Titus Livius
Römische Geschichte
Titus Livius

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201 Drittes Buch.

1. Nach der Eroberung von Antium wurden Tiberius Ämilius und Quintus Fabius Consuln. Dieser Fabius, mit Vornamen Quintus, war der von seinem am Cremera vertilgten Stamme einzig Übriggebliebene.

Ämilius hatte schon in seinem ersten Consulate zur Abgabe der Ländereien an die Bürgerlichen gerathen. Also erwarteten auch in seinem zweiten Consulate alle Landlustigen einen öffentlichen Vorschlag, und die Tribunen ließen sich auf die Sache ein, von der sie glaubten, da sie sie so oft gegen die Consuln gewagt hätten, sie müsse nun vollends mit Beihülfe eines Consuls durchgesetzt werden: und der Consul war noch seiner vorigen Meinung. Die Besitzer, ein großer Theil der Väter nämlich, wälzten durch ihre Vorwürfe, daß der erste Mann im State sich, in Anregungen, eines Tribuns würdig, gefalle, und mit Schenkungen von fremdem Eigenthume sich zum Günstlinge des Volkes mache, den Haß der ganzen Sache von den Tribunen auf den Consul. Schon war ein heftiger Streit im Anzuge: allein Fabius löste die schwierige Sache durch eine Auskunft, die keinem von beiden Theilen wehe that. Man habe ja noch beträchtliche Ländereien, welche Titus Quinctius voriges Jahr in seinem glücklichen Feldzuge den Volskern abgenommen habe. Man könne nach Antium, einer Stadt in dieser Nähe, mit dieser vortheilhaften Lage, und an der See, Anbauer abgehen lassen: so könnten sich die Bürger, ohne die Ackerbesitzer unzufrieden zu machen, auf Ländereien ansiedeln und der Stat bliebe in Eintracht. Sein Vorschlag wurde angenommen und er ernannte zu Dreimännern über die Vertheilung des Ackers den Titus Quinctius, Aulus Virginius und Publius Furius. Wer Land annehmen wollte, wurde aufgefordert, seinen Namen anzugeben. Die Befriedigung 202 bewirkte, wie gewöhnlich, sogleich Unlust; und es ließen sich so wenige aufzeichnen, daß man, um die volle Zahl von Anbauern zu haben, noch Volsker dazu nehmen mußte. Das übrige Volk fand mehr Gefallen daran, in Rom um Land zu pochen, als anderswo es sich geben zu lassen.

Den Quintus Fabius baten die Äquer, denn er war mit einem Heere gegen sie gezogen, um Frieden, und brachen diesen wieder durch einen unerwarteten Einfall ins Latinergebiet.

2. Quintus Servilius, der im folgenden Jahre gegen die Äquer geschickt wurde – denn er war mit dem Spurius Postumius Consul – hatte sein Standlager im Latinergebiete. Eine Krankheit, die das Heer befiel, hielt es im Lager in erzwungener Ruhe. Der Krieg schleppte sich ins dritte Jahr hinüber, in das Consulat des Quintus Fabius und Titus Quinctius. Weil Fabius schon einmal als Sieger den Äquern Frieden gegeben hatte, so wurde ihm dieser Krieg ohne Los übertragen.

In der gewissen Erwartung, daß der Ruf seines Namens die Äquer zum Frieden bestimmen werde, schickte er, im Anzuge gegen sie, Gesandte an die Versammlung ihrer Völkerstämme mit dem Auftrage: «Der Consul Quintus Fabius lasse ihnen sagen, er habe von den Äquern den Frieden nach Rom gebracht, und bringe von Rom den Äquern Krieg, in eben der bewaffneten Rechte, die er ihnen vormals friedlich gereicht habe. Das Volk, dessen Treulosigkeit und Meineid dies veranlasse, sei den Göttern als Zeugen nicht unbekannt und habe nächstens ihre Rache zu erwarten. Wie dem aber auch sein möge, so wünsche er selbst jetzt noch, die Äquer möchten das Geständniß der Reue einer feindlichen Behandlung vorziehen. Zeigten sie Reue, so könnten sie sich sicher an Roms erprobte Gnade wenden: beharrten sie im Meineide, so würden sie bei Führung des Krieges mehr den Zorn der Götter, als der Feinde, zu fürchten haben.»

Auf diese Vorstellungen achtete so durchaus niemand, daß sie sich beinahe an den Gesandten vergriffen hätten; und es zog gegen die Römer ein Heer in den Algidus.

203 Als dies nach Rom gemeldet wurde, ließ man mehr aus Unwillen, als aus Besorgniß, auch den andern Consul von der Stadt aufbrechen. So rückten zwei consularische Heere in Schlachtordnung an den Feind, um sogleich zu schlagen. Weil aber gerade vom Tage nicht viel mehr übrig war, so rief vom Posten der Feinde Einer: «Das heißt, zur Schlacht sich sehen lassen, ihr Römer! nicht, schlagen. Gegen Einbruch der Nacht stellt ihr die Linie. Zu dem Kampfe, der unser wartet, haben wir länger Tag nöthig. Morgen mit der kommenden Sonne tretet wieder auf! Der Kampf soll euch geboten werden: seid unbesorgt!» Gereizt durch diese Sprache, und bis auf den folgenden Tag ins Lager zurückgeführt, sah der Soldat einer in seinen Augen langen Nacht entgegen, weil sie dem Treffen Aufschub gab. Für jetzt überließen sie sich der Pflege durch Speise und Schlaf.

Mit Anbruch des folgenden Tages stand bei weitem zuerst die Römische Linie da: endlich traten auch die Äquer auf. Das Treffen ward auf beiden Seiten heftig. Die Römer fochten voll Erbitterung und Haß: die Äquer zwang das Bewußtsein der durch eigne Schuld herbeigeführten Gefahr, und die Überzeugung, daß man ihren Worte nicht wieder trauen werde, das Äußerste zu wagen und aufzubieten. Dennoch konnten einer Römischen Linie Äquer nicht widerstehen. Und als sie geschlagen sich in ihr Land zurückgezogen hatten, wurde der freche Haufe, den dies Alles nicht im mindesten zum Frieden geneigter machte, gegen seine Feldherren laut, daß sie es hatten zu einer Schlacht kommen lassen, worin sich der Römer durch Kriegskunst auszeichne. Der Äquische Soldat leiste mehr auf Plünderungen und Überfällen, und zur Führung ihrer Kriege seien viele vertheilte Haufen geschickter, als das schwerfällige Ganze eines einzigen Heeres.

3. Nach zurückgelassener Bedeckung im Lager rückten sie aus und fielen so lärmend in das Römische Gebiet, daß sie die Stadt selbst in Schrecken setzten. Theils vergrößerte hier das Unerwartete der Sache die Bestürzung, weil man nichts weniger fürchten konnte, als daß ein 204 geschlagener und beinahe in seinem Lager eingeschlossener Feind an Plünderung denken könne; theils hörte man in dem Geschreie der voll Angst in die Thore hereinstürzenden Landleute nicht etwa von Plünderung, nicht von kleinen Räuberhaufen, sondern, weil sie alles aus falscher Furcht vergrößerten, feindliche Heere und Legionen waren schon da und brachen gerade zu gegen die Stadt herein. Das Hin- und Herlaufen und Geschrei der zu den Waffen rufenden glich fast dem Aufruhre einer eroberten Stadt.

Der Consul Quinctius, der gerade jetzt vom Algidus nach Rom zurückkam, – dies rettete sie aus der Angst – stillte den Auflauf, verwies ihnen ihre Furcht vor besiegten Feinden und besetzte die Thore. Dann berief er den Senat, kündigte auf Gutachten der Väter einen Gerichtsstillstand an und zog, mit Hinterlassung des Quintus Servilius als Stadtpflegers, zur Deckung der Gränzen aus, fand aber auf dem platten Lande keinen Feind.

Dem andern Consul glückte eine herrliche That. Er überfiel auf dem Wege, auf dem er ihn erwarten konnte, den mit Beute beladenen Feind, der so viel schwerfälliger herangezogen kam, und ließ ihn empfindlich für seine Plünderung büßen. Wenige Feinde entrannen diesem Überfalle, und alle Beute bekam man wieder. So machte die Rückkehr des Consuls Quinctius in die Stadt dem Gerichtsstillstande, der vier Tage gedauert hatte, ein Ende.

Darauf wurde von Quinctius die Schatzung gehalten und das Schatzungsopfer vollzogen. Die Zahl der geschatzten Bürger soll sich auf hundert und viertausend zweihundert und vierzehn belaufen haben, die Waisen und Witwen ungerechnet.

Im Äquerlande fiel weiter nichts Merkwürdiges vor. Sie wichen in ihre Städte und ließen den Feind im Lande brennen und plündern. Nachdem der Consul mit seinem Heere, das sich Verwüstung zum Zwecke machte, das ganze feindliche Gebiet mehrmals durchzogen war, kehrte er mit großer Ehre und Beute nach Rom zurück.

4. Es folgen die Consuln Aulus Postumius Albus, Spurius Furius Fusus. Einige schreiben diese Familie 205 Furier Fusier. Dies erinnere ich, damit niemand in der Verschiedenheit, die nur die Namen trifft, verschiedene Männer suche.

Es litt keinen Zweifel, daß einer von den Consuln den Krieg mit den Äquern führen werde. Also baten die Äquer die Volsker von EcetraSiehe Buch II. Cap. 25. am Ende. um Hülfe. Sie wurde ihnen mit Freuden bewilligt; so sehr wetteiferten diese Staten in beständigem Hasse gegen die Römer; und rüsteten sich mit aller Macht zum Kriege. Die Herniker merkten es und zeigten den Römern vorläufig an, daß die Ecetraner zu den Äquern abgefallen wären. Auch die Pflanzstadt Antium war verdächtig. Denn von hier war eine Menge Menschen, als die Stadt erobert wurde, zu den Äquern geflüchtet, und gerade diese hatten im Kriege den Äquern die besten Dienste gethan. Als sich nachher die Äquer in ihre Städte retteten, kehrte dieser Haufe aus seiner Zersplitterung nach Antium zurück und machte die schon wankenden Pflanzstädter den Römern abwendig. Da nun dem Senate, ehe noch die Sache reif war, nur ihre Vorbereitungen zum Abfalle gemeldet wurden, so gab er den Consuln den Auftrag, die Vornehmsten der Pflanzstadt nach Rom zu fordern und sie zu befragen, was das zu bedeuten habe. Sie erschienen ohne Bedenken, beantworteten aber, als sie von den Consuln vor den Senat geführt wurden, die vorgelegten Fragen so, daß sie verdächtiger entlassen wurden, als sie gekommen waren. Und der Krieg litt weiter keinen Zweifel.

Der eine Consul, dem das Los diesen Krieg bestimmte, Spurius Furius, zog gegen die Äquer, fand im Hernikerlande den plündernden Feind, und ohne dessen Stärke zu kennen, weil er sie nirgends im Ganzen gesehen hatte, überließ er sein an Zahl schwächeres Heer einer Schlacht. Beim ersten Angriffe geschlagen zog er sich ins Lager zurück; war aber auch hier noch nicht außer Gefahr. Denn in der nächsten Nacht und den Tag darauf wurde das Lager so ernstlich eingeschlossen und bestürmt, daß von hier 206 aus auch nicht einmal die Nachricht nach Rom kommen konnte. Man erfuhr es durch die Herniker, daß eine Schlacht verloren, und Consul und Heer eingeschlossen sei; und sie jagten den Vätern einen solchen Schrecken ein, daß dem andern Consul Postumius der Auftrag gegeben wurde, «solche Anstalten zu treffen, daß der Stat nicht gefährdet werde;» eine Form des Senatsschlusses, welche immer für einen Beweis der höchsten Noth gegolten hat. Man hielt es für das Beste, den Consul selbst in Rom bleiben zu lassen, um alle Waffenfähigen auszuheben, und an Consuls Statt mit einem Heere von Bundesgenossen den Titus Quinctius dem Lager zu Hülfe zu senden. Um es vollzählig zu machen, mußten die Latiner, Herniker und die Pflanzstadt Antium dem Quinctius Subitarier stellen: so nannte man damals die von den Bundsgenossen in Eile aufgebrachten Soldaten.

5. Es gab in diesen Tagen mancherlei Bewegungen und Angriffe, von mehr als Einer Seite; weil die an Mannschaft überlegenen Feinde es darauf anlegten, die Macht der Römer auf mehrern Punkten zu beunruhigen, insofern sie nicht gegen Alles ausreichen würde. Während sie das Lager bestürmten, schickten sie zugleich einen Theil ihres Heeres ab, das Römische Gebiet zu plündern, und wenn sich das Glück ihnen böte, einen Versuch auf die Stadt selbst zu machen.

Zur Bedeckung der Stadt blieb Lucius Valerius zurück: den Plünderungen im Lande zu steuren, mußte der Consul Postumius ausrücken. Man ließ es nirgends an Aufmerksamkeit und Anstrengung fehlen. In der Stadt hielt man Wache, vor die Thore stellte man Posten und Vertheidiger auf die Mauern, und der bei einem solchen Tumulte nothwendig gewordene Gerichtsstillstand dauerte mehrere Tage.

Unterdeß that der Consul Furius, der anfangs die Einschließung im Lager ruhig gelitten hatte, auf den sichern Feind einen Ausfall aus dem Hinterthore; und da er ihn hätte verfolgen können, machte er Halt, um nicht das Lager einem Angriffe von der entgegengesetzten Seite preis 207 zu geben. Der Unterfeldherr Furius aber – er war zugleich des Consuls Bruder – nahm seinen Ausflug zu weit, und in der Hitze des Verfolgens bemerkte er weder den Rückzug der Seinigen, noch den Angriff der Feinde in seinem Rücken. Abgeschnitten machte er mehrere wiederholte Versuche, zum Lager sich einen Weg zu bahnen, vergebens, und fiel nach tapfrer Gegenwehr. Der Consul selbst, der auf die Nachricht von der Umzingelung seines Bruders zur Schlacht umkehrte, sich aber mehr auf gut Glück, als mit der nöthigen Vorsicht, mitten in das Gefecht warf, machte dadurch, daß er eine Wunde bekam und von den Umstehenden nur mit Mühe gerettet wurde, die Seinigen bestürzt und die Feinde so viel kecker. Im Gefühle ihrer Thaten, den Unterfeldherrn getödtet, den Consul verwundet zu haben, waren sie jedem Widerstande überlegen; indeß die ins Lager zurückgetriebenen Römer, ihnen weder an Muth noch Kräften gleich, sich von neuem eingeschlossen sahen. Es stand sehr mißlich um das Ganze, als Titus Quinctius durch fremde Hülfe, mit einem Heere von Latinern und Hernikern, ihr Retter wurde. Da er die gegen das Römische Lager gewandten Äquer, die den Kopf des Unterfeldherrn übermüthig zur Schau trugen, im Rücken angriff, und zugleich, auf ein von ihm in der Ferne gegebenes Zeichen, ein Ausfall aus dem Lager erfolgte, so hieb er von den in die Mitte genommenen Feinden eine große Menge nieder.

Auf Römischem Boden verloren die Äquer nicht so viele Leute, wurden aber viel weiter aus einander gejagt, Postumius nämlich hatte sie auf mehrern Punkten, die sehr zweckmäßig von ihm besetzt waren, angegriffen, als sie in Schwärmen ihre Beute fortführten. Ohne Haltung und in Züge von Flüchtlingen zersprengt, stießen sie auf den Sieger Quinctius, als er mit dem verwundeten Consul heimkehrte. Hier rächte das consularische Heer die Wunde seines Consuls und den mit seinen Cohorten gefallenen Unterfeldherrn durch einen herrlichen Sieg.

Unstreitig war in diesen Tagen der Verlust, den man auf beiden Seiten zufügte und selbst erlitt, beträchtlich. 208 Allein bei einer Begebenheit von so hohem Alter die Anzahl der Streitenden und Gefallenen genau bestimmen zu wollen, bleibt, wenn es Zuverlässigkeit gilt, zu mißlich. Gleichwohl wagt es Valerius von AntiumEin Römischer Geschichtschreiber um die Zeit des Sulla, dessen Ende in Cicero's Jugend fällt. Mit seinen Übertreibungen ist Livius auch Buch XXVI. Cap. 49. und Buch XXXVI. Cap. 38. unzufrieden. Stroth macht die Leser aufmerksam auf die Feinheit und Mäßigung, mit welcher Livius seine Misbilligung äußert., die Summen anzuschlagen. Die Römer hätten im Hernikerlande fünftausend und dreihundert Mann verloren; von den Äquischen Plünderern, die das Römische Gebiet verheerend durchstreiften, habe der Consul Aulus Postumius zweitausend vierhundert erlegt; der übrige mit Beute fortziehende Schwarm, der auf den Quinctius stieß, sei bei weitem nicht mit so geringem Verluste davongekommen. Es seien ihrer viertausend geblieben, und um die Zahl recht genau anzugeben, setzt er hinzu: Zweihundert und dreißig.

Als nach Rückkunft des Heeres in Rom der Gerichtsstillstand aufgehoben war, glaubte man den Himmel in vollem Feuer zu sehen, und noch andre Wunderzeichen wurden entweder wahrgenommen, oder droheten den Geschreckten in eingebildeten Erscheinungen. Diese Drohungen abzuwenden wurde eine dreitägige Feier verordnet, während welcher die Tempel alle das Gedränge von Männern und Weibern füllte, die um die Gnade der Götter flehten. Nun wurden die Cohorten der Latiner und Herniker, denen der Senat für ihre thätige Hülfsleistung im Kriege Dank sagte, nach Hause entlassen. Die tausend Antiaten hingegen, welche nach der Schlacht mit ihrer Hülfe zu spät gekommen waren, schickte man, fast nicht ohne Beschimpfung, zurück.

6. Hierauf wurde der Wahltag gehalten. Die gewählten Consuln, Lucius Äbutius und Publius Servilius, traten am ersten Sextilis (August), den man damals als Neujahrstag beging, ihr Consulat an. Es war eine ungesunde Zeit (und gerade die Jahrszeit der Seuchen) für Stadt und Land, für das Vieh, wie für die Menschen: und sie 209 verschlimmerten die Krankheit noch dadurch, daß sie aus Furcht vor Plünderung die Heerden und die Landleute in die Stadt aufnahmen. Bei diesem Zusammenflusse von gemischten Geschöpfen aller Art befielen die Städter durch den ihnen ungewohnten Geruch, die in enge Häuser zusammengedrängten Landleute durch die Hitze und schlaflosen Nächte; und gegenseitige Dienstleistungen, ja die Berührung selbst, verbreiteten die Krankheiten. Kaum konnte man die Noth, die man vor Augen sah, noch ertragen, als unerwartet Gesandte der Herniker meldeten, daß auf ihrem Boden die vereinigten Äquer und Volsker ein Lager bezogen hätten und von dort aus ihr ganzes Land mit einem großen Heere verwüsteten.

Außerdem daß schon der schwach besetzte Senat die Bundesgenossen sehen ließ, wie sehr der Stat durch die Seuche gelitten habe, erhielten sie auch die traurige Antwort: «Die Herniker möchten in Verbindung mit den Latinern ihr Eigenthum selbst schützen. Die Stadt Rom werde durch die Ungnade der Götter unerwartet von einer Krankheit verheert. Sollte diese Plage einigermaßen nachlassen, so werde sie ihren Bundesgenossen, wie im Jahre zuvor und sonst immer, Hülfe leisten.» So gingen die Gesandten ab, und brachten auf eine traurige Nachricht den Bundesgenossen einen noch traurigern Bescheid. Denn sie sollten nun allein sich eines Krieges erwehren, dessen sie sich, von Roms Macht gestützt, kaum erwehrt haben würden.

Länger beschränkte sich der Feind nicht auf das Hernikerland. Er fiel von hier aus ins Römische Gebiet, das, auch ohne die Geißel des Krieges, schon verwüstet war. Als ihnen hier niemand, auch nicht einmal ein Unbewaffneter, entgegen kam, und sie Alles, wo sie durchzogen, nicht nur unbesetzt von Posten, sondern auch vom Landmanne unbestellt fanden, so rückten sie auf dem Gabinischen Heerwege bis zum dritten Meilensteine vor.

Äbutius, der Römische Consul, war gestorben; sein Amtsgenoß Servilius lag fast ohne Hoffnung; die meisten Großen waren angesteckt; der größere Theil der Väter, die Dienstfähigen fast alle: so daß es an Mannschaft nicht 210 allein zum Aufbruche fehlte, wie eine so dringende Beunruhigung ihn forderte, sondern sogar zur Besetzung friedlicher Posten. Die Wachen versahen die Senatoren in eigner Person, so vielen Alter und Befinden es erlaubte: den Rundgang und die Bestellung hatten die Bürger-Ädilen (Polizei-Aufseher), welchen jetzt die höchste Regierung und der Rang der Consuln anheim gefallen war.

7. Das verlassene Ganze, das ohne Haupt, ohne Kräfte war, fand seinen Schutz in den über die Stadt waltenden Göttern und ihrem Glücke, welches die Äquer und Volsker mehr im Sinne der Räuber, als der Feinde, handeln ließ. Denn die Mauern Roms zu erobern, ja, nur einen Versuch darauf zu machen, fiel ihnen so wenig ein, und der Anblick der fernen Häuser und ragenden Hügel erfüllte sie mit solcher Scheu, daß sie auf ein im ganzen Lager sich verbreitendes lautes Murren: – «Warum man in einem öden und verlassenen Lande unter hinsiechenden Heerden und Menschen unthätig und beuteleer die Zeit verbringe, da man sich in verschonte Gegenden, in das mit Überfluß gesegnete Tusculanische, wenden könne,» – plötzlich mit ihren Fahnen aufbrachen und auf Querwegen durch das Gebiet von Lavici auf die Höhen von Tusculum hinübergingen. Hieher zog sich nun der ganze Gang und Sturm des Krieges.

Die Herniker und Latiner unterdessen, von Scham zugleich, nicht bloß von Mitleiden ergriffen, wenn sie den mit einem Kriegsheere vor Rom rückenden gemeinschaftlichen Feinden nicht gewehrt, noch den Bedrängten die mindeste Hülfe geleistet hätten, zogen in vereintem Heere den Weg nach Rom. Als sie hier keinen Feind trafen, gingen sie der Aussage und Spur nach, und begegneten ihm, als er aus dem Tusculanischen ins Albanische Thal herabzog. Hier war das Gefecht keineswegs zu ihrem Vortheile, und für ihre Treue hatten die Bundesgenossen diesmal nicht Glück genug.

Nicht geringer ward in Rom die Niederlage durch die Krankheit, als die der Bundesgenossen durch das Schwert. Der einzige noch übrige Consul starb: es starben auch 211 andre angesehene Männer; Marcus Valerius und Titus Virginius Rutilus, die Vogelschauer, Servius Sulpicius, der Oberbezirkspfleger, und unter der niederen Volksclasse wüthete die Krankheit in allgemeiner Verbreitung. Außer Stande, menschliche Hülfe zu schaffen, wies der Senat seine Bürger an die Götter und zur Andacht, und forderte sie auf, mit Weib und Kind in die Tempel beten zu gehen und die Gnade der Götter zu erflehen. Durch öffentliches Geheiß zur Leistung dessen aufgerufen, was jedem schon die eigne Noth auferlegte, erfüllten sie alle Gotteshäuser. Am Boden liegend fegten die Mütter allenthalben die Tempel mit ihren Haren und flehten um Abwendung des himmlischen Zorns und um Tilgung der Seuche.

8. Endlich wurden die Menschen, entweder weil sie die Götter versöhnt hatten, oder die böse Jahrszeit schon vorüber war, nach überstandner Seuche, allmälig gesunder, und als sie wieder an öffentlichen Angelegenheiten theilnahmen, wählte nach Verlauf mehrerer Zwischenregierungen, Publius Valerius Publicola, am dritten Tage seiner Zwischenregierung, den Lucius Lucretius Tricipitinus und Titus Veturius – oder hieß er Vetusius? – Geminus zu Consuln. Am elften Sextilis (August) traten sie ihr Amt an, und fanden den Stat schon stark genug, nicht bloß zum Vertheidigungskriege, sondern selbst zum Angriffe. Da also die Herniker meldeten, daß der Feind in ihr Land gefallen sei, sagte man ihnen sogleich Hülfe zu, und zwei consularische Heere wurden ausgehoben.

Veturius wurde gegen die Volsker geschickt, sie in ihrem Lande anzugreifen. Tricipitinus, den man den Plünderern im Gebiete der Bundesgenossen entgegenstellte, rückte nicht weiter vor, als bis ins Hernikerland. In der ersten Schlacht warf und schlug Veturius die Feinde. Dem Lucretius aber, während er im Hernikerlande still saß, entging das Heer der Plünderer, das sich über die Pränestinischen Berge zog und von da in die Ebene herabkam. Nun verheerten sie das Gebiet von Präneste und Gabii und wandten sich aus dem Gabinischen seitwärts gegen die Tusculanischen Hügel. Auch die Stadt Rom traf ein 212 großer Schrecken, mehr durch die Überraschung, als weil sie sich zur Vertheidigung zu schwach gefühlt hätte. Quintus Fabius war Vorsteher in der Stadt. Durch Bewaffnung der Dienstfähigen und Aufstellung der Truppen sicherte und beruhigte er Alles. Die Feinde also, die, ohne sich näher an die Stadt zu wagen, nur die ihnen nahen Gegenden ausplünderten, kehrten um, und waren auf ihrem Rückwege, je weiter sie sich von der feindlichen Stadt entfernten, so viel sorgloser; als sie auf den Consul Lucretius stießen, der schon auf ausgekundschafteten Wegen in Schlachtordnung heranzog und des Kampfes gewärtig war. Da also schlagfertiger Muth Bestürzte im ersten Schrecken angriff, so warf eine weit kleinere Anzahl ein großes Heer und schlug es, trieb die Geschlagenen in hohle Thäler und konnte sie bei der Schwierigkeit der Auswege umstellen. Hier wurde beinahe Alles, was Volsker hieß, zu Grunde gerichtet. In einigen Jahrbüchern finde ich die Zahl der in der Schlacht und auf der Flucht gefallenen auf dreizehntausend vierhundert und siebzig, die der Gefangenen auf tausend zweihundert und funfzig, der erbeuteten Fahnen zu sieben und zwanzig angegeben. Wäre auch diese Zahl nicht ohne Zusatz, so war die Niederlage wenigstens groß. Siegreich kehrte der Consul mit einer ansehnlichen Beute in sein altes Standlager. Darauf bezogen die Consuln ein gemeinschaftliches Lager, und eben so ließen die Volsker und Äquer ihre geschmolzenen Heere zusammenstoßen. Hier erfolgte die dritte Schlacht dieses Jahrs. Das Glück entschied, wie vorhin. Auf den Sieg über die Feinde folgte die Eroberung ihres Lagers.

9. So kamen Roms Angelegenheiten wieder in den vorigen Stand; auch weckte das Glück des Krieges sogleich die Unruhen in der Stadt. Cajus Terentillus Arsa war in diesem Jahre Bürgertribun. Er glaubte, in Abwesenheit der Consuln habe er freie Hand, als Tribun mit Anklagen aufzutreten, nahm mehrere Tage lang vor dem Volke den Übermuth der Väter zum Gegenstande seiner Beschuldigungen, und am heftigsten traf sein Tadel die Macht der Consuln als zu groß und einem Freistate unerträglich. «Nur 213 dem Namen nach sei sie weniger gehässig, in der That aber beinahe furchtbarer, als die königliche. Denn man habe in ihnen statt Eines Herrschers zwei mit ungemäßigter, unbegränzter Gewalt. Für ihre Person ohne Schranken und Zügel, ließen sie alle Drohungen der Gesetze und Henkerstrafen den Bürgerstand treffen. Um sie so nicht ewig schalten zu lassen, wolle er darauf antragen, zur Abfassung von Gesetzen über die consularische Macht, fünf Männer zu erwählen. Ein Consul müsse gerade so viel Gewalt haben, als ihm das Volk über sich einräume; sie müßten aber ihre Willkür und Eigenmacht nicht als Gesetz ansehen.»

Als der Vorschlag öffentlich ausgehängt war, fürchteten die Väter, man möchte ihnen in Abwesenheit der Consuln dies Joch aufbürden: allein der Stadtvorsteher Quintus Fabius berief den Senat, und griff den Vorschlag samt seinem Urheber mit solchem Sturme an, daß beide Consuln, wenn sie als Gegner den Tribun umpflanzt gehabt hätten, sich nicht drohender, nicht schreckender hätten ausdrücken können. «Aus seinem Hinterhalte falle der Mensch, der die Gelegenheit erlauert habe, den Stat an. Hätten die Götter im Zorne während der Pest und Kriegsnoth des vorigen Jahrs einen ähnlichen Tribun aufstehen lassen, so würde Rom haben fallen müssen. Dann würde er mit dem Tode der beiden Consuln, indeß die Bürger krank gelegen hätten, und so schon Alles zusammengestürzt sei, mit seinen Vorschlägen aufgetreten sein, die consularische Regierung auszurotten; würde den Äquern und Volskern im Angriffe auf die Stadt zum Führer gedient haben. Was er noch mehr verlange? Ob es ihm nicht frei stehe, wenn ja die Consuln irgend einen Bürger mit Härte oder Grausamkeit behandelten, ihnen einen Klagetag zu bestimmen und sie selbst vor dem Richterstuhle derer anzuklagen, aus deren Mitte der Beleidigte sei. Der Mensch mache nicht die Regierung der Consuln gehässig und unerträglich, sondern die Macht der Tribunen, die er jetzt von neuem aus ihrer Ruhe und Verträglichkeit mit den Vätern in ihre alten Übel zurückführe. 214 Ihn wolle er auch gar nicht gebeten haben, nicht so fortzufahren, wie er angefangen habe.» – «Euch, ihr übrigen Tribunen,» sprach Fabius weiter, «euch bitten wir, vor allen Dingen zu bedenken, daß euer Amt gestiftet wurde, Einzelnen beizustehen, nicht, Alle zu verderben; daß man in euch – Tribunen für die Bürger, nicht den Vätern Feinde aufstellte. Für uns ist es ein Unglück, für euch ein Vorwurf, wenn ihr den Stat in seiner Verwaisung anfallen lasset. Nicht euer Recht, nein, der Haß gegen euch wird sich vermindern. Sprecht mit einem Amtsgenossen, daß er die Sache unentschieden bis zur Ankunft der Consuln ausgesetzt lasse. Selbst Äquer und Volsker verfolgten ihren Krieg gegen uns, als die Consuln im vorigen Jahre die Seuche wegraffte, nicht bis zur Grausamkeit und Unmenschlichkeit.»

Die Tribunen besprachen sich mit dem Terentillus; und als man die Verhandlung dem Scheine nach verschoben, im Grunde aber niedergeschlagen hatte, ließ man sogleich die Consuln einberufen.

10. Lucretius kehrte mit ansehnlicher Beute, mit weit größerem Ruhme heim; und er erhöhete diesen Ruhm bei seiner Ankunft dadurch, daß er die sämtliche Beute auf dem Marsfelde ausstellen ließ, so daß jeder sein Eigenthum, wenn er es binnen drei Tagen ausfindig machte, mitnehmen konnte. Was keinen Herrn fand, wurde verkauft. Einstimmig gebührte dem Consul der Triumph: allein die Sache wurde verschoben, weil der Tribun mit seinem Vorschlage auftrat. Dies hielt der Consul für wichtiger. Mehrere Tage dauerten die Verhandlungen darüber, im Senate und vor dem Volke. Endlich ließ der Tribun aus Achtung für den allgemein verehrten Consul die Sache fallen. Und nun ließ man dem Feldherrn und dem Heere die ihnen gebührende Ehre widerfahren. Er triumphirte über die Volsker und Äquer, und seinem Wagen folgten seine Legionen. Dem andern Consul bewilligte man den Einzug in die Stadt im kleinen Triumphe ohne Soldaten. Im folgenden Jahre bestürmte der Terentillische Vorschlag, von den sämtlichen Tribunen wieder zur Sprache gebracht, 215 die neuen Consuln. Diese waren Publius Volumnius, Servius Sulpicius. In diesem Jahre sah man den Himmel in Feuer: es gab eine starke Erderschütterung: daß ein Ochs geredet habe, was man im vorigen Jahre nicht hatte glauben wollen, glaubte man diesmal. Unter andern Wunderzeichen regnete es auch Fleisch. Diesen Regen, heißt es, habe eine große Schar darin herumschwärmender Vögel weggeschnappt; was aber niederfiel, habe mehrere Tage hin und wieder gelegen, ohne den Geruch im mindesten zu verändern. Die mit der Ansicht der heiligen BücherDer Sibyllinischen. betrauten Zwei-Männer mußten diese nachschlagen. Sie verkündigten Gefahr von einer Zusammenrottung von Fremdlingen, einen Angriff auf die höchsten Plätze der Stadt und ein Blutvergießen von da herab. Unter andern warnten sie auch vor aller innern Uneinigkeit.

Schon machten die Tribunen die Auslegung, dies sei so eingeleitet, um ihren Vorschlag zu hintertreiben, und man sah einem heftigen Kampfe entgegen: da lief von den Hernikern – als sollte man sich Jahr vor Jahr in gleichem Kreise drehen – die Nachricht ein, die Volsker und Äquer, so geschwächt sie waren, machten ihre Heere vollzählig; zu ihrem Hauptpunkte hatten sie Antium gemacht; die Pflanzer aus Antium hielten öffentlich zu Ecetra Versammlungen; sie waren die Anstifter, sie die Hauptmacht dieses Krieges.

Auf diese im Senate gemachten Anzeigen wurde eine Werbung anbefohlen und die Consuln beauftraget, die Verwaltung des Krieges unter sich zu theilen, so daß ihn der eine gegen die Volsker, der andre gegen die Äquer zu führen habe.

Ihnen ins Angesicht riefen die Tribunen laut auf dem Markte: «Der Volskische Krieg sei eine verabredete Posse, und die Herniker seien immer bereit, ihre Rolle zu spielen. Jetzt wende man schon nicht mehr zur Bedrückung der Römischen Freiheit Kraft an, sondern vernichte sie durch einen Kniff. Weil es keinen Glauben mehr finde, 216 daß die beinahe aufgeriebenen Volsker und Äquer im Stande sein sollten, als Angreifende den Krieg zu erneuern, so sähen sich die Väter nach neuen Feinden um, und brächten eine treue, nachbarliche Pflanzstadt in Ruf. Angekündigt werde der Krieg den unschuldigen Antiaten, geführt mit dem Römischen Bürgerstande, den sie mit Waffen belastet in fortstürzenden Lügen zur Stadt hinausstoßen wollten, um sich durch diese Austreibung und Verbannung ihrer Mitbürger an den Tribunen zu rächen. Alsdann sei es – und man möge nicht glauben, daß sie etwas Anderes dadurch bezweckten – um den Vorschlag gethan, wenn man nicht bei Zeiten, so lange die Bürger noch zu Hause, noch in der Toga wären, Vorkehrungen treffe, sich nicht aus der Stadt vertreiben, noch das Joch aufbürden zu lassen. Wenn sie Muth hätten, solle es an Hülfe nicht fehlen. Alle Tribunen wären eins. Von außen sei kein Schrecken, keine Gefahr zu fürchten. Schon im vorigen Jahre hätten die Götter dafür gesorgt, daß man in Vertheidigung der Freiheit unangefochten bleibe.»So die Tribunen.

11. Gegenüber hatten sich die Consuln ihre Stühle hinstellen lassen und hielten vor den Augen der Tribunen die Werbung. Diese kamen hieher gerannt und brachten die ganze Versammlung mit sich. Als zum Versuche wurden einige aufgerufen: und sogleich kam es zu Gewaltthätigkeiten. Legte der Häscher auf Befehl des Consuls Hand an einen, so befahl der Tribun, ihn zu entlassen; und niemand beschränkte sich auf sein Recht, sondern man mußte sich zur Erreichung seines Zwecks auf seine Stärke, auf seine Faust, verlassen. Hatten sich so die Tribunen benommen, um die Werbung zu vereiteln, so benahmen sich die Väter eben so, den Vorschlag zu hintertreiben, der an jedem Versammlungstage erneuert wurde. Die Schlägerei begann, so wie die Tribunen das Volk abtreten hießen, weil die Väter sich nicht wegtreiben lassen wollten. Von den Bejahrteren mischte sich eben niemand ein: denn es galt hier keine kluge Leitung, sondern dreistes Wagen und Kühnheit entschieden. Auch die Consuln zogen sich sehr 217 zurück, um nicht in der allgemeinen Unordnung ihre Würde einer Beschimpfung auszusetzen. Einem jungen Quinctius, mit Vornamen Cäso, gab theils seine hohe Geburt, theils seine Körpergröße und Stärke viele Überlegenheit. Über diese von den Göttern ihm verliehenen Vorzüge waren viele Ehrenthaten im Kriege und Beredsamkeit vor Gericht ein erworbenes Verdienst, so daß er für den beredtesten, für den tapfersten Mann im State galt. Wenn er, umgeben von einer Schar Patricier, dastand, so bot er allein, über Alle ragend, als wären mit seiner Stimme und Stärke alle Dictaturen und Consulate sein, den Anfällen der Tribunen und den Stürmen des Volkes Trotz. Unter seiner Anführung wurden die Tribunen mehrmals vom Markte getrieben, und die Bürgerlichen zerstreuet und verjagt. Wer ihm entgegen trat, zog mit Schlägen und ohne Kleider ab, so daß es einleuchtend war, wenn ein solches Verfahren gelte, sei es um den Vorschlag geschehen.

Da setzte einer vom Amte der Tribunen, die fast schon muthlos waren, Aulus Virginius, dem Cäso eine Klage auf Leib und Leben an. Den Feuergeist erbitterte er dadurch mehr, als daß er ihn schreckte: um so viel eifriger bestritt dieser den Vorschlag, jagte die Bürgerlichen aller Orten, und führte seinen Krieg gegen die Tribunen, als habe er nun ein Recht dazu. Der Kläger sah es gern, daß der Beklagte seinem Sturze entgegenflog, den Volkshaß zur Flamme auflodern und ihn selbst Stoff zu Beschuldigungen finden ließ: indessen brachte er den Vorschlag wieder in Anregung, nicht so sehr in Hoffnung, ihn durchzusetzen, als die Unbesonnenheit des Cäso zu reizen. Und da fielen manche unüberlegte Äußerungen und Handlungen der Jüngeren allein dem verdächtigen Feuerkopfe des Cäso zu Schulden: gleichwohl ging der Vorschlag nicht durch. Auch sagte Aulus Virginius den Bürgern mehr als einmal: «So merkt ihr es denn endlich, ihr Quiriten, daß ihr einen Bürger Cäso und das gewünschte Gesetz nicht zugleich haben könnet? Doch was sage ich von dem Gesetze. Er verträgt sich nicht mit eurer Freiheit: an Übermuth läßt er alle Tarquinier hinter sich. Wartet 218 nur, bis der einst Consul oder Dictator wird, den ihr schon im Privatstande durch seine Kraft und Kühnheit den König machen seht.» Ihm stimmten viele von denen bei, die sich über Mishandlung beschwerten, und sie drangen sogar in den Tribun, die Klage zu betreiben.

12. Der Tag des Gerichts erschien, und wie man sah, glaubten die Leute allgemein, daß auf der Verdammung des Cäso ihre Freiheit beruhe. Da sah er sich endlich gezwungen, mit vieler Demüthigung Einem nach dem Andern die Hand zu drücken, und seine Verwandten, die Ersten des Stats, gingen mit ihm herum. Titus Quinctius Capitolinus, der dreimal Consul gewesen war, führte Manches an, was ihm selbst und seinem Geschlechte Ehre machte, versicherte aber, «weder im Stamme der Quinctier noch in ganz Rom habe je Einer so viele Anlage zu einer so hohen Vollkommenheit gezeigt. Er sei sein bester Soldat gewesen; er selbst habe ihn oft in die Feinde einbrechen sehen.»Spurius Furius sagte: «Vom Quinctius Capitolinus sei ihm Cäso damals in seiner bedrängten LageSiehe oben Cap. 4. und 5. zu Hülfe geschickt, und seiner Meinung nach habe durchaus niemand zum glücklichern Erfolge mehr beigetragen, als eben er.»Lucius Lucretius, der Consul des vorigen Jahres, noch neu umglänzt von Ruhm, ließ den Cäso an seinem Lobe theilnehmen, schilderte ihn in Gefechten, stellte ihn ihnen dar in den Thaten der Auszeichnung, bald auf Zügen, bald auf dem Schlachtfelde, und rieth ihnen nicht ohne Warnung: «Sie möchten in einem so ausgezeichneten, mit allen Natur- und Glücksgaben ausgerüsteten Jünglinge, der auf die Macht jedes States, in welchen er sich begäbe, einen wichtigen Ausschlag geben werde, lieber sich einen Mitbürger erhalten, als ihn dem Auslande gönnen. Was an ihm anstößig sei, seine Hitze und Kühnheit, davon nehme das Alter täglich weg: was sie an ihm vermißten, Bedachtsamkeit; diese nehme mit jedem Tage zu. Sie möchten einem so großen Manne mit abnehmenden Fehlern und reifender Vollkommenheit, 219 vergönnen, im Vaterlande Greis zu werden.» Unter diesen Fürsprechern flehte auch sein Vater, Lucius Quinctius, mit dem Zunamen Cincinnatus, ohne die Verdienste seines Sohns zu wiederholen – er hätte sonst den Haß nur häufen mögen – bloß unter Bitten um Nachsicht mit seinem Fehltritte und seinen Jugendjahren; sie möchten ihm zu Liebe, der keinen Menschen durch Wort oder That beleidigt habe, seinem Sohne verzeihen. Allein einige ließen den Bittenden nicht an sich kommen, entweder aus Scham, oder aus Furcht; andre gaben mit der Klage, daß sie und die Ihrigen von Cäso gemishandelt wären, deutlich durch ihre harte Antwort zu erkennen, wie sie über ihn stimmen würden.

13. Außer der allgemeinen Abneigung drückte den Beklagten vorzüglich Eine Beschuldigung. Marcus Volscius Fictor, der mehrere Jahre vorher Bürgertribun gewesen war, hatte als Zeuge ausgesagt: «Er sei bald nach der Pest, die in Rom gewesen; in der Gasse Subura auf einen Haufen schwärmender Jünglinge gestoßen. Hier sei eine Schlägerei entstanden, und sein älterer Bruder, der ohnehin von der Krankheit noch nicht völlig hergestellt gewesen, sei von einem Faustschlage des Cäso halbtodt zur Erde gesunken. Seine Erklärung hierüber sei die, daß hieran der auf ihren Händen zu Hause Getragene gestorben sei. Allein unter Consuln, wie die der letzten Jahre, habe er es nicht gerathen gefunden, die That, so scheußlich sie sei, anhängig zu machen.»

Als Volscius dies schreiend wiederholte, wurde die Erbitterung so groß, daß Cäso beinahe unter den Händen des einstürmenden Volks sein Leben verloren hätte. Virginius hieß den Kerl greifen und ins Gefängniß bringen. Dies verhinderten die Patricier durch Gewalt. Titus Quinctius rief laut: «Wer auf Leib und Leben angeklagt sei und nächster Tage sein Urtheil zu erwarten habe, an dem dürfe man, als an einem noch Unverdammten, noch Ungehörten, keine Gewalt üben.» Der Tribun erwiederte, «Er werde ihn nicht unverdammt hinrichten lassen, wolle ihn aber bis zum Gerichtstage in gefänglicher 220 Haft behalten, damit es dem Römischen Volke möglich bleibe, einen Mörder zur Strafe zu ziehen.» Die Tribunen, die er nun um Beistand ansprach, wußten die ihnen zustehende Hülfsleistung durch einen in die Mitte tretenden Ausspruch zu decken. Sie verboten, ihn gefangen zu legen, erklärten aber ihre Meinung dahin, daß der Beklagte gehalten sein solle, sich zu stellen, und dem Volke auf den Fall, daß er sich nicht stellte, eine Summe Geldes zugesichert werde. Wie hoch die zu versichernde Summe sich belaufen solle, überließen sie, weil sie nicht darüber eins werden konnten, der Entscheidung des Senats. Während die Väter zu Rath saßen, mußte der Beklagte auf dem Platze bleiben. Der Senat beschloß, er solle Bürgen stellen, und jeder Bürge mit dreitausend Kupferass haftenJeder mit 60 Thlrn.. Die Zahl der Bürgen sollten die Tribunen bestimmen. – Sie setzten sie auf zehn. So viele Bürgen ließ der Kläger für den Beklagten sich verbürgen. Und dieser war der erste, der dem Volke Bürgen stellte.

Als er vom Platze entlassen war, ging er als Auswandernder ins Tuskerland. Am Gerichtstage entschuldigte man seine Nichterscheinung mit seiner Auswanderung in die Fremde, und da Virginius dennoch die öffentliche Verhandlung fortsetzte, so entließen seine Amtsgenossen, deren Hülfe man ansprach, die Versammlung. Allein das Geld wurde mit vieler Härte bei dem Vater eingetrieben, so daß er nach Verkaufung aller seiner Habe, lange Zeit jenseit der Tiber, gleich einem Verbanneten, in einer abgelegenen Hütte lebte.

14. Diese Gerichtssache und der ausgehängte Vorschlag hielten die Bürgerschaft in Bewegung: vor auswärtigen Waffen hatte man Ruhe. Als nun die Tribunen, gleich Siegern, ihren Vorschlag so gut als durchgesetzt ansahen, weil die Väter durch Cäso's Entfernung muthlos geworden waren, und die Bejahrteren unter ihnen, wenn es auf sie angekommen wäre, den Besitz der Statsverwaltung aufgegeben hätten; so trieben die jüngern Väter, 221 vorzüglich die von Cäso's Bekanntschaft, ihren Streit gegen die Bürgerlichen noch höher, ohne den Muth sinken zu lassen, und gewannen am meisten dadurch, daß sie ihre Kämpfe nach einem gewissen Plane beschränkten.

Wie es also nach Cäso's Auswanderung das erstemal wieder zum Antrage über den Vorschlag kam, so thaten sie unter dem Beistande eines großen Heeres von Schützlingen auf die Tribunen, so bald diese durch den Befehl zum Auseinandergehen die Gelegenheit gaben, ihren Angriff mit solcher Haltung und Fassung, daß jeder Einzelne von der daraus erwachsenden Ehre oder Feindschaft keinen größeren Antheil mit zu Hause nahm, als sie zusammen, und den Bürgerlichen nur die Klage blieb, daß statt Eines Cäso ihrer tausend aufgestanden waren. In den Zwischentagen, an welchen die Tribunen nichts mit dem Vorschlage zu thun hatten, war niemand sanftmüthiger oder friedlicher, als sie. Sie grüßten die Mitglieder des Bürgerstandes freundlich, redeten sie an, luden sie ein, leisteten ihnen gerichtlichen Beistand; ließen selbst den Tribunen alle übrigen Versammlungen ungestört; waren gegen Niemand, so wenig in öffentlichen, als Privatangelegenheiten, die Heftigen, außer wenn die Verhandlung über den Vorschlag begann. In allen andern Fällen waren die jungen Männer dem Volke zu willen. Auch setzten die Tribunen nicht nur alles übrige ruhig durch, sondern wurden sogar auf das folgende Jahr wieder gewählt. Ohne ein hartes Wort, viel weniger durch irgend ein gewaltsames Mittel, bloß durch Güte und sanfte Behandlung hatten die jungen Männer das Volk gewonnen. Durch diese Künste wurde der Vorschlag ein ganzes Jahr lang hintertrieben.


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