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Dreizehntes Kapitel

Als sich »Excelsior« dem Hafen von Syrakus näherte und die Reisenden durch ihre Ferngläser im Umriß vorauszunehmen suchten, was sie im Geiste längst vorausgenommen, stand die Sonne zwischen Zenith und westlichem Horizont schon auf halber Bahn. Aber obwohl der Prinz in seiner burlesken, Wilhelm in seiner phantastischen Weise, jener durch Skepsis, dieser durch Naivität sich und die anderen auf diese Stätte großgriechischer Erinnerungen vorbereiteten, schien doch an diesem Nachmittage die Heiterkeit gedämpft. In wandlungsreichen Gesprächen hatte Diana mit Wilhelm und Franklin den halben Tag verbracht oder einen Teil davon; die anderen aber schienen schweigsamer, und es war Diana offenbar, daß die drei Männer den skizzenhaften Worten nachdachten, mit denen sie einander wo nicht bekämpft, so doch touchiert und jedenfalls entwickelt hatten. Scherer, auch an Reife der Herr des Schiffes, wurde durch den heimlichen Hochmut der Geistigen, die, wenn es ihnen paßte, in ihm doch nur einen Finanzmann sahen und noch dazu einen Erben, längst nicht mehr beunruhigt. Diese Wendung aber, mit der sich der ideologische Russe seiner Praxis entgegenstemmte, erschien ihm differenzierter, zugleich tiefer und machte ihn nachdenklich um ihrer beider willen; denn nun schloß er aus einer ähnlichen Problemstellung auf eine stärkere Affinität, während sie zugleich die politischen Prinzipien stärker trennten, während er selbst für den Sozialisten doch immer Unternehmer blieb. Ein Vorgefühl, als wohnte in dieser Seele noch mehr als nur ein anarchischer Autokrat, bewegte Scherers Wesen und ließ ihn den Russen zunächst meiden, wie man von einer Frau, die man bei einer Armbewegung oder in einem anderen Kleide zum ersten Male sensuell empfindet, plötzlich in eine Weite sich entfernt, aus der man sie zuerst umkreisen möchte.

Der Prinz, von seiner Seite, bereute die Konfession, die ihm ein schwacher Augenblick entrissen, und um sich nach seiner Art wieder zu rangieren, bezweifelte, ja verspottete er im stillen eine solche Hingebung an den profanum vulgus, schalt sich melodramatisch, unwahr in revolutionärer Gesellschaft, schwach und suchte sich in eine Spitzfindigkeit zu verpanzern, die ihn wortkarger machte. Sein Sinn kehrte zu Diana zurück, deren Schärfe gegen den Russen ihn beunruhigte und zu bestätigen schien. Doch als er gegen Mittag von seinem Klappstuhl aus die grün und weiß gelagerten Kreise des Ätna betrachtete, der jetzt, nordwestlich verschwindend, ihn anzuziehen begann, weil er verschwand: da schob sich mit einem Male ein Bild aus den dürftigen Außengassen der kleinen deutschen Residenz vor die heroischen Berglinien, er sah ein paar verdrossene Blicke wieder, die einmal seinem schönen Braunen folgten, den er damals morgens gerne ritt. Darauf schien ihm die verfallende Gestalt, das leidend-geistige Gesicht seines Vaters, von dem er in Messina einen Gruß gefunden, aus der Flut zu tauchen, schattenhaft, sekundenweise, dann sein Bruder, der Erbprinz, breit, kühl, unangreifbar – und nun erhob er sich rasch, mit dem kleinen Seufzer des Erleichterten, und schritt das Achterdeck auf und nieder, wie um seine Gedanken durch Bewegung mürbe zu machen. Doch als er ein paarmal am Heck umgedreht war, von wo aus er die Brücke übersehen mußte, schraubten sich Blick und Gedanke doch wieder an der breiten Gestalt des Russen fest, der seit geraumer Weile neben dem Steuermann dort oben stand, auf die Brüstung gelehnt und so, von rückwärts blau-weiß, im Segelanzug, wie sie ihn alle trugen, mit seiner Tonpfeife, die er allein adoptiert hatte, eher einem Schiffer gleich, schweigsam, einfach, nur wie ein Beobachter der Fahrt.

Mit ein paar Schritten hatten Eduards lange Beine die Eisenleiter erklettert, und wie er den Steuermann grüßte, sagte er, mit etwas Hast, wie in Verlegenheit:

»Wie lange haben wir denn noch, Steuermann?«

»Eine Stunde bis zum Außenhafen, dann noch eine halbe bis Ankern.«

»Wird sich das Wetter halten?«

»Wenn wir weiter Westnordwest haben, könnten wir rüber nach Patras Dampf abstellen.«

»Geht's denn nach Patras?«

»Ich weiß ja nicht. Herr Scherer fragte gestern, wegen Wind.«

»Und der Kapitän?«

»Der Kaptein sagt nichts.«

Eduard, der wenig zur See gefahren war, beobachtete, wie der Steuermann das Wort Kapitän aussprach und dachte, ob wohl dem Russen, der sich damals so seekundig rühmte, dergleichen geläufig wäre. Mit einer gewissen Spitzheit fragte er ihn, nachdem er eine Weile stumm am anderen Ende der Brücke gestanden und nun, hinter dem Steuer vorbei, zu ihm trat:

»Schöne Überfahrt, nach Patras, wie, Herr Doktor?«

Kyrill, der der Unterhaltung am Steuer, ohne sich umzuwenden, gelauscht und den allgemein gehaltenen Fragen des Prinzen seine Neuheit zur See angehört hatte, erwiderte zwischen Pfeife und Zähnen:

»Schön? Jetzt nach den Äquinoktien ist es wohl still und blau, und wer sich für die Antike interessiert, mag sich zwischen Ithaka und Kephalonia getroffen fühlen.«

Eduard spürte seine Gegnerschaft erwidert und war zufrieden. Er schwieg und wollte nach angemessener Pause wieder heruntersteigen, aber nun wandte sich Kyrill langsam zu ihm um und sah ihm, durch die Enge der Brücke genötigt und berechtigt, zum ersten Male nahe ins Angesicht. Eduard, der solche Dinge nicht liebte, konnte füglich nicht ausweichen, ohne auf ein etwa grade plötzlich auftauchendes Segel zu zeigen oder einen fliegenden Fisch; auch stieg in den entscheidenden Sekunden die Fremdheit sympathetisch und so heftig in ihm auf, daß er standhalten wollte, – und so ruhten diese vier blauen Männeraugen, deren jedes Paar seit dreißig Jahren in ganz verschiedene Welten geblickt, ein paar Blicke lang forschend ineinander.

– Volk? dachte der Russe, dem das Wort von den Lippen eines Prinzen nicht aus dem Sinn ging und der sich um einen ersten Schritt näher fühlte. Denn nur um seinetwillen glaubte der Russe diese mondäne Einladung angenommen zu haben: einem deutschen Fürstensohne gewisse Wahrheiten zu vermitteln, zu denen er von großer Ferne zu neigen schien, dies Ziel sah er vor sich, als sein Gewissen ihn vor dieser Fahrt der »Nichtstuer« warnte. Tief in Schleiern schlief in ihm der Gedanke an Diana, die er auch eher für die Idee als für sich zu gewinnen wähnte.

Eduard, der auf dies Motiv in dem Russen schließen mußte, hatte die ganze Woche politische Gespräche gemieden: nicht um Streit, vielmehr um ein Bekenntnis zu seiner Richtung zu vermeiden. Sein antifamiliäres Wesen, nach Freiheit für sich ringend, hatte sich zum antidynastischen, wenn auch nur theoretisch erweitert, aber von solchen revolutionären Gefühlen einem Revolutionär Kunde zu geben, dazu war er doch viel zu gebunden.

So tief ihn jedes politische Prophetenwort aus dem Munde des Fremden traf, eben weil es seinen Instinkten nur Bestätigung brachte, solange er abends im Bette diesen gläubigen Tönen entwickelnd nachtastete, die ihm imponierten: Standesgefühl hielt ihn ab, dergleichen auszusprechen, und zwang ihn immer wieder in Ironien. Aber Kyrill horchte diesen den Vorwand ab und folgte einem Vorgefühl: deshalb kränkte ihn jede reaktionäre Pointe des jungen Zynikers doppelt.

Auch jetzt suchte Eduard den Forschenden abzulenken, und indem er langsam sein Fernglas nahm, sagte er mit gewollter Blasiertheit:

»Elegante Silhouette hat dies Städtchen. Wie? Sie kennen Syrakus?«

»Bin einmal vorbeigefahren,« sagte Kyrill und wandte sich langsam ab. »Wir kamen vom Sozialistenkongreß in Palermo, und eine wohlmeinende Stadtverwaltung hatte uns eingeladen; wahrscheinlich um das Grab des Tyrannen zu bekränzen.«

– Nicht auszukommen mit diesen Leuten, dachte Eduard, aber er sagte: »So? Kongreß? Ist die Bewegung hier stark?«

»Sizilien wird ein Bollwerk!« sagte Kyrill und zeigte gebieterisch nach der Insel hinüber.

»War's wohl auch schon in antiker Zeit,« sagte Eduard, der vor diesem Zukünftigen auf alle Fälle die humanistische Tradition wahren wollte, deren jener vorher so abfällig gedacht. »Trasybulos – wenn Baedeker recht unterrichtet ist – wurde von einer Volkswelle geworfen und grade hier in Syrakus.«

»Möglich. Wir haben wenig Geschichte gelernt und auch später suchte ich auf Reisen mehr Statistik, über Export, Dichtigkeit usw. zu erfahren.«

Eduard war verstimmt, doch schon zu angeregt, um noch abzudrehen.

»Hm. Hat nicht Karl Marx viel Geschichte getrieben?«

Kyrill sah ihn forschend von der Seite an.

»Wir bauen auf seinen Resultaten fort, die unantastbar sind. Seinen Weg nochmals zurückzulaufen, haben wir keine Zeit mehr. Was hätte Turati noch mit Trasybulos zu schaffen! Sollen wir ewig zwei Jahrtausende zurückblicken, weil auch damals geniale Leute Epochen machten? – Nicht einmal zwei Jahrtausende voraus …«

Kyrill hatte die letzten Worte halblaut und eher bescheiden angefügt, so daß sie von dem herausfordernden Ton abstachen, den er bei seinen grundsätzlichen Reden sonst mühsam dämpfte. Eduard, dem Sicherheiten nicht imponierten, weil er sie auf zweidimensionales Denken zurückführte, fühlte sich von diesem stillen Bekenntnis angezogen und fragte, wärmer als bisher:

»Nun also, Herr Doktor; wie lange blicken Sie voraus?«

Kyrill, der sich mißverstanden sah und in seinen heiligsten Hoffnungen unterschätzt, sah auf und sagte kalt:

»Fünfzig Jahre. Dann sind wir am Ziel.«

– … Und wo ihr duldsam erscheint, dachte Eduard mit erstaunter Wärme, dort seid ihr nur noch stolzer! Aber er fragte:

»Am Ziel?«

»Am Vorziel!« rief Kyrill nun wieder lebhaft. »Oder zweifeln Sie, daß dieses Jahrhundert die Ideen der russischen Revolution verwirklichen wird?«

»Wo?«

»Ex oriente lux!«

Eduard schwieg, er blickte übers Meer und dachte: – Da fährt er nun an einer südlichen Küste, sieht nicht ihre Schönheit, ihre Vergangenheit, nicht einmal ihre Gegenwart. Er sieht nur dieses ferne Land im Osten und stärkt sich selbst, indem er aus seiner Heimat das Licht aufsteigen läßt. Und wenn ich da drüben in Catania einen kleinen Advokaten fragte, der Streikreden hält, er würde erwidern: Lux ex Trinacria!

Er wandte sich dem Russen wieder zu und, um grade jetzt artig zu erscheinen, lud er ihn mit einer stummen Bewegung ein, vor ihm die Brücke zu verlassen. Kyrill ließ ihn höflich voraus, und der Prinz, in Gedanken, stieg die Leiter wie eine Treppe vorwärts herunter, bemerkte den Fehler auf der dritten Stufe, ärgerte sich, blieb aber nun dabei. Kyrill, der sich oben umgedreht hatte, folgte ihm, behutsam wartend, doch mit schweren Tritten. –

Im Hafen schienen Alle heiterer. Scherer maß mit dem Auge die Einfahrt, die die Syrakusaner gegen Nikias mit Ketten und Schiffen sperrten, man sprach von Minen und Unterseebooten und wie im Grunde nur die Mittel sich verändert hätten, nicht die Theorie. Als man an Land war und, unter Vorantritt einer wachsenden Schar ungebetener Führer, die Straßen der antikisch belebten Stadt durchstreifte, neckte jeder den anderen mit seinen rasch erneuten Kenntnissen, man fühlte nach einem versonnenen Tage die Geselligkeit wiederkommen, der man sich bisher so heiter hingegeben, und auch die beiden Dichter teilten willig diese Stimmung. Bei ein paar fremden Stauden, die auf dem alten Platz, im Halbkreis gefaßt, die Quelle umgeben, blieb Wilhelm stehen.

»Der erste Bote aus Afrika,« sagte Scherer etwas lehrhaft. »Und aus diesen wunderlich knisternden Halmen machten die Ägypter dann ihre wunderlich knisternden Zeitungen.«

Wilhelm sah ungläubig auf.

»Papyros,« sagte Franklin leise. »Man könnte auch Sonette darauf schreiben …« Wilhelm zog behutsam einen Schaft hervor, konnte aber nirgends eine Fläche entdecken, wie er sie am Papier gewohnt war. »Wo wollen Sie hier Ihre Sonette anbringen?« fragte er mißtrauisch.

Scherer erklärte die Pflanze und ihre Faser, während sie alle die marmorne Quelle und ein Dutzend Kinder und Bettler in weitem Kreise die Fremden umstanden. Wilhelm folgte der Darlegung kopfnickend wie ein Knabe.

»Mit einem Wort,« fügte Eduard an, der seine natürliche Spottlust wiedergefunden, »von hier geht das Unglück in die Welt, das geduldige Papier als Schlachtfeld für Manifeste östlicher Aufklärung!«

»Auch für westliche Thronreden, Durchlaucht,« sagte Kyrill, der sich mit der höfischen Anrede wie mit einem antiquierten und etwas komischen Vokativ besonders zu rächen suchte, zumal er die Abneigung des Prinzen gegen diese Anrede kannte.

»Sonette, Manifeste, Zeitungen,« sagte Scherer, der die Pflanze noch in Händen hielt. »Ein gefährlicherer Stoff als Dynamit. Meinen Sie nicht?«

Diana, an die diese Frage ging, um sie herauszulocken, lachte leise.

»Und horcht denn keiner von den Herren auf die Quelle, die diese seltsame Pflanze umrauscht? Es ist Arethusa und an dieser Stelle ist die verfolgte Nymphe verwandelt worden. Die Quelle ist salzig, so sehr hat sie geweint. Diana hat sie verwandelt …«

Die letzten Worte sagte sie nur noch wie zu sich selbst und blickte in die Tiefe. Man schwieg und fünf Männer blickten auf eine junge Frau, die da im kurzen Leinenkleid an der Quelle der Arethusa stand und den Namen der Göttin führte.

»Tja!« sagte dann kurz der Prinz, dem solche Spannungen des eigenen Herzens unter der Kontrolle anderer Augen unerträglich waren. »Diana hat uns in der Tat verwandelt, meine Herren. Wie? Folgen wir diesem Cavaliere, der mich seit zehn Minuten in eine Osteria geleiten möchte, die man gewiß niemand als mir selber zumuten kann?«

»Al teatro, Signori! Al teatro!« rief eine Stimme und zwanzig Hände zeigten und zwanzig Stimmen wiederholten es. Man stimmte bei und ging, von immer lauter sich preisenden, immer wilder gestikulierenden Leuten getrieben und geführt, über die Brücke, die Ortygia vom Festlande trennt, und nun die Hügel hinan, vorauf Eduard, vertraulich zwischen den Leuten, Kyrill an deren Flanke, jedoch separierter als der Prinz. Scherer, der mit Franklin folgte, bemerkte dies. Er sagte:

»Wen würde man nun für den Prinzen halten, und wen für den Volksmann!«

»Sind sie es? Sind sie's in Wahrheit?« fragte Franklin. »Sind nicht beide vor allem Brüder? Idealisten?«

»Und doch«, sagte Scherer, »gleicht man sich zuweilen am wenigsten, wenn man zu derselben geistigen Kategorie gehört.«

»Sollten wirklich selbst Sie Gesellschaft, Stellung, Rang für stark genug halten, um ähnliche Seelen zu trennen?«

– … Er möchte doch Sonette auf den Papyros schreiben, dachte Scherer, aber von diesem Gedanken wurde nur ein Lächeln kund, und er sagte: »Auch dies kann uns trennen und vor allem Abkunft: Sie können den Papyros, der in Ägypten geboren ist, bis Syrakus verpflanzen, nicht bis Stockholm. Ich dachte allerdings mehr an das verschiedene Maß von Freiheit, das diese beiden Männer genießen und nutzbar machen könnten.«

»Ist denn der Russe so unfrei, weil ihn ein Zar aus jeder Wirksamkeit verbannte?«

»Der Russe?« fragte Scherer zurück. »Mir scheint vielmehr der Prinz, weil sein Vater an der Macht ist. Sehn Sie denn nicht dies Widerspiel?«

Franklin schwieg. Sein Geist, stets willig, von der wirklichen Welt so vieles aufzunehmen, als er in einer idealen von Anbeginn besaß, war ganz dem Weltmann aufgetan. Stets bemüht, sich noch mit grauen Haaren fortzubilden, entfernte er sich seit Beginn der Reise mit selbsterzieherischer Absicht ein wenig von Diana und Wilhelm, deren Spiel ihn befremdete.

Dieser, ein paar Schritte zurück mit Diana die Gruppe schließend, sagte nach einem Schweigen leise zu ihr:

»Arethusa! Ein kleines ernstes Mädchen möchte man so nennen, das man auf den Knien hält. Arethusa …« Er wiegte den Namen hin und her wie ein Kind auf den Knien, dann sagte er plötzlich:

»Diana?«

»Wilhelm?«

»Sind Sie eigentlich eine Nymphe?«

»Sie sind – ein – Narr!« sang Diana leise und sprang ihm weg, um die anderen einzuholen.

Beim Eintritt in das Griechische Theater wurde man endlich die Führer los. Ein alter Wächter, ernst wie ein Sarazene, schön wie ein Araber, zwei von den sizilischen Rassen vereinigend, beschränkte sich auf ein paar Namen und schwieg am Ende ganz. Still saßen die Reisenden auf den oberen Stufen, die, in den Fels gehauen, in weitgeschweiften Kreisen noch als Theater wirkten, während ein glücklich treffendes Erdbeben den Aufbau der Szene und des Proszenion fast ganz verschüttet und so den abendlichen Blick auf Hafen, Stadt und Meer vollkommen befreit hatte.

Moosig und efeureich lagerten die geschwungenen Stufen, vom Meerwind zweier Jahrtausende patiniert, Lorbeer in Büschen, Kirschlorbeer in Bäumen schattete über Brüstungen und Aufbauten, aus knorplig geheimnisvollen Skeletten sprossen die großen grünen Blätter der Feige, schlank und dämmrig ragten Oliven, prangend in den Farben des Abends, schwer von ihren eigenen Düften tropften lila Blüten von den lianenhaft verwirkten und durchwachsenen Glyzinen an den gestürzten Säulen der Szene nieder, – und wie der Blick sich über die Schattenrisse der Türme und Giebel der Stadt erhob, stieg, leidenschaftlich überrascht vom Kampfe des Orange mit dem Gelb, das Meer empor, begrenzt vom zackigen Vorgebirge, auf dem, wie auf durchglühter Feste, eine Wolkenburg ragte. Im Nahen süß und fast idyllisch an Duft und Trauer, wuchs so das Bild ins Tragisch-Ferne auf und mußte doppelt den Geist des Betrachters in die Stunde zwingen, in der die Chöre der Dichter, auf solchem Grunde autochthon, zu den geschwungenen Reihen von abertausend Hörern aufwärts gedrungen waren.

Einzeln sitzend, wo eben sie der kletternde Fuß hingeführt, doch meist nicht fern voneinander, schwiegen die Reisenden. Jeder dachte ein anderes. – In ungeheuren Rhythmen hier sich entladen, dachte Franklin und sah die Szene belebt von den eigenen Gestalten seiner Jugenddramen.

– Riesenhafte Versammlungen, dachte dicht neben ihm Kyrill, eine hinbrausende Arbeitermenge, die, ist sie erst hier aufgebrochen, bis an die Tore der Hauptstadt dringt und kein zweites Mal am Winterpalais niedergeknallt wird!

– Im Sommer, dachte Scherer, der etwas tiefer saß, wenn wir das bei uns hätten, könnte man jeden Sonntag Volksspiele aufführen, dann langsam bis zu Schiller weitergehen und es am Ende mit der Iphigenie versuchen. Keinesfalls die Antike, die verstehen sie nicht.

Wilhelm dachte: – Gut, daß ich meine Laute nicht mithabe. Ich finge gleich an, und das wäre ihnen jetzt nicht recht. Ob wir abends an Bord essen? Wie Trauben sehen die Glyzinen aus. Der Herbst wäre das schönste …

Eduard und Diana saßen in der obersten Reihe, aber sie waren durch die ganze Breite des Rundbaus getrennt. Er blickte zu ihr hinüber und dachte: – Trennt uns der ungeheure Raum? Dennoch sitzen wir beide auf der obersten Stufe!

Diana saß, den Arm an ein Stück Säulenschaft gelehnt, den Kopf halb zurückgebeugt, die Knie übergeschlagen, und sie blickte auf das Kampfspiel des Meeres mit dem Lichte. Ihre Freunde hatte sie vergessen und das Theater.


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