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Neunzehntes Kapitel

Eduard saß in der hintersten Reihe der kleinen Marmortische, die Café Florian auf die Piazza herausschob, er blätterte in illustrierten Zeitungen. Wie er da saß, den Vermouth neben sich und ein kleines Glas Granita, in hellem Sommeranzug, endlich dem Schiffsjackett nebst weißen Schuhen entronnen, zwischen Neugier und Ironie die Bekannten durchstöbernd, die sich inzwischen in Berlin aus dem Herrenhaus tretend, zur Parade reitend, in neuen Frühjahrskostümen Grunewald eröffnend, hatten typen lassen, um sich am Ärger der nichtgetypten Freunde zu ergötzen; so, eingereiht in das Rechteck des Markusplatzes, empfand er einen heiteren Vormittag und gestand sich mit lächelnd erschüttertem Pathos, er wäre doch nicht umsonst im Binnenlande geboren, jedenfalls gäbe es kein Quietiv der Seele, das so rasch wirkte wie der erste Schritt an Land nach langer Seefahrt.

– Hier vollends, dachte er weiter, in Venedig empfängt einen die bessere Hälfte der Erde ohne den Lärm, der sie sonst so intolerabel macht, ohne dieses Knirschen, Läuten, Hupen, Rattern unserer Schienendorados … Man sollte Kunstasket bleiben, diese zwei Tage … Warum mag sie so früh von Bord gegangen sein? Es war Zeit, daß man irgendwo landete.

Die letzten Tage auf Excelsior strichen wieder durch seinen Sinn. Die Heiterkeit der ersten zehn Tage war dahin, man war mit Höflichkeit einsilbiger, mit Lachen fremder geworden. Wilhelm hatte sich den halben Tag zurückgezogen, mit Trauerblicken sahen ihn die Freunde am Bug auf einem Sitz hocken, er mied Diana, den Prinzen und zwang nur Franklin zu Gesprächen über Kameltaschen, Elefantenhaare, Krokodilstränen, und wenn er spielte, tat er's leise, allein, ohne dazu zu singen. Abends stahl er sich herunter zu Giorgino, dem Segeljungen, mit dem ihn Scherer von der Treppe aus einmal Dialektübungen machen hörte, offenbar venezianische.

Scherer, beunruhigt, durchprüfte insgeheim allerlei Möglichkeiten und suchte im übrigen vom Kapitän über Wind, Nebel, Leuchttürme zu lernen. Eduard selbst hatte mit Kyrill zwei langatmige Diskussionen über Volk und Individuum, an deren Ende sie, durch ein Wort des Zufalls angeregt, das Schachbrett holen ließen, nach dem auf dieser geselligen Fahrt noch niemand gefragt hatte, und nun spielten sie vier oder fünf Stunden, ohne aufzublicken, und blieben selbst bei Tische benommen und wortkarg.

Kyrill, der Diana stets mißtraut und nun beinah mit jedem an Bord in Verdacht hatte, zog die Scheidelinie zwischen sich und ihr; noch ehe er sich ihr entschieden genähert, gab er sie wieder auf. Dies mußte Eduard, dessen Unruhe durch Dianas Ausflug mit Wilhelm ohnehin von dem Russen abgelenkt war, im Grunde gefallen, er faßte in diesem Augenblicke Kyrills Auftreten kameradschaftlich, wie eine Haltung, der man sich anschließen sollte. Denn wie sich Diana, bei der Zurückhaltung des Prinzen, nach jenem traurig-nervösen Abend zu doppelter Vorsicht zwang, schien sie dem Zögernden nur immer weiter zu entschwinden, und er hielt sie nicht. Was er seit Monaten überdachte, wußte sie nicht; sie sah nur, daß er huldigte statt zu ergreifen, und in solchem Zwiespalt zwischen Stolz und Neigung, schlug in ihr stets der Stolz durch und vergrößerte die Entfernung.

Als Eduard zahlte, um sich unter den Kolonnaden der Bibliothek in die gegen Mittag wachsende Menge zu mischen, hörte er von rückwärts seinen Namen, und wie er sich rasch umwandte, rollte das Geld, das ihm der Kellner im Wechseln hingeschoben, von seinem Ärmel gestreift, zu Boden. Vier Hände mühten sich es aufzuheben, und als er nun selbst sich bückte, um zu helfen, erkannte er Kyrill und einen jungen Russen, und alle drei lachten, als sie sich nun aufrecht die Hände reichten.

»Das erste Mal,« sagte Eduard, »daß ich Sie nach Geld gebückt sehe, verehrter Samoroff! In Monte Carlo ließen Sie es immer fortrollen. Vielen Dank!«

»Nur um mich vor meinem alten Studienfreunde Kyrill Pawlowitsch als Antikapitalist zu erweisen! Sonst knüpft er mich im Hofe von Peter-Paul auf, quand il aura la puissance dans l'Institut Smolsky!«

Der elegante junge Mann, der diese Worte erst in gebrochenem Deutsch, dann in glattem Französisch lachend sagte, war fast so lang wie Eduard, und wie er sich nun, den kleinen Stock zwischen den Knien, halb setzte, ohne sich hier niederlassen zu wollen, sagte Kyrill zu Eduard:

»Dimiter Alexandrowitsch wird mich gern entschuldigen, er wird Ihnen lieber von der Spielbank plauschen als mir von Krapotkin erzählen, bei dem er übrigens in London nur den Samowar verstanden hat! Leben Sie wohl, ich habe noch zu tun.«

Und indem er mit russischen Worten seinem Landsmann die Hand schüttelte, ging er, und wie er sich so schnell im Gedränge verlor, bemerkte Eduard, wie froh er war sich zu drücken und ihm den Fürsten gleichsam als Standesgenossen aufzuhalsen.

»Et quant à vous, cher prince?« sagte der Russe und zog Eduard, leicht eingehakt, nach der andern Richtung der Kolonnaden. Er schien zerstreut und ohne Vorsatz dem Deutschen kordialer zu begegnen als dieser ihm, denn durch Erziehung und durch Temperament zeigte Eduard mehr Zurückhaltung als der weltvagabundierende Russe. Indem sie plauderten, der Russe schlendernd, Eduard nicht ohne eine letzte Steifheit, dachte dieser zwischen lässigen Antworten nach, wie er ihn wohl wieder loswürde, denn er befürchtete Einladung und Gegenbesuch und war etwas geniert bei dem Gedanken, Scherer diesen Tagedieb an Bord zu bringen, für den er sich von Standes wegen irgendwie mitverantwortlich fühlte. Vor ein paar Jahren hatten sie gemeinsame, etwas leere Tage in Cannes zugebracht und da Dimiter auch jetzt von dort kam, erging er sich in übertriebenen Erinnerungen an jene schöne Zeit, die Eduard gar nicht so schön erschien und die nachträglich zu vergolden er sich entschlossen versagte.

»Sie fahren durchs Mittelmeer mit einem Zeitungsmann,« sagte Dimiter und unterbrach sich sogleich: »Schauen Sie, da, die rechte von den beiden, – wie diesem Schulter unter dem schwarzen Tuch sich rührt, man sieht sie ordentlich glänzen – wie mit Röntgenstrahlen,« setzte er in voller physikalischer Unbefangenheit hinzu. »Superbe! nur – sie riechen meist stark. – Es geht nur im Winter, wissen Sie – Apropos, Kyrill Pawlowitsch sagt, Sie haben Damenbegleitung – Sehr fesselnd auf See, nur dürfen die Kabinentüren nicht knarren, wie ich's mal erlebte, zum Schrecken des Gemahls – Enfin – Sie bleiben doch ein wenig?«

Eduard verneinte und gab vor, durch seine Freunde gebunden zu sein, obwohl in Wahrheit grade an Land jeder ohne Absage frei war, und schon wollte er fort, als ihm einfiel, es ließe sich durch diesen Schwätzer wohl über Kyrill etwas erfahren. Deshalb sagte er, sprunghaft wie es sein Begleiter gewöhnt war: »Übrigens ist Doktor Sergjewitsch Favorit an Bord, verstehen Sie?«

»Durchaus!« rief Dimiter lebhaft und setzte sich plötzlich, den Stock zwischen den Knien, auf die Stufen eines der großen Flaggenmaste vor San Marco nieder. »Durchaus verstehe ich das! Damals, als wir zusammen studierten – Mein Vater wollte doch einen diplomé aus mir machen – Ich sollte en Suisse, in Lausanne Staatsrecht lernen, denn dort hatte er einige Freunde, die noch von Alexanders Zeit verbannt waren – Grigori sollte auch studieren – Es war charmant, denn unten in Ouchy, in der Pension der Madame Dorée, da lebte das herrlichste Weib – die Tochter, wissen Sie – Siebzehn, Nolimetangere, brune, schlank wie ein Knabe, aber nur hier oben. Sie verstehen – Eh bien, damals haben wir uns alle die Köpfe eingeschlagen an dieser Bronze. Nur dieser arme Teufel – Nun, wir waren vielleicht Zweiundzwanzig – Gewiß! Es war 1906, ein Jahr nach dem Oktoberaufstand – Also dieser Kyrill Pawlowitsch, der ihr noch nicht einmal ein Bracelet schenken konnte – der ging durchs Ziel, als ob diese kühle Haut plötzlich eine heiße Hündin wäre! Glatt, nach zwei Malen. Ich schwöre Ihnen, er macht es nur mit diesem regard démonique und mit diesem Gebiß –« Und dabei hieb er verärgert mit seinem Stocke auf die rötlichen Quadern zwischen den Füßen und pointierte: »... cette canaille –!« und schwieg plötzlich eifersüchtig, als sähe er die beiden vor sich, nach soviel Jahren und soviel Abenteuern.

Eduard, der vor ihm stehengeblieben war und anfangs, die Hände auf dem Rücken, auf seinen braunen Sohlen wippte, hatte dann, mit steigender Spannung, sich seinem Kopf genähert, indem er den einen Fuß auf eine Stufe setzte und mit der Linken den Flaggenmast erfaßte. Nun nahm er die seltene Konzentration des Russen wahr und fragte in diese Pause hinein, leger, als ginge ihn dies alles nichts an:

»So? War er sehr mittellos?«

Der Russe blinzelte auf. »Häuslerssohn, von ärmsten ukrainischen Bauern. Dann von den Pächtern an Kindes Statt übernommen. Plötzlich dort ausgerissen, mitten in diese revolutionäre Sippe. Dann studiert, studiert, studiert! Stipendien, Parteifonds – je ne connais pas les détails. Später hörte ich, nach Sibirien. Flucht wie gewöhnlich – En avant! Lassen wir diesen camelot! Kommen Sie mit, zu Danieli! Sie müssen mir zum Déjeuner die Ehre geben und Berliner Skandale erzählen!«

»Superbe Aussicht,« sagte Eduard, der hinter diesem Tone seine Nachdenklichkeit verbergen konnte. »Bin aber leider selber Sklave auf dieser Galeere, die Sie übrigens dort, knapp vor der Salute, in voller Unschuldsweiße bewundern können. Morgen, zweifellos, schick' ich eine Zeile ins Hotel! Für heut, ich muß an Bord. Mille pardons!«

Als er ihn los war, zwängte er sich, rascher als seine Gewohnheit, durch die Spazierenden auf der Piazzetta, nahm eine Gondel und rief, da er kein Ziel wußte und nicht länger gefragt sein mochte, gedankenlos: »All' academia!« um für einen zweiten Befehl indessen Zeit zu gewinnen. Verwirrt saß er nun auf den vertragenen Lederkissen, ringsumher sah er nichts, er sah nur Kyrills Augen blicken, Zähne glänzen, er hörte nur Dimiters neidvollen Tonfall, als er sagte: »Glatt, nach zwei Malen!« und wie er das Wort Bronze unbefangen ihm ins Herz geschleudert. Er sah vor sich die dumpfe Bauernstube, in der ein Neugeborenes schrie, den Pächter in hohen Stiefeln, der es holte, viel Schnee, viel Hitze, weite Steppen, einen verschlossenen Knaben, der auf dem Hof heranwuchs, einen reisenden Agenten, der ihm die Worte der Zukunft zutrug, ein Buch brachte, – – der Knabe lesend, glühend, nun packt er seine Sachen, kratzt Geld zusammen, nun auf die Bahn, Moskau; – – Versammlungen, ein paar Kopeken für das Mittagbrot, nur Bücher, Bücher, – – und dann plötzlich Renntiere, die einen Schlitten durch Sibirien ziehn – Kyrill darin, immer vorwärts eilend, daß sie ihn nicht erreichen, und bis ins Meer – – und dann ein Segelboot, keine weiße Jacht, Mastkorb, und nun wieder die bronzene Siebzehnjährige, die sich den klirrenden Fürstensöhnen widersetzte und die ihm dann zufiel, wie eine heiße Hündin …

»O–he! Guarda–mi!« drang der warnende Ruf des Gondoliere in seine Bilder. Mit einem Male glaubte er in der tiefen Stimme des Schiffers die Stimme seines ersten Erziehers zu hören, der ihn aus dem Park herausrief, in den linken Flügel des alten Schlosses, – – er sollte aber vorher die weißen lackierten Holzenten an Land ziehen, die er in dem flachen, marmorumrandeten Goldfischteiche schwimmen ließ und die nicht über Nacht draußen bleiben durften, aber er rief lieber: »Johann! Johann!« und wie der alte Diener durch den Taxusgang gelaufen kam, stapfte er aus dem Wasser und rief: »Johann, hol' mir meine Enten, hörst du? Nein, nicht jetzt, zieh mir erst meine Schuhe an, ich muß ganz schnell hinauf, Stefan wartet schon bei Herrn Höllriegel, wir haben heute kleines Einmaleins!« –

Zu dieser Stunde, ein wenig vorher, saß Diana allein in dem großen kühlen Saale der Akademie vor Tizians letztem Bilde.

– Wie tief, wie schwer, dachte sie. Und dazu muß man den Scheitel des Jahrhunderts berühren, um nach einer Bahn des Glanzes, nach hundert Gestalten von umlichteter Haut, von rotgolden schimmernden Haaren, nach Lautenschlägern, die bei nackten Aphroditen spielten, nach Ketten und Harnisch, Kühnheit und Freiheit, – um nun am Ende den bläulich dämmernden Leib des Herrn, von den umschatteten Augen der Sünderin betrachtet, unter übersinnlich grüngoldener Kuppel abnageln zu lassen? … Jung sterben, jünger sterben, mitten im Grauen der Liebe, in den Ekstasen eines doppelten Pulsschlages, nackt, auf einem südlich umbrandeten Lager, den ungebrochenen Blick zum Leitstern aufgehoben … Ist es die Wage? Heute nacht, als ich die Ankerkette niederrasseln hörte, sah ich durch meine Luke, grade über San Giorgios Spitze, Saturn, den rötlich rätselhaften, umkreisten Gott … Ich will von dem tragischen Bilde fort. Hier im Museum hab' ich damals, wie ich von Rom heraufkam, Lionardos rätselhafte Engelsköpfe gesehen, sie waren unter Glas, man schob behutsam die Filzdecke zurück, die sie vor der Sonne schützte, es muß da drüben sein. –

Sie erhob sich, durchquerte zwei Säle, in denen Menschen gingen und sprachen, und schritt einer schmalen Galerie zu, an deren Wänden Glaskästen aufgestellt waren. Hier war es leer, nur in einer Ecke drüben sah sie flüchtig den Rücken eines Mannes. Sie fing an, dort wo sie stand, die ausgelegten Blätter durch die Scheiben zu studieren. Es waren Lionardos Handzeichnungen.

Indem sie die hohe Süße, den schwärmerischen Aufblick, das sinnlich-übersinnliche Lächeln der Engel und Genien wieder eintrank, in denen sich ihr stets die himmlische Liebe, die wunschlose, offenbarte, stillte und weitete sich ihre Seele, die in den letzten Tagen bald unruhvoll, bald kühl verschlossen war, und wie sie lange in diese Züge blickte, stieg langsam in ihre eigenen das Lächeln und die Hingabe dieser wolkenkundig holden Visionen. Vor ihrem Geiste tauchte der Kopf des Magiers auf, der alles dies erschaffen, und wie die Stille in ihr wuchs und um sie, war ihr, als müßte sein Geist ihr nahe sein. Ein leiser Schritt, von ihrer Linken her, hieß sie aufmerken, und für die Dauer einer Sekunde glaubte sie dem Meister hier bei seinen Wesen zu begegnen.

Langsam hatte sich, aus der dämmerigen Ecke, die Gestalt gelöst, die sie flüchtig vom Rücken gesehen, um gleich ihr, in versunkenem Schauen, die Reihe, doch vom anderen Ende her, durchzumachen. Es war ein hoher, dunkel gekleideter Herr um Mitte Sechzig, und da er über die Kasten geneigt stand, hätte man nicht entscheiden können, ob er auch im Gehen sich schon gebeugt zeigte. Sein barhaupt weißer Kopf, sein feines Antlitz mit langer Nase, schmalen Lippen, schien einer Zeichnung zu gehören, vor allem im Profil, das von einem Bart beherrscht war, der weiß und aus zartem Haar, gepflegt und kühl über Kinn und Hals fiel. Sein Kopf glich sehr dem Selbstbildnis des Lionardo.

So, das geschnittene Profil zum Glas herabgesenkt, daß der Bart etwas vorfiel, erblickte ihn Diana, als sie mit klopfenden Pulsen aufsah. Sie stutzte, sie kannte die Erscheinung.

»– Vater!« Sie rührte sich nicht. Er blickte auf, nicht eben rasch, sie sah dies blaue Auge auf sich gerichtet, das gütig forschte, wie es einst stählern aufgeblitzt.

»Diana! Da bist du ja! Da steht ja meine liebe Tochter!«

Seine Stimme fuhr ihr ins Herz wie sein Auge. Sie war noch innerlicher geworden in diesen drei Jahren, seit sie sie nicht gehört.

»Vater!«

Und langsam wie ein Mädchen zögerte sie auf ihn zu. Er hob die Arme, ohne sie auszubreiten und küßte ihre Stirn. Es glich einem Segen. Sie schwiegen.

»Und ehe ich dich sah,« sagte sie dann leise, »schwebte der Kopf dieses Magiers vor mir, und als ich die Tritte hörte, glaubte ich nicht anders, als ihn zu finden!«

»Und nun findest du nur mich,« sagte der Vater lächelnd, »es ist alles so einfach. Aber wenn man dich ansieht, ist es, als glühtest du von innen her!«

»Ich komme von den Engeln,« sagte sie und blickte auf die Köpfe unter dem Glase.

»Und ich gehe zu ihnen,« sagte er, »denn an meiner Ecke fing es mit den Fratzen, den Dämonen an, und deshalb beginne ich diesen Weg immer dort drüben.«

»So muß ich nun zu den Dämonen niedersteigen?«

»Fürchtest du sie?« fragte er mit forschend ernstem Blick.

»Niemand fürcht' ich!« rief sie zurück und warf den Kopf mit ihrer kühnen Bewegung, daß die Locken sich noch um den Mützenrand regten. Er stand, betroffen, fast verzückt, und wie er nun verlangend und mit jener geschlossenen Geste aufs neue die Arme nach ihr hob, war es eine jüngere, eine süßer bewegte Stimme, als er leise rief:

»Helena! Ganz so hat Helena den Kopf geworfen …«

Es war Dianas Mutter. Sie schwieg und hatte Mühe, ihm nicht zu Füßen zu fallen, denn jeden Augenblick konnte jemand aus den Sälen in der Tür erscheinen. Auch er besann sich rasch und sagte: »Bleibst du ein wenig bei mir?«

»– Ich – komme mit dir, Vater!« Sie stockte, ehe sie dies sagte, denn im nämlichen Augenblick war ihr der Tag, die Jacht, ihr Wunsch, der Prinz eingefallen, und an der Form der Antwort erkannte der Vater, daß da ein Hemmnis war, das nur von außen kommen konnte. Er sagte:

»Vor kurzem träumte mir, ich könnte dir begegnen.«

»Wann war es? Weißt du's noch?«

»Ich weiß von jedem meiner Träume den Tag und ungefähr die Zeit; denn seit zwölf Jahren schreibe ich sie auf. Es war vor drei Tagen, gegen Abend, als ich ganz gegen die Gewohnheit auf meinem Fauteuil eingeschlafen war. Es mochte gegen sieben gewesen sein, denn als ich erwachte, sah ich den kleinen Dampfer vorübergleiten und hatte nur kurz geschlafen.«

Sie nickte: »Und zu derselben Stunde vor drei Tagen stand ich auf dem Bootsdeck einer Jacht und dachte: Nach Venedig! Es ist April, vielleicht ist dort der Vater!«

»Du siehst, es ist nicht schwer,« sagte er lächelnd. »Und nun gehen wir und speisen und plaudern.«

Mit der gemessenen Bewegung der sechziger Jahre bot er ihr den Arm, doch sie, in einer plötzlich mütterlichen Sorge, blickte auf den weichen Hut in seiner Hand und sagte: »Möchtest du nicht … In den Sälen ist es kühl …«

»Ich kann ihn nicht vor den Bildern der Meister aufsetzen,« sagte er, und sie gingen. Im Augenblick, als sie die Treppe herabkamen, erblickte sie der Prinz, der eben landen wollte. Er zog, wie um noch mehr allein zu sein, mit raschem Griff die Plaue zu und so blieb er den Passanten verborgen. Da das Boot, nach seinem Befehle, am Ziele schien, wartete der Gondoliere ruhig, daß er aussteigen möchte. Doch Eduard rührte sich nicht.

Auf einer breiten weißen Marmortreppe, zwischen den großen sitzenden Löwen, schritt vor seinem Blicke Diana langsam, wie Jugend, die sich still dem Alter bequemt, an der Seite eines hohen alten Herrn herab, sie selbst in hellem, kurzem Jackenkleide, das, vom Winde der Lagunen etwas wehend, vollends im Schreiten den glänzenden Schuh, die Knöchel und Schenkel in grauer Seide freigab, er in sorgfältigem Schwarz, die Rechte auf elfenbeinernen Stock gestützt. Aber Eduards Geist, der noch eben in wachem Traum bei seiner Jugend gewesen, schaute dies Bild, wenig verwandelt, auf der breiten Treppe des alten väterlichen Schlosses, die, fast wie diese, von zwei sitzenden Löwen flankiert war. Auf dieser schien ihm Diana herabzuschreiten, am Arme seines alten Vaters …

Als sie dann unten eine Gondel nahmen, drückte er sich unter seine Plaue zurück und beschloß ihnen zu folgen.


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