten, schlage ich Sie doch!« Er warf das Spiel zusammen und griff nach dem Fernglas. –

Die Nachricht selbst, erwartet wie sie war, ließ ihn kalt. Er bat, man möge nicht um seinetwillen die Triester Kirchen anschauen, noch auch in einem Hotel essen, weil sein Zug erst um zehn Uhr ginge. Alle vier fühlten, wie ein Zögern nur nervös machte, und so gab es am Nachmittag einen kurzen Abschied, in dem im Grunde nur der Dank an Scherer herzlich klang. In wenigen Tagen dachte man sich in Berlin wiederzusehen, wohin Scherer, Diana und Kyrill ihre Arbeit, Eduard aber der Entschluß rief, unter allen Umständen seine Akten im Ministerium einem Nachfolger zu übergeben. Als aber Eduard Diana die Hand küßte, lag seine Bitte noch einmal stumm in seinem Blick; der ihre blieb ihm rätselvoll. Dann fühlte sie Kyrills Bauernhand heftig die ihre fassen und erschrak, denn sie hatte ihn am letzten Tage gleichsam nicht mehr gesehn. –

»Und so wäre endlich die Firma unter sich,« sagte Diana in der Tür, als sie zwei einsame Kuverts auf einem blumenreichen kleinen Tische sah, den Scherer angeordnet hatte. »Ist es nicht wie vor zwei Jahren auf Ihrer Terrasse? Und nur daß wir nach Venedig fahren, macht den kleinen Unterschied!«

– Sie hütet sich, an Athen zu erinnern, dachte Scherer und führte sie lächelnd an den Tisch.

– Seine Galanterie ist leichter geworden, dachte Diana, der Umgang mit jungen Leuten macht ihn sonderbarerweise nicht alt.

»Souper des Adieux, würde Prinz Eduard sagen,« sagte Scherer, und Diana lächelte über den koketten Plural.

»So wollen wir mit den Geistern soupieren?«

»Ich habe nie ohne Geister mit Ihnen gesessen!«

»Wilhelm würde sagen: Aber der Salat ist doch nur Schwindel! Er sieht immer aus wie ein Berg und dann ist es nur grüne Luft!«

»Nehmen Sie Sellerie? Er ist so lang wie Papyros!«

»Man könnte Sonette darauf schreiben,« persiflierte Diana. Sie spottete Franklins Aufgeregtheit nach, Scherer kopierte die blonden Brauen des Russen, selbst Olivia wurde nicht geschont, und schließlich gingen sie die Beamten ihrer Bureaus durch, lachten über ihre Eigenheiten, streiften leichthin, beinah herrisch die Geschäfte und tranken auf die Konkurrenz. Es war das heiterste Mahl nach diesem durch Tod gedämpften Tage, voll Erinnerung, voll Spott und Karikatur, und als sie aufstanden, erklärten beide, sie hätten lieber allein auf Excelsior durchs Mittelmeer fahren und immer Marsala trinken sollen wie heute.

»Wie weit sind jetzt die beiden?« fragte Diana in der gläsernen Rauchkabine an Deck.

»Noch nicht einmal abgereist. Oder fragen Sie, wie weit sie miteinander sind?«

»Die Frage wird der Entfernte immer falsch beurteilen,« sagte Diana, und indem sie plötzlich die Knie überschlug, daß der graue Strumpf aus den Falten ihres grau und schwarzen Abendkleides glänzte, hielt sie die Zigarette mit weitgespanntem Arm von sich und fügte herausfordernd hinzu: »Oder was, meinen Sie wohl – was denkt man jetzt von uns?«

»Man denkt, daß Sie reizend sind,« sagte Scherer und küßte die Hand des gestreckten Armes, doch so, daß er durch die Gaze, die den Oberarm verhüllte, den kräftigen Muskel mit dem Blicke umreißen, zugleich ihren Geruch einziehen konnte, der ihm aus guter unparfümierter Seife, einem zart umnebelnden Puder, einer bitteren Eau de Cologne, aus neuem Leinen und der Frische einer Haut zuströmte, der viel Sonne eingebrannt war und die deshalb aus jedem Dekolleté metallen wie Bronze aufschimmerte.

Diana, die jeden Einbruch in die abarische Sphäre um ihren Körper von ferne spürte, erkannte ihre sensuelle Wirkung auf Scherer, den sie seit einer Stunde galanter fand als in Gesellschaft seiner Gäste, an dessen sekundenhaft verlangsamtem Kopfheben; sie ließ den Arm sinken, sie sah ihn nicht mehr, sie dachte: – Er denkt, nun sind wir allein an Bord … Ja! Freiheit! Jedes Liebesspiel, vom ersten Blick auf die Brosche bis zu den Fingern, die sich nervös um Haken bemühen, anspinnen, ausspielen oder abbrechen dürfen, von Minute zu Minute ungewiß des Fortganges! Erschließen … sich Menschen, bittende, drohende zu erschließen, zugleich mit der Spannung ihrer Glieder die Zunge zu lösen, die, zu stolz oder zu bescheiden, Pläne und Werke verschwieg … Und dabei selbst verbrennen, aus immer erneuten Armen immer erneut zu tauchen, geklärt und verjüngt, leichter, kühner, frei schwebend über dem Abgrunde, der den Besorgten Not und Ungewißheit bedeutet und in dem sie das unbekannte Schicksal fühlen und meiden, statt es aus spiralischer Flugbahn magisch zu überschauen … Freiheit! Nicht Hammer am Werke sein …

Sie saß, mit innenwärts flutendem Blicke, halb vorgebeugt und wußte nicht wie lange. Scherer beobachtete sie schweigend, er dachte: – Ungestüm braust sie, während sie stille scheint. Wie mag es sein, wenn sie brandet? Solche Frauen sollte man nie besitzen, sie werden einfach, verlieren ihr Geheimnis, und Schopenhauer behält mit seiner zynischen Glosse am Ende recht. Aber Kinder, ja Kinder aus ihnen locken, das wäre selbst den Preis des Alleinseins wert.

»Ist der alte Fürst sehr passé?« fragte plötzlich Diana.

»Um Weihnachten, als ich ihn einmal sprach, hatte er die blauen plastischen Stirnadern und den eingefallenen Mund eines Herzleidenden im letzten Stadium. Nun gestern der Schrecken. Prinz Eduard kann jeden Tag aktiv werden.«

»Aktiv. Das Wort ist eigentlich gut. Sie halten ihn für energisch?«

»Im Mantel seiner Schwermut verbirgt er, scheint mir, Tatkraft. Aber seine Ironie hindert ihn, sich für kleine Dinge zu ermüden. Heut ist die Frage, ob ihm das Fürstentum als großes Ding erscheint.«

»Das ist kaum noch die Frage,« sagte Diana, stand auf, wie um lebhafter zu denken, nahm ihr Cape um und begann mit Scherer die Deckpromenade. »Sprach er nicht oft von dem unmöglichen Fall, daß er berufen würde? Vielleicht war das Gottlob, was er vorsetzte, im Grunde nicht echt, und seine ganze Negation kam nur von der tragischen Erkenntnis, als dritter nie zu wahrer Tätigkeit zu kommen.«

»Das dachte ich auch zuerst, seine Wißbegierde sprach für ein inneres Wirken. Warum aber schien er dann nie dem Posten eines Botschafters zuzustreben? Ein großes Reich bei einem andern zu vertreten ist am Ende mehr, als ein ganz kleines zu regieren.«

Diana blieb mitten auf Deck stehen, sah ihn an, überlegte. Dann schüttelte sie den Kopf und sagte im Weiterschreiten:

»Das glaube ich nicht. Ihm liegt an der Wirkung nach innen, nicht nach außen, dieser Mensch möchte wahrhaft fruchtbar wirksam sein, ein paar tausend zufriedene Herzen denken. Das Äquilibrium in Europa, Hof und Repräsentation, Bündnis und Intrige, Kolonie und Seefahrt kümmern ihn nicht, und wär es ein Weltreich, das er morgen erbt, er baute lieber tausend Hütten als einen Kreuzer. Meinen Sie nicht? Denn er ist gut, und da er so unfrei geboren ist, wie Wilhelm frei, so ist er verurteilt, sich so zynisch zu gebärden.«

»Hätte er nur lebendigen Rat an seiner Seite!« sagte Scherer, um Diana zu locken. »Aber dieser alte Tauernheim, der dort seit zwanzig Jahren kommunale Fürsorge versucht, ist doch eine Mumie.«

»Was halten Sie von Kyrill Sergjewitsch?« fragte Diana und blieb am Bug stehen, wo der Russe so oft gesessen. Das Meer war still, umdunstet, der Himmel leicht verwölkt, es war warm und der Wind beinah eingeschlafen.

»Auch Kyrill ist unfrei,« sagte Scherer und blickte in die Flut nieder. »Der hat ja sein Bauerntum an eine Idee verkauft. Nur von einer freien Natur könnte dieser Prinz beschwingt werden.«

– Und diese Natur will er binden, dachte Diana. Verkettet, immer gleich verhakt und verheftet, sobald man unter die Menschen tritt …

»Was denken Sie?« fragte Scherer plötzlich. Diana fiel dies ungewohnt zerstreute Wort, ihr fiel der Tonfall ihres Freundes auf, sie blickte zu ihm hinüber, sie sah aufs neue seinen Blick auf der von ihren Schultern, die das Cape nicht deckte. Sie wandte sich voll zu ihm um und sagte ihm kalt und feurig in die Augen:

»Ich denke, daß ihr alle Systeme baut, und ich staune, wie auch Sie mich lieber im Gefüge fruchtbar sehen möchten als im Fluge! Treff' ich es?«

Ihr war mit einemmal, als müßte sie diesen immer kombinierenden Mann, diesen Architekten seines Lebens und dessen seiner Freunde, verwirren und mit ihrem schnellen Griffe fassen, um ihm den Dämon nahe zu setzen, dem sich seine kluge Vorsicht stets entzog. Scherer fühlte diesen feindlichen Trieb des Abenteurers aus ihrem wartenden Blick, aber indem sein Stolz sich wider diese Macht erheben wollte, zog ihn die Frau in dieser Stellung doppelt an, die ihn seit Jahr und Tag beunruhigt hatte. Ein ungewisses Fühlen spiegelte ihm vor, der Hochmut ihrer inneren Freiheit wäre nur durch die Macht des Mannes zu besiegen, und wie sich diese beiden befreundeten Menschen in ihrer tiefsten Fremdheit wieder entdeckten, ergriff die Verführung der Triebe die Zügel und führte die Gegner aufeinander, die in allen Stunden geistiger Achtung sich fern geblieben. Diana sah in Scherer, wie er da vor ihr stand, elegant und verschlossen, nicht mehr den Freund und Gastfreund aus der Stadt, sie sah den Feind von Ewigkeit in ihm, den Sicheren, den Bürger; zugleich gedachte sie des nächtlichen Ausbruches, in dem ihr gestern Eduard die Freiheit nehmen wollte, sie fühlte die Entscheidung schwanken, was zu tun, und ob sie der Bitte jenes zärtlichen Herzens immer widerstehen würde, eins trieb das andre, Freiheit, die sie in Zukunft bedroht sah, wollte sie sich bestätigen, solange sie noch die ihre war, und Ordnung, die dort an ihrem Leben fruchtbar, ja entsagend bauen wollte, schien ihr verwirrenswürdig.

Nach tausend Worten, in denen seit einem Jahre diese beiden Menschen ihr Wesen einander geoffenbart, begriffen sie wortlos die seltsam plötzliche Wendung dieser Stunde, und als Scherer Dianas fordernde Frage in dem rascheren Atemzuge ihres Busens wiederfand, fühlte er in sich das Jetzt oder Nie, das ihn in den wichtigsten Entscheidungen seiner Laufbahn, sehr selten, doch untrüglich angefaßt, und wagte alles.

»Sie treffen es!« sagte er hart und rührte sich nicht. »Also: verschenken Sie an diesem letzten Abend diese – Ihre Freiheit, – Diana?«

Die Kühnheit, mit der sein Blick sie faßte, das plötzlich pathetische Wort, die Forderung seines Auges schlug mit ihren Gefühlen der Unabhängigkeit, des Liebesspieles, mit der Erinnerung an seine Mannesblicke an diesem Abende, mit dem unruhig neuen Bewußtsein des Alleinseins zusammen, seine Forderung war so viel männlicher, als jener Zusammenbruch vor einem Jahr im Wagen bei Athen, jetzt war er der Herr des schönen weißen Schiffes und sie vielleicht eine Undine, die sich an Deck geschwungen hatte, Freiheit und Phantasma, das laue Meer und ihre fließende Seele, verworrene Gedanken an Szenen weit von hier, und wieder der energische Blick des scharf geschnittenen Kopfes: alles floß so in ihr zusammen, wie es sein Mannesinstinkt vorgespürt. Ihr Auge widerprach nicht, als sie langsam vor ihm zur Treppe ging …

 

»Schauderhafte Enge!« sagte zur selben Stunde Eduard zu Kyrill, als sie sich abfahrend in ihrem Coupé arrangierten. »Um diese Zeit streckte man auf Excelsior die Beine, nichts ratterte, alles glitt nur so hin.«

»Realität nach dem Traume rattert immer,« sagte der Russe. »Gleiten ist angenehm, Rattern ist lehrreich.«

»Schnellzug als pädagogisches Mittel,« sagte Eduard. »Was, meinen Sie, machen die letzten Excelsiorleute in diesem Augenblick?«

»Sie trägt das schwarze Kleid, weil es am tiefsten geht,« sagte Kyrill, »und Scherer probiert's!«

Eduard, durch dies Wort peinlich berührt, erwiderte: »Halten Sie tatsächlich unsern teuren Nährvater für verliebt?«

»Sie ist schön,« sagte Kyrill sachlich. »Einmal habe ich sie in Berlin ein Bild darstellen sehen, so etwas wie die Göttin Diana. Waren Sie vielleicht auch da?«

Eduard zitterte. »Nein, leider –. Habe gehört. Soll charmant gewirkt haben.«

– Wie er lügt, mit welcher Stirne diese Prinzen lügen, dachte Kyrill, verächtlich, als sagte er immer die Wahrheit.

– Tausend Männeraugen, dachte Eduard gleichzeitig, tausend Gedanken haben sie umkrochen, damals. Oh, warum denn nicht? Was weiß denn ich, welche Männerlippen aufzucken werden in Palermo, in Dresden, in Kairo, wenn wir eines Morgens durch die Halle eines Hotels schreiten werden! Die Last eines Gauklerlebens lade ich auf diese Schultern, indem ich sie mit der Flugkraft eines Raubvogels beschwinge! Wird es supportabel sein?

»Aber der kriegt sie nicht,« sagte Kyrill dunkel, wie ein Besitzender, der eines Weibes selbst in der Ferne sicher bleibt.

– Russische Bestie! dachte Eduard, aber er sagte: »Die junge Dame scheint unbestechlich.«

Dies Wort blieb in der Luft zwischen beiden Männern hängen, es schwankte hin und her, wie im Winde ihres Atems und gehörte nun dem einen, nun dem andern, der es dann dem Gegenüber wieder zuhauchte. Und während Diana, ihrer Freiheit trotzend, sich auf dem Meer, in der kleinen Kabine des weißen Schiffes dem Manne ergab, den sie nicht liebte, der ihre Rätsel zerreißen wollte, würgten sich im Coupé des Schnellzuges unsichtbar um sie zwei Männer, von denen einer sich ihr liebend unterworfen, der andere sie zwischen Haß und Liebe überwinden wollte.


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