Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechster Abschnitt.
Schiller's letzte Jahre.

Goethe's Lebensweise. Zahlreiche Besuche; ihre Aufnahme. Bürger und Heine. Jean Paul's Schilderung der beiden Dichter. Parteinahme im Publikum für den einen oder andern. Kotzebue sucht vergebens Unfrieden zwischen ihnen zu stiften. Herder's Eifersucht auf Schiller; sein Tod. – Goethe's »natürliche Tochter«. – Frau von Staël kommt nach Weimar. – Goethe's und Schiller's Krankheit. Schiller's Tod. Goethe's Trauer; herrlicher Nachruf an den Freund.

Der Lauf unsrer Erzählung hat sich im vorigen Abschnitt in Jahre und Ereignisse vorgewagt, von denen wir jetzt uns rückwärts begeben müssen. Statt 1817 schreiben wir wieder das Jahr 1800; Schiller ist eben nach Weimar übergesiedelt; die beiden Freunde sind in regster gemeinsamer Thätigkeit. Erwähnen wir kurz, wie Goethe seinen Tag zu verleben pflegte.

Um sieben Uhr, bisweilen auch früher, nach einem meist gesunden und langen Schlafe, stand er auf; denn wie Thorwaldsen hatte er ein Talent zum Schlafen, welches nur durch sein Talent zur Arbeit übertroffen wurde. Bis eilf Uhr arbeitete er ununterbrochen. Dann nahm er eine Tasse Chocolade und arbeitete wieder bis eins. Um zwei Uhr aß er, das war seine Hauptmahlzeit. Sein Appetit war sehr groß; selbst an Tagen, wo er über Mangel an Appetit klagte, aß er viel mehr als die meisten Menschen; Puddings, Kuchen und Süßigkeiten waren ihm immer willkommen. Er liebte es, lange beim Wein zu sitzen, in munterm Geplauder mit diesem oder jenem Freunde, denn er aß nie allein, oder mit einem Schauspieler, der ihm nach Tische seine Rolle vorlesen und seine Anweisungen entgegen nehmen mußte. Den Wein liebte er sehr, täglich trank er seine zwei bis drei Flaschen. Um das nicht übertrieben zu finden, erinnere man sich, daß er als Rheinländer von Jugend auf an Wein gewöhnt war; auch trank er nur den gewöhnlichen leichten Rheinwein und nie mehr, als daß er sich angenehm angeregt fühlte; zur Arbeit und für die Gesellschaft blieb er immer aufgelegt. Während er so stundenlang beim Weine saß, kam Dessert oder dergleichen nie auf seinen Tisch, nicht einmal der übliche Kaffee wurde getrunken. Er lebte höchst einfach; selbst als Leute in sehr bescheidenen Verhältnissen schon Wachskerzen brannten, sah man in seinem Zimmer nur zwei dürftige Talglichte. Des Abends ging er häufig ins Theater und nahm dort regelmäßig um sechs Uhr sein Glas Punsch. Wenn er nicht ins Theater ging, empfing er Freunde bei sich zu Hause. Zwischen acht und neun Uhr wurde ein einfaches Abendessen aufgetragen, doch genoß er selbst nur etwas Salat oder Eingemachtes. Um zehn Uhr war er gewöhnlich schon im Bett.

Besuch erhielt er sehr häufig. Es war die Freude und das Leid seines Ruhms, daß wer nach Weimar kam, ihn zu sehen suchte. Bisweilen waren diese Gäste sehr interessant, öfter jedoch langweilige Quälgeister oder so anspruchsvoll, daß es noch schlimmer war als langweilig. Hatte er angenehmen Besuch, so war er unaussprechlich liebenswürdig; gegen die andern war er ebenso vornehm und steif. Während daher von einer Seite mit einer Begeisterung über ihn gesprochen wird, wie sie nur ein Genie erregen kann, zeigen sich andere höchst enttäuscht, ja verletzt über seinen Empfang. Wer den geistvollen Dichter zu sehen kam, der traf wohl den vornehmen Geheimrath und war davon begreiflicher Weise nicht eben erbaut. Häufig waren solche Gäste Schriftsteller, und da war es denn natürlich, daß sich ihre gekränkte Eigenliebe in Spott und Bosheit Luft machte. Ein Beispiel statt vieler: Bürger, den Goethe bei der Subscription seiner Gedichte unterstützt hatte, kam nach Weimar und führte sich bei ihm mit den abgeschmackten Worten ein: »Sie sind Goethe, ich bin Bürger«, augenscheinlich in der Absicht, sich ja nichts zu vergeben, sondern sich sofort auf den Fuß der Gleichheit zu stellen. Er trog sich gewaltig; Goethe empfing ihn ebenso ausgesucht höflich wie ausgesucht förmlich; statt in eine Unterhaltung über Poesie einzugehen, hielt er ein Gespräch über den Zustand der Göttinger Universität und die Zahl der dortigen Studenten fest. Wüthend ging Bürger weg und rächte sich für diesen Empfang in einem kleinen Spottgedicht, worin er sagte, den Dichter habe er sehen wollen und nicht das »Alltagsding Minister«. Andere machten dieselbe Erfahrung, und das Publikum, immer nach Scandal begierig, immer geneigt, einen großen Mann herabzuziehen, schwatzte solche Klagen in verstärktem Chore nach. Von diesem verletzenden Eindruck lag der Grund zum Theil wirklich in Goethe's Haltung, die vor Steifheit hochmüthig schien. Seine Erscheinung war so imponirend, daß Heinrich Heine, wie er selbst erzählt, bei der ersten Begegnung mit ihm eine sorgfältig vorbereitete Anrede völlig aus dem Gedächtniß verlor, als ihm die Jupiter-Gestalt des Dichters entgegentrat, und nur eine Bemerkung über die vortrefflichen Pflaumen, welche an dem Wege von Jena nach Weimar wüchsen, hervorstammeln konnte. Niedrigen Naturen ist eine imponirende Erscheinung immer verhaßt; wenn Goethe kein Halstuch getragen und sein Haar lose auf die Schultern hätte herabfallen lassen, wie Jean Paul, so wäre seine Persönlichkeit wohl allgemeiner beliebt geworden.

Ich benutze die Erwähnung Jean Paul's, um die Worte anzuführen, in denen er den Eindruck beschreibt, den Goethe auf ihn machte. »Ich kam mit Scheu zu Goethe. Jeder malte ihn ganz kalt für alle Menschen und Sachen auf der Erde. Frau von Kalb sagte: er bewundere nichts mehr, nicht einmal sich; jedes Wort sei Eis, zumal gegen Fremde, die er selten vorlasse; er habe etwas Steifes, reichsstädtisch Stolzes; blos Kunstsachen wärmen noch seine Herznerven an; daher ich Knebel bat, mich vorher durch einen Mineralbrunnen zu petrificiren und zu inkrustiren, damit ich mich ihm etwa im vortheilhaften Lichte einer – Statue zeigen könnte.« Wie klingt uns aus diesen Sätzen das kleinstädtische Geklatsch entgegen! So unwissende Leute gab's in Weimar, denen Goethe's Begeisterung für Kunst und naturwissenschaftliche Studien unerhört schien. »Sein Haus frappirt,« fährt Jean Paul fort, »es ist das einzige Weimar's im italienischen Geschmack mit solchen Treppen – ein Pantheon voll Bilder und Statuen; eine Kühle der Angst preßt die Brust. Wer nicht ganz Kleinstädter ist, erstaunt vielmehr über die Kleinheit der Verhältnisse dieses angeblichen Palastes. Anmerk. des Uebers. Endlich tritt der Gott her, kalt, einsilbig, ohne Accent. Sagt Knebel: Die Franzosen ziehen in Rom ein – Hm! sagt der Gott. – Seine Gestalt ist markig und feurig, sein Auge ein Licht. Aber endlich schürete ihn nicht blos der Champagner, sondern die Gespräche über die Kunst, Publikum u. s. w. sofort an, und – man war bei Goethe. Er sprach nicht so blühend und strömend wie Herder, aber scharfbestimmt und ruhig. Zuletzt las er uns – d. h. spielte er uns (sein Vorlesen ist ein tieferes Donnern, vermischt mit dem leisesten Regengelispel; es giebt nichts ähnliches) ein ungedrucktes herrliches Gedicht vor, wodurch sein Herz durch die Eiskruste die Flamme trieb, so daß er dem enthusiastischen Paul (mein Gesicht war es, aber meine Zunge nicht) die Hand drückte. Beim Abschiede that er es wieder und hieß mich wiederkommen. Er hält seine dichterische Laufbahn für beschlossen. Beim Himmel, wir wollen uns doch lieben!«

Hören wir nun, was Jean Paul über Schiller sagt: »Gestern trat ich vor den felsigten Schiller, an dem, wie an einer Klippe, alle Fremde zurückspringen. Er erwartete mich aber, nach einem Brief von Goethe. Seine Gestalt ist verworren, hart-kräftig, voll Edelsteine, voll scharfer schneidender Kräfte, aber ohne Liebe. Er spricht beinahe so vortrefflich, wie er schreibt.« Er wiederholte seinen Besuch bei Schiller nie wieder, der seinerseits gewiß dem beistimmte, was Goethe ihm schrieb: »Es ist mir doch lieb, daß Sie Richtern gesehen haben. Seine Wahrheitsliebe und sein Wunsch, etwas in sich aufzunehmen, hat mich auch für ihn eingenommen. Doch der gesellige Mensch ist eine Art von theoretischem Menschen, und wenn ich es recht bedenke, so zweifle ich, ob Richter im praktischen Sinne sich jemals uns nähern wird.«

So kalt und abstoßend Goethe gegen anmaßende und wildfremde Leute war, so herzlich und liebenswürdig war er gegen alle, die ihm ein Interesse einflößten. Zu Schiller und Herder stand er wie ein Bruder; liebevoll wie ein Vater und freundlich fördernd erwies er sich gegen Hegel, der damals noch ein unbekannter Privatdocent war, und gegen Heinrich Voß, den Sohn des Dichters der Luise und Uebersetzers des Homer. Voß kam 1804 nach Weimar und war dort zwei Jahre lang im freundschaftlichsten Verkehr mit Goethe und Schiller, die sich des jungen Mannes auf das liebevollste annahmen. Seine Briefe (später als »Mittheilungen über Goethe und Schiller« gedruckt) enthalten ein ebenso dankbares wie lebensvolles Zeugniß von diesem täglichen Verkehr, in welchem die beiden großen Männer sich ganz unbefangen gaben, und sind reich an persönlichen Zügen, welche sie so menschlich liebenswürdig erscheinen lassen, wie wir sie als bedeutend kennen. Für Goethe, der ihm wie ein Vater entgegenkam, faßte der junge Voß sofort die entschiedenste Verehrung und Liebe. Zunächst regte die Gedankentiefe und Klarheit des »Herrlichen« ihn mächtig auf, »dieses populärsten Philosophen, der auch bei den geringfügigsten Gegenständen wahre Weisheit in die Seele rede«; »es ist kein Gegenstand«, schreibt er, »der seiner Aufmerksamkeit entgeht; in alles bringt er Geist und Leben; nie braucht er ein anderes Gleichniß, als das von Dingen hergenommen ist, die er gerade vor sich sieht, und man wundert sich oft, wie er aus einem erbärmlichen Stoffe etwas so Herrliches und Herzerhebendes zu bilden weiß. Wenn er dann in Feuer geräth, so wird sein Schritt hastiger, oder wenn er gewisse Gegenstände fixirt, dann steht er auch wohl stille und stemmt einen Fuß vor den andern, mit dem Körper rückwärts gebogen. Ihm bei Tische grade entgegen zu sitzen und in sein feuriges tiefes Auge zu blicken, ist eine wahre Wonne. Es drückt sich in seinen Zügen bei aller Majestät so viel Güte und Wohlwollen aus.«

Bald lernte Voß diese menschliche herzliche Seite Goethe's noch mehr lieben als seine geistige Größe und Bildung. »Was ich noch höher schätze, ist das Unnennbare, das durch ihn in die Herzen dringt, und mit Worten nicht ausgesprochen werden kann. Er hat die Kunst inne, andere, ohne daß sie es merken, zum Guten und Schönen zu lenken; ja es ist auch gar nicht Absicht, wenn er es thut; es ist vielmehr sein ganzes Wesen, das es, ihm selbst unbewußt, hervorbringt. Vorigen Sonntag war ich den ganzen Nachmittag bei ihm ganz allein. Es war ein erquickender Mairegen, wir saßen im Gartensaal vor der offenen Thür. Da war er so recht behaglich gestimmt. Es war etwas unendlich Schönes und Edles, was seinen Reden zu Grunde lag; alles, worüber er sprach, trug das Gepräge davon. Er sprach einmal von der Peterskirche, und nie hörte ich über einen Gegenstand so eindringend und schön reden. Mir wurde recht wohl und weh ums Herz; ich habe meinen Blick nicht von ihm gewandt; es war mir, als müßte ich mich immer recht fest an ihn schmiegen. Ein paar Mal, wie ich mich nachher besann, habe ich seine Hand ergriffen und sie recht herzlich gedrückt. Goethe hat es lange gemerkt, wie lieb ich ihn habe.« ... »Nie aber ist er angenehmer und liebenswürdiger als des Abends in seinem Zimmer, wenn er ausgezogen ist und entweder mit dem Rücken gegen den Ofen oder auf dem Sopha sitzt. Ja, da wird es unmöglich, sich ihm nicht hinzugeben. Ob es die Ruhe macht, die abendliche Stille, das Gefühl der Erholung von oft schweren Arbeiten, oder was es ist – dann ist er am heitersten und gesprächigsten, am offensten und herzlichsten. Ja, Goethe kann die Herzlichkeit selbst sein« ... »Was mir der Mann geworden ist, und wie gut er neben seiner geistigen Größe ist, das wünschte ich einmal mündlich erzählen zu können. Ich bin täglich bei ihm, ich lebe ganz unter seinen Augen, ich enthülle ihm die geheimsten Winkel meines Herzens, nicht weil er es fordert, sondern weil ich ohne das gar nicht leben kann. Oft bin ich bei ihm bis zehn Uhr Abends auf seinem Studirzimmer. Da sitzt der Goethe im tiefsten Negligé, im wollenen Jäckchen, auf seinem Sopha und unterhält sich oder läßt sich vorlesen. Aber seine Gespräche dabei sind das Lehrreichste und Schönste. Wenn er dann recht lebendig ist, so kann er auf dem Sopha nicht aushalten. Dann springt er auf und geht hastig im Zimmer auf und nieder, und jede Gestikulation, ihm selbst unbewußt, wird zur lebendigsten Sprache. Ja, dieser Mann spricht nicht blos mit dem Organ der Zunge, sondern zugleich mit hundert andern, die bei andern Menschen stumm sind, und aus seinen Augen strahlt das seelenvollste Feuer. Bei ruhigen Gesprächen ist sein Körper auch ruhig. So geschah es einmal bei Vorlesung eines Herbstliedes von meinem Vater, über Gott und Unsterblichkeit, und kein Glied rührte sich an seinem Körper. Den Blick hatte er in die Höhe gerichtet, als wenn er das Ueberirdische suchte. In meinem Leben bin ich nicht so innerlich bewegt und so tief erschüttert gewesen als damals, wo er meinen Blick durch nie gesehene und betretene Pfade von der Erde zum Himmel führte und dort zu einer Aussicht in die Ewigkeit schärfte.« So weit die herzliche Aussage dieses Zeugen für Goethe's Größe und Güte.

Das neue Jahrhundert fand Schiller in voller Thätigkeit und eifrig bedacht, auch den Freund zur Thätigkeit anzuregen. Aber theoretische Untersuchungen hemmten den Genius Goethe's, und vielfache Geschäfte zerstreuten ihn. Er war nicht wie Schiller ein reflektirender, kritisirender Dichter, sondern ein naiver, unmittelbar schaffender. Die Folge war, daß die Reflexion ihn nicht nur hemmte, sondern auch zur Symbolik und Allegorie verleitete – dem dunkeln Winkel im Sonnentempel seiner Kunst. Er nahm den Faust wieder vor und schrieb das klassische Zwischenspiel von der Vermählung der Helena und des Faust, welches jetzt im dritten Akt des zweiten Theils steht. Sehr thätig war er für das Theater und für seine naturwissenschaftlichen Forschungen; am Schluß des Jahres fiel er in eine gefährliche Krankheit, die, wie wir bereits aus dem oben angeführten Briefe der Frau von Stein wissen, dem Herzog und seinen weimar'schen Freunden so viel Besorgniß einflößte. In wenigen Wochen erholte er sich wieder und arbeitete an der Uebersetzung von Theophrast's Abhandlung über die Farben, am Faust und der Natürlichen Tochter.

Während so die beiden Häupter der Literatur in edlem Wetteifer und brüderlicher Liebe gemeinsam thätig waren, jeder auf des andern Erfolg bedacht, theilte sich die Nation in zwei Parteien, die darüber stritten, wer von beiden der größere Dichter sei. Goethe hatte in Rom unter den Künstlern ähnliche Streitigkeiten über Raphael und Michel Angelo erlebt; er meinte dazu sehr treffend: »Es ist so schwer, ein großes Talent zu fassen, geschweige denn zwei zugleich; wir erleichtern uns dieses durch Parteilichkeit; deshalb denn die Schätzung von Künstlern und Schriftstellern immer schwankt und einer oder der andere den Tag beherrscht.« Ueber unsere beiden Dichter entbrannte der Streit sehr heftig und dauert zum Theil noch fort. Statt nach Goethe's Rath sich darüber zu freuen, daß »überhaupt ein paar Kerle da sind, worüber sie streiten können«, haben die Deutschen fortwährend den einen auf Kosten des andern erhoben. Schiller selbst stellte sich mit reizender Bescheidenheit an den zweiten Platz; »gegen Goethe bin und bleibe ich nur ein poetischer Lump,« sagt er in einem Briefe an Körner. Aber die große Menge stellt ihn höher als seinen Nebenbuhler, giebt ihm wenigstens in ihrem Herzen den ersten Platz. Gervinus hat mit Recht auf einen auffallenden Gegensatz in der späteren Wirkung ihrer Werke aufmerksam gemacht. »Der seinem Ziele nach mehr für Männer schrieb – Schiller – ist der Liebling der Frauen und der Jugend geblieben; der in ewiger Jugend beharrte – Goethe – genügt mehr den Ansprüchen des Mannes; der ganz Form und Geist war, spricht die Menge an, die mehr Materie sucht, und der mehr Materie bot, befriedigt die Gebildeten, die der Form gewachsener sein sollten; der scheinbar ärmere Dichter hat einen weiteren Wirkungskreis gefunden und der scheinbar reichere den engern.« Der tiefere Grund davon ist der, daß Schiller die Leidenschaften hatte, die Goethen mangelten. Goethe vertraute Eckermann als etwas ganz besonderes an, seine »Sachen könnten nie populär werden«, und abgesehen von Faust und seinen kleineren Gedichten kommt auch keins seiner Werke den Schillerschen an Popularität gleich.

Die Parteinahme für Goethe oder Schiller war schon früh sehr lebhaft in Weimar. Dem bekannten Kotzebue, der damals auf der großen Triumphreise, wo ihm ganz Deutschland mit Thränenströmen huldigte, nach seinem Geburtsorte Weimar kam, schien dieselbe ein vortreffliches Mittel, sein Müthchen an Goethe zu kühlen, der seine Eitelkeit empfindlich verletzt hatte. Um jene Zeit pflegte sich in Goethe's Hause einmal wöchentlich ein erlesener geistreicher Kreis zu versammeln, der außer Schiller, Goethe und Meyer fast nur weibliche Mitglieder zählte; seine Hauptzierden waren die Gräfin Einsiedel, Amalie von Imhoff und Frau von Wolzogen. Bei Kotzebue's Ankunft bemühte sich eine Hofdame der Herzogin Mutter aus allen Kräften, ihm Zutritt in diesem Kreise zu verschaffen, da er ja auch bei Hofe empfangen worden; aber Schiller und Goethe, welche das bisherige freundliche Vernehmen in der Gesellschaft erhalten wollten, setzten rasch einen Zusatzartikel zu den Statuten durch, daß ohne vorherige Zustimmung aller andern Mitglieder weder ein Einheimischer noch ein Fremder mitgebracht werden dürfe. Dadurch trat eine gewisse gegenseitige Erkaltung unter den Mitgliedern der Gesellschaft ein, und als die Bittgesuche der Frauen um Aufnahme Kotzebue's immer noch nicht nachließen, äußerte Goethe zuletzt verdrießlich, den einmal als gültig anerkannten Gesetzen müsse man treu bleiben, sonst solle man lieber die ganze Gesellschaft aufgeben, was vielleicht auch um so räthlicher sei, da eine zu lange fortgesetzte Treue für die Damen allerdings etwas beschwerliches, wo nicht gar langweiliges habe. Darüber waren denn die Damen äußerst empfindlich. Kotzebue schürte das Feuer um so heftiger, als ihn Goethe durch ein bittres Witzwort gereizt hatte. Unter Anspielung nämlich darauf, daß in Japan neben dem weltlichen Hofe des Kaisers auch ein geistlicher Hof des Dalai Lama oder Patriarchen besteht, der im Stillen oft einen größern Einfluß als jener ausübt, hatte Goethe im Scherz einmal gesagt, es helfe dem Kotzebue zu nichts, daß er an dem weltlichen Hof zu Japan aufgenommen sei, wenn er sich nicht auch zugleich bei dem geistlichen Hofe daselbst Zutritt zu verschaffen wisse. Diesen geistlichen Hof beschloß Kotzebue zu stürzen und einen neuen einzusetzen, dessen Dalai Lama Schiller sein sollte. Es traf sich, daß dieser, um seine Jungfrau von Orleans aufführen zu sehen, nach Leipzig reisen mußte; seine Abwesenheit wollte Kotzebue benutzen, um ein Krönungsfest Schiller's auf dem weimarschen Stadthause vorzubereiten. Scenen aus Don Carlos, der Jungfrau und Maria Stuart sollten dasselbe eröffnen. Die Gräfin Einsiedel, bisher in jenem Kreise Goethe's erkorne Dame, nun seine Feindin, übernahm die Rolle der Jungfrau; Fräulein von Imhoff sollte die Maria Stuart darstellen, Sophie Mereau, eine weimarsche Dichterin, das Lied von der Glocke vortragen. Kotzebue selbst wollte in zwei Rollen erscheinen, zuerst als Vater Thibaut in der Jungfrau und dann als Meister Glockengießer. In der letzten Rolle lag es ihm besonders ob, die aus Pappe verfertigte Form der Glocke mit seinem Hammer entzwei zu schlagen und so die darin enthaltene Büste Schiller's zu enthüllen, während zu gleicher Zeit der Dichter selbst von Frauenhänden gekrönt werden sollte. Die Vorbereitungen zu diesem Feste wurden eifrig betrieben. Weimar war in höchster Aufregung. Die Sache ließ sich vortrefflich an. Wieland, gefällig gegen jeden, hatte die Einladung angenommen; ebenso hatte die Prinzessin Karoline zugesagt. Auch Schiller wurde auf das verbindlichste angegangen, sagte jedoch wenige Tage zuvor in Goethe's Hause: »Ich werde mich wohl krank schreiben.« Goethe erwiderte kein Wort und sah all den Vorbereitungen schweigend zu. »Es fehlte aber (sagt Falk, der uns diese Geschichte erhalten hat) nicht an besonnenen Freunden, die zu ihrem größten Leidwesen aus allen diesen Umständen eine Spannung zwischen beiden so ausgezeichneten Geistern weissagten; das Ende davon ließ sich kaum absehen, besonders in dem Falle, daß Schiller in die seiner edlen, höchst unbefangenen Persönlichkeit gelegten Schlingen eingehen sollte.« Wer das befürchtete, kannte freilich die beiden Dichter schlecht. Glücklicher Weise scheiterte der ganze Plan. Die Vorsteher der Bibliothek weigerten sich, Schiller's Büste herzuleihen; der Bürgermeister wollte den Schlüssel zum Stadthaus nicht hergeben. »Schwerlich hat es je einen trostloseren Tag als diesen für die schöne Welt zu Weimar gegeben. So die schönsten, glänzendsten Hoffnungen nah am Ziele gleichsam mit einem Schlage vereitelt zu sehen, was heißt es wohl anders, als mitten im Hafen noch Schiffbruch leiden? Man denke sich nur einmal den nun völlig unnütz gewordenen Aufwand von Krepp, Flor, Band, Spitzen, Gaze, Perlen, den die schönen Kinder gemacht; die Pappen zur Glocke, die Farben, die Pinsel zu den Coulissen, die Wachslichte zur Erleuchtung gar nicht einmal in Anschlag zu bringen. Man erwäge den noch größeren Aufwand von Zeit und Mühe, der zur Einlernung so vieler und so verschiedener Rollen erforderlich war; man zaubere sich eine reizende Maria Stuart vor, eine erhabene Jungfrau von Orleans, eine anmuthige Agnes, die so plötzlich, so ganz unerwartet von den höchsten Ehrenstellen herabsteigen und Krone und Scepter in einer einzigen unglücklichen Stunde niederlegen sollen« – das Schicksal war grausam.

Kurz darauf, am 13. Juni 1802, wurde Goethe's Sohn confirmirt. Herder verrichtete dies »Geschäft«, wie Goethe es nannte, und erneuerte bei der Gelegenheit noch einmal die freundschaftliche Beziehung zu Goethe, die in der letzten Zeit durch seine Eifersucht auf Schiller etwas erkaltet war. War er doch eifersüchtig gewesen auf die wachsende Freundschaft zwischen Goethe und Merck; wie hätte ihn die Freundschaft zwischen Goethe und Schiller nicht erbittern sollen. Er haßte Kant, den Schiller verehrte, und alle Anhänger Kants dazu, weil nach seiner Behauptung dessen Philosophie die christliche Moral zerstöre. Schiller war ihm in allen Punkten ein Widerpart, und die Aufführung des Wallenstein machte ihn krank. Goethe, dessen wunderbare Toleranz er auf so schwere Proben gestellt hatte und der sein besseres Theil nie aufhörte zu schätzen, mußte doch erklären, man komme zwar nicht zu ihm, ohne sich seiner Milde zu erfreuen, gehe aber auch nie von ihm, ohne verletzt zu sein. Eine Zeit lang wurde in dem Herder'schen Kreise gar nicht von Goethe gesprochen, außer in einem höchst feindlichen Tone, und doch gestand Herder's Frau brieflich an Knebel: »daß Goethe lebt, dafür wollen wir Gott danken; es möchte ohne ihn nicht gut in Weimar werden.« Indeß, diese letzte Erneuerung der alten Freundschaft sollte nicht lange dauern. Nach kurzem Beisammensein in Jena schieden die Freunde auf Nimmerwiedersehen. Im Dezember 1803 starb Herder.

Während Goethe in der nächsten Zeit mit Ritter Physik trieb, vergleichende Anatomie mit Loder, Optik mit Himly, auch wohl Mondbeobachtungen anstellte und durch diese Studien angeregt sich mit dem Plane eines großen Naturgedichtes trug, welches indeß nie über den Plan hinauskam, und andrerseits von dem großen Philologen Wolff sich in der Alterthumswissenschaft belehren ließ und mit Joh. Heinr. Voß die Gesetze der Metrik durchnahm – er, der größte Dichter seiner Nation, der die Musik des Verses in sich selbst hatte –, überraschte er zugleich seine Freunde mit einer poetischen Schöpfung, die im Stillen bei ihm herangereift war. Dies war das Drama »Die natürliche Tochter«. In diesem Stücke zeigt sich die epische Richtung, die sein Geist damals genommen, an der unendlichen Breite der Anlage, und die Wirkung des ewigen Theoretisirens an dem Mangel aller Lebensfrische und Kraft. Marmorglatt und marmorkalt nannte es A.W. von Schlegel, und das Publikum nahm es mit unglaublicher Kälte auf. Schiller freilich bewunderte es und schrieb an Wilhelm von Humboldt: »Die hohe Symbolik, mit der Goethe den Stoff behandelt hat, so daß alles Stoffartige vertilgt und alles nur Glied eines idealen Ganzen ist, diese ist wirklich bewundernswerth. Es ist ganz Kunst und ergreift damit die innerste Natur durch die Kraft der Wahrheit.« Auch Herder äußerte sich im besten freundlichen Sinne. Fichte, der mit Varnhagen der Aufführung in Berlin beiwohnte, war davon, wie dieser erzählt, sehr ergriffen und erklärte es für Goethe's Meisterstück. Rosenkranz ist über die fast einstimmige Verurtheilung des Werkes im Publikum vor Erstaunen außer sich. Welches Pathos, welche Wärme, welche tragische Kraft! ruft er aus. Andere wiederholen vielleicht diesen Ausruf, aber ironisch. Die Art, wie Schiller und Fichte dies Stück loben, reicht gerade hin, die öffentliche Verurtheilung zu rechtfertigen. Ein Drama, das wegen seiner hohen Symbolik gepriesen wird, mag für Philosophen und Kritiker sein, aber die Kunst verwirft es. Jedes Gedicht, auch ein dramatisches, kann immerhin Stoff enthalten, der symbolische Deutung zuläßt, aber ein Dichter, dem bei einem Werke die Symbolik Gegenstand und Zweck ist, verkennt seinen Beruf. Das ganze griechische Drama ist von neueren Gelehrten symbolisch gedeutet worden; hätten aber die griechischen Dramatiker nur entfernt in dem Sinne geschrieben, den ihnen die Erklärer unterlegen, so würden ihre Werke nie auf die Nachwelt gekommen sein und den Scharfsinn der Erklärer ins Unglück gebracht haben. Noch ganz kürzlich ist die Ilias in eine Allegorie umgedeutet worden, Dante's göttliche Komödie ebenfalls, Shakespeare's Stücke hat Ulrici in moralische Plattheiten aufgelöst, und in Goethe's Wahlverwandtschaften hat man eine Weltgeschichte finden wollen. Da das Symbolisiren seiner eigensten Natur nach etwas willkürliches ist, indem ja der tiefere Sinn nicht unmittelbar ausgesprochen, sondern unter dem Ausdrucke versteckt wird, so hat die Deutung völlig freies Spiel. Indeß so gewiß die Dichter die Absichten, welche ihre Erklärer ihnen unterlegen, nicht gehabt haben, so gewiß ist es, daß kein Dichter, der für die gelehrte Deutung schriebe, jemals ein Meisterstück hervorbrächte.

Im Dezember 1803 erhielt Weimar einen Besuch, der unter seinen vielen berühmten Gästen einen hohen Rang einnimmt – den Besuch der Frau von Staël. Sie war von Napoleon aus Frankreich verwiesen und kam mit Benjamin Constant nach dem deutschen Athen, um etwas von den Männern zu sehen und zu lernen, mit denen sie ihre Landsleute in ihrem Buche über Deutschland bekannt machen wollte. Es ist leicht, über Frau von Staël zu spotten, sie, wie Heine gethan, einen »Sturmwind in Weibskleidern«, eine »Sultanin des Gedankens« zu nennen; aber die Deutschen sollten ihr dankbar sein für das Buch, welches noch immer eines der besten ist, die über ihr Land geschrieben sind, und der Literarhistoriker darf nicht vergessen, daß ihr Genie in verschiedenen Zweigen der Literatur die Kraft des weiblichen Geistes für immer zu Ehren gebracht hat. Goethe und Schiller, die sie mit allen Geschützen ihrer Beredsamkeit bestürmte, sprachen von ihrem Verstände mit großer Bewunderung. Schiller sagte, sie sei »das beweglichste, streitfertigste, und redseligste, aber auch das gebildetste und geistreichste weibliche Wesen,« das ihm je vorgekommen. Weder der Gegensatz zwischen ihrer französischen und seiner deutschen Bildung, noch seine Ungeübtheit in der französischen Unterhaltung konnte seinem lebhaften Interesse Abbruch thun. In der kurzen Schilderung, die er an Goethe schrieb, sagt er von ihr recht hübsch: »Sie will alles erklären, einsehen, ausmessen, sie statuirt nichts Dunkles, Unzugängliches, und wohin sie nicht mit ihrer Fackel leuchten kann, da ist nichts für sie vorhanden. Darum hat sie eine horrible Scheu vor der Idealphilosophie, welche nach ihrer Meinung zur Mystik und zum Aberglauben führt, und das ist die Stickluft, wo sie umkommt. Für das, was wir Poesie nennen, ist kein Sinn in ihr; sie kann sich von solchen Werken nur das Leidenschaftliche, Rednerische und Allgemeine zueignen, aber sie wird nichts Falsches schätzen, nur das Rechte nicht immer erkennen.«

Die Herzogin Amalie war von ihr bezaubert, und der Herzog ließ Goethe, der damals in Jena war, dringend zur Rückkehr auffordern; das lehnte aber Goethe bestimmt ab. Wenn sie ihn wirklich lebhaft zu sehen wünsche, antwortete er, so möge sie nach Jena kommen, wo sie ihm herzlich willkommen sein solle; eine bequeme Wohnung und bürgerlichen Tisch würde sie finden, und täglich könnten sie einige Stunden der Unterhaltung widmen, wenn seine Geschäfte vorüber seien, aber an den Hof und in Gesellschaft zu gehen, fühle er sich nicht stark genug. Zu Anfang des Jahres 1804 kehrte er indeß nach Weimar zurück und machte ihre Bekanntschaft; das heißt, er empfing sie in seinem eigenen Hause, zuerst allein und dann in einem kleinen Kreise von Freunden. Wenn sie ihn nicht durch ihre Paradoxen und ihren Witz anregte, so war er gegen sie kalt und förmlich, mehr sogar als er sonst gegen hervorragende Leute zu sein pflegte. Wie er selbst erzählt, that er das mit voller Absicht. Er hatte kurz vorher ein neues französisches Buch erhalten, worin der Briefwechsel Rousseau's mit zwei Frauen veröffentlicht war, die ihn mit ihrer angeblichen Verehrung zum Besten gehabt und, nachdem sie an dem Scherz genug hatten, seine Briefe zusammenstellten und drucken ließen. Als Goethe sein Mißfallen hierüber gegen Frau von Staël aussprach, gab sie ihm nicht undeutlich zu verstehen, sie denke mit den Leuten in Weimar gerade so zu verfahren. Weiter bedurfte es nichts, um ihn aufmerksam und vorsichtig zu machen, und obgleich sie von ihm sagte, in der Unterhaltung sei er ein ungeheuer geistreicher Mann ( un homme d'un esprit prodigeux en conversation) und wenn man ihn zum Reden zu bringen wisse, sei er bewunderungswürdig, schloß er sich doch gegen sie durchaus ab, und sie sah niemals den wirklichen, sondern nur einen gemachten Goethe; wohl mochte sie ihn zu einer glänzenden Unterhaltung bringen, aber zu einer ernsthaften niemals. Am 29. Februar verließ sie endlich Weimar, sehr zu Goethe's und Schiller's Erleichterung.

Sonst ist von Goethe aus diesem Jahre nichts weiter zu erwähnen als die Uebersetzung der Diderot'schen Schrift »Rameau's Reffe« und der Anfang der ausgezeichneten Abhandlung über Winkelmann und sein Jahrhundert. Das folgende Jahr 1805 eröffnete sich mit einer düstern Ahnung. Beim Neujahrsbriefe an Schiller kamen ihm zufällig die Worte »der letzte Neujahrstag« in die Feder; er zerriß das Billet und schrieb ein neues, konnte sich aber auch da nur mit Mühe zurückhalten, etwas vom letzten Neujahrstage zu schreiben. So bedrängte ihn ein böses Vorgefühl! Denselben Tag besuchte er Frau von Stein, erzählte ihr was ihm begegnet sei, und äußerte, er habe die Ahnung, daß entweder er oder Schiller in diesem Jahre sterben werde. »Wenige Wochen nachher,« so erzählt Heinrich Voß, »lagen beide krank darnieder und konnten sich weder sehen noch schreiben. Schiller war der erste der sich erholte, und kaum konnte er wieder ausgehen, so besuchte er seinen lieben Goethe, nachdem er sich durch mich hatte anmelden lassen. Ich war bei diesem Wiedersehn zugegen, und es rührt mich noch jedesmal, wenn ich daran denke. Sie fielen sich um den Hals und küßten sich beide in einem langen und herzlichen Kusse, ehe einer von ihnen ein Wort hervorbrachte. Keiner erwähnte weder seiner noch des andern Krankheit, sondern beide genossen der ungemischten Freude, wieder mit heiterem Geiste vereint zu sein.« Sie hofften von dem kommenden Frühling Genesung und Stärkung. Mittlerweile arbeitete Schiller an der Uebersetzung der Racine'schen Phädra, Goethe an Rameau und an der Geschichte der Farbenlehre.

Der Frühling kam, aber seine Blüthen sollte Schiller's Auge nicht mehr sehen. Am 30. April sahen sich die Freunde zum letzten Male. Goethe traf Schillern im Begriff, in's Schauspiel zu gehen; ein Mißbehagen hielt ihn ab, ihn zu begleiten, und so schieden sie vor Schiller's Hausthür, um einander nie wieder zu sehen. Während der letzten Krankheit des Freundes war Goethe ungemein niedergeschlagen. Voß fand ihn einmal im Garten weinend und las in seinen Blicken, daß er etwas Großes, Ueberirdisches, Unendliches fühle; er erzählte ihm von Schiller, Goethe hörte ihn mit unnennbarer Fassung an: »das Schicksal ist unerbittlich und der Mensch wenig,« war alles was er sagte.

Es schien wirklich, als ob die beiden Freunde wie im Leben so auch im Grabe vereinigt werden sollten. Goethe war sehr schwach und mit Schiller's Leben ging es rasch zu Ende. Am 8. Mai wurde er aufgegeben. In der Nacht darauf war sein Schlaf sehr unruhig, sein Geist begann zu wandern. Am Morgen hatte er alles Bewußtsein verloren. Gegen drei Uhr Nachmittags begann der letzte Todeskampf, er nahm sichtlich an Kräften ab. Um vier Uhr forderte er Naphtha, aber die letzte Silbe erstarb in seinem Munde. Er versuchte zu schreiben, brachte aber nur drei Buchstaben hervor, in denen noch der Charakter seiner Schriftzüge ersichtlich war. Seine Frau lag neben ihm auf den Knieen, er drückte ihr die Hand; seine Schwägerin stand mit dem Arzte unten am Bett und legte ihm warme Kissen auf die kalten Füße. Plötzlich fuhr es wie ein elektrischer Schlag über sein Gesicht, sein Kopf sank zurück, und in wenigen Minuten lag er entschlafen da, auch im Tode noch edel und groß.

Die Nachricht von Schiller's Tode verbreitete sich schnell durch Weimar; das Theater wurde geschlossen, die Leute standen gruppenweise auf den Straßen zusammen, jeder fühlte als wenn er seinen theuersten Freund verloren hätte. Wie sollte man die Nachricht Goethen bringen, der selbst noch schwach war von seiner letzten Krankheit! Niemand mochte es wagen. Heinrich Meyer war bei ihm, als draußen die Nachricht eintraf, Schiller sei todt; er wurde hinausgerufen, hatte nicht den Muth, zu Goethe zurückzukehren, sondern ging ohne Abschied weg. Die Einsamkeit, in der sich Goethe befand, die Verwirrung, die er überall wahrnahm, das Bestreben ihm auszuweichen, das ihm nicht entgehen konnte – alles das ließ ihn wenig Tröstliches erwarten. »Ich merke es,« sagte er endlich, »Schiller muß sehr krank sein,« und die übrige Zeit des Abends blieb er in sich gekehrt. Er ahnte was geschehen war. In der Nacht hörte man ihn weinen – weinen den ruhig heiteren Mann, der über alle menschlichen Regungen so erhaben schien! Am Morgen sagte er zu einer Freundin: »nicht wahr, Schiller war gestern sehr krank.« Statt ihm zu antworten, fing sie laut an zu schluchzen. »Er ist todt?« fragte Goethe mit Festigkeit. »Sie haben es selbst ausgesprochen,« antwortete die Freundin. »Er ist todt,« wiederholte er noch einmal und bedeckte die Augen mit den Händen. Nicht blos einen Freund, die »Hälfte seines Daseins« hatte er verloren.

Als er sich ermannt hatte, suchte er nach einer entschiedenen großen Thätigkeit; sein erster Gedanke war den Demetrius zu vollenden, den er, wie alle Arbeiten Schiller's seit dem Wallenstein, von Anfang bis zu Ende mit ihm durchgesprochen hatte; das Stück war ihm so lebendig wie dem Verstorbenen. Wahrhaft ergreifend ist, was er selbst in den Tag- und Jahresheften darüber erzählt. »Ich brannte vor Begierde, unsere Unterhaltung, dem Tode zu Trotz fortzusetzen, seine Gedanken, Ansichten und Absichten bis ins Einzelne zu bewahren, und ein herkömmliches Zusammenarbeiten bei Redaktion eigner und fremder Stücke hier zum letzten Male auf ihrem höchsten Gipfel zu zeigen. Sein Verlust schien mir ersetzt, indem ich sein Dasein fortsetzte. Unsere gemeinsamen Freunde hoffte ich zu verbinden; das deutsche Theater, für welches wir bisher gemeinschaftlich, er dichtend und bestimmend, ich belehrend, übend und ausführend, gearbeitet hatten, sollte bis zur Herankunft eines frischen ähnlichen Geistes, durch seinen Abschied nicht ganz verwaist sein. Genug, aller Enthusiasmus, den die Verzweiflung bei einem großen Verlust in uns aufregt, hatte mich ergriffen. Ich schien mir gesund, ich schien mir getröstet. Aber der Ausführung setzten sich mancherlei Hindernisse entgegen, die ich durch leidenschaftlichen Sturm noch vermehrte; eigensinnig und übereilt gab ich den Vorsatz auf, und ich darf nicht an den Zustand denken, in welchen ich mich versetzt fühlte. Nun war mir Schiller eigentlich erst entrissen, sein Umgang erst versagt. Meiner künstlerischen Einbildungskraft war verboten sich mit dem Katafalk zu beschäftigen, den ich ihm aufzurichten gedachte, der länger, als jener zu Messina, das Begräbniß überdauern sollte; sie wendete sich nun und folgte dem Leichnam in die Gruft, die ihn gepränglos eingeschlossen hatte. Nun fing er mir erst an zu verwesen; unleidlicher Schmerz ergriff mich, und da mich körperliche Leiden von jeglicher Gesellschaft trennten, so war ich in traurigster Einsamkeit. Meine Tagebücher melden nichts von jener Zeit; die weißen Blätter deuten auf den hohlen Zustand.« Im August desselben Jahres dichtete er dann zur Aufführung des Schiller'schen Liedes von der Glocke jenen bekannten Epilog, von dem wir eine Strophe diesem Buch als Motto vorgesetzt haben: wie Orgelton und Glockenklang tönt dies Gedicht; es ist ein mächtiger Strom, von Freundschaft und Poesie geschwellt, der den Grabhügel des großen Freiheitshelden unversiegbar umrauscht. Vergl. Anh. IV.



 << zurück weiter >>