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[Anhänge]

Anhang I.

(Zu Seite 219).

David Veit besuchte Goethe im März 1793 und schilderte diesen Besuch in einem Briefe an Rahel:

»Wir wurden zwei Treppen hinaufgeführt. Unten in der Mauer vor der ersten Treppe stehen in einer Art von Nischen die Figuren des Apollo und Antinous in Lebensgröße mit ihren Attributen. Aus der Treppe kommt man in ein Vorzimmer, worin verschiedene Gemälde, vorzüglich Köpfe hängen; aus diesem Zimmer in ein kleines, niedliches, in welches wir zugleich mit Goethe, den wir aus dem andern Theil der Wohnung kommen und mehrere Zimmer durchgehen sahen, als wir noch in der Antichambre waren, hereintraten. Er hatte uns nicht zwei Minuten warten lassen. Das Erste, was mir an ihm auffiel und Sie zu wissen verlangen, war seine Figur.

»Er ist von weit mehr als gewöhnlicher Größe, und dieser Größe proportionirt dick breitschultrig. Wenn Sie meinen Onkel Salomon Veit kennen, so haben sie die Aehnlichkeit der Figur; aber Goethe ist doch noch größer und stärker. Die Stirn ist außerordentlich schön, schöner als ich sie je gesehen; die Augenbrauen im Gemählde vollkommen getroffen, aber die völlig braunen Augen mehr nach unten zugeschnitten, als dort. In seinen Augen ist viel Geist, aber nicht das verzehrende Feuer, wovon man soviel spricht. Unter den Augen hat er schon Falten und ziemlich beträchtliche Säcke; überhaupt sieht man ihm das Alter von vierundvierzig bis fünfundvierzig recht eigentlich an, und das Gemählde ist in der That zu jugendlich; es müßte denn wahr sein, was man in Weimar allgemein behauptet, daß er während seinem Aufenthalt in Italien merklich gealtert habe. Die Nase ist eine recht eigentliche Habichtnase, nur daß die Krümmung in der Mitte sich recht sanft verliert. (Ich habe ihn, indeß er meinem Onkel verschiedene Fragen vorlegte, von der Seite und in dem Spiegel recht starr angesehen.) Der Mund ist sehr schön, klein, und außerordentlichen Biegungen fähig; nur entstellen ihn, wenn er lächelt, seine gelben, äußerst krummen Zähne. Wenn er schweigt, sieht er recht ernsthaft, aber wahrhaftig nicht mürrisch, und kein Gedanke, keine Spur von Aufgeblasenheit. Auch dem Dümmsten müßte Aufgeblasenheit an einem Menschen mißfallen, der in Sprache und Manier so ganz simpel wie jeder Geschäftsmann ist. Das Gesicht ist voll, mit ziemlich herabhängenden Backen. Im Ganzen ist das Gemälde wohl getroffen, aber es macht doch einen sehr falschen Begriff von ihm. Sie würden ihn gewiß nicht erkennen. Er hat eine männliche, sehr braune Gesichtsfarbe, die Farbe der Haare ist etwas Heller. Er trägt das Vorderhaar ratzenkahl abgeschoren, an den Seiten ausgekämmt und völlig anliegend, einen langen Zopf, weiß gepudert. Die Binde im Portrait verstehe ich gar nicht. Lips muß ihn haben putzen wollen. Seine Binde ist eine von den unter gesetzten Männern ganz gewöhnlichen, hinten zugeschnallt, vorne glatt und dünn, und wegen dem übergelegten Hemdkragen wenig zu sehen. Die Wäsche fein, mit wenig vorstehendem Jabot. Kleidung: ein blauer Ueberrock mit gesponnenen Knöpfen, doppeltem Kragen (der eine über die Schultern, der stehende nicht recht hoch), eine schmalgestreifte Weste von Manchester oder ähnlichem Zeuge und – vermuthlich Beinkleider; der Ueberrock bedeckte sie; kalblederne ordinaire Stiefel. Alles zusammengenommen kann er ein Minister, ein Kriegsrath, ein Geheimrath, allenfalls ein Amtmann sein, nur kein Gelehrter und gewiß kein Virtuose. In Berlin würde ihn jeder einheimisch glauben. Er hat uns ungemein höflich aufgenommen; als er auf uns zukam, sah er uns recht freundlich an (sein Blick ist gewöhnlich ernsthaft, aber ohne alle Arroganz, wie es scheint; wenn er sich nicht an einen wendet, so sieht er gesenkt zur Erde, mit den Händen auf dem Rücken und spricht so fort), fragte nach dem Endzwecke unserer Reise, erzählte uns, daß es in Frankfurt sehr lebhaft aussähe, daß er Frieden wünsche u. s. w ... Er ließ sich nun noch über unsere Reise selbst, über die Kriegsoperationen mit uns ein, sprach aber von keiner Partei mit Dezision, jedoch immer überaus natürlich, immer, als ob er nur die Sachen, nicht die Worte suchte. Man hört's ihm noch manchmal an, daß er aus dem Reich ist, wie er uns auch selbst sagte. Das Zimmer, in welchem wir standen (sitzen ließ er uns nicht) war mit grünen Tapeten ganz modern geziert; Gemählde und Köpfe rings umher, von der Größe, wie das Studirzimmer der Herz, ein völliges Quadrat: zwei Mahagony-Tische, ein Spiegel, sechs Lehnstühle, weiß, mit grün- und weißgestreiften seidenen Polstern. Eine Viertelstunde (eher mehr als weniger) hielt er uns auf, machte dann eine bedeutend lächelnde Miene, und wir waren nicht dumm ... Er begleitete uns aus der Antichambre, und war noch beim Abschiede sehr höflich. Die ganze Aufnahme war sehr höflich, ziemlich kalt und allgemein, aber viel wärmer als ich sie erwartet hatte ... Mit dem Theater muß es traurig aussehen; der Geschmack des Publikums für Operetten geht so weit, daß Lust- und Trauerspiele wenig besucht und gegeben werden ... Das Theater ist sehr klein; Dittersdorf wird häufig gegeben; Wieland versäumt Operetten niemals, so oft er auch eine noch so schlechte gesehen haben mag; Goethe selten; beim Theater ist Goethe just das, was Engel in Berlin, und soll zu seiner Verbesserung schon viel beigetragen haben ... Goethe hat jetzt keine juristischen Geschäfte mehr; als Amt hat er das Departement der Gnadenerzeigung (keine emzoe, der wirkliche Namen) sich selbst gewählt. Den von ihm angelegten Park, den er noch immer weiter ausführt, und mit dem er, laut des Herzogs Vollmacht, auch in dessen Abwesenheit machen kann, was er will, müssen Sie sehen ... Goethe ist hier unter vielen Volksklassen (ich habe in den sechs Stunden viel Leute gesprochen) als sehr freundlich, gutmüthig bekannt, und hat die allgemeine Achtung und Liebe; die mittlern Stände nennen ihn den Genius des Orts; diese Benennung läßt auf Kraftgeniemäßigkeit schließen; doch habe ich einige dem Scheine nach nicht ungeschickte, und von Pedanterie freie junge Leute gesprochen. Es dürfte freilich schwer halten, in Weimar Pedant zu bleiben. In Weimar möchte ich wohl eine geraume Zeit hindurch – ein Fremder sein.

»Die Vulpius ist sechsundzwanzig bis siebenundzwanzig Jahre alt, nicht hübsch (ich selbst habe sie nicht gesehen), ihm zur Linken angetraut (später von Veit berichtigt), kommt nie in sein Haus. Er besucht sie nicht täglich, indessen soll sie noch viel Einfluß auf ihn haben. Länger als zwei bis drei Stunden ist er nie bei ihr; das Antrauen war die Folge des jungen Goethe, der jetzt im dritten Jahre sein soll. Er unterstützt die ganze Familie, schafft dem Bruder, der Schriftsteller ist, Verleger u. s. w. Zur Cour kommt Goethe freilich, aber wenn der hohe Adel bei dem Herzog speist, kann er nicht zur Tafel gezogen werden ... In den herzoglichen Park hat Goethe unter anderen sehr viele ausländischen Pflanzen hingesetzt, damit ihm das Studium der Botanik nicht allzu kostbar werde. Seine nähere Bekanntschaft erhält man sehr schwer; die Menschen, welche ich gesprochen, wissen alle keinen, mit dem er sehr genau umgeht.«

In einem Briefe Veit's an Rahel vom October 1794 heißt es: »Goethe hat mich erstaunlich freundlich aufgenommen und über sehr viele Dinge mit mir gesprochen. Es ist wahr, daß er älter geworden, aber nicht zu seinem Nachtheil, wie Reichhardt gesagt haben soll: er ist etwas mager und bleich im Gesicht; die Nase sieht länger aus, und die ihm gewöhnliche steife Stellung wird um so auffallender; nichtsdestoweniger ist er außerordentlich freundlicher Gesichter und der heitersten Laune fähig ... Goethe war auch im Theater, und zwar wie immer auf dem Platze des Adels. Mitten im Spiel geht er von diesem Platze weg – was er sehr selten thun soll –, setzt sich, so lange er mich nicht anreden konnte, hinter mir (wie mir meine Nachbarinnen erzählt haben) und so wie der Akt zu Ende ist, kommt er vor, macht ein äußerst verbindliches Compliment und fängt in einem recht verbindlichen Tone an« etc.

Bei der Unterredung mit Veit spricht Goethe über Kunst. »Bisher, sagte er unter anderen, hat man sich in der Theorie häufig auf empirische Regeln, auf Erfahrungssätze eingelassen und immer in den Künsten gesprochen, wie die Sachen erscheinen müssen, nicht wie sie sein müssen und wie man sie machen soll. Ja, hören Sie, das kommt mir vor als wenn einer ins Theater gehet, und das Stück gefällt ihm. Nun denkt er, wie natürlich ein jeder: Du möchtest wohl auch ein schön Stück schreiben und schreibt nach dem Effekt. Ja, lieber Gott! der bringt nichts heraus; man muß wissen, wie viele unangenehme Theile dazu gehören, bis ein Ganzes angenehmen Effekt macht. Kurz, so wie die Leute reden und schreiben, das heißt meistentheils ein Stück als Zuschauer schreiben; hinter die Bühne muß man, und muß die Maschinen und die Leitern kennen« ... »Ein göttliches Kind hat Goethe. Kohlschwarze Augen, sprechende Physiognomie, und wahres Goldhaar, das gar keine Lust zum Dunkelwerden hat.«

Endlich schreibt Veit in demselben Jahre: ... »Goethe glaubt, sein Roman (Wilh. Meister) werde keine Sensation machen; denn er war schon 1780 fertig und ist nur hie und da abgeändert. Eigentlich arbeitet er jetzt meist wissenschaftliche Sache«; er hat ganze Stöße Dichtungen liegen, sogar die Iphigenie ist sehr alt. Noch als Doctor Goethe hat er im Jahre 1775 den Orest selbst gespielt und zwar außerordentlich. Damals war er weit und breit der beste Tänzer, Schauspieler, Reiter, Schwimmer, Fechter und der schönste Mann.« ... »Vor hundert Jahren wurden solche Menschen mit Strahlen um das Haupt gemahlt, und ist er denn nicht ein Heiliger?«


Anhang II.

(Zu Seite 534.)

Auf die Leidenschaft für Fräulein von Levezow und die versöhnend beruhigende Wirkung, welche die seelenvolle Musik der Frau Marie Szymanowska für Goethe hatte, beziehen sich seine, unter der Gesammt-Bezeichnung »Trilogie der Leidenschaft« in ein Ganzes verbundenen Gedichte: »An Werther«, »Elegie« und »Aussöhnung«, denen als viertes noch das gleich darauf folgende »Aeolsharfen-Gespräch« anzuschließen ist.

Das Genaueste über diese sonst wenig bekannten Vorgänge geben Kanzler Müller's »Unterhaltungen mit Goethe«, S. 54-74, Jahr 1823, vom 17. September bis 6. November. Am 17. September berichtet Müller die Ankunft Goethe's aus Jena, »wo er nach den wundersamen Aufregungen, die sein Aufenthalt in Marienbad ihm gebracht, mehrere Tage gleichsam Quarantaine gehalten hatte«. Beim ersten Besuch fühlte Müller durch, daß Goethe »nicht heiter gestimmt war, ungern sich wieder in die hiesige Lebensweise resignire«; sein »sonst so lebendig fortfließendes Gespräch« zeigte »öftere Pausen«. – Am 23. erzählt Müller von Goethe's »Unmuth, sich nach dem heitern Aufenthalt in Marienbad wieder hier eingeengt zu finden«, er spricht von Goethe's »innerer Zerrissenheit«, dem »verlornen Gleichgewicht seiner Seele«, welches »ohne die gewaltigsten Kämpfe nicht herzustellen« sei. – Am 25. theilte Goethe an Müller die »Gedichte auf Madame Szymanowska« mit und fügte hinzu, »sie sei wie die Luft, so umfließend, so überall, so leicht und gleichsam körperlos«. – Am 2. Oktober: vertraulichste Mittheilung seiner Verhältnisse zu Levezows. »Es ist eben ein Hang (sagte Goethe), der mir noch viel zu schaffen machen wird, aber ich werde darüber hinauskommen. Iffland könnte ein charmantes Stück daraus fertigen: ein alter Onkel, der seine Nichte allzuheftig liebt«.

Am 23. Oktober kam die Szymanowska mit ihrer Schwester zum Besuch nach Weimar. Am 24. gab Goethe eine »große Abendgesellschaft ihr zu Ehren«, war »den ganzen Abend sehr heiter und galant, weidete sich an dem allgemeinen Beifall, den Mad. Szymanowska eben so sehr durch ihre Persönlichkeit als durch ihr seelenvolles Spiel fand«. – Am 28. und 30. Concert bei Goethe im Hause.

Am 4. November gab die Szymanowska auf Goethe's Anregung »nach vielen Hindernissen« ein öffentliches Concert. Nachher Souper bei Goethe, »der von der liebenswürdigsten Gemüthlichkeit war«. Als unter andern ein Toast der »Erinnerung« gebracht wurde, protestirte Goethe heftig: es gebe kein Vergangenes, das man zurücksehnen dürfe, nur ein ewig Neues, das sich aus den erweiterten Elementen des Vergangenen gestalte. »Und,« setzte er mit großer Rührung hinzu, – »haben wir dies nicht alle in diesen Tagen an uns selbst erfahren? Fühlen wir uns nicht alle insgesammt durch diese liebenswürdige, edle Erscheinung, die uns jetzt wieder verlassen will, im Innern, erfrischt, verbessert, erweitert? Nein, sie kann uns nicht entschwinden, sie ist in unser innerstes Selbst übergegangen, sie lebt in uns, mit uns fort, und fange sie es auch an, wie sie wolle, mir zu entfliehen, ich halte sie immerdar fest in mir.«

Am 5. November nahm Frau Szymanowska Abschied von Goethe. »Der alte Herr war in der wunderbarsten Stimmung. Er wollte heiter und humoristisch sein, und überall blickte der tiefste Schmerz des Abschieds durch.« Als die Szymanowska mit den herzlichsten Worten ihm Lebewohl sagte (»Ich scheide reich und getröstet von Ihnen; Sie haben mir den Glauben an mich selbst bestätigt; ich fühle mich besser und würdiger, da Sie mich achten«), da »half alle Anstrengung des Humors nicht aus, die hervorbrechenden Thränen zurückzuhalten; sprachlos schloß er sie und ihre Schwester in seine Arme, und sein Blick begleitete sie noch lange, als sie durch die offene Reihe der Gemächer entschwand. ›Dieser holden Frau habe ich viel zu danken, sagte er mir später; ihre Bekanntschaft und ihr wundervolles Talent haben mich zuerst mir selbst wiedergegeben.‹« – Bezeichnend genug: in der Nacht darauf erkrankte Goethe.

Die Briefe Goethe's an Frl. Ulrike von Levezow sind noch nicht veröffentlicht, hoffentlich aber noch vorhanden. Nur wenige haben überhaupt einen Blick hinein gethan. Einer dieser Wenigen, Baron von Bernus, hat mir s. Z., bei Besprechung der Müller'schen Unterhaltungen, Folgendes mitgetheilt:

»Es war in den fünfziger Jahren (ich glaube 1854), als ich in Tziblitz bei Lowositz in Böhmen, der Herrschaft der Gräfin Klebelsberg, früheren Baronin Levezow, dieser mit meiner Mutter einen mehrtägigen Besuch machte. Sie erzählte viel von Goethe. Eines Tages öffnete sie einen Schrank, in welchem sie als Heiligthum mehrere Geschenke Goethe's an ihre Tochter Ulrike von Levezow und die ganze Correspondenz Goethe's an diese und an sie selbst aufbewahrte. Sie zeigte diese Dinge fast nie, hatte sogar ihren nächsten Verwandten kaum je etwas aus den Briefen vorgelesen und sagte mir, sie werde die Publikation derselben niemals dulden. Da meine Mutter von Wien her eine vieljährige Freundin der Gräfin war, ich Frankfurter und Goethe-Schwärmer, so erklärt sich wohl, daß die Gräfin mit uns eine Ausnahme machte und einige der Goethe'schen Briefe vorlas. Sie hinterließen mir den Eindruck einer wahren Gluth von Leidenschaft und sind mit das Interessanteste, was ich von Goethe kenne. Besonders entsinne ich mich eines Briefes, den er an einem Tage schrieb, nachdem den Abend vorher war vorgelesen worden, und in welchem er sich über die Art aussprach, wie solches geschehen müsse. In diesem Briefe lagen ich weiß nicht mehr wieviele Zettel mit P. S.; man sah, er hatte sich nicht trennen können.

»Die Gräfin Klebelsberg ist todt; Ulrike von Levezow lebt unvermählt auf Schloß Tziblitz.«

Soweit diese höchst dankenswerthe Mittheilung. Im Besitz des Hrn. von Bernus ist ein, sehr wahrscheinlich von Goethe's eigener Hand, mit Bleistift geschriebenes Manuscript des Gedichtes »Aussöhnung«, in welchem sich einige (nicht bedeutende) Varianten finden; interessant und neu ist die Unterschrift »Marienbad am 19. August 1823«.

Die Goethe'schen »Annalen« schließen mit dem Jahre 1822 ab. Ein bisher in diesem Zusammenhange nicht beachteter Umstand. Die Vermuthung drängt sich auf, als habe der Alte nicht das Herz gehabt, diese letzte Herzensgeschichte seines Lebens beim Niederschreiben noch einmal durchzuleben. Auch ist Goethe nach 1823 nicht wieder in Böhmen gewesen.

J. F.


Anhang III.

Die folgenden Anhänge sind neuere Zusätze für die zehnte Auflage.

(Zu Seite 129.)

Frau von Stein hat den Bruch mit Goethe dramatisirt, in einem fünfaktigen Trauerspiel »Dido«. Aus dem Besitz von Schiller's Tochter Emilie, Frau von Gleichen-Rußwurm, ist es durch das Freie deutsche Hochstift in Frankfurt zur Veröffentlichung befördert (1867) und von Düntzer mit einer jener end- und trostlosen Einleitungen herausgegeben, durch die seine Feder die Goethe-Litteratur in ziemlich periodischen Ueberschwemmungen unter Wasser setzt. Dieser Versuch der Frau von Stein, ihr Erlebtes dichterisch zu gestalten, wie Goethe selbst mit seinen Erlebnissen pflegte, ist traurig mißlungen und hat nur insofern Werth und Interesse, als der Inhalt des Trauerspiels beweist, wie tief und bitter das gekränkte Frauenherz die Wunde fühlte, die Goethe ihm geschlagen.

In ihrer Tragödie ist Frau v. Stein selbst Elissa, Goethe ist »Ogon, ein Poet«. Diesen Ogon-Goethe läßt sie unter andern folgendes sagen: »Höre, Aratus; ich will dir nur die Wahrheit gestehen. Ich war einmal ganz im Ernst nach der Tugend in die Höhe geklettert, ich glaubte, oder wollte das erlesene Wesen der Götter sein, aber es bekam meiner Natur nicht; ich wurde so mager dabei. Jetzt seht mein Unterkinn, meinen wohlgerundeten Bauch, meine Waden! Sieh, ich will dir freimüthig ein Geheimniß offenbaren! Erhabene Empfindungen kommen von einem zusammengeschrumpften Magen.«

In der einzigen Scene, wo Elissa-Stein und Ogon-Goethe allein zusammen sind, halten sie folgendes Gespräch:

Ogon (der sich im Zimmer überall umsieht). Du bist ein gleichförmiges Wesen. Jahre lang sah ich dies Zimmer nicht, und noch ist alles auf dem alten Fleck. Es ist doch wahr, die Frauen können eine langweilige Existenz ertragen.

Elissa. Sag lieber eine ruhige, für die uns die Götter zum Ersatz dessen, was sie den Männern voraus gaben, einen geschicktem Sinn schenkten.

Ogon. Und das machst Du wohl zur Tugend?

Elissa. Nicht so wie Du, der sich zur Tugend anmaßt, was ihm am gemüthlichsten ist.

Ogon. Du betrügst dich.

Elissa. Einmal betrog ich mich in Dir, jetzt aber sehe ich allzugut, ohngeacht des schönen Kammstrichs Deiner Haare und Deiner wohlgeformten Schuhe, dennoch die Bockshörnerchen, Hüfchen und dergleichen Attribute des Waldbewohners und diesen ist kein Gelübde heilig.

Ogon. Diese falschen Vorstellungen kommen von einem Dir ungesunden Trank her, den ich Dir immer verwies ...

Elissa (lachend). Ich möchte meine Sicherheit nicht in Deine Hände legen, da Deine Moral von Deiner Küche abhängt« u. s. w.

So tief also haftete noch nach Jahren der kleine Umstand, daß Goethe ihr Vorstellungen wegen des Kaffee-Trinkens (s. o. S. 132) gemacht hatte! War das vom Dichter nicht groß noch männlich – gewiß nicht –, so ist dieses langjährige Nachtragen seitens der Frau v. Stein auch gewiß mehr frauenhaft charakteristisch als weiblich groß.

Bei jedem Bruch giebt's eben Splitter, zwischen Göttern so gut wie zwischen gewöhnlichen Sterblichen.

J. F.


Anhang IV.

(Zu Seite 341).

Es ist eine vaterländische, man möchte sagen: eine menschheitliche Satisfaktion, daß jede neue Veröffentlichung urkundlichen Materials über das Goethe-Schiller-Verhältnis, welche Schatten sie auch sonst werfen möge, doch eben dieses Verhältniß unsrer beiden Großen in immer reinerem Lichte erglänzen läßt. Wir wissen aus Goethe's eigenem Geständniß, mit wie trotzigem Eigensinn er sich von der Berührung mit Schiller zurückhielt; wir kennen Schiller's bitterböses Wort an Körner: »dieser Mensch, dieser Goethe, ist mir einmal im Wege« – freilich mit dem Zusatze, welcher es mehr als erklärt: »wie leicht ward sein Genie vom Schicksal getragen und wie muß ich bis auf diese Minute noch kämpfen« (s. o. S. 112), aber wir wissen auch, daß, einmal für einander gefunden und mit einander vereint, sie treu zusammenhielten und durch keine Intrigue, durch keinen Neid auf des andern Erfolge, durch keine Contakt-Reizung zu trennen waren. Ja, grade auf dem Gipfel ihrer Thätigkeit, ihrer Wirkung, ihres Ruhmes waren sie am festesten verbunden. Ein stolzer Anblick! Ein Schauspiel ohne Gleichen!

Es verlohnt sich, die beweisenden Zeugnisse, welche der Text unsrer Lebensbeschreibung bietet, hier zu vervollständigen.

Schiller's Verehrung für Goethe bezeugt Heinrich Voß (der Sohn, eine zeitlang Hauslehrer bei Sch.'s Kindern) in einem Briefe vom 17. Oct. 1807 an Sch.'s Wittwe, mit folgenden Worten:

»Goethe's Gesundheit scheint nun doch wirklich fest zu sein ... Gott erhalte uns diesen Edlen an Geist und Herzen. Noch denke ich mit Freude eines Abends, wo Schiller in unserem Hause mit Begeisterung von Goethe's durchaus edler, aber oft verkannter Natur sprach. Und aus welchem Herzen entsprangen diese Worte! Wahrlich, eine schönere Verherrlichung gibt es nicht! kann es nicht geben! Die Nachwelt wird staunen über die Größe und Tiefe seines [des G-'schen] Geistes. Lieben und mit Innigkeit an ihm hangen wird sie, wenn sie erfährt, daß ihn Schiller von ganzer Seele geliebt hat.«

Wie diese Verehrung bei Sch.'s Wittwe sich erhielt, erhellt aus deren Briefen an ihre Freundin, die Prinzessin Caroline von Weimar (gest. 1816 als Erbgroßherzogin von Mekl.-Schwerin), der sie mit rührender Treue und Anhänglichkeit über den »Meister« berichtet.

Von dem so lange überlebenden Goethe sind die Zeugnisse natürlich zahlreicher. Zu seinen vielen und bekannten Worten treuer Erinnerung an den verewigten Freund fügen wir zwei recht bezeichnende aus G.'s letztem Jahrzehnt.

Rath Grüner in Eger, mit welchem Goethe bei seinen böhmischen Badereisen in – zunächst geognostische – Beziehungen getreten war, erzählt: Im August 1822 brachte er Goethen zur Lectüre Schiller's Geschichte des dreißigjährigen Krieges. »Als ich Abends zu G. kam, bemerkte ich, daß ihm Zähren über die Wangen herabrollten. Ich fragte erstaunt: »Excellenz, was ist Ihnen geschehen?« »Nichts, Freundchen,« erwiderte er; »ich bedaure nur, daß ich mit einem solchen Manne, der so etwas schreiben konnte, einige Zeit im Mißverständniß leben konnte. Schiller wohnte drei Häuser von mir, und wir besuchten uns nicht, weil ich von Italien zurückkommend vorwärts gedrungen war und die durch Sch. veranlaßten Räubergeschichten nicht ertragen konnte. Später vom J. 1797 bis 1805 besuchten wir uns wöchentlich zwei- bis dreimal, schrieben uns auch gegenseitig.«

Goethe selbst, in einem Briefe vom 10. Jan. 1829 an Staatsrath Schultz (berüchtigten Angedenkens), schreibt rückblickend aus die Zeit seines Zusammenwirkens mit Schiller bei den übereilt begonnenen »Horen« folgendes:

»Und doch, wäre damals der Trieb und Drang nicht gewesen, den Augenblick auf's Papier zu bringen, so sähe in der deutschen Litteratur alles anders aus. Schillers Geist mußte sich manifestiren; ich endigte eben die »Lehrjahre«, und mein ganzer Sinn ging wieder nach Italien zurück.« Tasso habe keinen rechten Erfolg gehabt, mit Wilh. Meister sei es ihm »noch schlimmer« gegangen. »Und ich weiß wirklich nicht, was ohne die Schillersche Anregung aus mir geworden wäre. Der Briefwechsel giebt davon merkwürdiges Zeugniß.«

Er habe (mit dem sog. Kunscht-Meyer) nach Italien reisen wollen, sei schon unterwegs gewesen. »Aber die Freundschaft zu Schillern, die Theilnahme an seinem Dichten, Trachten und Unternehmen hielt mich ... Hätt' es ihm nicht an Manuscript zu den Horen und Musenalmanachen gefehlt, ich hätte die »Unterhaltungen der Ausgewanderten« nicht geschrieben, den Cellini nicht übersetzt, ich hätte die sämmtlichen Balladen und Lieder, wie sie die Musenalmanache geben, nicht verfaßt, die Xenien hätten nicht gesummt, und im Allgemeinen wie im Besondern wäre gar manches anders geblieben.«

Man sieht, noch in so späten Jahren verjüngt der Alte sich wieder, wenn er seines Schiller gedenkt.


Anhang V.

Wohlunterrichtete und wohlwollende Weimaraner, die mit der Goethe'schen Familie eng vertraut waren, haben mich versichert, Bettina habe, anspielend auf Christiane's Corpulenz und Gesichtsröthe, sich den Ausdruck erlaubt: »Sie wahnsinnige Blutwurst.« Das würde G.'s Verfahren mehr als rechtfertigen.

J. F.



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