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Zwölfter Abschnitt.
Wieder in der Heimath.

Sein Haus am Frauenplan. Einrichtung desselben. Das Arbeitszimmer, die Bibliothek, das Schlafzimmer. – Freundschaft mit Heinrich Meyer. – Der Bürgergeneral. Die Aufgeregten. Reinecke Fuchs.

Bei der Rückkehr nach Weimar erwartete ihn eine angenehme Ueberraschung; der Herzog hatte während seiner Abwesenheit das Haus am Frauenplan neu aufbauen lassen. Dies Haus galt damals für einen Palast und war ein sehr glänzendes Geschenk. Der Neubau war noch nicht so weit vorgerückt, daß es Goethe nicht im Einzelnen nach seinem Geschmacke hätte einrichten lassen können; er legte die prächtige Treppe an, die zwar für die Verhältnisse des Hauses zu groß, aber eine angenehme Erinnerung an Italien war.

Durch die Fenster des Hauses sieht man die Büsten der olympischen Götter, die dort als Symbole der Ruhe und Vollendung stehen. Beim Eintritt in den Hausflur verweilt der Blick auf zwei schönen Gypsabgüssen, die in Nischen stehen, oder auf dem Plane von Rom, der die Wand schmückt, und auf dem Deckengemälde der Aurora von Heinrich Meyer.

Nahe an der Thür steht die Gruppe von Ildefonso und auf der Schwelle spricht das römische Salve sein freundliches Willkommen. Oben im ersten Stock empfängt uns das Junozimmer, so genannt von der kolossalen Büste der Juno Ludovisi, welche Goethe aus Rom mitgebracht hatte; an den Wänden hängen die Loggien von Raphael. Links davon ist das Empfangszimmer; darin steht das Clavier, welches so manchen musikalischen Abend beleben half; Hummel und der junge Mendelssohn haben darauf gespielt, die Catalani und die Sonntag haben dazu gesungen. Ueber den Thüren hängen Meyer's mythologische Cartons, an den Wänden ein Abdruck der aldobrandinischen Hochzeit, Skizzen von großen Meistern und Radirungen. Ein großer Schrank enthielt Kupferstiche und Gemmen, ein Wandschrank Bronze-Statuetten, Lampen und Vasen. Auf der andern Seite des Junozimmers waren drei kleinere Gemächer; das erste enthielt Skizzen von italienischen Malern und ein Gemälde von Angelika Kaufmann, das zweite und dritte allerlei Thongefäße und einen Apparat zur Erläuterung der Farbenlehre. Nach hinten schloß sich an das Junozimmer ein kleineres, welches die Büsten von Schiller, Herder, Jacobi, Voß, Byron und andern enthielt. Von hier ging es einige Stufen hinab in ein kleines Eßzimmer, wo Goethe gern aß, wenn er nur wenig Gesellschaft hatte; von da endlich führte eine kleine Treppe in den schönen, geschmackvoll angelegten Garten. Hier standen kleine Lusthäuser, in denen die naturwissenschaftlichen Sammlungen waren.

Das Heiligthum des Hauses bilden das Arbeitszimmer, die Bibliothek und das Schlafzimmer. Die eben beschriebenen Räume vergegenwärtigen dem Besucher die Stellung Goethe's als Minister und Kunstliebhaber und sind nach dem weimarschen Maßstabe jener Zeit höchst stattlich und prächtig, aber die Zimmer, in die wir jetzt treten, sind selbst nach weimarschem Maßstabe von mehr als bürgerlicher Einfachheit. Durch ein Vorzimmer, wo in kleinen Schränken die mineralogischen Sammlungen stehen, treten wir in das Arbeitszimmer, ein niedriges, enges, etwas dunkles Gemach, mit nur zwei winzigen Fenstern und mit einer wahrhaft rührenden Einfachheit möblirt. Noch jetzt ist alles darin so erhalten, wie es am Todestage des Dichters war. In der Mitte steht ein einfacher ovaler Tisch von schlichtem Eichenholz. Kein Lehnstuhl ist da, kein Sopha, nichts was auf Bequemlichkeit deutet, nur ein gewöhnlicher harter Stuhl und daneben der Korb, in welchen Goethe sein Taschentuch zu legen pflegte. An der Wand rechts ist ein langer Tisch von Birnbaumholz und ein Bücherbrett mit Wörterbüchern und Handbüchern; da hängt auch ein Nadelkissen, ehrwürdig vor Alter, mit Visitenkarten und andern Kleinigkeiten; da auch ein Medaillon von Napoleon mit der Umschrift: » Scilicet immenso superest ex nomine multum.« Auf der Wand daneben wieder ein Bücherbrett mit einigen Werken von Dichtern. An der Wand links ist ein langes Schreibpult von weichem Holz, an dem er gewöhnlich schrieb. Darauf liegen die Originalmanuskripte des Götz und der römischen Elegien, und eine Büste Napoleons von milchweißem Glas steht da, welche gegen das Licht gehalten blau und feuerfarben schillert und darum Goethen als ein Beleg zu seiner Farbenlehre werth war. Ein Bogen Papier mit Notizen aus der Tagesgeschichte ist nahe der Thür angeheftet, und an der Thür selbst hängen musikalische und geologische Schemata. Diese Thür an der linken Wand führt in das Schlafzimmer, wenn ein kleines Kabinet mit einem Fenster diesen Namen verdient. Ein einfaches Bett, ein Lehnstuhl davor und ein winziger Waschtisch mit einer kleinen weißen Schale und einem Schwamm, das ist das ganze Mobiliar. Wer für den großen und guten Mann, der hier geruht und seinen letzten Schlaf geschlafen hat, nur einiges Gefühl hegt, dem treten bei diesem rührend einfachen Anblick die Thränen in die Augen und der Athem geht ihm schwerer.

Auf der andern Seite neben dem Arbeitszimmer liegt die Bibliothek, die freilich eher eine Rumpelkammer von Büchern genannt werden muß. Die Bücher stehen auf schlichten tannenen Brettern; kleine Stückchen Papier, mit den Aufschriften Philosophie, Geschichte, Poesie u. s. w. geben eine gewisse Ordnung an. Mir war es interessant, diese Reihe von Büchern zu durchmustern, und angenehm überrascht wurde ich, als ich in einem englischen Buche, welches Carlyle dem Dichter zugeschickt hatte, ein Stück von der Handschrift unsers berühmten Landmannes fand.

So war Goethe's Haus während der vielen Jahre, die er darin wohnte. Um die Zeit, von der wir jetzt handeln, war es natürlich in etwas anderm Zustande. Das Vergnügen des Ausbaus, das Glück einer behaglichen Häuslichkeit mit der »kleinen Freundin« Christiane und seinem Erstgeborenen, und die friedliche Muße zum Studiren bildeten einen angenehmen Gegensatz zu dem unruhigen Kriegsleben Aus dieser Zeit stammt eine Schilderung Goethe's von David Veit, die wir im ersten Anhange wiedergeben.. Sein ältester römischer Freund, Heinrich Meyer, hatte inzwischen Italien verlassen und wurde ihm ein lieber Hausgenosse, den eine genaue Kenntniß der Kunstgeschichte wie eine treue Freundschaft gleich werthvoll machten. Optische Studien und Kunstuntersuchungen wechselten mit einander ab.

In diesem Jahre (1793) studirte Goethe sehr viel, producirte aber nur wenig. Er schrieb das Lustspiel »der Bürgergeneral,« fing ein zweites »die Aufgeregten« an und entwarf die »Unterhaltungen der Ausgewanderten.« Bedeutender war die Uebersetzung des Reinecke Fuchs. Alle diese Schriften waren durch die französische Revolution angeregt. Der »Bürgergeneral« ist wirklich ein ergötzliches kleines Stück; das patriotische Maulheldenthum wird darin nicht übel lächerlich gemacht; aber alle diejenigen, die es Goethen sehr übel deuten, daß er nicht die Sache der Revolution verfocht, hat es höchlich erbittert. Zwar geben sie zu, an der Revolution sei vieles hohl, thöricht und schlecht gewesen, aber zu bloßem Spott ist ihnen die Revolution doch eine viel zu ernsthafte Sache. Ich stimme dieser Ansicht durchaus bei; ziehe ich aber seine Gefühle und seine Stellung in Betracht, so scheint es mir ganz natürlich, daß er, der weder auf Seite der Revolution stand noch auch den Royalisten besonders hold war, der also weder Freiheitslieder schreiben noch in Ausrufe der Entrüstung ausbrechen konnte, der die weltgeschichtliche Bedeutung des Ereignisses nicht völlig würdigte, sondern nur die vorübergehende und persönliche Seite desselben sah, – daß er, sage ich, Lustspiele darüber schrieb und nichts anderes. Er schrieb keine Schmähschriften dagegen, keine Satiren; er sah die Dinge von der komischen Seite und lächelte dazu. Als die Ereignisse in ihrem weiteren Fortgang dem Bilde tiefere Schatten gaben, wurde auch er ernster. »Die Aufgeregten« würden, wenn sie beendet wären, seine politischen Ansichten vollständig wiedergeben. Die Uebersetzung von Reinecke Fuchs begann er zu seiner Erholung; ihm war das Gedicht eine »unheilige Weltbibel,« worin, im Gegensatz zu dem blutigen Schauspiele, welches das Schreckensregiment damals der Welt gab, die thierische Natur des Menschengeschlechts schmucklos und unverhüllt mit wunderbarem Humor sich darstelle.

Im Mai 1793 rief ihn der Herzog wieder zur Armee, und er wohnte der Belagerung von Mainz bei. Auch diesen Ausflug hat er uns selbst erzählt, doch »repräsentirte er bei dieser Haupt- und Staatsaktion nur den melancholischen Jacques nach seiner Art und Weise« und zog sich von allem Historischen, welches er »für das undankbarste und gefährlichste Fach« erklärte, ganz in die »Aesthetika, Moralia und Physika« zurück. Die Stadt ergab sich am 24. Juli, und am 28. August, seinem 44. Geburtstage, kehrte er nach Weimar zurück, um sogleich wieder an Reinecke Fuchs und seine wissenschaftlichen Untersuchungen zu gehen. »Die politische Stimmung aller Menschen, schrieb er an Jacobi, treibt mich nach Hause, wo ich einen Kreis um mich ziehen kann, in welchen außer Liebe und Freundschaft, Kunst und Wissenschaft nichts herein kann. Ueber das Vergangene will ich nicht klagen, denn ich habe viel Schätzbares gelernt.« Die Erfahrung ist der einzige Lehrmeister im Leben; freilich, wie Jean Paul sagt, ist das Schulgeld etwas theuer; Goethe bezahlte es immer gern, wenn er sich nur belehren konnte.



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