Titus Livius
Römische Geschichte
Titus Livius

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404 37. Noch vor dem Aufbruche der Consuln wurde der neuntägige Gottesdienst gehalten, weil zu Veji Steine vom Himmel gefallen waren. Auf die Angabe Eines Schreckzeichens folgte gleich, wie gewöhnlich, die Meldung noch anderer: zu Minturnä sei der Tempel Jupiters und der Hain der Marica, so auch zu Atella die Mauer und ein Thor vom Blitze getroffen. Ja was noch schrecklicher sei, erzählten die Minturnenser, in ihrem Thore habe ein Blutstrom geflossen. Und zu Capua hatte ein Wolf, der bei Nacht ins Thor gekommen war, einen Wächter zerrissen. Die Sühnung dieser Schreckzeichen wurde mit großen Opferthieren besorgt, und auf ein Erkenntniß der Oberpriester ein Bettag gehalten. Dann wurde der neuntägige Gottesdienst abermals angestellt, weil man auf der Waffenweihe einen Steinhagel fallen sah. Kaum hatten sich die Gemüther vor diesen heiligen Drohungen gesichert, so beunruhigte sie die neue Anzeige, zu Frusino sei ein Kind geboren, so stark, als ein vierjähriges; doch sei das Befremdende an ihm nicht sowohl die Größe, als die Ungewißheit, so wie bei jenem, vor zwei Jahren zu Sinuessa gebornen, ob in ihm ein Knabe, oder ein Mädchen, zur Welt gekommen sei. Dies nun vollends erklärten die aus Hetrurien berufenen Zeichendeuter für ein abscheuliches und häßliches Ungethüm, das man aus dem Römischen Gebiete verbannen und fern von aller Berührung mit dem festen Lande im tiefen Meere versenken müsse. So steckte man es lebend in eine Kiste, fuhr mit ihm auf die Höhe und warf es über Bord. So verordneten auch die Oberpriester, daß drei Chöre, jeder von neun Jungfrauen, in einem Aufzuge durch die Stadt ein Lied singen sollten. Als diese sich im Gesange des vom Dichter Livius verfaßten Liedes im Tempel des Jupiter Stator übten, schlug der Blitz auf dem Aventinus in den Tempel der Juno Regina: und weil die Zeichendeuter erklärten, dies Schreckzeichen gelte den Standesfrauen, so wählten diese, welche sich sämtlich, so viele ihrer in der Stadt und innerhalb des zehnten Meilensteines von Rom wohnhaft waren, nach einer Verordnung der Curulädilen auf dem Capitole einfanden, aus 405 ihrem Mittel fünfundzwanzig Frauen, um diesen von ihrer Mitgift ihre Beisteuer einzuliefern. Hiervon wurde ein goldenes Becken als Weihgeschenk verfertigt, in den Tempel auf dem Aventinus getragen und dabei von den Frauen mit aller Reinheit und Andacht das Opfer verrichtet. Gleich darauf wurde von den Zehnherren der heiligen Geschäfte ein Tag zu einer andern Opferfeier eben dieser Göttinn zu Ehren angesetzt. Die Ordnung dabei war folgende. Vom Tempel des Apollo führte man zwei weiße Kühe zum Carmentalischen Thore herein in die Stadt. Zwei cypressene Standbilder der Juno Regina wurden ihnen nachgetragen. Dann folgten zu Fuß siebenundzwanzig Jungfrauen in langen Gewändern und sangen ein Loblied auf die Juno Regina, das damals vielleicht bei dem noch ungebildeten Geschmacke Beifall fand, das aber jetzt, wenn ich es hersetzen wollte, unverständlich und übelklingend sein möchte. Dem Zuge der Mädchen folgten die Zehnherren im Lorberkranze und in der Purpurverbrämung. Vom Thore ab kamen sie über die Jugarische Straße auf den Markt. Auf dem Markte stand der Zug still, und die Mädchen machten an einem Seile, das ihnen Allen durch die Hand lief, eine schreitende Reihe, in welcher sie zum Tonmaße des Gesanges mit dem Fußschlage den Einklang gaben. Von da ging der Zug weiter, über die Tuskerwik[das Tuskerviertel], das Velabrum, den Rindermarkt, auf die Publicische Höhe und zum Tempel der Juno Regina. Hier opferten die Zehnherren die beiden Thiere und stellten die cypressenen Bilder im Tempel auf.

38. Nach gehöriger Aussöhnung der Götter hielten die Consuln eine Werbung, welche strenger und ausgedehnter war, als sich dessen irgend jemand aus früheren Jahren erinnern konnte. Denn die Gefahr des Krieges hatte sich durch den Anzug eines neuen Feindes gegen Italien verdoppelt, und der Dienstfähigen, aus denen sie die Soldaten nehmen sollten, waren weniger. Also forderten sie auch die Pflanzstädte der Seeküste, welche der Sage nach eine unverletzliche Dienstfreiheit hatten, zu Truppenstellungen auf. Als sie sich weigerten, setzten sie ihnen 406 einen Tag fest, an welchem jede von ihnen im Senate anzeigen sollte, aus welchem Rechtsgrunde sie die Dienstfreiheit genieße. An diesem Tage erschienen vor dem Senate die Volksbürger von Ostia, Alsium, Antium, Anxur, Minturnä, Sinuessa, und von Sena am Obermeere. Als jede Völkerschaft ihren Freiheitsbrief vorgelesen hatte, ließ man aus dem Grunde, daß jetzt der Feind in Italien stehe, bei keiner, Antium und Ostia ausgenommen, die Verschonung vom Dienste gelten: und selbst die Dienstfähigen dieser Pflanzstädte wurden darauf beeidigt, so lange der Feind in Italien sei, nicht über einen Monat außer den Mauern ihrer Pflanzstadt zu übernachten. Da Alle dafür stimmten, die Consuln müßten je eher je lieber zum Kriege aufbrechen; – denn theils müsse man dem von den Alpen herabsteigenden Hasdrubal entgegengehen, damit er nicht die Gallier diesseits der Alpen, oder Hetrurien in Bewegung setze, welches einer Veränderung der Dinge entgegensähe; theils müsse man den Hannibal durch einen nur ihm geltenden Feldzug beschäftigen, damit er nicht aus dem Bruttischen entschlüpfen und seinem Bruder entgegenziehen könne: – so war Livius der Säumige, weil er meinte, er könne sich auf die Heere seiner Bezirke nicht so ganz verlassen; sein Mitconsul hingegen habe aus zwei herrlichen consularischen Heeren, und einem dritten, welches zu Tarent unter dem Quintus Claudius stand, das Aussuchen; und schon hatte er den Vorschlag gethan, abermals Freiwillige aus den Sklaven unter die Fahnen zu nehmen. Der Senat gab den Consuln freie Vollmacht, sowohl die Ergänzungen herzunehmen, wo sie wollten, als auch von allen Heeren die zu wählen und zu vertauschen, welche sie wollten, und selbst aus Provinzen Heere in eine andre herüberzunehmen, wenn sie es dem State für zuträglich hielten. Alles dies setzten die Consuln mit höchster Eintracht ins Werk. Freiwillige aus den Sklaven nahmen sie in die neunzehnte und zwanzigste Legion.

Nach einigen Schriftstellern sandte auch Publius Scipio dem Marcus Livius zu diesem Kriege ansehnliche Verstärkungen aus Spanien, achttausend Mann Spanier 407 und Gallier, zweitausend Legionsoldaten, und an Reuterei, aus Numidern und Spaniern zusammengesetzt, tausend Mann. Diese Truppen habe Marcus Lucretius auf Schiffen gebracht; und auch aus Sicilien habe Cajus Mamilius an viertausend Bogenschützen und Schleuderer geschickt.

39. Die Unruhe zu Rom wurde noch dadurch vermehrt, daß der Prätor Lucius Porcius aus Gallien schrieb: «Hasdrubal sei aus den Winterquartieren aufgebrochen und gehe schon über die Alpen. Achttausend Ligurier, schon ausgehoben und bewaffnet, würden nach seinem Übergange in Italien zu ihm stoßen, wenn man nicht jemand hingehen lasse, der ihnen durch einen Angriff auf Ligurien zuvorkäme. Er selbst wolle mit seinem schwachen Heere so weit vorrücken, als er für sicher erachte.» Dieser Brief bestimmte die Consuln, nach schnell beendigter Werbung früher auf ihre Plätze abzugehen, als sie sich vorgenommen hatten, mit dem Vorsatze, jeder seinen Feind in seiner Gegend festzuhalten, und ihm keine Vereinigung, kein gemeinschaftliches Wirken auf Einen Punkt zu gestatten. Am meisten war ihnen hierin Hannibal selbst durch seine Meinung beförderlich; weil er, wenn er gleich seines Bruders Heerzug gegen Italien auf diesen Sommer erwartete, ihm gleichwohl, wenn er sich erinnerte, wie viel er selbst auf seinem Zuge zuerst über die Rhone, dann über die Alpen, mit Menschen und Natur im Kampfe, fünf Monate lang habe ausstehen müssen, keinen so leichten und baldigen Übergang zutrauete. Und darum brach er auch später aus den Winterquartieren auf. Allein mit Hasdrubal ging Alles über seine und Anderer Erwartung schnell und ungehindert. Denn die Arverner und die übrigen Gallischen und Alpinischen Völker der Reihe nach nahmen ihn nicht allein auf, sondern folgten ihm in den Krieg: und so wie er größtentheils durch Gegenden kam, welche seines Bruders Übergang, so unwegsam sie vorher waren, gebahnt hatte, so ging auch sein Zug, weil der offene Weg über die Alpen schon eine Dauer von zwölf Jahren hatte, durch viel milder gewordene Völker. Denn vorher eben so 408 wenig von Ausländern besucht, als selbst gewohnt, Ankömmlinge in ihrem Lande zu sehen, waren sie gegen alle andern Menschen unverträglich. Auch hatten sie anfangs, ehe sie wußten, wohin die Punier gingen, geglaubt, es sei auf ihre Klippen und Bergschanzen, auf Vieh- und Menschenraub abgesehen. Nachher hatte sie der Ruf des Punischen Krieges, von welchem Italien nun ins zwölfte Jahr litt, hinlänglich belehrt, daß über ihre Alpen nur der Weg gehe, daß zwei der mächtigsten Städte, durch Meere und Länder weit von einander geschieden, um Oberherrschaft und Macht sich bekriegten. Diese Gründe hatten dem Hasdrubal die Alpen geöffnet. Was er indeß auf seinem Zuge an Schnelligkeit gewann, verlor er wieder durch seinen Aufenthalt vor Placentia, welches er vergeblich, ich möchte lieber sagen, sperrte, als belagerte. Er hatte sich die Eroberung einer Stadt in der Ebene so leicht gedacht, und der Ruf dieser Pflanzung hatte ihn glauben lassen, er werde durch Zerstörung dieser Stadt die übrigen in großen Schrecken setzen. Diese Belagerung aber wurde nicht nur ein Hinderniß für ihn selbst, sondern ließ auch den Hannibal still sitzen, als er auf den über seine Erwartung schnell erfolgenden Ruf von Hasdrubals Übergange schon aus den Winterquartieren aufbrechen wollte. Er kannte ja den langsamen Gang der Städtebelagerungen, und wußte, daß er selbst, obgleich als Sieger vom Trebia kehrend, auf eben diese Pflanzstadt einen vergeblichen Versuch gemacht hatte.

40. Dadurch, daß die Consuln auf zwei entgegengesetzten Wegen von der Stadt aufbrachen, gaben sie der allgemeinen Theilnahme die Richtung als auf zwei verschiedene gleichzeitige Kriege. Indem man sich hier zurückerinnerte, wie manches Unglück Hannibals Einbruch gleich anfangs über Italien gebracht habe, überließ man sich dort der ängstlichen Betrachtung: «Wo die Götter wären, die der Stadt Rom und ihrem State gnädig genug sein möchten, um ihm zu gleicher Zeit auf beiden Punkten Glück zu verleihen. Noch habe man bei dem Gegengewichte der Vortheile gegen die Unfälle sich bis 409 jetzt so hingehalten. Als die Sache Roms in Italien am «Trasimenus und bei Cannä die stürzenden Fälle gethan habe, hätten die glücklichen Kriege in Spanien sie vom Sturze wieder aufgerichtet. Als in Spanien eine Niederlage nach der andern nach dem Verluste zweier ausgezeichneten Feldherren zwei Heere großentheils aufgerieben habe, hätten die Siege in Italien und Sicilien den leckgewordenen Stat bei sich geborgen. Und selbst bei der Entfernung des Schauplatzes, da der eine dieser Kriege an den äußersten Küsten der Welt geführt sei, habe man Raum gehabt sich zu erholen. Jetzt nähmen zwei, in Italien eingelassene, Kriege, zwei Feldherren vom höchsten Rufe die Stadt Rom in die Mitte, und der ganze Schwall und alle Last der Gefahr habe sich auf Einen Punkt geworfen. Wer von den Beiden zuerst siegen würde, werde sich in wenig Tagen mit dem Andern vereinigen.» Und das vorige Jahr, durch den Tod beider Consuln so trauervoll, vermehrte die Ängstlichkeit. Unter diesen marternden Sorgen gab man den Consuln, als sie beim Abgange nach ihren Standplätzen schieden, das Geleit. Marcus Livius, der, wie ich aufgezeichnet finde, noch voll Erbitterung auf seine Bürger zum Kriege aufbrach, soll dem Quintus Fabius auf seine Warnung: «Ehe er seinen Feind nicht kenne, sich ja nicht unbehutsam einzulassen,» geantwortet haben: «Sobald er das feindliche Heer zu Gesicht bekomme, wolle er schlagen.» Auf die Frage, Was ihn so eilen heiße, antwortete er: «Entweder will ich mir am Feinde einen glänzenden Ruhm, oder an meinen geschlagenen Mitbürgern eine, mir wenigstens zu gönnende, wenn auch ruhmlose, Freude erwerben.»

Ehe noch der Consul Claudius auf seinem Kriegsplatze eintraf, überfiel Cajus Hostilius Tubulus mit seinen schlachtfertigen Cohorten den Hannibal, der sein Heer durch die äußerste Ecke des Gebiets von Larinum in das Sallentinische zog, und brachte den ungeschlossenen Zug in eine fürchterliche Verwirrung. Er tödtete ihm gegen viertausend Mann und erbeutete neun Fahnen. 410 Als der Feind von sich hören ließ, war auch Quintus Claudius, dessen Truppen vertheilt in den Städten des Sallentinischen Gebietes lagen, aus den Winterquartieren aufgebrochen. Um also nicht mit zwei Heeren zugleich zu schlagen, brach Hannibal in der Nacht sein Lager im Tarentinischen ab und zog sich in das Bruttische, und Claudius wandte sich wieder in das Sallentinische. Hostilius, der seinen Zug nach Capua verfolgte, begegnete bei Venusia dem Consul Claudius. Hier wurden aus beiden Heeren vierzigtausend Mann zu Fuß und zweitausend fünfhundert zu Pferde ausgesucht, welche der Consul dem Hannibal entgegenstellen wollte; die übrigen mußte Hostilius nach Capua führen, um sie dem Proconsul Quintus Fulvius zu übergeben.

41. Hannibal kam mit seinem aus den Winterquartieren oder aus den Besatzungen des Bruttischen Gebiets von allen Seiten zusammengezogenen Heere in das Land der Lucaner, nach Grumentum, in der Hoffnung, die Städte wieder zu gewinnen, welche aus Furcht zu den Römern übergetreten waren. Eben dahin eilte auch der Römische Consul auf ausgesicherten Wegen und schlug etwa tausend fünfhundert Schritte vom Feinde sein Lager auf. Der Punische Lagerwall schien mit Grumentums Mauern beinahe zusammen zu hängen. Die Entfernung betrug nur fünfhundert Schritte. Zwischen dem Punischen und Römischen Lager war ein Feld. Den Puniern zur Linken und den Römern zur Rechten ragten nackte Hügel, beiden gleich unverdächtig, weil sie ohne alle Waldung, ohne Schlupfwinkel zu Hinterhalten waren. Auf der in der Mitte liegenden Ebene ließ man sich bei Ausfällen von den Posten in Gefechte ein, die keiner Erwähnung verdienen. Der Römer Zweck schien nur der zu sein, den Feind nicht abziehen zu lassen. Hannibal, der sich loszuwinden suchte, trat immer mit seiner ganzen Macht zum Kampfe auf. Da hieß der Consul, ganz im Geiste seines Feindes, eben weil sich auf so offenen Hügeln kein Hinterhalt fürchten ließ, fünf Cohorten mit einer Verstärkung von fünf Rotten die Höhe bei Nacht 411 übersteigen und ihr im Rücken sich in die Thäler legen. Über die Zeit zum Aufbruche aus ihrem Hinterhalte und zum Angriffe auf den Feind bekamen die ihnen mitgegebenen Anführer, der Oberste Tiberius Claudius Asellus und Publius Claudius, Oberster der Bundsgenossen, seine Anweisung. Er selbst rückte bei Anbruch des Tages mit allen seinen Truppen zu Fuß und zu Pferde in Linie auf. Gleich darauf steckte auch Hannibal das Zeichen zur Schlacht aus, und sein Lager ertönte vom Geschreie der zu den Waffen Greifenden. Wetteifernd strömten Reuterei und Fußvolk aus den Thoren, und eilten, über das Feld sich verbreitend, dem Feinde zu. Als sie der Consul heranschwärmen sah, befahl er dem Cajus Aurunculejus, Obersten in der dritten Legion, die Reuterei dieser Legion im heftigsten Anfluge auf die Feinde los zu lassen: sie hätten sich, wie Heerden, ohne allen Schluß auf dem ganzen Felde so verlaufen, daß man sie niederreiten und zertreten könne, ehe sie noch gestellt würden.

42. Noch war Hannibal nicht aus dem Lager gegangen, als er schon das Geschrei der Fechtenden hörte. Aufgestört durch den Lärm jagte er seine Truppen dem Feinde entgegen. Noch waren die von der Reuterei zuerst Angegriffenen in voller Bestürzung, und schon rückte die erste Legion Fußvolk und der rechte Flügel Bundesgenossen zum Kampfe an. Die Feinde ohne Schluß kamen ins Gefecht, so wie jeden der Zufall auf Fußvolk oder Reuterei gerathen ließ. Die Nachrückenden gaben dem Gefechte mehr Ernst, und durch die Menge der zum Kampfe Hervorbrechenden ward es allgemeiner. Dennoch würde Hannibal seine schon fechtenden Truppen – was nur einem alten Feldherrn bei seinem alten Heere möglich ist – mitten unter Getümmel und Angriff aufgestellt haben, wenn sie nicht bei dem ihnen im Rücken ertönenden Geschreie der Cohorten und Rotten, die von den Hügeln herabgerannt kamen, hatten fürchten müssen, von ihrem Lager abgeschnitten zu werden. Dies brachte sie aus der Fassung: auf allen Seiten begann die Flucht, und das Gemetzel war so groß nicht, weil die Nähe des Lagers 412 ihnen den Weg der Flucht verkürzte, so geschreckt sie auch waren. Denn die Reuterei lag ihnen im Rücken, und die Cohorten, die von den Hügeln auf offenem und abhängigem Wege im Zulaufe herabrannten, waren ihnen in die Flanken gefallen. Dennoch blieben über achttausend Menschen, über siebenhundert wurden Gefangene; neun Fahnen gingen verloren, und von den Elephanten, die sie in einem so unerwarteten und unvorbereiteten Gefechte gar nicht hatten gebrauchen können, wurden vier getödtet, zwei gefangen. Der Sieger waren ungefähr fünfhundert, Römer und Bundsgenossen, gefallen. Am folgenden Tage lagen die Punier still. Als der Römische Feldherr, der mit seinen Truppen ausrückte, niemand ihm entgegentreten sah, ließ er die Rüstungen der erschlagenen Feinde sammeln und die zusammengetragenen Leichen der Seinigen begraben. Mehrere der folgenden Tage nach einander näherte er sich den feindlichen Lagerthoren so sehr, daß es den Schein hatte, als wollte er hineinbrechen: bis endlich Hannibal, der in seinem Lager auf der Feindesseite viele Feuer und Zelte, und um sie auf dem Walle und an den Thoren sehen zu lassen, einige Numider zurückließ, in der dritten Nachtwache aufbrach und den Weg nach Apulien nahm. Als es tagete, rückte die Römische Linie an den Wall. Die Numider zeigten sich, wie sie sollten, noch ein Weilchen an den Thoren und auf dem Walle, und als sie den Feind eine Zeitlang getäuscht hatten, holten sie auf gespornten Pferden den Zug der Ihrigen ein. Als der Consul die Stille im Lager, und auch die Wenigen nicht mehr bemerkte, die am frühen Morgen vorn hin und her gegangen waren, ließ er zwei Ritter auf Kundschaft in das Lager voraufgehen, und wie Alles völlig sicher befunden wurde, die Truppen einrücken. Hier verweilte er nur so lange, als die Soldaten die Beute zusammenholten, ließ dann zum Abzuge blasen, und brachte noch lange vor Nacht seine Truppen zurück. Am folgenden Tage brach er mit frühem Morgen auf, ging in starken Märschen dem Rufe und der Spur des feindlichen Zuges nach und erreichte ihn nicht weit von Venusia. Auch 413 hier kam es zu einem unvorbereiteten Gefechte. Über zweitausend Punier blieben auf dem Platze. Von hier zogen sie immer bei Nacht und über Gebirge, um keine Schlacht zuzulassen, bis Metapontum. Von da wurde Hanno – denn er hatte der Besatzung des Ortes vorgestanden – mit schwacher Begleitung in das Bruttische geschickt, ein neues Heer aufzubringen. Hannibal vereinigte die Truppen desselben mit den seinigen, ging auf seinen vorigen Wegen nach Venusia zurück und rückte von da bis Canusium vor. Nie war Nero dem Feinde von der Spur gewichen; und als er selbst ihm auf Metapontum folgte, hatte er nach Lucanien, um diese Gegend nicht ohne Bedeckung zu lassen, den Quintus Fulvius hereingerufen.

43. Unterdessen wurden vier Gallische und zwei Numidische Reuter, welche Hasdrubal nach aufgehobener Einschließung von Placentia mit einem Briefe an den Hannibal abfertigte, und die fast die ganze Länge Italiens mitten durch die Feinde schon zurückgelegt hatten, die aber jetzt, als sie dem nach Metapontum sich zurückziehenden Hannibal nachgehen wollten, aus Unkunde der Wege nach Tarent gerathen waren, von den im Lande herumstreifenden Römischen Futterholern zum Proprätor Quintus Claudius gebracht. Anfangs suchten sie ihn durch unbestimmte Antworten zu hintergehen, als sie aber die Furcht vor der angedroheten Folter zum Geständnisse der Wahrheit zwang, sagten sie aus, sie hätten einen Brief von Hasdrubal an Hannibal. Mit diesem Briefe, den er, so wie er war, unentsiegelt ließ, übergab er sie dem Obersten Lucius Virginius zur Ablieferung an den Consul Claudius, und ließ zwei Geschwader Samniten zur Bedeckung mitgehen. Als sie bei dem Consul Claudius angekommen waren, der Brief durch einen Dollmetscher gelesen und die Gefangenen abgehört wurden, so war seinen Ansichten nach der Stat jetzt nicht in einer solchen Lage, daß sich jeder Feldherr nach dem gewöhnlichen Gange, auf die Gränzen seines Bezirks beschränken durfte, um bloß mit seinen Truppen den vom 414 Senate nur ihm angewiesenen Feind zu bestreiten; sondern man mußte sich zu einer unerwarteten, überraschenden That erheben, die durch ihren ersten Schritt die Bürger nicht weniger, als die Feinde, in Schrecken setzen mußte, in der Ausführung aber die große Besorgniß in große Freude verwandeln sollte: und diese seine Absicht theilte er, als er Hasdrubals Brief nach Rom an den Senat schickte, in seinem eigenen den Vätern mit: zugleich machte er es ihnen zur Pflicht, da Hasdrubal laut seinem Briefe seinen Bruder in Umbrien zu treffen hoffe, die Legion von Capua nach Rom kommen zu lassen, in Rom selbst eine Werbung zu halten und die Stadttruppen bei Narnia gegen den Feind aufzustellen. So viel schrieb er dem Senate: zugleich schickte er in das Larinatische, Marrucinische, Frentanische, Prätutianische, durch welche er seinen Zug machen wollte, Leute mit der Bestellung voraus, alle Einwohner sollten zur Speisung der Soldaten Lebensmittel aus den Dörfern und Städten auf die Heerstraße liefern, und Pferde und anderes Zugvieh stellen, damit es nicht an Fuhrwerk für die Ermüdeten fehle. Dann hob er im ganzen Heere von Bürgern und Bundsgenossen die besten Truppen aus, sechstausend Mann zu Fuß, tausend zu Pferde, und machte bekannt, er wolle die nächste Stadt in Lucanien mit ihrer Punischen Besatzung überrumpeln; Jeder solle sich marschfertig halten. Er brach in der Nacht auf, und ging seitwärts gegen das Picenische.

44. Was also den Consul betraf, so eilte dieser in möglichst starken Märschen seinem Amtsgenossen zu, nachdem er den Legaten Quintus Catius als Befehlshaber im Lager zurückgelassen hatte. Zu Rom aber war der Schrecken und der Auflauf nicht geringer, als vor dreiBiennio ante.] – Legendum: triennio ante. Crev. Drakenb. Jahren, als Roms Mauern und Thoren ein Punisches Lager gegenüber stand: und man konnte mit sich selbst nicht Eins werden, ob man den so kühnen Zug des Consuls loben oder tadeln wollte. Offenbar sollte sein Ruf – und 415 das ist doch so unbillig, als möglich – vom Erfolge abhängen. «Ständen doch die Truppen dicht vor einem Feinde Hannibal, ohne Feldherrn, in einem Lager, dem die kräftigsten, die blühendsten Männer entzogen wären: und der Consul, der ihnen eingebildet habe, er gehe nur nach Lucanien, ziehe gegen das Picenum und Gallien, und lasse sein Lager im Stiche, dessen ganze Sicherheit auf dem Irrthume des Feindes beruhe, so lange dieser nicht wisse, daß hier der Feldherr und ein Theil des Heeres fehle. Was aber daraus werden wolle, wenn dies kund würde, und Hannibal auf die Gedanken käme, entweder mit seinem ganzen Heere den Nero zu verfolgen, der nur mit sechstausend Mann abgegangen sei, oder auf das Lager loszugehen, das man ihm ohne Stärke, ohne Oberbefehl, ohne Götterleitung zur Beute hingegeben habe?» Mit Schrecken dachte man an die früheren Niederlagen dieses Krieges zurück, und an die beiden im vorigen Jahre gebliebenen Consuln. «Und das Alles habe man schon erlebt, da doch nur Ein Feldherr, nur Ein Heer der Feinde in Italien gewesen sei: jetzt aber wären zwei Punische Kriege daraus geworden; zwei gewaltige Heere und beinahe zwei Hanniballe ständen in Italien. Denn Hasdrubal sei ebenfalls Hamilcars Sohn, ein eben so unternehmender Feldherr, seit so vielen Jahren in Spanien im Römerkriege eingeübt, verherrlicht durch einen zwiefachen Sieg, in welchem er zwei Heere mit ihren berühmten Feldherren vernichtet habe. Ja mit der Schnelligkeit seines Zuges aus Spanien, mit der Aufwiegelung der Spanischen Völkerschaften zu den Waffen, könne er sich noch höher rühmen, als Hannibal selbst; da er gerade in den Gegenden ein Heer gesammelt habe, in welchen jener den größeren Theil seiner Soldaten durch die kläglichste Todesart, durch Hunger und Frost, verloren hätte.» Wer mit den Vorfällen in Spanien bekannt war, setzte noch hinzu: «Er werde im Cajus Nero nicht auf einen ihm unbekannten Feldherrn treffen, sondern auf denselben, den er einst, als ihn jener durch Zufall in einem unwegsamen Gebirge überrascht hatte, gleich einem Knaben durch Abfassung trieglicher Friedensbedingungen überlistet und sich ihm entwunden habe.» Ja in dem Lichte, in welchem die Furcht sich ihnen zeigte, die sich immer auf die schlimme Seite neigt, schienen ihnen alle Hülfsmittel der Feinde größer, als sie waren, und ihre eigenen geringer.

45. Als sich Nero jetzt so weit vom Feinde entfernt hatte, daß er seine Absicht mit Sicherheit entdecken konnte, hielt er an seine Soldaten eine kurze Anrede. Er sagte: «Nie sei eine Maßregel eines Feldherrn dem Scheine nach gewagter, in der That aber sicherer gewesen, als die seinige. Er führe sie zum gewissen Siege. Denn in einem Kriege, zu dem sein Mitconsul nicht eher abgegangen sei, bis ihm der Senat Fußvolk und Reuterei zur eigenen vollen Genüge bewilligt habe, und zwar zahlreicher und stattlicher gerüstet, als wenn es gegen den Hannibal selbst ginge, müßten sie jetzt, wenn sie auch noch so geringe Kraft zum Ausschlage einlegten, der ganzen Sache die Entscheidung geben. Sobald man nur in der Schlacht hören werde, – und daß man es nicht eher hören solle; dafür wolle er sorgen – der zweite Consul und das zweite Heer sei angekommen, so werde auch der Sieg außer Zweifel sein. Den Ausgang der Kriege bestimme der Ruf; und menschliche Hoffnung und Furcht hänge von kleinen Einwirkungen ab. Fast den ganzen Ruhm vom erfochtenen Siege würden sie ernten. Jede zuletzt noch zutretende Kraft scheine immer Alles gethan zu haben. Sie sähen ja selbst, wie ihr Zug der allgemeine Gegenstand des Zusammenlaufs, der Bewunderung und Liebe sei.» Und in der That zogen sie allenthalben durch aufgestellte Reihen von Männern und Weibern, die von allen Seiten aus den Dörfern herbeigeströmt waren, unter Gelübden, Gebeten und Lobeserhebungen weiter; sie nannte man die Stützen des Stats, die Retter der Stadt Rom und ihres Reichs: auf den Waffen, auf der Rechte dieser Männer, hieß es, beruhe ihre und ihrer Kinder Erhaltung und Freiheit. Man rief alle Götter und Göttinnen an, ihnen Segen auf den Weg, einen glücklichen Kampf und baldigen Sieg 417 über die Feinde zu verleihen: man wünschte zur Bezahlung der Gelübde verpflichtet zu werden, die man für sie gethan habe; um in wenig Tagen, so wie man jetzt voll Sorge ihnen das Geleit gäbe, eben so voll Freude sie im Siegerjubel empfangen zu können. Dann nöthigte sie Jeder nach seiner Weise, bot ihnen an, und bestürmte sie mit Bitten, was sie für sich und ihre Pferde nöthig hätten, doch ja am liebsten von ihm zu nehmen; und gab ihnen mit willigem Herzen Alles in Überfluß. Da wetteiferten auch die Soldaten in der Bescheidenheit, nichts weiter anzunehmen, als was sie nothwendig gebrauchten: nirgends hielten sie sich auf; traten nicht aus dem Gliede; machten selbst beim Essen nicht HaltNec ab signis absistere cibum capientes.] – Ich übersetze die aus Mss. von Gronov vorgeschlagene Lesart, der auch Crevier und Drakenborch beistimmen: nec ab signis absistere, nec subsistere cibum capientes., sondern gingen Tag und Nacht, und erlaubten sich kaum so viele Ruhe, als die Natur für den Körper forderte. An den andern Consul waren Boten voraufgeschickt, ihre Annäherung zu melden, und bei ihm anzufragen, ob sie in der Stille oder öffentlich ankommen, ob sie einerlei Lager mit ihm, oder ein zweites beziehen sollten. Er hielt es für rathsamer, sie bei Nacht unbemerkt einrücken zu lassen.

46. Der Consul Livius hatte im Lager den Befehl ausgegeben, jeder Oberste sollte einen Obersten, jeder Hauptmann einen Hauptmann, der Ritter den Ritter, der Fußgänger den Fußgänger bei sich einnehmen: das Lager dürfe man nicht erweitern, damit der Feind die Ankunft des andern Consuls nicht merke. Auch mußten sich mehrere auf den engen Raum Eines Zeltes so viel leichter zusammendrängen lassen, weil das Claudische Heer auf diesen Zug fast nichts als die Waffen mitgenommen hatte. Doch war auf dem Marsche selbst der Zug durch Freiwillige vermehrt, da nicht nur alte Soldaten, die schon ausgedient hatten, sich unaufgefordert anboten, sondern auch Jünglinge, welche Nero bei ihrem Wetteifer sich annehmen zu lassen, wenn ihr Wuchs und ihre Kräfte zum Dienste tauglich schienen, angestellt hatte. Das Lager des 418 andern Consuls stand bei Sena, undEt quingentos.] – Dies et fehlt in mehrern Mss. Ich vermuthe, daß die Zahl ∞ (mille) von den Abschreibern für & genommen wurde, oder auch, weil sie sie nicht verstanden, wegfiel, und daß Livius geschrieben habe mille quingentos inde ferme etc. Einmal hätte doch wohl Hasdrubaln, wenn er nicht einmal 500 Schritte entfernt war, der Einzug von 6000 Mann nicht unbemerkt bleiben können. Zum andern treten ja (Cap. 47. anf.) in dieser Ebene zur Schlacht, zu der es freilich nachher auf einem andern Platze wirklich kommt, zwei Heere auf, welche jedes wenigstens 70,000 Mann ausmachen: denn allein vom Einen Heere gehen 61,000 Mann an Todten und Gefangenen verloren, und die Gallier und Ligurier retten sich noch. Für zwei so große Heere war doch eine Ebene von nicht vollen 500 Schritten zu klein. fast fünfhundert Schritte davon stand Hasdrubal. Deswegen blieb Nero, als er sich jetzt näherte, hinter den Bergen stehen, um nicht vor Nacht ins Lager einzurücken. Als sie in der Stille eingezogen waren, wurden sie, Jeder von Einem seines Ranges, ins Zelt aufgenommen, und unter großer allgemeiner Freude bewirthet. Am folgenden Tage wurde Kriegsrath gehalten, welchem auch der Prätor Lucius Porcius Licinus beiwohnte. Er hatte sein Lager mit dem Lager der Consuln in Verbindung gesetzt, und schon vor ihrer Ankunft, indem er mit seinem Heere nur auf Höhen weiter zog, dem Feinde durch alle möglichen Kriegslisten Abbruch gethan; hatte bald die engen Pässe besetzt, um ihm den Durchgang abzuschneiden, bald dessen Zug von der Seite oder im Rücken angegriffen. Jetzt war er mit im Kriegsrathe. Viele stimmten dafür, das Treffen müsse noch aufgeschoben werden, bis Nero sein vom Marsche und Wachen erschöpftes Heer sich habe erholen lassen, und sich selbst einige Tage Zeit genommen habe, den Feind kennen zu lernen. Nero aber rieth nicht bloß, sondern hörte nicht auf so dringend als möglich zu bitten: «Man möge seine Maßregel, deren Sicherheit nur auf Schnelligkeit beruhe, nicht durch Zögern zu einer Unbesonnenheit machen. Hannibal, gleichsam im Schlummer der Unwissenheit, die aber nicht lange dauern werde, denke weder daran, sein ohne Feldherrn zurückgelassenes Lager anzugreifen, noch habe er sich zu seiner Verfolgung in Marsch gesetzt. Ehe der sich rege, könne Hasdrubals Heer schon aufgerieben sein, und er nach Apulien 419 zurückgehen. Wer durch Aufschub dem Feinde Zeit gebe, verrathe dem Hannibal nicht nur jenes Lager, sondern öffne ihm auch den Weg nach Gallien, um sich in aller Muße, sobald er wolle, mit Hasdrubal zu vereinigen. Ungesäumt müsse man das Zeichen geben und zur Schlacht ausrücken, und von dem Irrthume des entfernten sowohl, als des gegenwärtigen Feindes Gebrauch machen, so lange jener noch nicht wisse, daß er mit Wenigeren, dieser, daß er es mit Mehreren zu thun habe.» Nach Entlassung des Kriegsraths wurde das Zeichen zur Schlacht aufgesteckt, und sogleich rückten sie in Linie aus.

47. Schon standen die Feinde vor ihrem Lager aufgepflanzt, doch wurde die Schlacht bloß dadurch verzögert, daß Hasdrubal, als er mit einigen Rittern vor die Glieder ritt, bei den Feinden alte Schilde erblickte, die er vorher nicht bemerkt hatte, auch abgerittene Pferde. Ja die Menge schien ihm größer als gewöhnlich. Da muthmaßte er allerdings, wie es stand, ließ sogleich zum Rückzuge blasen, und schickte Truppen an den Fluß, wo die Feinde Wasser holten, ob sie vielleicht einige auffangen, oder schon durch die Ansicht bemerken könnten, daß dieser oder jener, wie vom neulichen Marsche, mehr gebräunt sei; zugleich ließ er das feindliche Lager in der Ferne umreiten, um zu sehen, ob es nicht auf irgend einer Seite erweitert sei, und vorzüglich darauf Acht geben, ob zum Lagerzeichen ein- oder zweimal geblasen werde. Da ihm hierüber Alles Punkt vor Punkt berichtet wurde, so blieb ihm nur das unerklärlich, daß das Lager nicht erweitert war. Es waren immer noch die zwei Lager, wie vor der Ankunft des andern Consuls; das eine, des Marcus Livius: das andre, des Lucius Porcius: bei keinem von beiden waren, um etwa für mehrere Zelte Platz zu gewinnen, die Werke im Mindesten herausgerückt. Allein der Umstand, daß man ihm meldete, im Lager des Prätors sei einmal, im Lager des Consuls zweimal geblasen, war für den alten, mit Römern als Gegnern bekannten Feldherrn entscheidend. «Gewiß wären zwei Consuln da.» Nun machte er sich Sorge darüber, wie der andere sich vom Hannibal habe 420 losmachen können. Am wenigsten konnte er die Wahrheit vermuthen, daß sich Hannibal die hohe Täuschung habe abgewinnen lassen, nicht zu wissen, wo der Feldherr, wo das Heer sei, dem er Lager an Lager gegenüber stehe. «Gewiß habe Jener, durch eine bedeutende Niederlage geschreckt, den Muth zum Nachzuge verloren. Er fürchte gar sehr, nach geschehenem Unglücke, zur Hülfe zu spät zu kommen. Und die Römer möchten wohl schon in Italien eben so viel Glück haben, als in Spanien.» Zuweilen glaubte er auch, sein Brief müsse nicht angekommen sein, und da der Consul diesen aufgefangen habe, sei er herbeigeeilt, um mit ihm fertig zu werden. Unter so ängstigenden Sorgen ließ er die Feuer löschen, und auf ein in der ersten Nachtwache gegebenes Zeichen, in aller Stille einzupacken; ging der Marsch vor sich. In dieser Eile und nächtlichen Unruhe blieb von seinen nicht sorgfältig genug beobachteten Wegweisern der eine in einem Schlupfwinkel sitzen, den er sich schon vorher ausersehen hatte, der andre, mit dem Flußbette des Metaurus bekannt, schwamm hinüber. So irrte der Zug von seinen Führern verlassen anfangs über die Felder: ihrer mehrere, vom vielen Wachen todtmüde, warfen sich, wo es sein mochte, auf den Boden und ließen die Fahnen unbesetzt. Hasdrubal ließ die Fahnen, bis der Tag den Weg zeigen würde, dem Ufer des Flusses folgen, und setzte, ohne an den Krümmungen und Windungen des sich schlängelnden Stromes viel weiter zu kommen, seinen Irrweg fort, immer in der Absicht, sobald ihm der Morgen einen bequemen Durchgang zeigen würde, hinüberzusetzen. Da er aber nirgends auf seichte Stellen traf, weil er, je weiter er sich vom Meere entfernte, den Strom immer von steilen Ufern eingeschlossen fand, so verlor er diesen Tag und gab dem Feinde Zeit, ihn einzuholen.

48. Zuerst erschien Nero mit der ganzen Reuterei. Dann holte ihn Porcius mit den Leichtbewaffneten ein. Als diese von allen Seiten in dem ermüdeten Zuge Einzelne wegrafften und einbrachen, und die Punier eben mit Aufgebung ihres Marsches, der mehr einer Flucht ähnlich war, 421 auf einer Höhe am Ufer ein Lager abstecken wollten, kam Livius mit der ganzen Macht des Fußvolks dazu, nicht bloß im Anmarsche, sondern, wie zur augenblicklichen Schlacht, in Stellung und Rüstung. Als sie die sämtlichen Truppen vereinigt hatten und die Linie gerichtet wurde, stellte Claudius den rechten Flügel zur Schlacht auf, Livius den linken: die Anführung des Mitteltreffens bekam der Prätor. Als Hasdrubal sah, daß er schlagen müsse, stellte er, mit Aufgebung der Lagerarbeiten, seine Elephanten im ersten Treffen vor die Fahnen, ihnen zur Seite auf dem linken Flügel gegen den Claudius die Gallier, nicht so sehr aus Vertrauen auf sie, als weil er glaubte, sie würden vom Feinde gefürchtet: für sich selbst und für die Spanier – und auf diese alten Soldaten setzte er die meiste Hoffnung – nahm er den rechten Flügel gegen den Marcus Livius. Die Ligurier bekamen ihren Platz in der Mitte hinter den Elephanten: allein die Linie hatte mehr Länge, als Tiefe. Die Gallier deckte ein vortretender Hügel. Jene Vorderseite, welche die Spanier besetzt hatten, ließ sich mit dem linken Römischen Flügel ein, aber die ganze Linie zur Rechten blieb, über die Schlacht hinausragend, in Unthätigkeit: der vorliegende Hügel ließ sie weder von vorn, noch seitwärts zum Angriffe kommen. Zwischen Livius und Hasdrubal war das Treffen sehr lebhaft geworden und auf beiden Seiten wurde schrecklich gemordet. Hier standen beide Feldherren; hier der größere Theil der Römer an Fußvolk und Reuterei; hier die Spanier, diese alten Soldaten und des Gefechts mit Römern gewohnt, und die Ligurier, ein unter den Waffen ausdauerndes Volk. Hierher stürzten auch die Elephanten, die gleich durch ihren Angriff beide Römische Vordertreffen in Unordnung brachten und denen selbst die Linie der Fahnen den Platz räumte. Nachher aber bei dem steigenden Kampfe und Geschreie ließen sie sich schon so gut nicht lenken, tummelten sich, als wüßten sie nicht, zu welcher sie gehörten, zwischen beiden Linien um, gleich Schiffen, die ohne Steuer treiben. 422 Claudius hingegen, als er unter dem Zurufe an seine Soldaten: «Wozu haben wir denn in stürzendem Laufe einen so langen Weg gemacht?» mit seiner Linie zur vorliegenden Höhe hinaufzurücken vergeblich versucht hatte, und die Unmöglichkeit sah, auf dieser Seite an den Feind zu kommen, zog aus seinem rechten Flügel, wo er statt eines Gefechts nur einen müssigen Postenstand zu erwarten hatte, mehrere Cohorten heraus, und führte sie hinter der Linie herum. Den Römern eben so unerwartet, als den Feinden, fiel er in den rechtenIn sinistrum hostium latus.] – Wenn ich hier statt sinistrum dextrum lese, so habe ich außer dem Gebote des Zusammenhangs einen Glarcanus, Perizonius, Crevier und Drakenborch auf meiner Seite. Letzterer hat zu VII. 15, 6. eine Menge von Beispielen gesammelt, wo die Abschreiber dexter und sinister vertauschen. So unwahrscheinlich diese Vertauschung manchem scheinen kann, so möchte ich doch heute beinahe die Abschreiber um Vergebung bitten, da mir gerade an dieser Stelle meiner Übersetzung, bei dem festen Vorsatze, das Wort rechten zu schreiben, die Feder das l schon hingesetzt hatte, um das Wort linken anzufangen. feindlichen Flügel, und mit solcher Schnelligkeit, daß die Cohorten, als sie sich eben auf der Flanke gezeigt hatten, dem Feinde schon im Rücken fochten. So wurden die Spanier und Ligurier auf allen Punkten, von vorn, auf der Seite, im Rücken, niedergehauen; und schon kam das Gemetzel an die Gallier. Hier war der Kampf am schwächsten: denn ein großer Theil fehlte bei den Fahnen, weil er sich in der Nacht verlaufen und allenthalben in den Feldern zum Schlafe hingestreckt hatte; und die noch dastehenden, schon von Natur zur Ausdauer in Beschwerden untauglichen Körpermassen schleppten, vom Marsche und Wachen erschöpft, kaum die Waffen auf den Schultern. Auch war es schon Mittag: lechzend vor Durst und Hitze ließen sie sich bei Scharen niederhauen oder gefangen nehmen.

49. Von den Elephanten tödteten ihre eigenen Lenker mehrere, als der Feind. Sie führten einen Werkmeißel und Hammer bei sich. Wurde das Thier wüthend und rannte auf sein Heer, so setzte ihm der Führer den Meißel zwischen die Ohren, gerade auf das 423 Gelenk, wo Kopf und Nacken zusammenhängen, und trieb ihn, so stark er schlagen konnte, hinein. Wenn man die Hoffnung, Thiere von einem solchen Riesenkörper zu lenken, aufgeben mußte, war dies die beste Erfindung, sie schnell zu tödten; und Hasdrubal hatte sie zuerst eingeführt, ein Feldherr, der sich schon so manchesmal, vorzüglich aber durch diese Schlacht denkwürdig machte. Hielten die Fechtenden Stand, so war dies das Werk seiner Ermunterung, seiner gleichen Theilnahme an der Gefahr. Er war es, der den von Überdruß und Arbeit Erschöpften und des Kampfes sich Weigernden bald durch Bitten, bald durch Vorwürfe wieder Muth machte; der die schon aufgegebene Schlacht auf mehreren Punkten wieder herstellte. Endlich als sich das Glück offenbar für die Feinde erklärte, stürzte er sich, um ein so großes Heer, das seinem Feldherrnruhme gefolgt war, nicht zu überleben, auf gesporntem Rosse in eine Römische Cohorte. Fechtend fiel er, seines Vaters Hamilcar, seines Bruders Hannibal würdig.

Nie waren in diesem Kriege in Einer Schlacht so viele Feinde geblieben, und die Niederlage von Cannä schien durch den Verlust sowohl des Feldherrn, als des Heeres, vergolten. Sechsundfunfzig tausend Feinde lagen todt, fünftausend vierhundert waren gefangen: die Beute aller Art war ansehnlich, vorzüglich die an Gold und Silber. Auch bekamen die Römer über viertausend Bürger wieder, welche bei den Feinden Gefangene gewesen waren. So hatten sie für den in diesem Treffen erlittenen Verlust einige Erleichterung: denn der Sieg hatte allerdings Blut gekostet. Beinahe achttausend Römer und Bundesgenossen lagen auf dem Platze; und selbst die Sieger waren des Blutvergießens und Mordens so satt, daß der Consul Livius, als ihm am folgenden Tage gemeldet wurde, die Cisalpinischen Gallier und die Ligurier, die theils im Treffen nicht gewesen, theils während des Gemetzels entflohen waren, zögen in Einem Haufen ab, ohne sichere Führung, ohne Fahnen, völlig ohne Ordnung und Oberbefehl; wenn ihnen Ein Flügel Reuterei 424 nachgeschickt würde, könnten sie alle vernichtet werden; zur Antwort gab: «Es müssen ja Boten von des Feindes Niederlage und unsrer Tapferkeit übrig bleiben.»

50. Nero, der noch in der Nacht nach dem Treffen aufbrach, kam mit seinen Truppen, die er noch schneller eilen ließ, als auf dem Herwege, am sechsten Tage in seinem Lager und bei seinem Feinde wieder an. Seinen Zug machte, weil kein Bote vorausgegangen war, kein so großer Zulauf feierlich, aber ein so großer Jubel, daß die Menschen vor Freude kaum ihrer selbst mächtig waren. Die Stimmung der Gemüther zu Rom in beiderlei Lagen gehörig anzugeben und zu beschreiben vermag ich nicht, so wenig jene, da die Bürger über die Erwartung des Ausgangs in Ungewißheit waren, als diese, mit der sie den Siegesruf vernahmen. Seitdem das Gerücht den Hinzug des Consuls Claudius gemeldet hatte, war Tag vor Tag, von Sonnenaufgang bis an den Abend, weder ein Senator vom Rathhause und von den oberen Behörden, noch das Volk vom Platze gewichen. Die Frauen, die zum Selbsthelfen zu schwach, zu Gebeten und Anrufungen ihre Zuflucht nahmen, bestürmten die Götter von Tempel zu Tempel mit Flehen und Gelübden. In dieser ängstlichen Spannung hörten die Bürger zuerst die ungewisse Sage: Zwei Ritter von Narnia sollten aus der Schlacht in das Lager gekommen sein, das in Umbriens Engpässen angelegt war, und den Sieg über die Feinde gemeldet haben. Anfangs ließen sie sich das mehr zu Ohren, als zu Herzen gehen: es war zu wichtig, zu erfreulich, als daß sie es fassen oder sicher glauben konnten, und der Glaube stieß sich selbst an die Schnelligkeit, weil die Schlacht erst vor zwei Tagen vorgefallen sein sollte. Darauf kam ein Brief vom Lucius Manlius Acidinus aus dem Lager an, der die Ankunft der Narniensischen Ritter meldete. Dieser Brief, als er über den Markt zum Prätor auf die Richterbühne gebracht wurde, trieb den Senat aus dem Rathhause, und das Volk lief in solchem Gedränge und Getümmel an den Thüren des Rathhauses zusammen, daß der Bote nicht durchkommen konnte, und sich immer von 425 Leuten gehalten fühlte, die ihn ausfragen wollten und laut riefen: Der Brief müsse erst auf der Rednerbühne und dann im Senate vorgelesen werden. Endlich ließen die Obrigkeiten Platz machen und den Haufen in seine Schranken weisen; und nun konnte man die Freude auf die Gemüther, die wie unbändig darauf gesteuert waren, mit Ordnung vertheilen. Im Senate wurde der Brief zuerst vorgelesen, dann vor dem Volke. Und je nachdem Jeder dachte, genoß der Eine schon der sichern Wonne, der Andre wollte nichts eher glauben, bis er den Bericht der Consuln selbst entweder durch Gesandte, oder aus ihrem Briefe erführe.

51. Da kam denn die Nachricht, die Gesandten wären im Anzuge. Und nun lief ihnen Alt und Jung entgegen, die alle die Ersten sein wollten, die Botschaft einer so hohen Wonne mit Augen und Ohren zu verschlingen. Bis zur Mulvischen Brücke riß der Zug nicht ab. Die Gesandten, Lucius Veturius Philo, Publius Licinius Varus, Quintus Cäcilius Metellus, gelangten, umflutet von einer Volksmenge aus allen Ständen, auf den Markt, doch so, daß man bald hier sie selbst, bald dort ihr Gefolge über das Vorgefallene befragte: und so wie Jeder hörte, das Heer der Feinde sei mit dem Feldherrn erlegt, die Römischen Legionen seien wohlbehalten und die Consuln gesund, theilte er sogleich seine Freude Andern weiter mit. Als die Gesandten mit Mühe im Rathhause ankamen, und noch weit mühsamer der Schwarm abgehalten wurde, zwischen die Väter zu stürzen, wurde der Brief im Senate verlesen, und dann die Gesandten der Volksversammlung vorgeführt. Lucius Veturius setzte nach Vorlesung des Briefs den ganzen Vorgang weitläufiger aus einander, nicht ohne großen Beifall und zuletzt unter dem Geschreie der ganzen Versammlung, da sich die Leute vor Freude kaum zu lassen wußten. Nun verliefen sich diese in die Tempel, den Göttern ihren Dank zu bringen; jene in ihre Häuser, um Frau und Kindern eine so große erfreuliche Botschaft mitzutheilen. Der Senat verordnete ein dreitägiges Dankfest, mit der Angabe: Weil die Consuln Marcus Livius und Cajus 426 Claudius mit Erhaltung ihres eignen Heeres den Feldherrn und die Legionen der Feinde erlegt hätten. Dies Dankfest kündigte der Prätor Cajus Hostilius der Versammlung an, und es wurde von Männern und Frauen begangen. Alle Tempel hatten die ganzen drei Tage hindurch gleich zahlreiche Besucher, und die Mütter in ihrem kostbarsten Kleide, mit ihren Kindern, brachten den unsterblichen Göttern ihren Dank, so ganz aller Furcht entledigt, als wäre der Krieg schon völlig geendet. Auch auf den innern Zustand des Stats hatte dieser Sieg den Einfluß, daß man es nun wieder, wie zu Friedenszeiten, wagte, sich mit andern auf Verträge des Verkaufs oder Kauf, auf Darleihen und Abtragung geliehener Gelder einzulassen.

Als der Consul Cajus Claudius im Lager wieder angekommen war, ließ er Hasdrubals Kopf, den er sorgfältig aufbewahrt und mitgebracht hatte, vor die feindlichen Posten hinwerfen, und die gefangenen Africaner in ihren Fesseln zur Schau stellen, auch zwei von ihnen entfesselt zum Hannibal gehen, damit sie ihm erzählen könnten, was vorgefallen war. Hannibal, von einem so harten Schlage des Stats und seiner Familie zugleich getroffen, soll gesagt haben: «Er verkenne Carthago's Schicksal nicht.» Nachdem er aufgebrochen war, um seine sämtlichen Hülfsvölker, welche er in zu weiter Ausdehnung nicht schützen konnte, auf den äußersten Winkel Italiens, in das Bruttische, zusammenzuziehen, nahm er auch alle Einwohner des Metapontinischen Stats, die er auswandern hieß, und was von Lucanern in seinem Bereiche war, in das Bruttische Gebiet hinüber.


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