Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfunddreißigstes Kapitel

Am ersten heißen Sonntag im Mai waren sie in Long Beach und picknickten ohne jede falsche Scham wie die andern Badenden in den Dünen. New York und alle Verwandten Ruths waren vergessen. Tante Emma Truegate Winslow war ein Mythos aus der Zeit der Drachen. Nach dem Essen streckten sie sich faul in den Sand.

»Eines Tages«, träumte Carl, »werden unsere Kinder sagen: ›Ihr habt wirklich in einem ganz wunderbaren Zeitalter gelebt.‹ Überleg es dir einmal. Man redet so viel von der Romantik der Kreuzzüge und der alten Römer, aber denk doch nur, was für Wunder wir schon erlebt haben, und dabei sind wir fast noch Kinder: Flugzeug, Automobil, drahtlose Telegraphie, Kino, elektrische Lokomotiven, elektrisches Kochen, Radio, Röntgenstrahlen, Setzmaschinen, Unterseeboote, die Arbeiterbewegung – das heißt, ich weiß ja gar nichts von der Arbeiterbewegung; aber sie wird schon das Wichtigste von allem sein. Und Metschnikoff und Ehrlich. Ach ja, und der größte Teil der Entwicklung von elektrischem Licht und Telephon und Grammophon. Herrgott! und alles in ein paar Jahren! Romantik – welche Romantik steckt allein in der Funktelegraphie. Denk doch nur, ein kleiner einsamer Dampfer weit draußen auf hoher See, mitten in der Nacht, und dort läßt einer den Sender spielen – und hier in Long Island nimmt das ein anderer auf. So viel Romantik hat es noch nie gegeben. Die Erde kühlt sich ab; na schön, da übersiedeln wir eben auf einen andern Planeten. Ich bin froh, daß ich Flieger war; dadurch gehöre ich mit zu dem allen.«

»Ich bin auch froh, Falke, schrecklich froh.«

Die Dämmerung senkte sich herab, und es wurde kühler. Sie fröstelte und rückte näher an ihn heran. Er zog sie ganz an seine Schulter, legte die Arme um sie und sagte: »Siehst du, meine Arme sind ein kleines Haus für dich, genau so, wie meine Hand damals ein kleines Haus für deine Hand war. Meine Arme sind die Mauern, und dein und mein Kopf sind zusammen das Dach.«

»Ich liebe dieses kleine Haus.«

»Nein. Sag: ›ich liebe dich.‹«

»Nein.«

»Sags.«

»Nein.«

»Bitte – –«

»Ach, lieber Falke, ich könnte es nicht einmal, wenn – doch, gerade jetzt, in dem Augenblick möchte ich es sagen – aber ich will anständig zu dir sein. Es macht mich sehr glücklich, in dem Haus deiner Arme zu sein. Da habe ich keine Angst, nicht einmal hier in der Finsternis auf den Dünen, womit Tante Emma gewiß nicht einverstanden wäre. Aber ich will anständig gegen dich sein, und wenn ich mich so von dir lieben lasse, bin ich es nicht, fürchte ich. Ich will dir nicht wehtun, niemals. Vielleicht ist es egoistisch von mir, aber ich fürchte, es würde dir wehtun, wenn ich mich ganz einfach von dir küssen ließe und später dann dahinter käme, daß ich dich gar nicht liebe.«

»Aber kannst du denn nicht eines Tages – –«

»Ach, ich weiß nicht, ich weiß nicht! Ich weiß ja nicht einmal, ob mir klar ist, was Liebe ist. Ich weiß nicht, ob es die Liebe ist, die mich glücklich macht (und das bin ich wirklich), wenn du mich küßt. Vielleicht bin ich bloß neugierig und will etwas ausprobieren. Siehst du, und wenn du alles das zu ernst nimmst, dann verhalte ich mich nicht anständig gegen dich.«

»Ich bin sehr froh, daß du so offen bist, und ich kann vielleicht auch ganz gut verstehn, wie du über solche Dinge denkst. Aber, liebes, liebes Kind, ich für meine Person weiß nichts als das eine: ich liebe dich.«

 

Während sie auf ihren Zug warteten, sagte Ruth plötzlich: »Ich muß dich vor etwas warnen. Du hast keine Ahnung davon, mit was für einer Wonne ich Tennis spiele oder in einem eleganten Lokal Tee trinke oder eine ganze Nacht durchtanze. Siehst du, wir haben so oft von einer einsamen Hütte in den Bergen geträumt, aber da könnte es eben plötzlich passieren, daß mir die scheußlichen steinigen Berge zuwider werden und ich mich nach dem Tee und dem Klatsch in einer Ecke im Ritz sehne. Und davor muß ich dich warnen.«

»Dann würden wir eben rasch nach San Francisco fahren, wir würden im St. Francis oder im Fairmont oder Palace Tee trinken und dann nach Hawaii fahren und die Glühwürmchen im Busch bewundern.«

»Vielleicht, aber nimm einmal an, wir sind verheiratet, und mit dem Touricar geht es nicht so besonders gut, und wir sind arm und können nicht davon laufen und müssen in einer greulichen kleinen Stadtwohnung bleiben und sparen. Es hört sich ja recht schön an, wenn man davon spricht, wie man zusammen arbeiten will, aber wie das wäre, wenn man keine anständigen Kleider haben kann und aus Verzweiflung jeden Abend ins Kino geht – uff! Weißt du, wenn ich ab und zu so ein Mädchen sehe, das früher hübsch und munter war und dann einen armen Mann geheiratet hat – und jetzt ist sie so müde und abgearbeitet und hat Dienstbotensorgen – nein, ich bin schon lieber eine müßige Reiche.«

»Wenn wir im Geschäft solches Pech hätten, würd ich eben meinen Anteil verkaufen, und dann würden wir in unsere Berghütte hinaufgehn und Bienen züchten.«

»Und wahrscheinlich gestochen werden. Und ich würde kochen und waschen müssen. So zum Spaß wäre es ja ganz nett, aber wenn man es tun muß – –«

»Ruth, Liebling, müssen wir uns jetzt den Kopf darüber zerbrechen? Ich glaube wirklich nicht, daß die Gefahr sehr groß ist. Verderben wir uns doch nicht diesen wunderschönen Tag.«

»Es war herrlich. Ich will auch gar nicht mehr unken.«

»Da kommt der Zug.«


 << zurück weiter >>