Titus Livius
Römische Geschichte
Titus Livius

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30. Es folgen die Consuln Quintus Minucius, Cajus Horatius Pulvillus. Obgleich im Anfange dieses Jahrs von außen Ruhe war, so erregten doch im Innern dieselben Tribunen und derselbe Vorschlag Zwistigkeiten, und man würde hierin weiter gegangen sein, – so sehr ließ man sich von Leidenschaften hinreißen; – wäre nicht, gleichsam dazu bestellt, die Nachricht eingelaufen, daß die Äquer die Besatzung zu Corbio durch einen nächtlichen Überfall vernichtet hätten. Die Consuln beriefen den Senat und erhielten den Auftrag, ein Heer von eiligst Aufgebotenen zu werben und in den Algidus zu führen. Die Werbung veranlaßte, so wie man den Streit über den Vorschlag ruhen ließ, eine neue Spannung. Und unter dem Beistande der Tribunen würde man sich des consularischen Zwangsbefehls erwehrt haben, als eine neue Schreckenspost dazu kam: «Ein Heer von Sabinern sei auf Plünderung ins Römische Gebiet herabgezogen und komme nun gegen die Stadt.» Diese Drohung bewog die Tribunen, die Aushebung der Soldaten geschehen zu lassen; doch nur unter der Bedingung, daß künftig, weil man sie fünf Jahre lang habe hinhalten können und der Bürgerstand an ihnen nicht Beschützer genug habe, zehn Bürgertribunen gewählt werden sollten. Die Noth zwang den Vätern die Einwilligung ab; doch bevorworteten sie, daß man künftig nicht 244 dieselben Tribunen wieder wählen solle. Die Tribunenwahl wurde sogleich gehalten, damit nicht auch dies, wie so manches andere, nach dem Kriege vereitelt würde. Im sechs und dreißigsten Jahre nach den ersten Bürgertribunen wurden ihrer zehn gewählt; aus jeder Classe zweiEs waren eigentlich sechs Classen: Buch I. Cap. 43. Allein die ärmste (sechste) Classe war bloß nach ihren Köpfen, nicht nach dem Vermögen geschatzt, und konnte also keine Tribunen stellen.: und man setzte fest, daß sie auch künftig so gewählt werden sollten.

Nach gehaltener Werbung zog Minucius gegen die Sabiner und fand die Feinde nicht. Horatius lieferte den Äquern, welche die Besatzung zu Corbio niedergehauen und nun auch Ortona erobert hatten, auf dem Algidus eine Schlacht, tödtete eine Menge Menschen und vertrieb den Feind nicht bloß vom Algidus, sondern auch aus Corbio und Ortona. Und Corbio, wo man die Besatzung verrathen hatte, ließ er schleifen.

31. Darauf wurden Marcus Valerius und Spurius Virginius Consuln. Von innen und von außen war Ruhe. Große Wasser[ausgiebige Regenfälle] verursachten drückende Theurung. Der Vorschlag, den Aventinus zum Anbaue frei zu geben, wurde genehmigt. Dieselben wiedergewählten Tribunen machten im folgenden Jahre, unter den Consuln Titus Romilius und Cajus Veturius, den Vorschlag zum Gegenstande aller ihrer Volksreden. Sie sagten: «Sie schämten sich ihrer vergeblich vermehrten Anzahl, wenn diese Sache binnen ihren zwei Jahren eben so unausgemacht bliebe, wie sie in den ganzen fünf Jahren vorher geblieben sei.» Gerade als sie dies so eifrig betrieben, meldeten Boten von Tusculum in voller Bestürzung, die Äquer seien auf Tusculanischem Boden. Das neue Verdienst dieses Volks mache, daß man sich schämte, mit der Hülfe zu zögern. Beide Consuln wurden mit einem Heere hingeschickt und trafen den Feind auf seinem Sitze, dem Algidus. Hier kam es zur Schlacht: über siebentausend Feinde blieben: die andern verjagte man und machte große Beute. Wegen Mangel in der Schatzkammer verkauften diese die Consuln. 245 Gleichwohl gereichte ihnen dies bei dem Heere zum Vorwurfe und gab auch den Tribunen Stoff, die Consuln bei dem Bürgerstande zu verläumden. Was geschah? So wie sie vom Amte abgingen, wurde unter den Consuln Spurius Tarpejus und Aulus Aterius ein Tag zu ihrer Anklage festgesetzt, dem Romilius von dem Bürgertribun Cajus Claudius Cicero, dem Veturius von dem Bürgerädil Lucius Alienus. Beide wurden, den Vätern zum großen Verdrusse, verurtheilt, Romilius zu zehntausend Ass, Veturius zu funfzehntausendRomilius zu 310 Gulden Conventionsgeld, Veturius zu 457 Gulden..

Doch dies Unglück der vorigen Consuln machte die neuen nicht unthätiger. Sie sagten: «Man könne auch sie verdammen, und dennoch sollten Bürger und Tribunen den Vorschlag nicht durchsetzen.»

Da thaten die Tribunen mit Aufgebung des Vorschlages, der während seiner (langen) Ausstellung veraltet war, den Vätern glimpflichere Anträge. «Sie möchten endlich den Streitigkeiten ein Ende machen. Wenn ihnen die Vorschläge von Bürgerlichen misfielen, nun so möchten sie gemeinschaftlich aus den Bürgern und aus den Vätern Gesetzgeber wählen lassen, die nur das festzustellen hätten, was beiden Theilen nützlich sei und auf Ausgleichung der Freiheit abzwecke.» Die Väter verwarfen den Antrag nicht, behaupteten aber: «Geben dürfe die Gesetze niemand, als wer aus den Vätern sei.» Als man über die Gesetzgebung einverstanden, und nur noch über den Geber uneins war, so schickte man den Spurius Postumius Albus, Aulus Manlius und Publius Sulpicius Camerinus als Gesandte nach Athen, und trug ihnen auf, die berühmten Gesetze Solons abzuschreiben und sich mit den Einrichtungen, Gewohnheiten und Rechten anderer Griechischen Staten bekannt zu machen. – Vor auswärtigen Kriegen hatte dies Jahr Ruhe.

32. Noch ruhiger war unter den Consuln Publius Curiatius und Sextus Quinctilius das folgende durch die anhaltende Stille der Tribunen, weil man anfangs die nach 246 Athen gegangenen Gesandten und die fremden Gesetze erwartete, und sich nachher zwei große Plagen zugleich einstellten, eine Hungersnoth und eine unter Menschen und Vieh gleich schreckliche Seuche. Die Dörfer wurden verödet; die Stadt durch ununterbrochene Leichenzüge entvölkert: viele und angesehene Häuser wurden in Trauer versetzt. Der Eigenpriester des Quirinus Servius Cornelius starb; der Vogelschauer Cajus Horatius Pulvillus, in dessen Stelle die Vogelschauer den Cajus Veturius so viel angelegentlicher aufnahmen, weil er von den Bürgerlichen verurtheilt war. Es starb der Consul Quinctilius und vier Bürgertribunen. Durch so vielfachen Verlust wurde dies ein trauriges Jahr. Vom Feinde hatte man Ruhe.

Es folgen die Consuln Cajus Menenius, Publius Sestius Capitolinus. Auch in diesem Jahre gab es keinen auswärtigen Krieg, es entstanden aber innere Unruhen. Schon waren die Gesandten mit den Attischen Gesetzen zurückgekommen. So viel ernstlicher drangen die Tribunen darauf, daß endlich einmal der Anfang gemacht würde, Gesetze abzufassen. Man beschloß, Zehnmänner, von denen keine Ansprache stattfände, zu wählen; auch sollte in diesem Jahre keine andre Obrigkeit sein. Ob auch Bürgerliche darunter aufgenommen werden sollten, darüber stritt man ziemlich lange: zuletzt überließ man die Platze den Vätern unter der Bedingung, daß das Icilische GesetzSiehe Cap. 31. im Anfange., den Aventinus betreffend, und die übrigen beschwornen Gesetze nicht aufgehoben würden.

33. Im Jahre dreihundert und zwei nach Roms Erbauung wurde die Statsverfassung wieder verändert, da die Regierung von Consuln auf Decemvirn überging, wie sie ehemals von den Königen an die Consuln gekommen war. Diese Veränderung war minder ausgezeichnet, weil sie nicht von Dauer war; denn die Freude über die neue Obrigkeit wurde zu üppig: so viel schneller gerieth die Sache in Verfall, und man kam wieder dahin zurück, den Titel und die Macht der Consuln Zweien zu übertragen.

247 Zu Decemvirn wurden gewählt Appius Claudius, Titus Genucius, Publius Sestius, Lucius Veturius, Cajus Julius, Aulus Manlius, Servius Sulpicius, Publius Curiatius, Titus Romilius, Spurius Postumius. Dem Claudius und Genucius gab man, weil sie schon auf dies Jahr zu Consuln bestimmt gewesen waren, die eine Würde für die andre; und dem Sestius, dem einen der vorjährigen Consuln, wurde sie, weil er die Sache gegen den Willen seines Amtsgenossen bei den Vätern zum Vortrage gebracht hatte. Als die würdigsten nächst ihnen nahm man die drei Gesandten, welche nach Athen gegangen waren, theils um sie für die weite Reise durch die Ehrenstelle zu belohnen, theils weil man sich von ihrer Bekanntschaft mit ausländischen Gesetzen für die Abfassung der neuen Rechte Vortheil versprach. Die übrigen füllten die Zahl aus. Auch ließ man, wie es heißt, die letzten Wahlen auf betagte Männer fallen, damit diese den Beschlüssen der übrigen nicht gar zu muthig widersprechen möchten.

Die Leitung des ganzen Oberamtes war durch die Gunst der Bürgerlichen in den Händen des Appius, und er hatte sich so ganz in ein neues Betragen geschmiegt, daß aus dem furchtbaren und ungestümen Verfolger des Bürgerstandes auf einmal ein Bürgerfreund hervorging, der nach jedem Lüftchen der Volksgunst haschte. Alle zehn Tage sprach Einer von ihnen dem Volke Recht. An dem Tage hatte dieser als Vorsitzer des Gerichts die zwölf Beilträger und jeder seiner Amtsgenossen nur einen Gerichtsdiener. Und mit der musterhaften Eintracht unter ihnen selbst – einer Einigkeit, die sonst den Unterthanen nicht selten nachtheilig wird – war die höchste Billigkeit gegen Andre verbunden. Ich begnüge mich, den Beweis für ihre Mäßigung durch das Beispiel eines einzigen Falles einleuchtend zu machen. Da vermöge ihrer Wahl keine Ansprache an das Volk von ihnen galt, so setzte gleichwohl der Decemvir Cajus Julius, als man in dem Hause des Publius Sestius, eines Mannes vom Patricierstande, eine verscharrte Leiche fand und vor die Versammlung brachte, dem Sestius, so offenbar und schreiend die Sache 248 war, doch nur einen Gerichtstag an, trat vor dem Gesamtvolke in einer Sache als Kläger auf, in der er gesetzmäßiger Richter war, und begab sich seines Rechtes, um in dem, was er an einer obrigkeitlichen Gewalt schwinden ließ, der Freiheit des Volks einen Zuwachs zu geben.

34. In eben der Zeit, da bei ihnen dem Höchsten wie dem Niedrigsten sein Recht unverzögert und ungebeugt, wie aus einem Orakel, zu Theile wurde, war auch die Abfassung der Gesetze in Arbeit; und als sie unter allgemein gespannter Erwartung zehn Tafeln ausgehängt hatten, beriefen sie das Gesamtvolk und forderten alle auf, «Zum Glücke, Heile und Segen für den Stat, für sie selbst und ihre Kinder, hinzugehen und die ausgehängten Gesetze zu lesen. Sie hätten, so weit der Einsicht von zehn Menschen die Vorsorge möglich gewesen sei, die Rechte aller, der Höchsten und der Niedrigsten, gleich gestellt. Die Einsicht und Berathung Vieler vermöge mehr. Sie möchten jeden Punkt bei sich überdenken, ihn in ihren Unterredungen zur Sprache bringen und über das Zuviel oder Zuwenig in jedem, ihnen Mittheilungen machen. Nur solche Gesetze solle das Römische Volk haben, bei denen man auf die Vermuthung kommen müsse, daß die einmüthige Stimme Aller sie nicht etwa; nachdem sie vorgeschlagen waren, genehmigt, sondern selbst in Vorschlag gebracht habe.»

Als sie nun nach den Äußerungen des Volks über jeden bekannt gemachten Punkt hinlänglich berichtigt schienen, so wurden auf einem Volkstage nach den Stimmen der Centurien die Gesetze der zehn Tafeln bestätigt, die noch jetzt bei dieser ungeheuren Menge von nach und nach gehäuften Gesetzen die Quelle des gesamten Stats- und bürgerlichen Rechtes sind.

Bald hörte man allgemein sagen, daß noch zwei Tafeln fehlten: wenn diese hinzukämen, so könne das gesamte Römische Recht zu einer vollendeten Sammlung gedeihen. Diese Erwartung machte bei der Annäherung des Wahltages den Wunsch rege, abermals Decemvirn zu wählen. Da auch die Decemvirn die Ansprache von dem Einen 249 an den Andern gestatteten, so vermißte der Bürgerstand, dem ohnehin Consuln und Könige gleich verhaßte Namen waren, nicht einmal den Beistand von Tribunen.

35. Als aber nunmehr die Versammlungen zur Decemvirnwahl auf die nächsten drei Marktwochen angekündigt waren, so wurde der Eifer der Bewerbung so allgemein, daß auch die ersten Männer des Stats – ich glaube, aus Furcht, wenn sie die Plätze unbesetzt ließen, möchte der Besitz einer so hohen Macht auch nicht ganz würdigen offen stehen – den Leuten die Hände drückten und um dasselbe Ehrenamt, dem sie sich aus allen Kräften widersetzt hatten, bei eben dem Bürgerstande flehentlich nachsuchten, mit dem sie darüber gestritten hatten. Die als Kampfpreis ausgestellte Würde spornte selbst den Appius Claudius, der schon in seinen Jahren war und so hohe Ehrenstellen bekleidet hatte. Man wußte nicht, ob man ihn unter die Decemvirn, oder unter die Candidaten zählen sollte: oft schien er mehr das Amt zu suchen, als zu bekleiden. Er führte Klagen über die Vornehmen; erhob jeden der niedrigsten Bewerber: umringt von ehemaligen Tribunen, einem Duilius, einem Icilius, flog er auf dem Markte umher; durch sie ließ er sich den Bürgerlichen anpreisen; bis endlich auch seine Amtsgenossen, die ihm bis dahin innig ergeben gewesen waren, aufmerksam wurden und nicht begriffen, was er darunter suche. «Offenbar sei die Sache nicht rein. Diese Leutseligkeit bei so viel Hochsinn müsse gewiß ihre Absichten haben. Sich so sehr zum Gewöhnlichen herabzustimmen und mit Privatleuten gemein zu machen, sei nicht die Art dessen, der im Begriffe stehe, sein Amt abzugeben, sondern dessen, der sich den Weg zur Verlängerung des Amts zu bahnen suche.» Zu muthlos, seiner Ehrsucht sich offenbar zu widersetzen, suchten sie unter dem Scheine der Gefälligkeit seine Zudringlichkeit zu mildern. Einstimmig übertrugen sie ihm, weil er doch der Jüngste sei, das Geschäft, den Wahltag zu halten. Dies war ein Kunstgriff: er sollte sich nicht selbst wählen können; denn dies hatte bis dahin noch niemand, die Bürgertribunen ausgenommen, 250 und auch diese nicht ohne den ärgerlichsten Anstoß, gethan. Er aber, der sich gleich dazu verstand, er wolle in Gottes Namen den Wahltag halten, ergriff das Gegenmittel als eine Gelegenheit, und da er vermittelst seiner Verbindungen die beiden Quinctier, Capitolinus und Cincinnatus, ferner seinen Oheim Cajus Claudius, einen entschiedenen Freund der Edlen, und andre Männer von gleich hohem Range, durchfallen ließ, so stellte er Decemvirn auf, die jenen an glänzenden Verdiensten durchaus nicht gleich kamen, und unter den Ersten sich selbst, welches die Bessergesinnten, nachdem er es gethan, eben so sehr misbilligten, als es niemand geglaubt hatte, daß er es wagen werde. Mit ihm wurden gewählt Marcus Cornelius Maluginensis, Marcus Sergius, Lucius Minucius, Quintus Fabius Vibulanus, Quintus Pötelius, Titus Antonius Merenda, Cäso Duilius, Spurius Oppius Cornicen, Manius Rabulejus.

36. Nun hörte Appius auf, die fremde Rolle zu spielen. Von jetzt fing er an, sich seiner Sinnesart zu überlassen und seine neuen Amtsgenossen, ehe sie noch die Würde antraten, nach seiner Weise zu bilden. Täglich kamen sie ohne Zeugen zusammen. Hier eingeweihet in Entwürfe der Herrschwuth, über denen sie ohne Mitwissen anderer brüteten, trieben sie ihr Wesen, selbst ohne ihren Übermuth länger zu verbergen – ließen sie doch selten jemand vor; sprachen sie doch mit den Vorgelassenen so unfreundlich – bis zum funfzehnten Mai.

Der funfzehnte Mai war damals zur Übernehmung der Statsämter festgesetzt. Gleich beim Antritte der Würde bezeichneten sie den ersten Tag ihres Amts durch Androhung eines gewaltigen Schreckens. Denn da die vorigen Decemvirn es so gehalten hatten, daß sich nur Einer die Ruthenbündel vortragen ließ, und dies königliche Machtzeichen der Reihe nach, so wie jeden der Wechsel traf, bei Allen herumging, so traten sie plötzlich alle, jeder mit zwölf Ruthenbündeln, auf. Hundert und zwanzig Beilträger erfüllten den Gerichtsplatz und trugen in den Ruthenbündeln die aufgesteckten Beile zur Schau. Und die 251 Decemvirn gaben darüber die Auskunft, es würde unnöthig gewesen sein, die Beile wegzulassen, da doch alle Ansprache von ihnen ungültig sei. Es war ein Anblick von zwölf Königen, und ein vervielfachter Schrecken, nicht nur für die Niedrigen, sondern selbst für die Ersten der Väter, weil sie glaubten, man suche nur einen Vorwand, mit Morden anzufangen, so daß, wenn jemand im Senate oder im Volke ein Wort fallen ließe, in dem noch Freiheit athme, sogleich Ruthen und Beile, um Andre zu schrecken, gehandhabt würden. Denn außerdem, daß man bei dem Gesamtvolke keine Hülfe finden konnte, da alle Ansprache abgeschafft war, hatten auch die Decemvirn allen vermittelnden Widerspruch unter sich selbst, durch ihre Verabredung vernichtet, da die vorigen Decemvirn gestattet hatten, daß ihre Aussprüche bei erfolgter Ansprache an ihren Amtsgenossen abgeändert wurden, und Manches, was vor ihren Richterstuhl zu gehören schien, vor das Gesamtvolk gebracht hatten.

Eine Zeitlang war die Furcht auf alle gleich vertheilt: allmälig ging sie ganz auf die Bürgerlichen über. Der Väter entsahen sie sich: mit den Niedrigeren verfuhren sie willkürlich und grausam: sie gehörten ganz der Person, nicht der Sache; denn Gunst galt bei ihnen für Recht. Ihre Rechtssprüche schmiedeten sie zu Hause; vor Gericht ließen sie sie hören. That jemand Ansprache an einen aus ihrem Mittel, so wurde er von dem, an den er sich wandte, so entlassen, daß es ihn gereuete, es nicht bei dem Ausspruche des ersten gelassen zu haben. Auch verbreitete sich ein unverbürgtes Gerücht, sie hätten sich zu diesen Bedrückungen nicht bloß für die Gegenwart verabredet, sondern einen geheimen Bund unter sich beschworen, keinen Wahltag zu halten und durch ein fortgesetztes Decemvirat die einmal in Besitz genommene Gewalt zu behaupten.

37. Jetzt späheten die Bürgerlichen allenthalben den Patriciern nach den Mienen, und haschten bei ihnen nach jeder Hoffnung von Freiheit, da sie doch eben durch die Furcht, von dort aus unterdrückt zu werden, den Stat in 252 diese Lage gestürzt hatten. Die Ersten der Väter haßten die Decemvirn und haßten den Bürgerstand. Sie billigten nicht, was geschah, und glaubten doch, er leide nicht unverdient. Sie hatten keine Lust, Leuten zu helfen, die im gierigen Drange nach Freiheit in die Knechtschaft hinübergestürzt waren; ja sie suchten die Bedrückungen zu häufen, damit man endlich aus Unzufriedenheit mit der Gegenwart. wieder zwei Consuln und die ehemalige Lage der Dinge wünschenswerth finden möge.

Der größere Theil des Jahres war schon verstrichen: die zwei Gesetztafeln waren zu den vorjährigen zehn schon nachgeliefert, und wenn auch diese auf einem Volkstage durch die Stimmen der Centurien zu Gesetzen erhoben waren, so war weiter kein Grund da, warum der Stat dieses Amtes bedurft hätte. Alle erwarteten die baldige Ankündigung eines Versammlungstages zur Consulnwahl. Der Bürgerstand war nur darauf bedacht, auf irgend eine Weise die tribunicische Gewalt, dies Bollwerk seiner Freiheit, das er selbst aufgegeben hatte, wieder herzustellen. Allein des Wahltages geschah nicht die mindeste Erwähnung; und die Decemvirn, die anfangs immer, weil dies für Umgänglichkeit galt, umringt von gewesenen Tribunen vor dem Volke aufgezogen kamen, hatten sich jetzt mit jungen Adlichen umpflanzt. Scharenweise hielten diese die Gerichtsstühle umlagert. Sie schalteten und walteten mit dem Bürgerstande, mit seinen Angelegenheiten und Eigenthume, weil dem Mächtigern Alles, wonach ihn gelüstete, zugesprochen wurdeIch lese mit J. F. Gronov: Hi ferre, agere plebem plebisque res et (lieber atque) fortunas; quum quidquid cupitum foret, potentioris esset.. Bald kamen sie auch an Leib und Leben: es gab Ruthenhiebe; andre traf das Beil; und um die Grausamkeit nicht umsonst zu üben, folgte auf die Hinrichtung des Besitzers die Verschenkung seiner Güter. Dieser Lohn bestach die jungen Adlichen, sich den Bedrückungen nicht nur nicht zu widersetzen, sondern öffentlich ihre eigne Ungebundenheit der Freiheit Aller vorgehen zu lassen.

253 38. Der funfzehnte Mai erschien. In ihre Stelle hatten die Decemvirn keine neue Obrigkeit wählen lassen: es traten also in ihnen nicht Decemvirn, sondern Privatleute auf, ob sie gleich weder am Willen, ihre Gewalt auszuüben, noch selbst im Äußern an ihren Ehrenzeichen, das Mindeste abgehen ließen. Dies sah man als offenbare Tyrannei an. Die Freiheit wurde auf ewig verloren gegeben: kein Retter stand auf und man sah auch keinen für die Zukunft. Nicht genug, daß den Römern selbst der Muth sank; schon erhob sich unter den benachbarten Völkern Verachtung: es verdroß sie, sich von denen beherrschen zu lassen, die nicht einmal Freiheit hätten. Mit einer großen Schar thaten die Sabiner einen Einfall in das Römische Gebiet, und als sie, nach weit verbreiteter Plünderung, Beute an Menschen und Vieh ungestraft davon geführt hatten, schlugen sie bei Eretum, wo sich ihr Heer aus seiner weiten Zerstreuung sammelte, ein Lager auf; voll Vertrauen auf die Uneinigkeit in Rom, die keine Werbung zulassen werde. Nicht bloß diese Nachrichten, sondern schon durch die Straßen flüchtende Landleute setzten alles in Bestürzung. Die Decemvirn rathschlagten, was zu thun sei. Zwischen dem Hasse der Väter und der Bürgerlichen sahen sie sich mitten inne bloßgestellt, als ihnen das Schicksal Schrecken über Schrecken einjagte. Die Äquer hatten auf einer andern Seite, auf dem Algidus, ein Lager geschlagen, und Gesandte von Tusculum, mit der Bitte um Hülfe, berichteten, wie die Feinde auf ihren Streifzügen von dort aus das Tusculanische verheert hätten. In dieser Angst sahen sich die Decemvirn gezwungen, da zwei Kriege zugleich die Stadt in die Mitte nahmen, den Senat anzugehen. Sie gaben Befehl, die Väter zu Rathhause zu fordern, ob sie sichs gleich versprechen konnten, daß ein großer Sturm von Vorwürfen sie erwarte. «Von den Verheerungen im Lande, von den hereinbrechenden Gefahren würden Alle die Schuld über sie zusammenfallen lassen; dies werde zu dem Versuche führen, ihnen das Amt zu nehmen, wenn sie nicht einmüthig sich zur Wehr setzten, und dadurch, daß sie gegen einige zu Vorlaute von 254 ihrer Gewalt nachdrücklichen Gebrauch machten, die Angriffe der übrigen niederschlügen.»

Als man auf dem Markte die Stimme des Herolds vernahm, der die Väter auf das Rathhaus zu den Decemvirn berief; so machte dies, weil sie die Sitte, den Senat zu befragen, schon lange unterlassen hatten, als etwas Ungewöhnliches, die Bürger aufmerksam, die sich wunderten: «Was doch vorgefallen sein möchte, daß man eine seit so langer Zeit abgekommene Gewohnheit wieder hervorsuche. Man müsse es den Feinden und dem Kriege Dank wissen, wenn irgend etwas geschehe, was in einem freien State üblich sei.» In allen Gegenden des Marktes spähete man nach einem Rathsherrn, und bemerkte kaum einen oder den andern: dann sah man wieder auf das Rathhaus und die Leere um die Decemvirn, in welcher sie selbst den allgemeinen Haß gegen ihre Regierung, die Bürger hingegen den Vorsatz der Väter fanden, sich denen nicht zu stellen, die als Nichtbeamtete kein Recht hatten, den Senat zu berufen. «Schon zeige sich für die Wiedereroberer der Freiheit ein Haupt, wenn sich die Bürger nur an den Senat anschlössen: wenn die Bürger eben so, wie sich die geforderten Väter nicht im Senate einstellten, sich der Werbung entzögen. » So murreten die Bürgerlichen laut.

Von den Vätern war beinahe kein einziger auf dem Markte, und nur wenige in der Stadt. Aus Verdruß über ihr Schicksal, hatten sie sich auf ihre Güter zurückgezogen, und lebten ihren Angelegenheiten, da man ihnen die öffentlichen genommen hatte; mit dem Gedanken, sich so viel mehr vor Kränkungen gesichert zu haben, je weiter sie der Verbindung und dem Umgange mit zügellosen Herrschern auswichen. Als sie sich auf die Forderung nicht einfanden, wurden ihnen Gerichtsboten in die Häuser geschickt, zugleich zur Wegnahme eines Pfandes, zugleich auch auf Erkundigung, ob sie geflissentlich die Unfolgsamen wären; und diese brachten die Nachricht, die Väter wären auf ihren Landsitzen. Dies war den Decemvirn erfreulicher zu hören; als wenn es geheißen hätte, sie 255 wären gegenwärtig und entzögen sich dem Befehle. Sie ließen alle herein berufen und beschieden den Senat auf den nächsten Tag, an welchem er auch weit zahlreicher, als sie erwartet hatten, zusammenkam. Dadurch war nun, nach der Meinung der Bürger, die Freiheit von den Vätern verrathen, insofern der Senat Männern, die von ihrer obrigkeitlichen Stelle schon abgegangen, und, wenn sie die Gewalt nicht beibehielten, völlig ohne Amt wären, gerade so gehorcht habe, als ob sie ihn rechtmäßig berufen könnten.

39. Allein so folgsam sich die Väter zu Rathhause eingestellt hatten, so wenig Unterwürfigkeit verriethen, laut den Nachrichten darüber, ihre abgelegten Stimmen. Ehe noch über den vom Appius Claudius gethanen Vortrag die Stimmen der Reihe nach vernommen wurden, machte Lucius Valerius Potitus, wie die Geschichte sagt, durch seine Forderung, über die Lage des Stats reden zu dürfen, und als ihm dies die Decemvirn drohend untersagten, durch seine Versicherung, so werde er vor dem Volke auftreten, den Anfang zum Aufstande. Eben so muthvoll soll Marcus Horatius Barbatus es mit den Decemvirn aufgenommen haben, der sie die Zehn Tarquinier nannte und daran erinnerte, daß man unter Anführung eines Valerius und Horatius auch die Könige verjagt habe. «Der Name sei es nicht gewesen, dessen damals die Leute überdrüssig geworden wären: denn es sei sogar Sprache der Andacht, den Jupiter so zu nennen; auch führe Romulus, der Stifter der Stadt, und alle Könige nach ihm diesen Namen: man habe ihn ferner bei gottesdienstlichen Verrichtungen, als ganz gewöhnlich, beibehalten. Die Härte und Gewaltthätigkeit des Königs sei damals der Gegenstand des Hasses geworden; und habe man diese an dem damals einzigen Könige, oder an einem Sohne des Königs unerträglich finden müssen, wer sie sich denn von so vielen Privatleuten gefallen lassen werde? Sie möchten sich hüten, daß sie nicht durch ihr Verbot, im Rathhause frei zu reden, die Stimmen auch außerhalb des Rathhauses weckten. Auch sehe er nicht ein, warum es ihm, selbst ohne Amt, weniger zustehen solle, das Volk 256 zur Versammlung zu rufen, als ihnen, den Senat. Wenn sie Lust hätten, so möchten sie die Erfahrung machen, daß zur Wiederherstellung der Freiheit der Schmerz weit unternehmender sei, als die Herrschsucht zur Behauptung unrechtmäßiger Gewalt. Sie trugen auf einen Krieg mit den Sabinern an, als ob dem Römischen Volke ein Krieg wichtiger sein könne, als gegen die, die zur Gesetzgebung gewählt, nicht das mindeste Recht im State übrig gelassen, die alle Wahlversammlungen, jährliche Obrigkeiten und den Wechsel in der Regierung, dies einzige Mittel zur Erhaltung gleichmäßiger Freiheit, aufgehoben hätten, und, ohne Amt, die Ruthenbündel und eine königliche Regierung beibehielten. Nach Vertreibung der Könige habe man patricische Obrigkeiten gewählt; späterhin, nach dem Auszuge der Bürger, bürgerliche. Er frage sie, zu welcher Partei sie gehörten. Zur Volkspartei? Was sie denn durch das Volk betrieben hätten? Zu den Vornehmen? sie? die beinahe seit Jahresfrist keinen Senat gehalten hätten? und jetzt ihn so hielten, daß sie über die Lage des Stats zu reden verböten? Sie möchten nicht zu sehr bei Andern auf die Furcht rechnen: die Leute hielten das, was sie zu leiden hätten, schon für härter, als was sie etwa fürchten könnten.»

40. Als die Decemvirn, bei diesen lauten Äußerungen des Horatius, weder für ihren Zorn, noch zum Verzeihen einen Ausweg finden, und eben so wenig absehen konnten, wie die Sache ablaufen werde, so hielt Cajus Claudius, des Decemvirs Appius Oheim, eine Rede, mehr im Tone des Bittenden, als des Rechtenden, worin er ihn bei der Ruhe seines verstorbenen Bruders, seines eigenen Vaters, beschwur: «Lieber der bürgerlichen Verbindung, in der er geboren sei, als des mit seinen Amtsgenossen widerrechtlich geschlossenen Bundes, eingedenk zu sein. Hierum bitte er ihn, weit mehr aus Rücksicht auf ihn selbst, als auf den Stat. Denn der Stat werde sich von ihnen, wenn es ihm, mit ihrem Willen, nicht möglich sei, auch wider ihren Willen sein Recht zu verschaffen wissen. Allein ein heftiger Streit errege gewöhnlich heftige 2572 Erbitterung; und diese sei ihm in ihren Folgen so schauderhaft.» Hatten gleich die Decemvirn verboten, über etwas anderes zu reden, als worauf ihr Antrag ging, so fanden sie es doch achtungswidrig, den Claudius zu unterbrechen. Er verfolgte also seinen Vorschlag, nach welchem gar kein Senatsschluß abgefaßt werden sollte. Alle nahmen dies so auf, als habe Claudius die Decemvirn für amtlos erklärt, und viele von den Consularen gaben seiner Meinung mündlich ihre Zustimmung. Eine andre Stimme, dem Scheine nach härter, aber weit weniger eingreifend, forderte die Patricier auf, zusammenzutreten und einen Zwischenkönig zu ernennen. Denn durch diesen Ausspruch wurden die, welche jetzt die Senatsversammlung hielten, für irgend eine Art von obrigkeitlichen Personen erkannt, da sie doch der Urheber jenes Vorschlages, gar keinen Senatsschluß abzufassen, schon für amtlos erklärt hatte.

Als so der Decemvirn Sache schon wankte, nahm Lucius Cornelius Maluginensis, des Decemvirs Marcus Cornelius Bruder, den sie geflissentlich von den Consularen zuletzt auftreten ließen, unter dem Scheine, als ob er nur auf den Krieg Rücksicht nähme, seinen Bruder und dessen Amtsgenossen in Schutz. «Es wundre ihn sehr,» sagte er, «wie es sich so sonderbar füge, daß eben diejenigen, die sich selbst um das Decemvirat beworben hätten, entweder als Helfershelfer, oder geradezu selbst am heftigsten gegen die Decemvirn einstürmten: oder was sie für Gründe haben möchten, da niemand bei der friedlichen Lage des Stats seit so vielen Monaten Streit darüber erregt habe, ob auch rechtmäßige Obrigkeiten das Ruder führten; gerade jetzt, da die Feinde beinahe vor den Thoren ständen, bürgerliche Uneinigkeit zu stiften; es müßte denn sein, daß sie glaubten, man werde unter den Unruhen ihr Vorhaben weniger durchschauen können. Es sei doch billig, da man jetzt mit dringenderen Sorgen beschäftigt sei, daß sich jedermann aller voreiligen Entscheidung über einen so wichtigen Gegenstand enthalte. Seines Ermessens könne die Behauptung des Valerius 258 und Horatius, nach welcher die Decemvirn angeblich am funfzehnten Mai vom Amte abgegangen wären, erst nach Beendigung der herandringenden Kriege und Wiederherstellung der öffentlichen Ruhe dem Senate zur Entscheidung vorgelegt werden; und Appius habe sich schon jetzt darauf gefaßt zu machen, daß er über jenen Wahltag, den er zur Decemvirnwahl selbst als Decemvir gehalten habe, Rechenschaft abzulegen haben werde, ob sie auf Ein Jahr, oder bis zur Annahme der noch fehlenden Gesetze gewählt wären. Für jetzt müsse man alles, den Krieg ausgenommen, beseitigen: und wenn sie etwa glaubten, daß das verbreitete Gerücht falsch sei, und daß nicht bloß die Boten, sondern auch die Tusculanischen Gesandten Unwahrheiten gemeldet hätten, so trage er darauf an, Kundschafter auszusenden, um sichrere Nachrichten einzuziehen. Traue man aber den Boten und Gesandten, so müsse man je eher je lieber die Aushebung vornehmen, die Decemvirn die Heere dahin führen lassen, wo es jeder von ihnen für gut fände, und durchaus kein anderes Geschäft für eiliger halten.»

41. Die jüngern Väter bewirkten, daß man zu dieser Meinung überging. So viel trotziger erhoben sich Valerius und Horatius und riefen laut: «Es müsse ihnen erlaubt sein, über die Lage des Stats zu reden. Und wenn ihnen dies im Senate der Parteigeist nicht gestatte, so würden sie vor dem Volke auftreten. Privatleute dürften ihnen hieran weder im Rathhause, noch in der Volksversammlung hinderlich sein: auch würden sie sich an ihre gleißenden Ruthenbündel nicht kehren.» Da rief Appius, der den Sturz ihrer Obergewalt sich nahen sah, wenn man nicht dem Ungestüme auf jener Seite, gleiche Kühnheit auf dieser entgegensetzte: «Ich wills euch rathen, kein Wort euch entfallen zu lassen, das nicht zu unserm Antrage gehört!» Und als Valerius erwiederte: «vor einem Privatmanne brauche er nicht zu schweigen,» befahl er dem Gerichtsdiener, sich an ihn zu machen.

Schon rief Valerius von der Schwelle des Rathhauses: «Ihr Quiriten! zu Hülfe!» Da umfaßte Lucius 259 Cornelius den Appius, brachte durch seinen Beistand, der einem ganz Andern galt, als dem er zu gelten schien, den Streit zur Ruhe, und wirkte dem Valerius die Erlaubniß aus, vorzutragen, was er wollte. Die Freimüthigkeit ging doch nicht über Worte hinaus, und die Decemvirn erreichten ihren Zweck. Selbst den Consularen und bejahrteren Vätern war es vermöge ihres noch regen Hasses gegen die tribunicische Gewalt, nach welcher sich ihres Ermessens die Bürger weit inniger sehnten, als nach einer consularischen Regierung, beinahe lieber, daß die Decemvirn einst ihr Amt gutwillig niederlegten, als daß die Unzufriedenheit mit ihnen den Bürgern Gelegenheit gäbe, sich wieder zu erheben. «Sollte man durch schonendes Zögern, mit Vermeidung aller heftigen Auftritte im Volke, die Regierung auf Consuln zurückführen können, so könnten vielleicht durch eintretende Kriege oder durch die von den Consuln in Ausübung ihrer Gewalt bewiesene Mäßigung die Tribunen bei den Bürgern in Vergessenheit gebracht werden.»

Ohne weitere Erklärung von Seiten der Väter wurde die Werbung anbefohlen. Die Dienstfähigen stellten sich, weil keine Ansprache von der Regierung galt, so wie sie gefordert wurden. Nach Errichtung der Legionen verglichen sich die Decemvirn, welche von ihnen in den Krieg ziehen, welche über die Heere gesetzt sein sollten.

Die Angesehensten unter den Decemvirn waren Quintus Fabius und Appius Claudius. Zu Hause drohete ein größerer Krieg, als von außen, Da sie nun glaubten, Appius sei mit seiner Heftigkeit mehr dazu geeignet, Unruhen in der Stadt niederzuschlagen; Fabius hingegen zeige mehr Wankelmuth im Guten, als Gewandheit in Ränken – denn diesen im Frieden und Kriege einst so vortrefflichen Mann hatten das Decemvirat und seine Amtsgenossen so umgewandelt, daß er lieber einem Appius, als sich selbst gleichen wollte – so übertrugen sie ihm den Krieg im Sabinerlande und setzten ihm die Amtsgenossen, Manius Rabulejus und Quintus Pötelius an die Seite. Marcus Cornelius wurde auf den Algidus geschickt, und mit 260 ihm Lucius Minucius, Titus Antonius, Cäso Duilius, Marcus Sergius. Dem Spurius Oppius wurde durch ihren Beschluß die Regierung der Stadt mit dem Appius Claudius gemeinschaftlich, und beiden die ganze Gewalt der sämtlichen Decemvirn übergeben.

42. Der Stat befand sich unter ihrer Leitung im Felde nicht besser, als zu Hause. Nur hatten die Feldherren das allein zu verantworten, daß sie sich den Unterthanen verhaßt gemacht hatten: alle andre Schuld traf die Soldaten, denen es nicht darauf ankam, wenn nur unter Anführung und Oberaufsicht der Decemvirn nirgendwo das Mindeste gelänge, sich selbst und ihnen zur Schande besiegt zu werden. Geschlagen waren die Heere von den Sabinern bei Eretum, auf dem Algidus von den Äquern. Von Eretum hatten sie in der Stille der Nacht die Flucht genommen, und näher gegen Rom zwischen Fidenä und Crustumeria auf einer Anhöhe ein festes Lager bezogen. Statt sich dem nachgefolgten Feinde in offenem Felde zu stellen, verdankten sie ihren Schutz der festen Lage und dem Walle, nicht der Tapferkeit und den Waffen.

Im Algidum war die Unthat noch größer, auch größer der Verlust. Hier ging sogar das Lager verloren; und seines ganzen Geräths verlustig hatte sich der Soldat nach Tusculum geflüchtet, um hier von dem Beistande und Mitleiden seiner Wirthe zu leben, was ihm indessen nicht fehlschlug. Nach Rom erschollen die Nachrichten so fürchterlich, daß die Väter, mit Beiseitsetzung ihres Hasses gegen die Decemvirn, in der Stadt Wache halten ließen, jeden, der Alters halber die Waffen führen konnte, zur Besetzung der Mauern und der Posten vor den Thoren aufforderten, und die Beschlüsse faßten: «Nach Tusculum sollten außer den Truppen zur Ergänzung auch Waffen abgehen; die Decemvirn sollten von der Burg zu Tusuculum herunterkommen und mit den Soldaten ein Lager beziehen; das andre Lager von Fidenä ins Sabinische verlegt, und durch den Angriffskrieg die Feinde von dem Gedanken, auf Rom zu gehen, zurückgeschreckt werden.»

43. An diese von den Feinden erlittenen Niederlagen 261 reiheten die Decemvirn noch zwei schändliche Thaten, im Felde und in Rom.

Bei dem Heere im Sabinischen schickten sie den Lucius Siccius, der bei dem allgemeinen Hasse der Decemvirn insgeheim gegen die gemeinen Soldaten von Tribunenwahl und Auswanderung gesprochen hatte, auf Besichtigung eines zum Lager zu wählenden Platzes aus, und gaben den Soldaten, die sie zu seiner Bedeckung mitgehen ließen, den Auftrag, ihn, wo sie einen schicklichen Platz ersähen, zu überfallen und zu tödten. Er verkaufte sein Leben theuer. Rund um ihn her fielen von seiner Gegenwehr mehrere Meuchelmörder, weil er, als ein sehr starker Mann, mit einem seiner Stärke angemessenen Muthe nach allen Seiten sich vertheidigte. Die übrigen gaben im Lager an: Sie seien in einen Hinterhalt gefallen, und Siccius, nach tapferer Gegenwehr, mit einigen andern Soldaten geblieben. Anfangs glaubte man ihrer Erzählung. Wie aber die auf Erlaubniß der Decemvirn zur Beerdigung der Gefallenen hingezogene Cohorte keine einzige Leiche beraubt, den Siccius in der Mitte liegen, noch in seiner Rüstung, und alle Leichen gegen ihn gekehrt sah; von den Feinden hingegen nicht Einen Gebliebenen, und keine Spur ihres Abzuges; so überbrachten sie seine Leiche mit der Versicherung, er sei gewiß von den Seinigen gemordet. Das ganze Lager gerieth in Erbitterung, und es war schon beschlossen, den Siccius sofort nach Rom zu tragen, hätten nicht die Decemvirn geeilt, ihn mit allen Kriegerehren auf öffentliche Kosten bestatten zu lassen. Sein Begräbniß setzte die Soldaten in tiefe Trauer, und die Decemvirn allgemein in den schlechtesten Ruf.

44. Eine Schandthat von ganz andrer Art erfolgte in der Stadt, durch Unkeuschheit erzeugt, und von gleich scheußlichem Erfolge mit jener, als die Schändung und Entleibung der Lucretia die Tarquinier aus der Stadt und vom Throne stieß; so daß die Decemvirn nicht allein, so wie die Könige, aufhörten, sondern auch ihre Regierung durch gleiche Veranlassung verloren.

Dem Appius Claudius gab die Liebe zu einer 262 Jungfrau vom bürgerlichen Stande den Entschluß, sie zu entehren. Ihr Vater Lucius Virginius stand bei dem Heere im Algidus als einer der Hauptleute vom höhern Range; zu Hause und im Felde ein musterhafter Mann. Eben so war seine Frau erzogen, und so erzogen sie auch ihre Kinder. Die Tochter hatte er dem gewesenen Tribun, Lucius Icilius, verlobt, einem unternehmenden Manne und um die Partei der Bürgerlichen von bewährtem Verdienste. Als Appius, der vor Liebe glühend dies erwachsene, außerordentlich schöne, Mädchen durch Geschenke und Versprechungen zu verführen suchte, jeden Zugang durch Keuschheit versperrt sah, so entschloß er sich zu einer grausamen, alles niedertretenden Gewaltthat. Seinem Schützlinge, Marcus Claudius, gab er den Auftrag, sich des Mädchens als seiner Sklavinn zu versichern und nicht nachzugeben, wenn man bis zur Entscheidung ihrer Freiheit Aufschub fordere: da die Abwesenheit des Vaters, wie er hoffte, seine Ungerechtigkeit begünstigte. Als das Mädchen auf den Markt kam – denn dort standen unter den Krambuden auch Schulstuben – legte der Kuppler des Decemvirs, indem er sie als seine Sklavinn anredete, da sie eine Tochter seiner Sklavinn sei, Hand an sie, und befahl ihr, ihm zu folgen; im Weigerungsfalle werde er sie mit Gewalt fortführen. Während das Mädchen vor Schrecken starrte, entstand auf das Geschrei ihrer Amme, welche nach Hülfe rief, ein Auflauf. Ihres Vaters Virginius, ihres Bräutigams Icilius beliebter Name wurde laut genannt. Alle, die sie kannten, machte das Wohlwollen für jene, und den Haufen der Unwille zu Freunden des Mädchens. Schon war sie vor Gewalt sicher, als der Kläger anfing: «Das zusammengelaufene Volk sei hier ganz unnöthig. Er verfahre nach Recht, nicht mit Gewalt.» – Er forderte das Mädchen vor Gericht. Da selbst die, welche sich ihrer annahmen, ihr riethen, mitzugehen, so kam man vor des Appius Richterstuhl.

Der Kläger sagte seine dem Richter, als Erfinder des Stücks, bekannte Rolle auf. «Diese in seinem Hause geborene, ihm gestohlne und dem Virginius ins Haus 263 gebrachte Sklavinn, sei diesem als Kind untergeschoben. Seine Aussage gründe sich auf einstimmige Zeugnisse, und er werde sie beweisen, wenn auch Virginius selbst Richter sein sollte, der bei diesem Unrechte am meisten leide. Bis dahin sei es doch billig, daß die Magd ihrem Herrn folge.» Die Vertheidiger des Mädchens führten an: «Virginius sei im Dienste des Stats abwesend; er werde in zwei Tagen hier sein, sobald man es ihm sagen ließe; es sei hart, daß einem Abwesenden seine Kinder streitig gemacht würden:» und verlangten, «Appius möge die Sache bis zur Ankunft des Vaters unentschieden lassen. Laut des von ihm selbst gegebenen Gesetzes möge er für den Aufschub zu Gunsten der Freiheit den Ausspruch thun, und nicht zugeben, daß eine erwachsene Jungfrau Gefahr laufe, eher ihren guten Namen zu verlieren, als ihre Freiheit.»

45. Appius leitete seinen Spruch folgendermaßen ein: «Wie sehr er die Freiheit begünstigt habe, beweise selbst das Gesetz, auf welches sich dir Freunde des Virginius bei ihrer Forderung beriefen. Allein die Freiheit finde nur dann in diesem Gesetze sichern Schutz, wenn es so wenig zu Gunsten einer Sache, als einer Person verdrehet werde. Was sie verlangten, sei allerdings bei denen Recht, die als Herren ihrer selbst in ihrer angefochtenen Freiheit einstweilen erhalten werden müßten, weil sie als solche sich selbst an das Gesetz halten könnten: bei einer Person aber, die noch in väterlicher Gewalt stehe, könne es außer dem Vater keinen andern geben, dem der Eigenthümer in der Besitznehmung nachzustehen habe. Er erkenne also dahin, daß der Vater geholt werden müsse, der Kläger aber unterdessen, um nicht an seinem Rechte zu leiden, nicht abgehalten werde, das Mädchen mitzunehmen, und versprechen müsse, sie auf die Ankunft des angeblichen Vaters zu stellen.»

Da ihrer viele gegen die Ungerechtigkeit des Spruches mehr murreten, als daß irgend einer das Herz gehabt hätte, sich zu widersetzen, so kamen Publius Numitorius, des Mädchens Mutterbruder, und ihr Bräutigam Icilius 264 dazu; und da sich die Menge, die ihnen Platz machte, zum Widerstande gegen den Appius das meiste von des Icilius Dazwischenkunft versprach, so rief der Gerichtsdiener, «Das Urtheil sei schon gesprochen,» und peitschte den laut werdenden Icilius weg.

Eine so scheußliche Ungerechtigkeit würde auch den Gelassensten empört haben. «Mit dem Schwerte, rief Icilius, «mußt du mich hier wegbringen lassen, Appius, wenn dir das ohne Rüge hingehen soll, was du so gern verheimlichen möchtest! Diese Jungfrau will ich heirathen; ich, der ich sie als eheliches, keusches Weib halten will. Ruf immerhin alle Gerichtsdiener, auch die deiner Amtsgenossen, herzu; heiß sie Ruthen und Beile zur Hand nehmen: dennoch soll die Verlobte des Icilius nicht außer ihres Vaters Hause bleiben. Habt ihr gleich dem Römischen Bürgerstande die tribunicische Hülfe und die Ansprache, diese beiden Bollwerke zur Behauptung seiner Freiheit, genommen; so ist darum eurer Ausgelassenheit noch keine Königsmacht über unsre Kinder und Frauen eingeräumt. Wüthet gegen unsre Rücken, gegen unsre Nacken: aber lasset wenigstens die Keuschheit unangetastet. Vergreift man sich an ihr, so rufe ich für meine Braut die hier versammelten Quiriten, Virginius für seine einzige Tochter die Soldaten, und wir alle – «Götter und Menschen zum Beistande auf; und ohne uns zu morden, wirst du nimmermehr deinen Ausspruch gültig machen. Ich fordere dich auf, Appius, überleg es von allen Seiten, was für einen Schritt du thuest. Kommt Virginius, so wird er selbst zusehen, wie er für seine Tochter zu sorgen habe. Nur das soll er wissen, daß er sich, falls er sie vorläufig in den Händen dieses Menschen läßt, nach einem andern Vorschlage für seine Tochter umzusehen habe. Ich aber lasse, die Freiheit meiner Braut zu retten, eher mein Leben schwinden, als mein Wort.»


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