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Zweiundzwanzigstes Kapitel

20. August(1911). – Das große Chicago Meeting ist vorbei. Es war wirklich alles mögliche los. Noch nie ein so gutes Meeting gesehen. Bin heute Sieger im Dauerflug geworden. Im Höhenrekord Zweiter, aber Schluß mit Höhenflügen, ich tauge nicht dazu. Bin kein Lincoln Beachey. Ich verstehe nicht, wie er atmen kann. Seine 2897 m waren schon allerhand.

Morgen geht mein größtes Unternehmen los; längster Distanzflug, der bis jetzt in Amerika versucht worden ist. Noch besser als der Europa-Rundflug und England-Rundflug, den Beaumont gewonnen hat.

Folgende Route: Chicago, St. Louis, Indianapolis, Columbus, Washington, Baltimore, Philadelphia, Atlantic City, New York. Der New York Chronicle stiftet zusammen mit Zeitungen von Städten, die an der Strecke liegen, einen Preis von $ 40.000. Ganz hübscher Zuwachs für das Bankkonto, wenn ich siege, obwohl die Kosten groß sind. Habe jetzt $ 30.000 im Trockenen, $ 3000 Mutter geschickt.

Die Konkurrenz geht gegen meinen guten alten Lehrer M. Carmeau und gegen Tony Bean, Walter MacMonnies, M. Beaufort, den Franzosen, Tad Warren, Billy Witzer, Chick Bannard, Aaron Solomons und andere gute Leute. Ein gewisser Forbes, Spezialberichterstatter für den N. Y. Chronicle, ist mir zugeteilt, geht mir nicht von der Pelle, was recht peinlich ist, aber mit der Zeit gewöhne ich mich schon an die Reporter.

Martin Dockerill hat sich etwas in den Kopf gesetzt! Heute sagte er mir: »Hören Sie mal, Falke, wenn Sie bei der großen Sache gewinnen, müssen Sie mir als meinen Anteil fünf Dingerchen geben, und dann kaufe ich mir zwei Rasiermesserabziehriemen.« »Wozu?« fragte ich. »Ach, es gibt ganz bestimmt keinen zweiten Menschen in der Welt, der zwei Abziehriemen hat.«

Beim Bankett selbstverständlich eine Unmenge Reden und gutes Futter.

Am meisten Spaß macht mir meine neue Fliegerausrüstung – Ausrüstung, kein Anzug! Ich werde noch ein richtiger kleiner Theaterflieger. Bis jetzt habe ich gewöhnliche Kleider getragen, dazu eine Mütze, irgend eine gute alte Mütze, immer mit einem Riemen am Kopf festgebunden. Aber für den Wettflug habe ich Reithosen und Gamaschen und ein Seidenhemd und eine Norfolkjacke, eine neue Lederjacke und einen französischen Fliegerhelm aus Leder, mit Filz gefüttert. Der richtige Theaterflieger. Tatsächlich. Die Photographen werden sich darauf stürzen. Die Norfolkjacke, die Tad Warren hat, bringt ihm bestimmt $ 10.000 im Jahr ein!

Martin machte ich vor, daß es mir ganz ernst ist mit dem Anzug, mit der Ausrüstung, meine ich. Gestern abend putzte ich mich auf und stolzierte in den Hangar und fragte Martin aufgeregt, ob ich ihm so gefalle, und da bekam er fast einen Anfall. »Du lieber Himmel«, stöhnte er, »Sie sehen aus wie ein Flieger auf dem Umschlag von einer Weiberzeitschrift, in der garantiert nicht geflucht und nicht Tabak gekaut wird. Was ist denn aus dem Mädel geworden, das Sie geküßt haben, wie ich Sie das letzte Mal auf dem Einband gesehen habe?«

25. August. – Nicht viel Zeit zum Tagebuchschreiben bei einem solchen Wettfliegen; wenn man nicht ununterbrochen auf dem Posten ist, verliert man.

Böser Wind heute. Manchmal stört mich der Wind beim Fliegen gar nicht, und manchmal, wie heute, ist es, als ob das Einzige, was es in der ganzen verdammten Welt gibt, der verdammte Wind wäre, der einem in die Ohren brüllt und das Wasser in die Augen treibt und durch den Kragen hineinkriecht, daß einem der Rücken friert, und in die Ärmel hineinbläst, wenn man keine Windschutzärmel hat, und einen an den Ohren sticht und brennt. Nichts als Brüllen und Brüllen und Brüllen, der Wind ist noch schlimmer als der lärmendste alte gußeiserne Konservenbüchsen-Vrenskoy-Motor. Man möchte den Kopf einziehen und zusehen, daß man herauskommt, und es macht einen so elend müde – die Fliegerei hat gar nichts mit »glänzendem Wagemut« und »kühnen Taten« und ähnlichem blödsinnigen Zirkusquatsch zu tun. Gar keine Rede. Zum größten Teil ist sie nichts anderes, als daß man nicht nachgibt und gegen den Wind angeht, ungefähr wie ein Taxenchauffeur, der bei einem Sturm einen Zug erreichen will. Bin müde und wütend heute abend.

5. September. – New York! Ich bin Sieger! Viel Malheur (Hurra, ich glaube, ich habe es richtig geschrieben), bin aber mit ein paar Schrammen davongekommen. Beaufort um acht Stunden und Aaron Solomons fast um einen ganzen Tag geschlagen. Carmeaus Apparat in Columbus vollständig zertöppert, er selbst unverletzt, aber der arme Tad Warren über Illinois tödlich verunglückt.

8. September. – Hatte bis jetzt keine Zeit, über meinen Empfang hier in New York zu schreiben.

Hatte Sorgen wegen der armen Frau von Tad Warren, wir haben uns zusammengesetzt und für sie gesammelt. Gibt nichts Rührenderes als diese armen kleinen Weiber, die Cocktails herunterschütten, um lebendig zu bleiben, und dann mit den Nerven kaputt sind.

Ich habe mich nicht sehr anständig gegen Tad benommen, glaube ich. Wenn man so ganz allein in einem Hotelzimmer sitzt, nach dem ganzen Getue und Gehabe von den letzten paar Tagen, kommt man sich doppelt allein vor. Dann denkt man an alle Schweinereien, die man gemacht hat. Armer alter Tad. Zu spät jetzt, sich um ihn zu kümmern. Zu spät. Verstehe eigentlich nicht, warum nach dem Unglücksfall nicht das ganze Wettfliegen abgebrochen worden ist.

Ich wollte, Istra würde mich nicht ununterbrochen besuchen. Muß ich denn grob zu ihr werden? Ich möchte ja gern anständig zu ihr sein, aber ich kann dieses Cocktailleben nicht leiden. Herrgott, diesmal hat sie aber angegeben.

Der arme Tad war –

Ach verflucht, ich muß zum Empfang zurück. War eigentlich großartig. Parade vom Aero-Klub und Staffel A, ich in einem offenen Wagen, dabei bin ich mir vorgekommen wie ein dummer Junge, während Milliarden und Milliarden Menschen Hurra gebrüllt haben. Dann Empfang durch den Bürgermeister, ich übergebe den Brief vom Bürgermeister von Chicago, den ich in Chicago heimlich an mich selber, N. Y. postlagernd, aufgegeben hatte, damit ich ihn nicht unterwegs verliere. Dann das größte Dinner, das ich in meinem Leben gesehen habe, es müssen tausend Menschen dagewesen sein, im Astor, ich piekfein in einem neuen Frack (da habe ich aber alle schön hereingelegt, er war fertig gekauft und hat mich bloß $ 37.50 gekostet, sitzt wie angegossen).

Der Oberbürgermeister, die fünf Bezirksbürgermeister von N. Y., der Distrikts-Anwalt, der Vizepräsident der U. S., der Vizegouverneur von N. Y., fünf oder sechs Senatoren, der Chefkommandierende der Artillerie, Polarforscher und noch Hunderte von solchen Bonzen, vor allem aber Forrest Haviland, den ich ganz in meiner Nähe placieren konnte. Reden zum größten Teil über mich; ich habe mein schönes neues Zigarettenetui fast ganz abgerieben, um nicht wie ein Idiot auszusehen, während die Leute über mich und die Zukunft der Fliegerei und lauter so interessante Sachen redeten.

Am nächsten Nachmittag bin ich mit Forrest den Reportern durchgebrannt, und wir konnten in aller Ruhe und Frieden im Chinesenviertel essen.

Wir haben einen großartigen Plan. Wenn wir ihn ausführen können und er Urlaub kriegt, werden wir in einem zweisitzigen Curtiss-Flugboot den Oberlauf des Amazonas erforschen, vielleicht schon im nächsten Jahr.

Jetzt ist der ganze Empfangstrara und die große Aufregung mitsamt Gebrüll vorüber, ich fahre nach Newport, wo ich ein kleines Privatmeeting mache, das der Stahlkönig Thomas J. Watersell finanziert, und morgen abend wird N. Y. mich schon vergessen haben. Das ist mir gleich nach dem großen Dinner klar geworden. Ich wollte mit der Untergrund zum Times Square und wollte gerade rasch in den Wagen, als die Türen sich schlossen, und da schnauzte der Stationsbeamte mich an: »Was machen Sie denn da, Mensch, wollen Sie sich umbringen?« Er hat sich nicht viel Zeit gegönnt, um über den berühmten Falke Ericson nachzudenken, und ich habe angefangen mir zu überlegen, wie gemütlich N. Y. weiter machen wird, wenn es nicht mehr in den Morgenzeitungen liest, ob ich mit dem Gouverneur diniert oder mit Martin Dockerill in der Imbißstube am Güterbahnhof gefuttert habe.

Man vergißt uns rasch. Und es gibt auch schon eine neue Generation von Fliegern. Manche von den alten Riesen sind nicht mehr da. Der alte Moisant und Hoxsey und Johnstone und die andern sind umgekommen, und jetzt machen sich eine Menge junger Leute heraus, die gerade gut genug fliegen können, um berühmt werden zu wollen. Uns Alten, abgesehen von Beachey, sind sie in der Luftakrobatik über, und sowas will das liebe Volk ja sehen. (Ich muß sagen, für einen Sozialisten verachte ich den Geschmack des Volkes ganz gehörig!) Ich denke nicht daran, blödsinnige Kunststücke in der Luft zu machen, da können mir die Manager noch so viel schreiben. Ich möchte eben doch lieber am Leben bleiben und mit dem alten Forrest den Amazonas erforschen als nach »glänzenden, tollkühnen und furchtlosen Leistungen« tot sein. Los, Kinderchen, viel Glück, aber überprüft sorgfältig eure Drahtstreben und versucht nicht, Lincoln Beachey zu übertreffen, der ist ein Genie.

Gott sei Dank, ich habe für ein paar Tage eine Sekretärin, die mir bei der ganzen Post hilft. Hunderte von Bettelbriefen und Liebesbriefen von Mädels, seitdem ich den großen Preis gewonnen habe. Ich komme mir ganz komisch dabei vor. Eine nette Sache war bei der Post. Ein Brief vom Türken, von Jack Terry, den ich seit der Plato-Zeit nicht gesehen habe. Er hat nicht fertig studiert, sein alter Herr ist gestorben, und jetzt verwaltet er recht schöne große Fischgründe in Oregon. Bin sehr froh, daß ich wieder einmal von ihm höre. Komisch, ich habe schon ein Jahr nicht an ihn gedacht.

Mir ist heute sehr einsam und melancholisch, trotz allem, was ich tue, um mich aufzumuntern. Die Abspannung nach dem Empfang wahrscheinlich usw. Am liebsten möchte ich Istra anrufen, aber das darf ich wirklich nicht. Ich sollte mich hinhauen, aber schlafen könnte ich ja doch nicht. Armer Tad Warren.

(Die folgenden Worte sind an den unteren Rand einer Seite gesetzt, in einer zarten, schönen Handschrift, die keine Ähnlichkeit mit Mr. Ericsons gewöhnlichem Gekritzel hat.)

Was immer für höhere Wesen es geben mag, in der gegenwärtigen und in der künftigen Welt, nehmt dies Gebet von einem einfachen Mann wohl auf, der wenig von Monismus und Dreifaltigkeit und Logos weiß, und gebet Tad Warren, einem Kind, das niemals groß geworden ist, noch einmal eine Chance.

 

11. September. – Unterwegs nach Kokomo, soll für die Farmergenossenschaft fliegen.

Leichtes Meeting gestern (Newport, Rhode Island). Einfache Vorführungen und Passagierflüge. Nachher blendende Gesellschaft für mich, gegeben von Thomas J. Watersell, dem Stahlmenschen. Früher habe ich von solchen Gesellschaften gelesen. Vogelgesellschaft in einem Garten; Watersell hat ein riesiges Grundstück, darauf ein großes Haus mit herrlicher Terrasse und Schwimmbassin und kleinen Gärten vor den Fremdenzimmern und alle Zimmer mit Privateingängen. Haus im Missionsstil um ein offenes Patio herumgebaut. Alle feinen Hunde von Newport kamen als Vögel verkleidet zur Gesellschaft. Ich mußte mich als Falke kostümieren, Kostüm lag fix und fertig da; möchte bloß wissen, woher sie meine Maße hatten. Mädchen machten Vogeltanz. Sehr viel Beine in Seidenstrümpfen zu sehen, war recht nett. Als der Tanz aus war, standen alle im Halbkreis um mich. Ich war auf dem Rasen neben Mrs. Watersell, die Mädelchen verbeugten sich tief vor mir, flatterten mit ihren Seidenflügeln, dabei leuchteten bunte elektrische Birnen, die in den Flügeln versteckt waren, auf; es sah aus wie ein Regenbogen von bunten Glühwürmern in der Dunkelheit. Dann wurden plötzlich die großen Lampen eingeschaltet und Hunderte von allen möglichen Vögeln losgelassen, die alle um mich herum aufflogen. Ich war so überrascht, daß ich einen Schreck bekam. Hernach zum Essen die besten Sandwichs, die ich in meinem ganzen Leben gekriegt habe.

Hat mir sehr geschmeichelt, das Ganze. Irgendwie bin ich mir dabei nicht so blödsinnig vorgekommen wie bei den Banketten mit langen Reden.

Als die Gesellschaft vorüber war, ziemlich spät, ging ich mit Watersell in sein Privatbad, schwimmen. Merkwürdigste Sache, die mir bis jetzt vorgekommen ist. Er sagt, alle Leute haben römische und pompejanische Bäder, und er will es eben feiner haben, deshalb hat er sich ein ägyptisches Bad gebaut. Sieht aus, wie das Innere von einem antiken Tempel: lange Halle mit großen dicken grünen Säulen und einem riesigen Götzenbild am Ende, das ganze Bassin in grünem Marmor mit Lampen unter dem Wasser und an den Säulen, und das Wasser selbst genau Lufttemperatur, so daß man nicht weiß, wo das Wasser aufhört und die Luft darüber anfängt. Jedenfalls merkt man es wenigstens kaum. Und man hat so ein Gefühl, als ob man in der Luft durch eine grüne Dämmerung schwimmen würde. Tollste Sensation, die ich bis jetzt erlebt habe; und das Götzenbild und die Säulen schüchtern einen ein bißchen ein.

Das Schwimmen hat mir Spaß gemacht, und das Zimmer, das ich hatte, auch; aber ich hatte meine Zahnbürste verloren, und das hat mir die ganze Sache zum Schluß etwas verpatzt.

Mir ist aufgefallen, daß Watersell mir seine Tochter nur so halb vorgestellt hat; als großes Tier bin ich ihnen recht, aber – – Und doch scheinen sie mich ganz gern zu haben. Wenn nicht der alte Martin mit seiner Maiskolbenpfeife bei mir wäre, der mir immer sagt, was er sich denkt, würde ich auf den Reisen zwischen den einzelnen Meetings manchmal vor Einsamkeit krepieren. Es gibt ja oft genug nette Unterhaltungen, aber ich würde mich ganz gern mit den Cowles' hinsetzen und Poker spielen und nicht erklären müssen, wer ich bin.

Komisch – früher, wie ich mich herumgetrieben und um keine Menschenseele gekümmert habe, bin ich mir nie allein vorgekommen.

23. Oktober. – Ich bin bloß neugierig, wie weit ich es noch als Flieger bringen werde. Die Zeitungen preisen mich alle als Helden. Held, ja Dreck! Ich bin ein ganz zuverlässiger Flieger, aber das wären die meisten Chauffeure auch. Diese ganze Heldengeschichte ist doch einfach Unsinn. Es war ja fast reiner Zufall, daß ich überhaupt zur Fliegerei gekommen bin. Daß es Zufall ist, wenn man ein so großer Flieger wird, wie Garros und Vedrines und Beachey, glaube ich nicht, aber ein Garros werde ich wohl nie werden. Genau so wie der Mann, der dreieinhalb Meter springen kann, aber nicht darüber hinaus kommt.

1. Dezember. – Carmeau gestern bei einem Flug in San Antone umgekommen. Motorexplosion, Feuer ausgebrochen, in der Luft bei lebendigem Leib verbrannt. Einen bessern Lehrer hätte ich nicht haben können, er war geduldig und klug. Ich kann nicht über ihn schreiben. Und eine völlig verrückte Frage kann ich nicht aus dem Kopf herauskriegen. Ist sein Bart verbrannt? Ich erinnere mich ganz genau, wie der Bart ausgesehen hat, und denke ununterbrochen daran, während ich mich daran erinnern sollte, wie gescheit und verflucht anständig er war. Carmeau wird mir nie wieder neue Kunststücke zeigen.

Und Ely im Oktober umgekommen. Cromwell Dixon, der tapfere Junge, futsch, Professor Montgomery, Nieuport, Todd Shriver, den Martin Dockerill und Hank Odell so gern gehabt haben, und viele andere, alle tot wie Moisant. Ich glaube ja, ich riskiere nichts Überflüssiges, aber das bringt einen doch zum Nachdenken. Und Hank Odell hat eine kaputte Schulter. Hauptmann Paul Beck hat mir einmal gesagt, er meint, diese Unfälle sind meistens auf Leichtsinn zurückzuführen. Und er ist bestimmt ein guter Beobachter. Aber wenn ich an einen so guten Konstrukteur wie Nieuport denke – –

Ein fabelhaftes Geld verdiene ich. Gott sei Dank wird es noch ein gutes Jahr geben, 1912, aber was 1913 sein wird, weiß ich nicht, sieht so aus, als ob es dann mit dem Schaufliegen aus sein würde – jetzt haben schon fast alle, die darauf neugierig waren, einen Aeroplan fliegen sehen, und mehr wollen sie ja nicht haben. Also adieu Fliegerei, außer für Militärzwecke und außer Flugzeugen für Sportsleute, mindestens Adieu für eine ganze Reihe von Jahren.

Ich hoffe nur, Forrest und ich werden wirklich unsern Südamerikaflug machen können. Von mir aus soll es mich den letzten Cent kosten, den ich habe. Das wird wenigstens etwas sein. Ein neues Land sehn und nicht mit Managern um Geld zanken müssen.

22. Dezember. – Hurra, Weihnachten auf hoher See! Recht schön, wieder einmal das Meer zu riechen und die schmalen Gänge zwischen den weißen Luxuskabinentüren entlang zu schlingern. Soll einen Monat mit Tony Bean in Brasilien und Argentinien fliegen. Wir werden Material für die Erforschung des Amazonas-Oberlaufs sammeln. Martin Dockerill stolziert wie ein richtiger Kleiderfatzke in neuen weißen Flanellhosen auf dem Deck herum und macht hübschen Mexikanermädels Augen. Es ist schon schön, wieder auf Reisen zu sein.

 

22. Februar 1912. – Washingtons Geburtstag. Der hätte mit der Vorbehaltsklausel Schluß gemacht, wenn er überhaupt in die Lage gekommen wäre, ein Aero-Meeting zu propagieren.

Start zum Flug New Orleans – St. Louis. Läßt sich wirklich großartig an, überall großer Jubel, eine Unmenge von Preisen, allerdings riskant. Nur schäbige 2.500 Dollars sind garantiert, dafür Versprechungen auf Einkünfte in den Städten an der Route, wo Aufenthalte für kurze Schauflüge vorgesehen sind. Jeder Teilnehmer hat bestimmte Städte anzufliegen und erhält Beteiligung an Eintrittspreisen.

23. Februar. – Ein miserables Fliegen war das heute. Wenig Leute zum Abschied draußen. Kaum oben, haben auch schon Anstände mit den Kerzen begonnen. Wollte landen, aber nichts wie Bayous, Reisfelder, Zuckerrohrpflanzungen und Sümpfe. Farmer schoß nach meiner Maschine. Motor setzte bald aus, mußte Hals über Kopf auf kleinem Acker landen. Landungschassis zertöppert, Fresse zerschunden. Aber nichts Ernsthaftes. Dauerte zwei Stunden, bis ich mit einem Grobschmied aus dem nächsten Ort Chassis reparieren und Kerzen reinigen konnte. Weitergeflogen, nachdem ich drei Angsthasen von Negern dazu gebracht hatte, den Schwanz zu halten, während der Schmied Propeller anwarf. Drehte ein paarmal herum, duckte sich dann zu früh, während ich dasaß und versuchte, nicht wütend auszusehen, obwohl meine Wut nicht von Pappe war. Hier in diesem Nest als Vierter gelandet und zweifelhaftes Unterkommen im Hotel gefunden. Wollte, ich wäre wieder in New Orleans. Wird schon wieder besser werden. Daß andere vor mir liegen, macht die Sache höchstens interessanter. Bloß morgen abwarten. Und ich bin nicht der einzige, der Pech hat. Aaron Solomons hatte Propellerbruch und ging beinahe zum Teufel.

Später. – Kabel. Tony Bean ist tot. Beim Fliegen umgekommen. Du guter Gott, Tony, unmöglich, sich ihn tot vorzustellen. Ist erst ein paar Tage her, daß wir zusammen flogen und Señoritas besuchten, und er, immer höflich und freundlich, spielte Geige und lachte, ganz so, wie er uns in der Bagby-Schule in gute Laune geigte, wenn wir den Kopf hängen ließen. Ist so, als ob es erst ein paar Minuten her wäre, daß wir in seinem großen Wagen durch die Avenida de Mayo fuhren und ihm alles zujubelte; er war der Held von Buenos Ayres, hat mich aber trotzdem behandelt, als ob ich die Hauptperson wäre. Kabel von gestern datiert, aus New Orleans nachgeschickt: »Beanno tödlich verunglückt, aus sechzig Meter Höhe abgestürzt.«

Und morgen werde ich wieder auf dem Posten sein und mit den kleinen Managern Witze machen müssen. Am liebsten würde ich irgendwohin abhauen und in aller Stille nachdenken. Ich wollte, ich könnte weg, könnte mit Forrest nach Südamerika.

24. Februar. – Pechsträhne hält an. Bin wieder im selben Nest! Gestern aufgestiegen. Fehlzündungen. Mußte Hals über Kopf in einem Bayou landen und Maschine mit Hilfe von erschrockenen Kindern herausziehen. Hierher zurückgekommen. Benzinleitung war versaut, kleines Stück Zinn hat darin gesteckt.

Martin ist Tonys Tod genau so in die Knochen gefahren wie mir, obwohl er über nichts viel Worte macht. »Herrgott, Tony war doch so ein netter kleiner Kerl.« Mehr hat er nicht gesagt, hat aber ganz elend ausgesehen.

25. Februar. – Noch ein Mann ist ausgeschieden. Bin aber trotzdem immer noch Dritter im Rennen. Heute hat mich das Rennfieber erwischt, dachte an nichts als an Gewinnen, fing gut an, wurde dann leichtsinnig, Maschine schaukelte wie ein Stück Holz in der Brandung. Habe ein komisches kreolisches Hühnergericht vor mir, soll wohl so was wie ein Lunch sein. Schreibe im Speisesaal des Hotels.

Später. – Aaron Solomons überholt, bin jetzt Zweiter im Rennen, eben drei Stunden hinter Walter MacMonnies hier gelandet. Drei Briefe hierher nachgeschickt bekommen, einer von Forrest, er fliegt täglich im Armeelager, dann einer von Gertie Cowles, sie ist mit ihrer Mutter in Minneapolis, zur Opernwoche, und zu meiner Überraschung eine kurze Nachricht von Jack Ryan, dem Brummbären, er hat die Fliegerei aufgegeben und ist wieder in der Automobilbranche.

Mehr als Geld für die Auslagen wird bei der Geschichte nicht herauszuholen sein.

Morgen werde ich den Leuten einmal zeigen, was richtiges Fliegen ist.

Später. – Telegramm von einer St. Louiser Zeitung. Feine Sache. Bericht sagt, daß Wettflugveranstalter ihr Versprechen, Frist zu verlängern, nicht gehalten haben. Sehr zweifelhaft, ob Walter MacMonnies oder ich es in der vorgeschriebenen Zeit schaffen können.

26. Februar. – Pech will nicht aufhören, konnte aber trotzdem raschen Flug machen. Wieder zwei Notlandungen, eine davon mitten auf Eisenbahnstrecke, um ein Haar in Telegraphendrähten hängen geblieben, konnte Maschine gerade noch von der Strecke fortschaffen, als Zug zu hören war, schauerliche Sache. Nerven nicht in bestem Zustand. Einmal, als ich sechzig Meter hoch war, Höhe, aus der Tony Bean abgestürzt ist, sah ich sein Gesicht direkt vor mir in der Luft und fuhr so zusammen, daß Steuerungsdrähte beschädigt wurden.

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15. März. – Eben aus dem Lazarett gekommen, nach dreiwöchigem Liegen, gebrochenes Bein noch in Schienen. Bin froh, daß Walter Macm. innerhalb der Frist angekommen ist und Preis bekommen hat. Zu schwach und kribblig, um viel zu schreiben. Schulter tut noch weh.

18. März. – Wie es zum Sturz kam (Sturz vor drei Wochen, bei dem ich mir das Bein gebrochen habe). Flog über unregelmäßiges Gelände, als plötzlich böser Windstoß durch Hügeleinschnitt kam. Tragfläche knickte. War 120 Meter hoch. Apparat kippte nach vorn, dann seitwärts. Herrgott, dachte ich, ich bin erledigt, will aber so lange wie möglich leben, und wenn es nur ein paar Sekunden sind, und arbeitete mit Höhensteuer weiter, um ein bißchen auszubalancieren. Boden kam schnell hoch. Muß wohl gesprungen sein. Landung im Sumpf, das hat mir das Leben gerettet. Kam im Haus des Doktors zu mir. Bein gebrochen, Schulter übel zugerichtet und so weiter. Maschine in Trümmern, aber Martin Dockerill hat sie ganz nett wieder repariert. Mit ihm und dem Doc spielte ich jeden Abend Poker. Martin gewinnt immer mit seinem verfluchten Begräbnisgesicht, das er immer aufsetzt, auch wenn er Full mit zwei Assen hat.

24. März. – Bein wieder so ziemlich in Ordnung. Steuerpedal so hergerichtet, daß ich mit einem Fuß arbeiten kann. Heute eine Meile geflogen, nicht schlecht gegangen. Hoffentlich kann ich nächste Woche beim Meeting in Springfield, Illinois, mitmachen. Aber Brasilienflug mit Forrest Haviland wird auf jeden Fall tadellos gehen. Der alte Junge hat mir jeden Tag geschrieben, während ich auf der Nase lag. Zeitungen haben viel davon hergemacht, daß ich sobald wieder fliege, neue Verpflichtungen, und jetzt sieht alles wieder ganz schön aus. Lese recht viel und bin so vergnügt wie nur möglich.

25. März. – Forrest Haviland ist tot. Heute ums Leben gekommen.

27. März. – Eindecker telegraphisch verkauft. Martin Stelle bei der Sunset Aviation Company verschafft.

28. März. – Nach Europa abgereist.

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8. Mai, Paris. Heute wollten Forrest und ich in New York zusammenkommen, um endgültig die Pläne für Brasilienflug zu besprechen.

10. Mai. – Versuche noch immer, Brief von Forrests Vater zu beantworten. Scheint nicht richtig zu gehn. Wenn ich Forrest wenigstens noch einmal gesehen hätte. Aber vielleicht haben sie recht gehabt, daß sie mit dem Begräbnis nicht gewartet haben, bis ich hinkommen konnte. Leutnant Faber sagt, Forrest war schrecklich zugerichtet. Aus 520 Meter Höhe abgestürzt. Wenn ich nur nicht immer wieder Pläne für den Brasilienflug machen würde, bis mir wieder einfällt, daß es ja gar nicht mehr dazu kommen kann. Ich werde wohl übrigens kaum vor dem Herbst wieder fliegen, obwohl ich mich jetzt nach der Erholung in England wieder kräftiger fühle. Titherington hat einen schönen Besitz in Devonshire. England scheint bei Doppeldeckern bleiben zu wollen, ist für Eindecker nicht zu gewinnen. Ich glaube, ich werde wirklich nicht vor dem Herbst fliegen. Heute sollte ich mit Forrest Haviland in New York sein. Den Urlaub für den Brasilienflug hätte er schon bekommen. Wir hätten Martin mitgenommen. Tony wollte uns in Rio aufsuchen. Frankreich gefällt mir, aber ich kann mich nicht an die Sprache gewöhnen, fange immer wieder an, Spanisch zu reden. Vielleicht werde ich noch hier in Frankreich fliegen, aber in der nächsten Zeit sicher nicht, obwohl die Massage mich wieder tadellos in Ordnung gebracht hat. Vielleicht mache ich eine Fahrrad-Tour durch Frankreich. Ich lerne Französisch. N. B.: An Oberst Haviland schreiben, sobald ich kann.

Muß, sobald ich kann.


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