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Zweites Buch


Elftes Kapitel

Weiß glitt die Jacht durch dunkelblaue Fläche, wie aus sich selbst bewegt, als sie am sechsten Morgen Messina verlassen hatte, um an Siziliens Ostküste südlich zu steuern. So stille lag das Meer, daß es am Schnittpunkt von Bug und Wasser schien, als knirschte ein Diamant, an langem Stift geführt, in einen dunklen Spiegel und teilte seine metallene Flache in zwei Teile mit linearem Schnitt.

Am Bugspriet stand Diana, den Kopf halb zum Himmel aufgehoben und während der Fahrtwind ihre Locken durchfuhr, das weiße Leinen stärker um Knie und Busen spannte, wäre sie von weitem einem begegnenden Schiffe jener Nike ähnlich erschienen, die marmorn auf den Schiffsschnabel gestellt, am Morgen der Schlacht das griechische Schiffsvolk, vorfliegend, zum Siege hinriß. Aber an diesem Morgen und wie sie nun für Augenblicke beide Arme emporhob, sah Diana niemand als die Sonne und das Meer. An Bord schlief alles, um diese sechste Stunde, und weder der alte Steuermann, noch die beiden plattdeutschen Matrosen vom Dienst hatten Zeit, das junge Weib zu betrachten, obwohl sie, ihre Dienerin ausgenommen, auf dieser Fahrt die einzige Frau war.

Diana wußte, daß sie niemand sah. Denn während sie dies heiter begonnene Unternehmen, mit seinen Gesprächen, seinem Lachen und Schweigen, mit seiner Spannung einer kleinen, auf die schmale, schwimmende Insel gebannten Gruppe von Menschen als ein Spiel und als ein Stück Lebenslauf wie alle Mitfahrenden genoß, war sie es doch allein, deren sich zugleich das Meer bemächtigt hatte – vom Augenblicke an, als sie in Genua den Fuß aufs Fallrep setzte – das Meer in Ruhe und in Unruhe, das Meer strahlend am Morgen, schweigend am Mittag, am Abend bewegter, nachts ein rauschendes Geheimnis. Zwischen Tauen und Masten, am Steuer oben und unten bei den glänzenden Griffen, Hebeln und Kolben war sie zu Haus und blieb unermüdlich, von den Leuten zu lernen, was ihr fremd erschien. Aber, indem sie in Berechnung der Meilen, im Lesen der Karten, bei Abschätzung von Wind und Wetter mit immer kühler Sachlichkeit sich vor den Gefährten hervortat, empfand sie all dies in sich selbst doch nur wie das Spiel der Meeresoberfläche, während in Abgründen und Gründen ihrer Seele das Dunkle wirkte, stumm und den Blicken ihrer Freunde unsichtbar, verwandt und wie durch die Magie der Elemente hingezogen zum unsichtbaren Leben im Innern der flüssigen Welt und zu den ungreifbaren Bahnen des Gestirns und der Gestirne unter der grenzenlosen Kuppel. Diese junge Frau vermochte es, Sternkarten und Logarithmen zu vergessen, die ihr von Jugend her vertraut waren, wenn ihre Seele in den Abgrund tauchte, den sie nirgends rauschender um sich fühlte als auf den Schiffen.

In dieser Stunde aber schien ihr Wesen schwebend aufgelöst in die Elemente des Morgens. Morgenlicht, in die Flut gesprüht, ward heut vom leicht behauchten Spiegel zurückgeworfen, da lag es nun, zerschellt in zitternde Atome, als hätte die Faust eines Gottes das große schwimmende Auge getroffen, vor dessen Aufblick nun eine Kaskade klirrenden Lichtes zersprang. Diana fühlte es anders. In ihrem Innern wirkten Licht und Meer als die gespaltene eine Welt, die sich im Kampfspiel wieder zu vereinen strebt, und wie für jede Nacht das Licht ins Meer zu sinken und morgendlich erneut dem Meer enthoben schien, so fühlte sie dies kühne Auf und Nieder in der eigenen Brust, als höbe und senkte sich ihre Bahn mit dem kosmischen Wirken. Hier, auf dem kleinen Schiff im Mittelmeer, stieg dies freiheitliche Gebanntsein kühner in ihr auf, denn hier allein waren Nacht und Morgen ein Sichtbares, Gewohnheiten überstimmend, Zeit festigend, und die Sterne, die die Fahrt bestimmten, schienen zugleich geheimnisreicher als jene, die nur das Dach einer Straße oder den Plafond eines Waldes bedeuteten. In solchen Augenblicken mystischer Hingabe war sie blind, indem sie schauend war. Vögel und Fische sah sie nicht und auch, daß nun zur Rechten blaue Berge sich zu verschieben und einem flachen weißen Kegel zuzustreben begannen, wurde ihr nicht bewußt. Von innen schienen ihre Sinne aufgetan, Frische spürte die Haut, das Ohr ein Rauschen, das Auge Glanz, nach Salz schien es zu riechen, doch nichts begriff sie, alles blieb ihr atmendes Gefühl.

In einer jener seltenen Stunden innerster Einsamkeit, für die der komplizierte Aufbau sozialer Jahre unbegreiflich scheint, war es, daß Diana, Gast auf einem schlafenden Schiffe, dieses Vollkommene erkannte: den wolkenlosen Morgen überm Meer.


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