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Einundzwanzigstes Kapitel

9. Mai (1911). – Auf dem Mineola Flugplatz N. Y. angekommen, um neuen Bagby-Eindecker, den ich gekauft habe, auszuprobieren. Vorläufig noch nicht sehr für Bequemlichkeit gesorgt hier. Viele von uns sind in Zelten untergebracht. Zu wenig Hangars. In der Nacht sitzen wir im langen Gras herum und erzählen uns Lügengeschichten wie kleine Jungs bei einem Ausflug. Heute war ich bei Peter McLoughlin ein Bier trinken; von da ist Glenn Curtiss zu seinem ersten Flug um den Sci. Am.-Pokal gestartet.

Meine neue Bagby-Maschine ist mir in vielem lieber als der alte Blériot, sie hat ziemlich waagrechten Schwanz; sollte bei allen modernen Maschinen so sein. Seiten- und Höhensteuer ganz ähnlich wie bei Nieuport. Ein Passagier. Geräumiger Cockpit und geschlossener Rumpf. Blériot-Steuerung. Bis jetzt beste Stromlinienannäherung bei amerikanischen Flugzeugen. Spannweite 10,24 m, Länge 7,3, lichter Flügelquerschnitt am Rumpf 16,3 cm. Chauviere-Propeller 16,5 cm; Ganghöhe 10,2 cm. Blendender neuer Gnome-Motor 70 PS, müßte 120 bis 130 Stundenkilometer hergeben.

Mein Mechaniker Martin Dockerill ist ganz gerissen. Heute beim Aufstellen der Werkbank sagte er zu mir: »Wenn jetzt nicht alle zu uns gelaufen kommen, fresse ich einen Besen. Nicht, weil Sie ein besserer Flieger sind als die anderen Jungens; aber Sie haben die neueste Maschine, auf die die Affen ihren Namen schreiben können.«

Es sind wirklich eine Unmenge Leute da. Sie kommen in Autos oder Motorrädern oder zu Fuß und stehen herum und sehen bei allem zu, was man macht, bis man ihnen am liebsten einen Schraubenschlüssel an den Kopf werfen möchte.

Hank Odell ist in die Pyramidenloge aufgenommen worden, und jetzt gerade sitzt er draußen vor seinem Zelt und redet mit einem von den Großmächtigen und Hochwürdigen Bonzen – einem fetten alten Kerl mit Jachtmütze und großer Messinguhrkette und einem Amulett von der Pyramidenloge, das so groß ist wie ein Daumen, und mit einem ekelhaften jungen Kerl in einem schwarzen Seidenhemd, dem der Hut ganz schief auf dem Kopf sitzt, und im Mundwinkel hat er eine Zigarette herunterhängen.

Inzwischen sind ein paar Leute hereingekommen, die Frauen in enganliegenden Kleidern, damit man ihre Stromlinienformen sieht, und haben die Nase in alles hereingesteckt, während der Mann, dem das Automobil gehört, alles falsch erklärt. »Das ist ein Zweidecker«, sagt er, »ihr seht, auf beiden Seiten von dem Platz, wo der Flieger sitzt, kommt je ein Flügel heraus; es ist ein neuer Areoplan (so hat er es ausgesprochen) und das Dings da vorn ist ein Drehmotor.« Ich saß da an der Werkbank, heiß und verschwitzt und in Khaki-Hosen, in weichem Hemd und Filzpantoffeln, und da kam der feine Herr auf mich zu und sagte: »Wo ist Falke Ericson, mein guter Mann?« – »Weiß nicht«, sagte ich. »Wann ist er wieder zurück?« fragte er in einem Ton, als wollte er mich auf der Stelle wegen Unverschämtheit an die Luft setzen lassen. »Nächste Woche. Er ist noch gar nicht da.«

Da wird er wütend und sagt: »Hören Sie mal, mein lieber Mann, ich habe heute in der Zeitung gelesen, daß er eben eingetroffen ist. Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen mitteile, daß er ein sehr guter Freund von mir ist. Sie brauchen ihn bloß zu fragen, er wird sich sicher an mich erinnern, Porter Carruthers, ich bin ihm beim Belmont Park Meeting vorgestellt worden. Und jetzt seien Sie so gut und führen Sie die Damen und mich herum – –« Na, ich fragte den Falken, und der Falke schien sich an seinen Freund Carruthers nicht erinnern zu können, der ihm mit tausend anderen Menschen vorgestellt worden war, aber er sagte mir, ich soll sie herumführen, und das tat ich auch; ich erzählte ihnen, der Gnome ist radial gebaut, damit Platz gespart wird, und die Drahtstreben oben sind ein Gerüst, auf das bei schlechtem Wetter ein Dach kommt, und die Leute rissen den Mund auf und nickten zu jedem Blödsinn, den ich sagte, und schluckten alles brav und ordentlich herunter, bis eines von den Weibern ihr Interesse bewies, indem sie sagte: »Wie bezaubernd; gehen wir ins Garden City Hotel hinüber, Porter; wenn ich nicht bald etwas zu trinken bekomme, sterbe ich.« Hoffentlich ist sie gestorben.

10. Mai. – Um drei Uhr oben gewesen, Maschine ausprobiert. Beim Landen Chassis zertöppert, ich ein bißchen durcheinander gerüttelt. Sehr interessant; beim Auffliegen war es auf dem Boden ganz dunkel, aber oben war im Osten ein schwaches Rot wie Rauch aus einer regelrechten Märchenstadt zu sehen.

Heute hat mir wieder ein Schriftsteller zugesetzt; wollte »Material«, wie er es nennt.

Ich muß aber sagen, es gibt auch recht anständige Leute dabei. Heute war ein Mädel da; mit Billie Morrison vom N. Y. Courier herausgekommen, Künstlerin, aber ganz verrückt mit Leben im Freien usw. Heißt Istra Nash, ein rothaariges Mädel, dünn wie ein Streichholz, aber ein ganz seltsames Gesicht, blaß, kriegt aber Farbe, wenn sie mit einem spricht. Hat sich von mir mitnehmen lassen; keine Angst gehabt, wie die meisten.

11. Mai. – Miss Istra Nash ist ganz allein herausgekommen. Sie denkt ernsthaft daran, fliegen zu lernen. Ist dagesessen und hat mir bei der Arbeit zugesehen, und wie niemand in der Nähe war, rauchte sie eine Zigarette. Ist erst unlängst in Europa gewesen, Paris, London usw.

Irgendwie, wenn ich mit einer Frau rede, die mir gefällt, merke ich, wie wenig Frauen ich sehe, bei denen ich mich wirklich wohl fühlen kann, obwohl ich bei Empfängen usw. sehr viele Menschen kennen lerne. Manchmal, wenn ich vor vielen tausend Zuschauern geflogen bin, gehe ich schleunigst in mein Hotel und wäre froh, wenn ich mich mit dem Nachtportier unterhalten könnte. Natürlich kann ich mit Martin Dockerill endlos reden, aber wenn ich einen Menschen wie Miss Nash vor mir habe, wird mir klar, daß ich jemand brauche, der Geschmack hat und weiß, was schön ist. Miss Nash legt zwar keinen Wert darauf, gescheit daherzureden, aber sie kapiert rasch die Fliegerterminologie. Deutsch kann sie reden, als ob sie im Land geboren wäre.

Ich glaube, Miss Nash ist etwas älter als ich, um ein paar Jahre vielleicht, aber das hat ja nichts zu bedeuten.

Heute abend etwas Deutsch gelesen, habe fast alles vergessen, was ich in Plato gelernt habe.

14. Mai. Sonntag. – Heute nachmittag in der Stadt gewesen und mit Istra zum Dinner ins Lafayette gegangen. Sie erzählte mir alles von ihren Pariser Erlebnissen und Kunststudien. Hier in N. Y. ist sie recht unzufrieden. Das kann ich auch verstehen. Drüben in Paris muß es großartig gewesen sein. Wir sind bis zehn beisammen gesessen und haben geredet. Ich würde gern mal Vedrines fliegen sehn, den Louvre sehn und die netten Grisettchen auch! Istra sollte nicht so viel Cocktails trinken; wenn man sich fürs Fliegen in Form halten will, lernt man, daß es nichts ist mit dem Saufen. Tad Warren scheint das allerdings nicht zu lernen. Nach zehn gingen wir in das Atelier, das Istra am Washington Sq. hat. Es waren ein paar Freunde von ihr da. Die gewöhnliche Aufregung und die dummen Fragen, wie es ist, wenn man Flieger ist; ich komme mir dabei immer ganz dumm und blöd vor. Aber die Leute merkten, daß Istra und ich allein sein wollten, und verkrümelten sich.

Es dämmert schon, aber ich schreibe trotzdem 14. Mai, was eigentlich schon gestern ist. Heute wird es mit dem Schlafen nichts mehr werden, fürchte ich. Aber am Nachmittag werde ich im Luftderby N. Y. umfliegen, muß mal sehen, daß ich noch eine tüchtige Portion Schlaf kriege.

15. Mai. – Derby gewonnen, hat aber nicht viel zu bedeuten. Über dem Harlem River auf scheußliche Luftströmungen gestoßen, Apparat geschlingert wie ein kleiner Kahn bei hohem Wogengang.

Istra war heute vormittag hier. Hat mich gefreut. Aber seit gestern abend bekomme ich Angst, daß ich zu abhängig von ihr werde, und ein Flieger, der sich halten will, muß doch ziemlich freundlos bleiben.

16. Mai. – Istra war hier. Scheint sehr unzufrieden zu sein. Ich fürchte, sie gehört zu den Menschen, die immer etwas Neues und ununterbrochen Aufmerksamkeiten brauchen, sie scheint ganz zu vergessen, daß ich einiges zu tun habe.

17. Mai. – Istra in der Stadt gesehen; sie hat ihre ganze Unzufriedenheit und ewige Würde vergessen und vor Freude einen Luftsprung gemacht; dann kam sie zu mir herüber und gab mir einen Kuß. Sie ist wirklich wunderbar. Kann ein französisches Lied so summen, daß man glaubt, man ist bei den Bauern, aber sie verlangt ständige Ergebenheit und will immer unterhalten werden, und wenn eine Mechaniker wie ich es zu etwas bringen will, muß er sich schon verflucht ran halten.

18. Mai. – Istra war hier, sie hat herumgesessen und hat gelangweilt ausgesehen, wollte mich wahrscheinlich wütend machen. Als ich ihr sagte, daß ich morgen früh nach Worcester abreisen muß und nicht zum Dinner in die Stadt kommen kann usw., schob sie ab. Tut mir leid, sehr leid; das arme Kind, sie wird immer unzufrieden sein, wo sie auch ist, und immer die andern und sich selber ganz nervös machen. Sie will immer neue Sensationen, aber arbeiten will sie nicht, und das beides zusammen ist nicht gerade gut. Es wäre großartig, wenn sie bei ihrer Malerei richtig arbeiten würde, aber sie hört immer schon auf, bevor sie richtig angefangen hat.

Komisch, wie sie gegangen war und ich dasaß und über sie nachdachte, fehlte sie mir viel weniger, als Gertie Cowles. Hoffentlich sehe ich Gertie einmal wieder. Sie ist ein guter Kerl.

Istra wollte, daß ich meine neue Maschine Babette nenne; sie sieht pikant aus, sagt sie; weiß der Himmel, daß davon keine Rede ist, sie sieht vielleicht tüchtig aus, aber sicher nicht pikant. Ich glaube, ich werde ihr überhaupt keinen Namen geben, obwohl Istra sagt, das würde beweisen, daß ich keine Phantasie habe.

Alle Menschen, vor allem Reporter, fragen mich immer, ob Flieger Phantasie haben. Ich glaube, ich weiß nicht einmal recht, was Phantasie ist. Das ist genau so, wie das mit dem »Sinn für Humor«. Beide Redensarten sind jetzt schon ziemlich verbraucht. Vor ein paar Jahren, wie ich Chauffeur war, konnte ich mir vorträumen, ich wäre eigentlich ein ganz anderer Mensch, so etwas wie ein König, der durch sein Königreich fährt, aber wenn ich meine Steuer bedienen muß, habe ich keine Zeit zum Träumen. Natürlich beobachte ich recht oft Sonnenuntergänge usw. Aber das ist nicht Phantasie. Und ich reise gern herum; vielleicht komme ich deshalb zu keiner Phantasie – zum Teil besteht die Phantasie wohl darin, daß man wo sein will, wo man nicht ist – na, wenn ich das will, fahre ich eben hin, und das macht mir mehr Spaß.

Aber ich will lieber zum Teufel gehen als meinem Eindecker einen Namen geben. Tad Warren hat sich mit einer Soubrette verheiratet, die rotbraune Löckchen hat (Istras Haar ist ganz hellrot, aber dieses Weibsbild hat dunkelrotes Haar, so eine Farbe wie das Holz von den Kalifornischen Mammutbäumen, nein, noch etwas dunkler vielleicht) und sie hat immer ein dünnes hellblaues Kleid an, mit der Taille fast unten an den Knien; der Rock ist ziemlich kurz, man sieht ein gutes Stück von den Beinen; und dazu einen Hut, wie ich noch nie einen gesehen habe, das muß jetzt wohl modern werden, er hängt vorn so weit herunter, daß das Gesicht versteckt ist wie in einem Korb. Sie ist die typische Frau für einen 10-PS-Flieger. Die beiden amüsieren sich fast jeden Abend mit allen möglichen Leuten, jeder trinkt ungefähr fünf Cocktails, und sie tanzen einen neuen kalifornischen Tanz, der Turkey Trot heißt; die ganze Blase hat Tads neuen Wright »Sammy« genannt, und jetzt kommt es ihnen sehr komisch vor, wenn sie brüllen: »Hallo Sammy, wie gehts denn, trink einen Schluck mit uns.«

Ich werde meinen Apparat wohl einen Eindecker nennen und weiter gar nichts.

14. Juli. – Quebec. Rennen Toronto – Quebec verloren. Hatte gute Aussichten zu siegen, hatte aber dauernd Fehlzündungen. War so gut wie unmöglich, Kerzen zu kriegen, die funktionieren. Schwanzlandung gemacht, Höhensteuer beim Teufel. Freut mich aber, daß Hank Odell Sieger ist, wenn ich schon verloren habe. Hank hat einen neuen oszillierenden Wellenarm für Severn-Motorenventile erfunden. Wie gewöhnlich waren wir alle zu einer großen Esserei eingeladen, habe noch nie so viel Uniformen gesehen, auch eine Menge Mitglieder vom kanadischen Parlament war da. Ich verliere nicht gern ein Rennen, aber, verflucht noch einmal, ich lasse nicht den Kopf hängen. Beim Dinner gab es ein ausgezeichnetes Seezungenfilet. Ich saß neben einem jungen Leutnant, und da mußte ich an Forrest Haviland denken. Forrest fehlt mir sehr. Er ist recht tüchtig als Armeepilot, er fliegt jetzt einen Curtiss-Hydro und probiert einen Schalldämpfer für Aufklärungsflüge aus. Was mir an ihm am besten gefällt, ist die Selbstverständlichkeit, mit der er sich immer benimmt. Hoffentlich lerne ich noch einmal etwas davon. Was ich da aufgeschrieben habe, geht alles durcheinander, aber ich muß mich beeilen, um zum Empfang im Königlichen Mädchen-College zurecht zu kommen. Muß das alles bei Gelegenheit dem alten Forrest zum Lesen schicken – wenn du das mal zu sehen kriegst, Forrest, hallo, mein alter Junge, ich habe immer an dich gedacht, wenn ich eine Militärstation überflog.

Später. – Großer Empfang. Bin mir schrecklich dumm vorgekommen, war so verlegen, daß ich kaum aufzusehen wagte. Nach dem formellen Empfang wurde ich von der Präsidentin, einer netten alten Dame mit weißem Haar und Brillantkämmen darin, auf dem Campus herumgeführt. Ununterbrochen kamen Mädels, es sah aus, als ob es eine Million wäre, aus Türen heraus und machten Momentaufnahmen von mir. Gut, daß ich in der letzten Zeit viel gelesen habe, die Prinzipalin (so heißt das hier, nicht Präsidentin) hat sehr gebildet geredet. Sie fragte mich, was ich von den »schrecklichen Unruhen in den unteren Schichten« halte. Ich sagte ihr, ich bin Sozialist, und sie hat nicht einmal mit der Wimper gezuckt – Flieger dürfen ja verdreht sein. Ob ich wirklich ein guter Sozialist bin? Ich weiß, daß die meisten Regierungen, vielleicht alle, den Kindern gar keine Aufstiegsmöglichkeiten geben. Sie fangen damit an, daß sie sie in Schmutz und Tb.-Bazillen ersticken, aber wie sollen wir dem idiotischen Durchschnittswähler zeigen, daß internationale Solidarität praktisch erreichbar ist? Wie ist das möglich?

Heute abend Brief von Gertie bekommen, hierher nachgeschickt. Sie scheint sich in Joralemon bißchen zu langweilen, arbeitet aber angestrengt im städtischen Verschönerungsausschuß des Frauenklubs, damit ein Warteraum für die Farmersfrauen gebaut wird, und richtet eine anglikanische Sonntagsschule ein. Wäre ganz gut für Istra, wenn sie solche gewöhnlichen Sachen tun würde, da sie ja doch nie ernsthaft malt; aber sie würde schön wütend werden, wenn ich ihr sage, daß sie das ist, was sie »bourgeoise« nennt. Gertie Cowles macht sich. Hoffentlich macht sich der ganz ergebene, aber schläfrige Schreiber dieses auch. Wie ich mich auf mein Bettchen freue!


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