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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Dunkel atmete das Meer an den Felsen, aber die Nacht überrieselte sein gedämpftes Brausen mit einer traumhaft windstillen Süße, als wollte sie die Wildheit bannen, solange sie herrschte, bis der Tag mit seinem brennenden Mut aufs neue den Lichtkampf im Meere begann.

So fühlte Diana das Rauschen, den Schimmer dieses Abends. Auf der untersten, der unbedeckten Terrasse, hoch über der Klippe, saß Olivia mit den Gästen, und Scherer spielte. Nach Tische hatte man den Flügel herausgerollt – die Männer taten es in plötzlichem Einfalle selbst – und wie nun Beethovens letzte Sonaten zur Kuppel der Nacht aufklangen, immer durchhämmert vom rhythmischen Aufschlag der Flut, gefangen und widerhallend von den Felsschluchten der Küste, kühl betaut von den kosmischen Lichtern: da stieg aus dem aufbrodelnden Rauch der Töne der kühne Verrat des ersten Menschen an den Göttern, der Raub des Feuers, der Sturz des Kroniden hervor, und die Hörer warfen sich in die Arme ihrer stummen Leidenschaften. Sie mußten Scherers ganze Gemessenheit vergessen, sein Abendanzug selbst verschwamm in den Schatten der Nacht, ein schwarzer Magier saß er da vor dem schwarzen tönenden Drachen, dessen riesige Flanke zum Meere hin geöffnet schien, als stöhnte er, getroffen und verendend, in großen Stößen die wilden Rufe dem Elemente zu, während sein weißes Gebiß, das Dunkel durchklaffend, noch einmal seinem Peiniger entgegendrohte. Scherer verlor für eine Stunde das Geschlossene seines Habitus. Unbeherrschter als bei Licht und im Zimmer, fuhren Hände und Arme über die Tasten, sekundenweise fühlte der immer Klare seine Gedanken der vorgesetzten Melodik entweichen, und während die Finger den gewohnten Weg liefen, schlug dies einsam selbstbezwungene Herz stärker, es öffnete sich dieser kühle Mund, wie um den warmen Strom der Nachtluft einzulassen, Gesichte, wie von gelagerten Frauen, durch Olivias Anblick am Strande aufgeregt, doch ihr nicht gleichend, schwankten ihm vor. Als sich aber einmal die Linke in einer Passage verwirrte, warf der Spielende Gesichte und Beklemmung hinter sich und spannte sich entschlossen wieder vor den Drachen.

Wie auf Inseln, getrennt wie durch Ströme, die Ohr und Auge nicht mehr überbrücken, über die halbrunde Weite der großen Terrasse verteilt, saßen die Freunde und sahen einander nicht mehr. Wilhelms Gedanken wanderten von dem schönen Mädchen, mit dem er die beiden Tage verbracht, zur Gestalt einer Duchessa d'Aosta, in der er einmal, in ein großes römisches Hotel verschlagen, das Urbild weltlichen Glanzes zu sehen meinte, obwohl sie grau war und eine junge Tochter bei sich hatte, an die ihn eben heute Maria erinnerte. Kyrill hatte den Weg vom Presto zum Maestoso von den Bildern einer großen Menge, zu der er von einem Dach herunter sprach, bis zum Einzug in die zaristischen Gemächer erlebt, und wie er dort, auf den Schultern der Brüder, mit eigenen Händen langsam Purpur und Krone heruntergenommen, verschwand mit einem Male die Menge, irgendwo stand an einem Vorhang eine Frau, nackt, stolz, wortlos, Diana gleich an Gliedern, doch von langem Haar, wie er es einst allnächtlich einer Französin aufzulösen liebte. Eduard irrte zuerst durch die Räume des väterlichen Schlosses, von den Synkopen des ersten Satzes angetrieben, mit einem dreiarmigen Leuchter umher, als suchte er die Seinen vergebens in allen Räumen, trat aber, als ein Adagio mit seinen langsam tropfenden Doppelschlägen begann, in einen Garten ein, den er so nie gesehen, und wie Diana in kurzem Sommerkleide neben ihm ging, den Blick von ihm weg in die Ferne gewandt, mit der Linken die Spitzen des Grases leicht überstreichend, dachte er zurück an diese Meerfahrt, an lange Küsse und traumhafte Nächte, die er glaubte in ihrer Kabine und dann auf Deck mit ihr geteilt zu haben, und wie nun alles entspannt wäre und zu melodischer Schwermut aufgelöst.

Keiner der Männer blickte nach den beiden Frauen, die durch die ganze Breite des Halbrundes getrennt saßen. Olivias weißer Hals schien aus dem schwarzen Samte aufzusteigen, der schwer in tiefen Falten die große Frau umhüllte. Wie sie an diesem Abend in ihrem großen Stuhle saß, die Arme herabhängend, und wie die lange doppelte Silberkette niederfloß, war es, als strömten, in pathetischen Kurven, zwei schwesterliche Ströme nieder, der Wurzel ihres schweren goldenen Haarknotens entspringend, um in dem Schoße der Liebe zu verschmelzen. Geschlossenen Auges fühlte sie dies Rinnen über ihrer weißen Haut und wußte nicht, ob es von den Gliedern jener Kette kam, ob von den Kaskaden dieser überraschenden Töne oder von den Kräften eines Mannes, den sie nicht kannte.

Diana war nach der ersten Sonate an die Brüstung getreten, um den Schatten der Schloßmauer zu entrinnen, den Menschen ferner, den Sternen näher zu sein. In weißer leichter Seide stand sie, einem stillen Himmel zugewandt, von einem fernab grollenden Meere fortblickend, sie hätte, von rückwärts gegen die Nacht gesehen, dem Bogenstriche einer Violine gleichen können. Doch ihre Finger, doch ihr Antlitz, das niemand sah, waren in Aufruhr wie ihr Herz. Dies helle Kleid, das Eduard liebte, hatte sie nur wie zum Trotz gegen ihre Stimmung ausgewählt. Aber so sehr sie beim Umkleiden die Haut mit Creme gesänftigt, wie um jede Erinnerung an jene Klammer zu tilgen, noch immer fühlte sie den Eisendruck jener großen russischen Bauernhand auf ihrer linken Brust. Gefaßt war sie worden, doch nicht überwältigt: dies war der Gedanke, um den sie nun seit dem Mittage kreiste und bei dessen Ergründung sie, zum ersten Male, dem Mann ein Stück Suprematie einräumen mußte, denn sie wußte wohl, daß sie ihn nicht entscheidend abgewehrt, daß sie im Grunde geduldet hatte, was sie nur hätte erdulden sollen.

War es dies Meer, das sie seitdem nicht zu betrachten wagte? Hatte das Meer, die einzige Heimat der Ruhelosen, sie ergriffen? Hatte es denn noch andere Söhne und konnten diese schwimmend ihre Bahn durchkreuzen, unter ihr emportauchen, um sie zu fassen? Mit Ungestüm bedrängte sie die Ahnung einer fernen Verwandtschaft mit einem Manne, den sie doch so fremd empfand, dem sie in spitzer Rede, mit Wort und Blick so feindlich begegnet war, wie keinem seit Jahren. Sie war so glühend kalt gestimmt, so sehr ihrer innerlichen Harmonie entfremdet, daß dann, als jene Weichheit der langsamen Melodie sie zu ergreifen kam, sie ihr wehrte, um sich in Härte zu verpanzern. Fordernd blickte sie vergeblich in die Sterne: ihr war, als gehörte sie heut nicht zu ihnen, sie blieben ihr stumm.

Erst als sich die tönende Welt in leichten Rhythmus hob, in einem unverhofften Scherzo löste sich die Starrheit, mit einem Male sprang in ihr der Lebensfunke auf, flackerte, zischte, tauchte, taumelte, griff und fing das stockende Blut, ihre Finger ließen die Brüstung frei, sie löste sich von der Mauer, ihr Auge klärte sich, und wie nun schmales Gewölke sich verschob, war ihr, als meldeten ihr, stärker flimmernd, die vertrauten Sternbilder ihren Stand: denn nun fand sich auch am Himmel, was sie suchte, nun hob und senkte sich gelassener die atmende Brust, und indem sie sich lächeln fühlte, schien ihr der Groll mit den verebbenden Wellen zu schwinden, aus deren Flut er getaucht war, – und sie vergaß, daß er nur tiefer sank.

Als Scherer nach einem kurzen Presto geendet, standen die andern mit ihm auf, als wollten sich alle aus der Umarmung lösen, die sie gefangen. Nun schien grade Diana die einzige leichte Natur. Die sonst am längsten der Musik nachzuschweigen pflegte, brach heut zuerst den Bann, indem sie Scherer dankte: »Die letzte Wolke haben Sie weggespielt, der Schütze ist nun auch zu sehn, und Saturn stand über Ihrem Kopfe. Ja, erst im Scherzo, dort, wo die Sehnsucht sich unterbricht, zeigten sich die Götter, denn ihnen ist sie fremd, – und nur das Meer muß ewig wollen und begehren!«

Sie sagte das ohne Seitenblick, und erst nachdem sie es gesprochen, fiel ihr der Hörer ein, dem das letzte Wort galt. Olivia, die allein sitzen und unbeweglich geblieben war, sandte ihren tragischen Alt hinüber:

»Warum wären die Götter gegen menschliche Sehnsucht, Diana? Sie leben ja von ihr!«

»Ach nein, Olivia!« sagte Diana und trat nun der Gruppe der Männer näher. »Wir haben das, denk' ich, nur erfunden. Sie haben mit all dem nichts zu tun!«

»Sie hat recht,« sagte Scherer und trat zu der Gräfin. »Beethoven scheint in stetem Kampf mit denen da oben, entweder er grollt hinauf oder er klagt.«

»Und darum ist er der wahrste der leidenden Menschen,« sagte Kyrills tiefe Stimme von der Brüstung.

»Der leidenden …« sagte Diana und suchte vergebens den Stolz zu dämpfen, den ihr Ton barg. »Der heutigen,« fügte sie kalt hinzu.

»Wir wollen, daß die von morgen ihn nicht mehr brauchen,« sagte der Russe.

»Oh, wo sind Mozarts blaue Schatten hin!« sagte Diana sehr leise. »Ein paar Augenblicke, im Scherzo, war er ihm nah …«

»Mozart,« sagte Scherer. »Vollendung, Glück, – das kann man nicht am Meere spielen!«

»Derlei ist nur für stolze Naturen,« sagte Diana, mehr für sich. »Die andern brauchen Wunsch und Klage, sonst erfrieren sie!«

»Ich liebe nicht Mozart,« sagte Olivia und stand auf. »Mir ist er zu leicht, zu klar und gelenkig. Ich muß immer an Ballett denken, und das ist doch gräßlich!«

»Nicht immer,« sagte Eduard, der schweigend neben Kyrill herangetreten war. »Ihr Kaiserliches Ballett, zum Beispiel, ist entschieden das Beste, was Ihr Land neben Pelzen, Katharina und Dostojewski produziert hat!«

»Sie entheiligen den großen Namen, Durchlaucht,« sagte der Russe.

»Schätzen Sie die Kaiserin so sehr?« spottete der Prinz. »Übrigens kapitale Fürstin!«

»Jedenfalls besser«, nickte Kyrill, »als mancher Zar und mancher deutsche Kaiser!«

»Alles für das Volk,« sagte der Prinz ernsthaft. »Wenn dabei aus ihrem Alkoven Blut tropft, was geht das die Historie an.«

»Alles durch das Volk!« rief der Russe. »Das ist die Zukunft!«

»Sie überfordern,« sagte der Prinz. »Hätte mir Satan Erstgeburt aufgehalst, ich fragte mich nur immer: Wie wäre dir, wenn du dies Gesuch stelltest? Mehr könnt' ich beileibe nicht tun.«

»Ein guter Anfang,« sagte Kyrill, der Eduard mit scharfem Blick umfaßte. »Aber nur ein Anfang, und es ist zu spät zu solchen erblichen Versuchen!«

»Da war Musik,« sagte plötzlich Wilhelm, der schweigend dabeigestanden, »und nun reden die Herren wieder von Geschäften!«

»Recht so, Wilhelm!« rief Diana lachend. »Und hier wird Sekt gereicht – und Sie beide halten ihn nun schon zwei Minuten während Ihrer demokratischen Antithesen in Händen, ohne es zu wissen!« Sie leerte ihr Glas auf einen Zug, sie ließ es noch einmal füllen, sie schien in schnellere Pulse zu geraten. Eduard lenkte zu ihr hinüber, er sagte:

»Im Gegenteil! Habe im Vorgenusse riechend und sehend Marke konstatiert. Spezialität: Clicquot von Mumm zu unterscheiden, ohne abzuschmecken. Lösung des Problems: feine Differenz im herben Geruch und im Tempo des Moussierens.«

»Tempo des Moussierens,« sagte Diana. »Das gefällt mir.«

– Verlorene Mühe! dachte Kyrill und wandte sich ab.

»Und daß ich es nur sage,« fuhr Diana fort. »Ich habe einen großen Wunsch!«

»Tanzen?« rief Scherer.

»Tanzen!« rief Diana.

»Ich hole die Laute!« rief Wilhelm erlöst und war schon davon. Olivia lächelte. Mit einem Male fühlte sie sich älter, plötzlich war ihr, Diana wäre ihre Tochter. – Solche Schnelligkeit der Verwandlung! dachte sie. So war ich auch mit achtzehn nicht. Oder doch?

Man schob den Flügel, die Sessel an die Mauer, um den Platz zu vergrößern, Wilhelm saß schon auf der Stufe zum Zimmer, mit übergeschlagenen Beinen, wie er pflegte, die Lautenbänder, auf die er eifersüchtiger war als auf seine Lieder, wehten bunt um ihn her, und so geweht und leicht kamen auch seine Walzer herüber, zu denen er leise Texte sang, deutsche, italische, auch eigene oder nur ein Lalala, immer summend, und so schlug er mit der Sohle leise den Boden, um den Baß zu ersetzen. Scherer bat Olivia, aber sie ließ sich nicht bereden, auch dem Prinzen schlug sie ab.

»Und Sie, Herr Doktor?« fragte Eduard im Passieren.

»Ich tanze nicht,« sagte Kyrill. Eduard, der sich selbst als Tänzer gelten ließ, war froh; doch immer in geheimen Möglichkeiten grabend, die jenen mit Diana verbinden oder von ihr trennen konnten, forschte er weiter:

»Wohl zu leichtsinnige Motion für dieses tausendjährige Reich, dessen Starter Sie zu sein wünschen?«

»Es hat mich keiner gelehrt – Durchlaucht.« Es kam dumpf, und Eduard bemerkte sich's, daß heute, daß in diesem Worte zum ersten Male der Revolutionär die Tatze grollend gegen den Prinzen hob, mit dem Haß einer Klasse, als deren Mitglied er sonst stolz und Spottes voll auf ihn herabzusehen pflegte.

Diana aber tanzte. Nach fünf Schritten hatte sie in Eduard den Tänzer erkannt, wie er in ihr die Tänzerin. Wie in Verabredung gab sie Eduard nach kurzem Tanze frei, um sie Scherer zu überlassen. Scherer tanzte gut, doch etwas genau, und es schien Diana, als machte ihn sein Grundsatz, sich immer unangreifbar zu halten, eben als ein Grundsatz zu zurückhaltend, er hielt die Tänzerin zu sehr von sich ab und beunruhigte durch die Distanz das rhythmische Gleichgewicht.

Sie hielt kaum an, als Eduards Arm sie wieder ergriff. Sie trank eine Schale Sekt, rasch, fast im Gehen, und als Wilhelm einmal aussetzen wollte, trieb sie ihn herrisch an, nicht zu stocken.

Durch die gemessene Runde mit Scherer, durch den Wein, vor allem durch Eduards vollkommene Führung, die biegsam war und dennoch sicher, fühlte sie sich noch leichter, und wie schlafend überschritt sie jene Schwelle, die vom Parkette der Gesellschaft in den Tempel führt. Diana gab sich hin, und er, der sie nun endlich in den Armen halten durfte, hielt sie, wie sie's gewährte. Kyrill blickte unbeweglich auf dieses Paar, und beide schienen ihm zugleich verächtlich, während ihn beide anzogen. Den Prinzen, an dessen Beeinflussung ihm so sehr gelegen war, mißgönnte er der Abenteurerin, die aus großen Gaben nichts Greifbares schuf, ihm wiederum mißgönnte er das junge Weib, und daß er sie nach den verlogenen Regeln dieser Moral in seinen Armen drücken durfte, vor aller Welt. Zugleich stieg jener Groll aufs neue in ihm auf, den ihm die leichten Füße so gepflegter Naturen, dies Spiel der Anmut immer aufdrang, und bald sah er in diesem Paar, wie es auf der halbrunden Terrasse eines alten Ritterschlosses, modisch in Schwarz und Weiß gekleidet, unter den Sternen nutzlos schwebend sich bewegte, das Sinnbild der zu zerstörenden Welt, die Geister von gestern, den Feind.

Scherer sah frühere plötzliche Ekstasen dieser jungen Frau seltsam bestätigt und dachte als Politiker, die Reihe käme doch vielleicht auch noch an ihn. Olivia lächelte und weilte ferne, sie wurde des Gefühls nicht ledig, hier schwebte die Jugend, zu der sie nicht gehörte, und doch warf sie sich nur fester in den Entschluß, auf grenzenlosen Wegen sich an sich selbst und an ihrem Leben zu rächen, eh' es zu spät würde. Ihr Blick suchte den des Russen, zog ihn von jenem Paare ab und auf sich zu. Kyrill näherte sich ihr und stellte sich sehr dicht hinter ihrem Stuhle auf.

Eduard und Diana tanzten. Ihre Knie, ihren Busen fühlte er, sie fühlte einen Arm, der sie in dieser Nacht so leicht umfaßte, wie jener Bauernarm am Morgen sie schwer umriß.

»Immer weiter,« sagte er leise, als sie in der äußersten Kurve außer Hörweite waren, und vermied noch jetzt, sie direkt anzureden.

»Immer weiter,« sagte sie lauter und lächelte.

»Und eines Abends tanzten sie auf der Terrasse eines dalmatinischen Schlosses,« sagte er und sie fühlte den Hauch seiner Worte auf ihrer Schulter.

»Und es war unterm Sternbilde der Wage,« sagte Diana leise. Sie tanzten, sie schwiegen. Eduard führte in das entfernte Feld der Terrasse, dort verlangsamte er den Schritt so, daß zwei Takte nur immer noch auf eine Gruppe paßten, er sagte leise: »Diana« und sah sie mit der Bitte an, ihn nun endlich bei Namen zu nennen. Sie stockte, dann rief sie leise: »Eduard!« – aber zugleich zog sie ihn in einen verdoppelten Wirbel und nahm nun jeden Pas auf einen halben Takt. Und indem sie ihn atemlos zu machen suchte, betörte sie sich selbst mit immer schnelleren Schritten und liebte ihn doppelt, weil er sich nicht verlor.

»Diana! Hörst du?«

»Ich höre.«

»Bist du mein?«

»Ich weiß es nicht.«

»Willst du es werden?«

»Ich bin es ja.«

»Sag', wen du liebst!«

»Die Freiheit!«

»Die ist ja ein Weib!«

»Ich auch!«

»Liebst du den Russen?«

»Ich hass' ihn!«

»Er liebt dich!«

Aber indem er dies Wort sagte, riß plötzlich, wie von einer Macht gesprengt, das Saitenspiel ab, Schatten bewegten sich in der offenen Tür, Wilhelm stand auf, Scherer trat hinzu, Olivia sogleich nach ihm, Kyrill blieb allein, das Tänzerpaar stand, noch die Hände ineinander, wartend wie in einer sekundenlangen Pause des Musikanten. Doch da wandte sich schon Olivia nach ihnen um, sie ließen einander im selben Augenblicke los, Scherer hielt ein Papier in Händen. Beide fühlten, es würde ein Unglück sein und es würde sie treffen.

»Eine Depesche für Sie, Prinz,« sagte Olivia. Eduard sah und fühlte die schwarze Frau neben der weißen wie einen Todesboten stehn. Er sagte langsam:

»Wer weiß denn, daß ich hier bin?« Er ging ins Zimmer, wo Licht war, erbrach und las, sie kam aus Venedig von seiner Cousine:

»Hofmarschallamt drahtet mir, da dein Aufenthalt dort unbekannt, solle dir sofort Unglücksfall melden. Heinrich und Stefan auf Autofahrt gestern abend verunglückt. Stefan tot, Heinrich schwer verletzt. Aufkommen fraglich. Der schwer getroffene Fürst bettlägerig. Sofortige Heimkehr geboten. Bin trostlos, lieber Eduard, mich zum Boten so schrecklicher Kunde …«

Eduard ließ das Papier sinken. Sein erster Gedanke war der Vater: Wird er's überstehn? Der zweite Heinrich: Aufkommen fraglich? Und er entdeckte sogleich, daß er sich nicht um dies ihm recht fremde Leben, daß er sich um sich selbst sorgte. Kam Heinrich nicht durch, so war sein eigenes Leben verwandelt, seine Freiheit dahin, er wurde Fürst und alles war vorbei.

Diana ahnte dieses Schicksalsvolle, und als er nun auf die Schwelle trat, das Papier in die Fracktasche schiebend, war ihr, als wüßte sie alles: sein Vater war tot, das war die schwerste Nachricht.

»Sie sind – Sie haben –?« sagte Scherer und trat auf ihn zu.

»Unglücksfall,« sagte Eduard sachlich, kurz. »Meine Brüder mit Auto verunglückt, einer tot, einer schwer verletzt. Muß gleich heim.«

Im selben Augenblicke dachten alle nur das eine: er wird also Fürst. Befriedigt dachte es Scherer, zynisch Olivia, phantastisch Wilhelm. Diana und Kyrill waren getroffen, beide fühlten sich in Verwirrung gesetzt, Eduard fühlte, was alle dachten, aber er sagte nur: »Gibt es morgen einen Dampfer, Gräfin?«

»Den Dampfer nach Triest? Erst Freitag!«

»Drei Tage. Bißchen viel,« sagte Eduard. Scherer wandte sich kurz ins Zimmer und sagte ohne weiteres zum Diener:

»Schicken Sie bitte sofort zum Excelsior. Er ist noch unter Dampf. Alles ist vorzubereiten. Wir fahren in einer Stunde.«

»– Ja, soll ich wirklich? Und die andern Herrschaften? Danke, lieber Herr Scherer!« Man brach auf, ohne viel Rückfragen.

»Und nun soll ich Clemens nicht Adieu sagen!« sagte Wilhelm.

»Bleiben Sie doch!« sagte Olivia.

»Darf ich bleiben?« fragte Wilhelm.

»Es wird uns alle herzlich freun!«

Kyrill verbeugte sich kurz vor der Gräfin, und wie vom Schicksal demaskiert, sagten sich beide kalt Adieu.

Diana hatte, von Eduards Blicken gesucht, sich langsam jener Gruppe genähert, als er aus der Tür trat. Stumm folgte sie nun seinem Blicke, der auf das Schiff verwies.


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