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Fünfter Abschnitt.
Italien.

Goethe in Italien unter falschem Namen. Die »italienische Reise«. Seine Freude an der Gegenwart, nicht an der Vergangenheit. Aufenthalt in Venedig und Rom. Kunstenthusiasmus. Goethe sucht das Geheimniß der Pflanzenformen zu entdecken. Weimar murrt indessen. – Goethe in Neapel und Umgegend. Besucht Palermo; Cagliostro's Verwandte. Rückkehr nach Rom. Schriftstellerei. Wirkung seiner italienischen Reise. Ergebniß seiner Kunststudien. Verliebt sich in eine junge Mailänderin. Rückkehr nach Weimar.

Endlich war die Sehnsucht seines Lebens erfüllt: er war in Italien. Allein und unter dem angenommenen Namen eines Kaufmanns Möller vor allen Störungen sicher, womit den Verfasser des Werther die Neugier seiner Bewunderer heimgesucht hätte, zog er vorüber an Orangenhainen und Weingärten, Städten, Bildsäulen, Gemälden und Gebäuden, und fühlte sich in dieser neuen Welt »zu Hause und nicht wie im Exil.« Mignon's leidenschaftliches Sehnen war mit ihm gewachsen und hatte sich, wie seine Kraft sich steigerte, so gesteigert, daß die Begierde endlich zur Krankheit geworden war. Die letzten Jahre vor der Reise konnte er kein lateinisch Buch mehr ansehen, keine Zeichnung einer italienischen Gegend, so daß Herder über ihn spotten durfte, er lerne all sein Latein nur noch aus Spinoza. Das Bedürfniß wuchs und wuchs zu einem geistigen Heimweh, welches nur »der Anblick und die Gegenwart heilen konnte.« Man braucht nur Mignon's Lied »Kennst du das Land« – welches er vor der Reise dichtete – zu lesen, um sich zu überzeugen, wie ekstatisch seine Vorstellungen von Italien waren und wie unwiderstehlich die Sehnsucht, die ihn dahin zog.

Und nun wurde diese tiefe Unruhe gestillt. Die Klänge Italiens ertönten um ihn, Italiens Himmel umfing ihn, italienische Kunst erglänzte lockend auf allen Seiten. Er fühlte, seine Reise sei für ihn eine Wiedergeburt. Sein ganzes Wesen füllte sich mit Wärme und Licht. Ruhig, leuchtend, tüchtig lag nun das Leben vor ihm. Er sah die Größe seiner Ziele und fühlte die Mächte in seinem Innern ihnen gewachsen.

Er hat seine »italienische Reise« beschrieben. Niemand wohl hätte etwas Bedeutenderes darüber schreiben können, als grade Goethe, wenn er sich ernstlich daran gemacht hätte; auch gehören einige Stellen seiner »Reise« zu dem herrlichsten, was je über Italien geschrieben ist, aber als Ganzes genommen täuscht diese Schrift unsere Erwartungen. Näher betrachtet, ist das nicht eben zu verwundern. Er schrieb sie nicht sogleich nach seiner Rückkehr, wo ihm noch alles frisch im Gedächtniß war und wo sein Stil noch die volle Wärme und Kraft hatte; sondern erst später, als seine großen Kräfte schon abnahmen, sammelte er die flüchtigen Briefe, die er aus Italien an Herder, Frau von Stein und andere gerichtet hatte, nahm daraus die Stellen, die ihm passend schienen, und verwebte sie ohne besondere Sorgfalt und Begeisterung in einander. Hätte er einfach diese Briefe selbst veröffentlicht, so hätten sie unzweifelhaft ein lebendigeres und interessanteres Bild gegeben; wie jetzt die Reise vorliegt, ermüden uns in umständlicher Erzählung kleine Tagesgeschichten, die in Briefen gar wohl an ihrem Platze sein mochten, hier aber der angenehmen, leichten Form vertraulicher Plauderei entbehren. Mit einem Worte, die »italienische Reise« hat weder den Reiz brieflicher Mittheilung noch die solide Tüchtigkeit einer fleißigen Arbeit. Das Hauptinteresse derselben liegt in dem Nachweis der Wirkung, welche Italien auf den Geist des Dichters hatte, und diese Wirkung war offenbar zu tiefgehend, um sofort Ausdruck finden zu können. Das neue Leben, das ihn durchströmte, beherrschte ihn so ganz, daß er nicht Zeit hatte, seine Eindrücke im Einzelnen sich zu entwickeln und andern darzulegen.

Auch auf dieser Reise nahm er, seltsam genug, an allen geologischen und meteorologischen Erscheinungen das vollste Interesse. Darüber haben denn Leute, nach deren Ansicht ein Dichter nichts besseres zu thun hat als zu reimen, wiederum gespottet. Seine Begeisterung für Palladio lassen sie ihm noch hingehen, weil die Baukunst doch eben eine Kunst ist, und wirklich riß ihn der Anblick der Bauten dieses Meisters in Vicenza zu einem so leidenschaftlichen Studium seiner Werke hin, als wolle er sich zum praktischen Baumeister ausbilden, aber daß er sich in Padua abermals mit Kräutern abmühte, dieser gründlichen Antipathie Herders, und mit der unbestimmten Idee einer Urpflanze sich unablässig plagte, das macht sie ganz unglücklich. Gestehe ich indeß, ganz ungegründet ist die Unzufriedenheit dieser Herren nicht. Des Dichters Sehnen ist erfüllt, und doch wie wenig literarische Begeisterung verräth er! Italien ist das Land der Geschichte, der Literatur, der Malerei, der Musik; Plätze und Straßen sind dort mit Erinnerungen der Vergangenheit geweiht; in Gassen und Winkeln drängt sich biographischer und künstlerischer Stoff. Goethe aber, vor lauter Entzücken über Klima und Naturschönheiten, schweigt über Literatur fast ganz, hat für Musik keinen Sinn, für Geschichte kein Gefühl. Er besucht Verona, ohne Romeo's und Julia's zu gedenken, in Ferrara hat er kaum ein Wort für Ariost und Tasso. In diesem Lande der Vergangenheit lockt ihn fast nur die unmittelbare Gegenwart. Von den Heiligenbildern mit ihren Kreuzigungen, ihren Büßungen, ihren asketisch hageren Mönchen und sonstigen widrigen Lazarethscenen wendet er sich mit Abscheu weg; nur an Raphael's gesunder Schönheit und menschlicher Auffassung entzückt er sich. Für das Verständniß der schrecklichen religiösen Kämpfe, die in ihrer Entwicklung so abergläubische Formen annahmen, fehlt ihm der historische Sinn; nur als Dinge der Gegenwart betrachtet er jene Bilder, und da ihre Motive häßlich sind, ekeln sie ihn an; ein Mann von geschichtlicher Auffassung dagegen hätte, bei allem Widerwillen gegen dergleichen Darstellungen, ihnen den richtigen Platz in der Reihe kunsthistorischer Entwickelung zu geben verstanden.

Nicht also nach Literatur, nicht nach Geschichte, nicht nach dichterischem Enthusiasmus müssen wir in der Italienischen Reise suchen. Es ist keine Beredtsamkeit darin; selbst nicht als er in Venedig zum ersten Mal das Meer sieht, erhebt sich die Darstellung zu höherem Schwunge. Man vergegenwärtige sich, wie der erste Anblick des Meeres auf eines Dichters Geist wirken muß, und man wird diese kühle Mäßigung wunderbar genug finden. Aber durchzuckt die Italienische Reise auch kein Blitz von Beredtheit, sie ist überall durchwärmt von der tief innern Glückseligkeit des Verfassers. In Venedig z. B. scheint seine Freude geradezu fabelhaft gewesen zu sein, da ihm diese Stadt von Stunde zu Stunde aufhörte ein Wort zu sein und mehr und mehr ein Bild wurde. Die Kanäle, Lagunen, Gäßchen, die stattliche Architektur, das bewegte Treiben des Volks waren ihm ein unerschöpfliches Entzücken. Iphigenie begleitete ihn; in dem Gedanken an die heilige Agathe von Raphael, die ihm Vorbild und Schutzgeist sein sollte, ging er in raschem Zuge über Ferrara, Bologna, Florenz, Perugia und Spoleto nach Rom, wo er am 28. Oktober eintraf.

In Rom, wo sein erster Aufenthalt vier Monate dauerte, ging Genuß und Bildung Hand in Hand. »Alle Träume meiner Jugend (schreibt er) seh' ich nun lebendig. Wohin ich gehe, sehe ich eine Bekanntschaft in einer neuen Welt; es ist alles wie ich mir's dachte, und alles neu. Ebenso kann ich von meinen Beobachtungen, von meinen Ideen sagen. Ich habe keinen ganz neuen Gedanken gehabt, nichts ganz fremd gefunden, aber die alten sind so bestimmt, so lebendig, so zusammenhängend geworden, daß sie für neu gelten können.« Rom ist so weich, daß es zuerst verwirrt; erst bei längerem Aufenthalt kann das Einzelne zu gebührender Wirkung kommen. Goethe lebte da unter deutschen Künstlern und Kunstfreunden, Angelica Kaufmann (die er hoch verehrte), Tischbein, Rath Reiffenstein, Moritz und andern. Sein Incognito wurde so gut es ging bewahrt, und obwohl seine Anwesenheit in Rom natürlich nicht ganz verborgen bleiben konnte, so erreichte er doch die Hauptabsicht, daß er nicht Parade mit sich machen ließ. Nicht um seine Eitelkeit kitzeln zu lassen, war er nach Italien gekommen; Bildung war sein Zweck, und den verfolgte er mit allem Ernst.

Unter den Herrlichkeiten der Vergangenheit, auf dem Boden der ewigen Stadt, mußte ihm jeder Luftzug von den sieben Hügeln einen Hauch der Weltgeschichte zuführen. »Auch die römischen Alterthümer fangen mich an zu freuen. Geschichte, Inschriften, Münzen, von denen ich sonst nichts wissen mochte, alles drängt sich heran. Wie mir's in der Naturgeschichte erging, geht es auch hier: denn an diesen Ort knüpft sich die ganze Geschichte der Welt an. Geschichte liest sich von hier aus ganz anders als an jedem Ort der Welt. Und das gilt nicht allein von der römischen Geschichte, sondern von der ganzen Weltgeschichte.« Doch finde ich nicht, daß er in Rom besonders viel Geschichte trieb. Die Kunst nahm ihn völlig hin, und für die Malerei namentlich hatte er eine Leidenschaft, neben der sein Mangel an eigenem Talent um so auffallender erscheint. Mit ausdauerndem Eifer besuchte er Kirchen und Gallerieen, studirte Winkelmann und trieb mit den deutschen Freunden Kunstkritik. Leider verschwendete er auch viel kostbare Zeit mit fruchtlosen Uebungen im Zeichnen. Daneben vollendete er Iphigenie; aber als er sie dem Kreise seiner römischen Bekannten vorlas, ging es ihm nicht besser als, wie bereits erwähnt, mit seinen weimarischen Freunden: sie hatten etwas Berlichingisches erwartet, und nur »die zarte Seele Angelica nahm das Stück mit unglaublicher Innigkeit auf.«

Während ihn so die Kunst mit vielfachen Lockungen umschlang, fand seine vielseitige Thätigkeit noch zu naturwissenschaftlichen Studien Raum. Seine Betrachtungsweise lehrte ihn neue und wundersame Dinge in der Natur lesen, und der stete Drang, das Geheimniß der Pflanzenformen zu entdecken, trieb ihn auch in den Gärten der römischen Villen nachdenklich umher. Er fühlte sich einem Gesetze auf der Spur, welches, einmal entdeckt, die ganze Mannigfaltigkeit der Naturformen zur Einheit zurückführen würde. Wer niemals die Leidenschaft des Forschungstriebes gefühlt hat, mag Goethe'n ausspotten, daß er in Rom die Verhandlungen des Senats und die Reden Cicero's so über botanischen Studien vergaß, aber wen jemals ein großer Gedanke gepackt hielt, der wird mit ihm zu fühlen wissen, wird es verstehen, wie nichtssagend tausend Cicero's sind neben einem Naturgesetze.

Unter den wenigen neuen Bekanntschaften, die Goethe in Rom machte, verdient die des Dichters Monti erwähnt zu werden, dessen Tragödie Aristodemo er aufführen sah. Durch ihn ließ er sich auch, obschon widerstrebend, in die literarische Gesellschaft Arcadia aufnehmen, wobei er den Namen Megalio (der Großartige) erhielt, »wegen der Größe oder Großartigkeit seiner Schriften, wie sich die Herren auszudrücken beliebten.« Brief an Fritz von Stein, 4. Januar 1787 » per causa della grandezza oder grandiosita delle mie opere.«

Was aber meinte Weimar zu dieser langen Abwesenheit seines Dichters? Statt an seiner Freude sich mitzufreuen, statt sein Streben zu billigen, murrte und klatschte dies Weimar und tadelte ihn laut, daß er unter Ruinen und Bildsäulen seine amtlichen Pflichten in der Heimat versäume. Selbst in Schiller's Briefen, der grade damals seinen ersten Besuch in Weimar machte, fand diese Mißstimmung ein Echo. »Armes Weimar! schrieb er im Dezember 1787 an Körner, Goethens Zurückkunft ist ungewiß, und seine ewige Trennung von Staatsgeschäften bei vielen schon wie entschieden. Während er in Italien malt, müssen die Voigts und Schmidts für ihn wie die Lastthiere schwitzen. Er verzehrt in Italien für Nichtsthun eine Besoldung von achtzehnhundert Thalern und sie müssen für die Hälfte des Geldes doppelte Last tragen.« Wie angelegentlich er währenddem für sie beim Herzog sorgte, sehe man in dem Briefwechsel. Anm. d. Uebers. Dergleichen von einem Schiller zu lesen, schmerzt, und auch sonst zeugen manche Stellen in diesen Briefen an Körner von einer Eifersucht gegen seinen großen Rivalen, die sich wohl aus seiner eigenen kümmerlichen Lage einigermaßen erklärt, aber doch jeden seiner Verehrer betrüben muß. Später brach dieses kleinliche Gefühl sogar ganz offen und in schroffer Härte hervor.

Während Weimar murrte, fühlte der Herzog richtiger und edler. In einem Briefe voll zärtlicher Freundschaft entband er Goethen von allen seinen Amtspflichten und stellte die Dauer des Urlaubs völlig in sein eigenes Belieben. Zwar ohne Goethe war Weimar für Karl August gewiß ein ganz anderes, aber ihn konnte keine Selbstsucht bestimmen, des Freundes Aufenthalt in Italien zu verkürzen.

Am 22. Februar ging Goethe von Rom nach Neapel und verlebte da fünf Wochen in herzlichem Genuß. Sein Incognito nicht länger bewahrend, gab er sich frei dem geselligen Verkehr hin und noch freier verkehrte er mit dem Volke, dessen selig leichtsinniges far niente ihn entzückte. Damals lebte in Neapel der englische Gesandte Ritter Hamilton mit seiner reizenden Frau, deren Schönheit später den edlen Sinn Nelsons in Schmach verstrickte. Goethe war ganz bezaubert von ihrer Anmuth und Schönheit und schildert voll Bewunderung den Genuß, sie in griechischem Gewande die abwechselndsten Stellungen machen zu sehen. In einer ganz andern Weise zogen ihn die Schriften Vico's an, mit denen ihn Filangieri, der von dem großen Denker mit aller Wärme eines Südländers sprach, bekannt gemacht hatte.

»Wenn man in Rom gern studiren mag, schrieb er damals, so will man hier in Neapel nur leben.« Und er lebte ein reiches Leben: am Gestade des Meeres, unter Fischern, unter dem Volke, mit der guten Gesellschaft, Adel und Prinzen, am Vesuv, auf der mondbeglänzten Zauberpracht des Wassers, in der Gräberstadt Pompeji, am Posilippo – überall sog er sich frisches Entzücken, überall nährte er Geist und Phantasie mit neuen Bildern. Den Vesuv bestieg er dreimal, und wie er später auf dem Feldzuge in Frankreich während einer heftigen Kanonade ruhig seinen wissenschaftlichen Beobachtungen nachging, so sehen wir ihn auch hier vor keiner Gefahr zurückbeben, um die vulkanischen Erscheinungen in aller Nähe zu betrachten. Auch ist das nicht der einzige auffallende Zug. Seine persönliche Sicherheit konnte ihn wissenschaftliche Neugierde vergessen machen, aber der Vulkan regte nicht einen poetischen Gedanken in ihm an. Er schildert denselben so ruhig, als wäre es der Ettersberg bei Weimar.

Indeß, ab und zu machte sich seine Begeisterung doch Luft. Im Paestum war er über die herrlichen Ruinen des antiken Tempels, die noch heute von der Größe griechischer Kunst so beredtes Zeugniß geben, vor Entzücken ganz außer sich, und bei ihrem Anblick fühlte er sich von den »kauzenden Heiligen der gothischen Zierweisen, den Tabackspfeifensäulen, spitzen Thürmlein und Blumenzacken Gott sei Dank auf immer los.« Schon vorher diesen Kunstformen allmälig entfremdet, vollzog sich nun in Italien seine Bekehrung vom Christenthum zum Hellenenthum vollständig.

Pompeji, Herculanum und Capua zogen ihn weniger an, als man erwarten sollte. »Die Natur, sagt er, ist doch das einzige Buch, das auf allen Seiten großen Gehalt bietet.« Sie war das Buch, das ihn fesselte, wie Märchenbücher Kinder fesseln. Das Meer in ewig wechselnder Schöne und die Ufer mit ihren reichen Schätzen boten unerschöpflichen Stoff für Genuß und Studium. Auf diesen einsamen Wanderungen, wo die Musik der Wogen, diese ewige Polyphonie des Meeres, seine Gedanken beflügelte, enthüllte sich ihm das Geheimniß der Pflanzenformen, das ihn so lange verfolgt, so oft seiner Mühe gespottet hatte, in vollem Lichte, und die Urpflanze war nicht länger ein flüchtiger Gedanke, sondern ein klar erfaßtes Gesetz.

Am 2. April kam er in Palermo an. Vierzehn Tage verweilte er dort unter frisch grünenden Maulbeerbäumen, immer grünenden Oleander, Citronenhecken, ganz verloren in die entzückenden Freuden dieser Umgebung, die ihn traumhaft süß in Vergessenheit einwiegten gegen alles, was nicht Augenblick und Gegenwart war. »Mit keinem Wort, schrieb er, ist die dunstige Klarheit auszudrücken, die um die Küsten schwebt. Die Reinheit der Contoure, die Weichheit des Ganzen, das Auseinanderweichen der Töne, die Harmonie von Himmel, Meer und Erde – wer es gesehen hat, der hat es auf sein ganzes Leben.« Die vergnügtesten Stunden brachte er im Stillen in einem öffentlichen Garten unmittelbar am Meere zu; üppigster Pflanzenwuchs umgab ihn da, der feine Duft der südlichen Atmosphäre verlieh jeder Ansicht nah und fern die wundersamste Anmuth; »er sah keine Natur mehr, sondern nur Bilder, wie sie der künstlichste Maler durch Lasiren auseinander gestuft hätte.« Dazu »die schwärzlichen Wellen am Horizont, ihr Anstreben an die Buchtkrümmungen, selbst der eigene Geruch des dünstenden Meeres, das alles rief die Insel der seligen Phäaken in Sinn und Gedächtniß.« Sogleich eilte er einen Homer zu kaufen und übersetzte seinem Reisegefährten, dem Maler Kniep, aus dem Stegreife den betreffenden Gesang der Odyssee. In Sicilien zuerst wurde ihm »die Odyssee ein lebendiges Wort.« Ihre Lectüre gab ihm den Plan zu der Nausikaa ein, worin er das homerische Gedicht dramatisch zu behandeln gedachte. Aber es blieb beim Plane. Seine poetischen Vorsätze wurden von den botanischen Studien verdrängt, der Garten des Alcinous verschwand vor dem Weltgarten der Natur; die Urpflanze beherrschte seine Gedanken.

Palermo war der Geburtsort Cagliostro's, jenes verwegenen Abenteurers, der drei Jahre zuvor in der Pariser Halsbandgeschichte eine so hervorragende Rolle gespielt hatte. Neugierig, die Verwandten eines so sonderbaren Menschen kennen zu lernen, suchte Goethe sie auf; er gab sich für einen Engländer aus, der ihnen von dem kürzlich nach London entflohenen Cagliostro Nachrichten zu bringen habe. Diesen Besuch hat er selbst mit behaglicher Breite erzählt; da sich aber weiter kein biographisches Interesse daran knüpft, so sei es mit dieser Hinweisung genug, und nur das sei noch hervorgehoben, daß auch dieses Mal seine immer thätige Menschenliebe der armen Familie sich annahm und ihr zweimal eine Unterstützung an Gelde zuwandte.

Nach einem Ausfluge durch Sicilien kehrte er am 14. Mai nach Neapel zurück, nahe dem Lande noch mit Schiffbruch bedroht. Die beiden ersten Akte des Tasso, damals noch in Prosa, hatten ihn auf der Reise begleitet: als er sie zu poetischer Umarbeitung vornahm, fand er sie »etwas weichlich nebelhaft;« doch verlor sich das, sobald er nach seinen neugefaßten Ansichten, »die Form vorwalten und den Rhythmus eintreten« ließ. Nach vierzehntägigem Aufenthalt ging er nach Rom zurück. Vom 6. Juni 1787 bis zum 22. April 1788 verlebte er dort zehn arbeitsvolle Monate, die nur eine so außerordentliche Thätigkeit wie die seine so fruchtbringend machen konnte. Viel Zeit freilich verbrachte er mit nutzlosen Liebhabereien, indem er aus sich etwas zu machen suchte, was die Natur ihm versagt hatte. Und doch ist es wohl eine bedenkliche Behauptung, bei solch einem Geiste sei irgend eine Bemühung verloren gewesen. Machten ihn seine Studien auch nicht zum Maler, so förderten sie ihn ohne Zweifel in andern Beziehungen. Kunst und Alterthümer studirte er mit Kunstfreunden gemeinsam. Rom ist bildend an sich und er seinerseits war eifrig, zu lernen. Die praktischen Kunstübungen schärften seine Auffassung. Er lernte Perspektive, zeichnete nach dem Modell, betrieb Landschaftsmalerei mit Leidenschaft und fing sogar an in Thon zu modelliren. Angelica Kaufmann versicherte ihn, sie kenne in Rom wenige, die in der Kunst besser sähen als er, und die andern meinten, bei fortgesetzter Uebung werde er noch mehr leisten können, als blos zu sehen. Indeß Studium und Uebung halfen doch nichts; er brachte es nicht einmal zu einem tüchtigen Dilettanten. Daß ein Goethe eine Kunst, für die er kein Talent hatte, so hartnäckig betrieb, stimmt uns milder für die Beurtheilung so vieler hochbegabter Männer, die sich mit Gedichten abquälen, welche kein Gebildeter lesen kann; bei aller Einsicht und Bildung sind sie doch nicht im Stande, an sich selbst den Unterschied zwischen Begehrung und Begabung einzusehen.

Doch ging nicht alle Zeit mit diesen vergeblichen Bemühungen hin. Abgesehen von seinen naturwissenschaftlichen Forschungen war er auch literarisch ausnehmend thätig. Zunächst arbeitete er den Egmont um. Die ersten zwei Akte waren schon 1775 in Frankfurt flüchtig entworfen und 1782 hatte er in Weimar das ganze Stück aus dem Rohen gearbeitet. Die neue Bearbeitung machte ihm viel Mühe, aber auch viel Freude, und als er sie beendet, war er ganz stolz darauf und hoffte sicher auf den Beifall seiner Weimarschen Freunde. Herder schlug diese Hoffnung etwas nieder; nie sehr freigebig mit Lob fand er an Clärchen manches auszusetzen, während Goethe mit Recht grade diese Figur besonders glücklich gezeichnet zu haben glaubte. Neben dem Egmont arbeitete er auch die beiden Singspiele, »Erwin und Elmire« und »Claudine von Villa Bella« für die neue Ausgabe seiner Schriften um, schrieb einige Scenen vom Faust, so die Hexenküche (im Garten Borghese), und die Gedichte: Amor als Landschaftsmaler, Amor als Gast, Künstlers Erdenwallen und Künstlers Apotheose. So beendete er die Redaktion der letzten vier Bände seiner (später bei Göschen erschienenen) gesammelten Schrift, die ihn, wie wir wissen, nach Carlsbad und Italien begleiteten.

Die Wirkung seiner italienischen Reise, namentlich des Aufenthaltes in Rom, war vielseitig und tief. Reisen in fremden Ländern ist immer von großem Einfluß, selbst auf ungebildete, stumpfe Gemüther; nicht nur, weil neue Gegenstände zur Anschauung kommen, sondern und hauptsächlich, weil der Geist von allen verschlungenen Banden der Gewohnheit sich frei macht, die mit der Zeit das wahre Leben verdecken. Diese Befreiung ist hoch bedeutsam, sie giebt uns einen neuen Standpunkt für die Beurtheilung unser selbst und anderer und zeigt uns, wie so vieles, was uns wesentlich erschien, nur zufällig und alltäglich ist. Goethe wenigstens kam über sich und seine Bestimmung zu größerer Klarheit; von allen Fesseln des gewohnt alltäglichen Lebens frei, die ihn in Weimar beengten, lernte er in Italien einen andern und weiteren Blick über seine Stellung nehmen. Ein anderer Mann kehrte er heim. Der Krystallisationsproceß, der in Weimar schon begonnen, vollendete sich in Rom. Als eine entscheidende Probe erwähnen wir, daß er dort seinem Streben, ein Maler zu werden, endlich und für immer entsagte. Täglich wurde es ihm deutlicher, daß er eigentlich zur Dichtkunst geboren sei, und er beschloß, die nächsten zehn Jahre, »die er höchstens noch arbeiten dürfe, nur dieses Talent zu üben.«

Eine Frucht seiner Kunststudien war die Aussöhnung seiner Theorie mit der eignen Dichtung. Die objektive Richtung seines Geistes haben wir bereits wiederholt hervorgehoben, und nun lernte er diese Richtung auch in der antiken Kunst als vorherrschend erkennen. »Laß mich, schreibt er an Herder, meine Gedanken kurz so ausdrücken: die Alten stellten die Existenz dar, wir gewöhnlich den Effekt, sie schilderten das Fürchterliche, wir schildern fürchterlich, sie das Angenehme, wir angenehm u. s. w. Daher kommt alles Uebertriebene, alles Manierirte, alle falsche Grazie, aller Schwulst, denn wenn man den Effekt und auf den Effekt arbeitet, so glaubt man ihn nicht fühlbar genug machen zu können.« Dieser glänzende Satz ist ästhetisch so zutreffend, wie historisch ungenau, wenn wir nämlich unter den Alten nicht blos den Homer und einige Sculpturen verstehen. Bei Aeschylus, Sophokles, Euripides, Pindar, Theokrit, Horaz, Ovid oder Catull geht er weit von der Wahrheit ab, und überhaupt ist er nur der Ausdruck jenes althergebrachten Wahns über antike Kunst, der vor dem sichern Blick ruhiger Betrachtung verschwindet; aber ungenau wie jenes Wort sein mag, es verdeutlicht so recht Goethe's Ansicht. Wenn er das in Italien fand, so war es, weil es am besten zu seiner eigenen, in eminentem Sinne concreten Richtung stimmte. »Man spricht immer vom Studium der Alten, äußerte er gegen Eckermann, allein was will das anders sagen als: richte Dich auf die wirkliche Welt und suche sie auszusprechen; denn das thaten die Alten auch, da sie lebten.« Und im unmittelbaren Anschluß daran: »Alle im Rückschreiten und in der Auflösung begriffenen Epochen sind subjektiv, dagegen aber haben alle vorschreitenden Epochen eine objektive Richtung. Unsere ganze jetzige Zeit ist eine rückschreitende, denn sie ist eine subjektive.« In Rom ließ er's mit stillem Lächeln geschehen, wenn die Kunstfreunde ihn »in metaphysischen Gesprächen nicht für voll ansahen;« da er ein Künstler sei, meinte er, so könne es ihm gleich sein; vielmehr sei ihm daran gelegen, daß »das Principium verborgen bliebe, aus dem und durch das er arbeite.« Wie wenige Deutsche könnten das ohne Erröthen sagen! wie wenige mit Goethe in das Wort einstimmen: »Ich habe nie über das Denken gedacht.«

Zu den Vorgängen des äußern Lebens uns zurückwendend finden wir Goethe abermals in einer unglücklichen Leidenschaft befangen. Wie er Frau von Stein verlassen, haben wir gesehen. Ihr Bild begleitete ihn auf allen Wegen, auf das treulichste unterhielt er den Briefwechsel mit ihr. Aber die lange Dauer der Abwesenheit scheint seine Leidenschaft abgekühlt zu haben. Ein Jahr war er von ihr getrennt, und kalt, fast abstoßend hart hatte er sich von weiblichen Bekanntschaften zurückgehalten, als die Reize einer jungen Mailänderin, die er in Castel Gandolfo bei Rom kennen lernte, ihn gefangen nahmen. Mit der Raschheit der Jugend verliebte er sich in sie – um zu erfahren, daß die Schöne bereits verlobt sei. Nur wenig ist von dieser Liebesgeschichte bekannt; wir haben keine andere Quelle als die niedliche, aber wenig bestimmte Erzählung in der italienischen Reise, und die schrieb er erst in spätem Alter. Genug, er liebte, erfuhr daß die Geliebte verlobt sei, und zog sich zurück, um seinen Schmerz zu verleben. Während einer Krankheit, die sie nach einem nicht ganz verständlichen Streit mit ihrem Bräutigam befiel, erschöpfte er sich in stillen Aufmerksamkeiten, aber, obwohl er sie nach der Genesung wieder sah und sie nun frei war, that er doch, soviel ich sehe, keine Schritte, um ihr den verlornen Bräutigam zu ersetzen. Wie sich vermuthen läßt, ging in den Briefen an die Stein eine sichtliche Aenderung vor; sie wurden weniger vertraulich und mittheilsam, und sie bemerkte diesen Wechsel wohl.

Zu Herder blieben seine Beziehungen, auch brieflich, sehr herzlich. Mit Freuden sieht man den lebhaften Antheil, mit dem er Herder's Ideen aufnimmt, und die warme Bewunderung, mit der er sie in Rom liest – einigermaßen abweichend von der Aufnahme, die dieser seinen römischen Sendungen giebt!

Am 22. April 1788 verließ er Rom, mit unsagbarem Schmerz, aber in dem Bewußtsein, zu neuem Lebenslauf gerüstet zu sein. Unterwegs mit der Bearbeitung des Tasso beschäftigt, nahm er den Heimweg über Florenz, Mailand, den Bodensee, Stuttgart und Nürnberg und traf am 18. Juni Abends zehn Uhr wieder in Weimar ein. Diese Reiseroute widerlegt die vielfach ausgesprochene Ansicht, daß die Stellen im Schiller-Körner'schen Briefwechsel (Bd. 4 S. 59 ff.), worin von dem Verhältniß eines »G.« zu einer jungen Mailänderin die Rede ist, sich auf Goethe beziehen. Nach dem ganzen Zusammenhang der betreffenden Briefe ist es unzweifelhaft, daß dieser G. kein anderer ist, als Graf Geßler, der Freund Körners und durch diesen auch dem Schillerschen Kreise bekannt.



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