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Neunter Abschnitt.
Tasso.

Der Tasso eine Reihe tadelloser Verse, kein Drama. Der Stoff rein psychologisch. Uebersicht über den Inhalt des Stücks.

Tasso ist eine Reihe tadelloser Verse, kein Drama. Um dies ausgezeichnete Werk recht zu genießen, müssen wir nicht mit der Erwartung daran gehen, die Eigenschaften darin zu finden, die man von einem Drama verlangt. Der Tasso hat seinen Reiz, dem kaum jemand widerstehen wird, aber neben der natürlichen Tochter ist er unter den dramatischen Versuchen Goethe's der schwächste. Ein ruhiger, breiter Lichtstrom durchzieht das Stück, aber es fehlt ganz an den scharfen Lichteffekten, die nun einmal zu der modernen dramatischen Form gehören. Es hat die Klarheit, Einheit und unvergleichliche Anmuth eines Raphael, nicht die strahlende Wärme eines Tizian oder die stattliche Pracht Paul Veronese's.

Handlung ist kaum in dem Stück, und was da ist, ist nur der Träger eines inneren Kampfes in Tasso's Seele, dessen Liebe und Wirrheit sich unaufhörlich durchfühlen lassen, aber niemals zu dramatischer Wirkung emporflammen. Die Tragödie ist rein psychologisch, eine Darstellung wogender Gefühle, ein ruhiges Charaktergemälde, und zwar nur in der Form des Dialogs, nicht der Handlung. Die Schönheit des Tasso liegt lediglich in seiner Poesie, und wenn wir nicht den Zauber der Form fühlen, so wird es uns so wenig rühren, wie ein schlechter Abguß einer schönen Statue. Aus diesem Grunde ist es sehr schwierig, in den Inhalt des Stücks kritisch einzugehen, und doch legt mir die Bedeutung des Werkes diese Pflicht auf.

Goethe hat den Augenblick gewählt, wo Tasso, nachdem er eben sein befreites Jerusalem vollendet, unverkennbare Zeichen der unglücklichen Leidenschaft und der unglücklichen Krankheit giebt, die sein Leben zu einem der traurigsten machen in der langen traurigen Reihe

Gewalt'ger Dichtergeister, die im Elend starben.

Ich bin in diesem Abschnitt der Literaturgeschichte nicht genug bewandert, um zu einem Urtheil berechtigt zu sein, inwiefern Goethe geschichtliche Thatsachen in sein Stück zu verarbeiten verstanden hat; nach dem Ausspruch deutscher Kritiker hat er es mit Geschichte gesättigt. Sicher ist indeß, daß er die strenge geschichtliche Wahrheit sowohl in dem Charakter des Alphonso als in dem Tone des ganzen Drama's verletzt hat. War doch zwischen der Stellung Tasso's am Hofe zu Ferrara und der Goethe's am Weimarischen Hofe eine zu große Aehnlichkeit, als daß diese Abweichung von der Geschichte nicht durch den Wunsch, persönliche Erlebnisse darzustellen und dabei doch den Schein des Spottes gegen Hofgunst zu vermeiden, geboten gewesen wäre. Hätte Goethe das Verhältniß Tasso's zu Alphonso treu dargestellt, so würde das Publikum zwischen den Zeilen übelwollende Anspielungen gegen den Weimarischen Hof herausgelesen haben. Indeß auch so ist man mit sinnreichen Vermuthungen sehr freigebig gewesen; Alphonso gilt für Karl August, die Prinzessin für die Herzogin Louise, Antonio ist Herder und Leonore Sanvitale die Frau von Stein. Bis zu welchem Grade diese Vermuthungen wahr sind, ist schwer zu sagen; allerdings ist in manchem edlen Zuge Alphonso's der Herzog Karl August wieder zu erkennen, allerdings hegte Goethe für die Herzogin Louise zwar keine eigentliche Liebe, doch die zärtlichste Achtung, und kann auch Herder schwerlich für Antonio gelten, so trägt doch Leonore unzweifelhaft einige Züge der Frau von Stein. Auch hat er gegen Eckermann ausdrücklich zugegeben, daß Personen und Zustände am Weimarschen Hofe reichlich in den Tasso hineinspielen. Doch wird es bei alledem vergebene Mühe sein und widerstrebt auch dem Geiste poetischer Darstellungen, die Grenze genau bestimmen zu wollen, wo die Wahrheit aufhört und die idealisirende Dichtung anfängt.

Tasso wurde im Jahre 1777 begonnen, und um den leitenden Gedanken des Gedichts zu erfassen, müssen wir auf dieses Jahr zurückgehen. Tasso erscheint vor uns, ganz in poetisches Schaffen verloren, ruhelos, unbestimmt in seinem Streben. Er lebt in einer kleinen Stadt, die sich vor allen andern durch die Größe ihrer Fürsten, nicht des Volkes auszeichnet. »Ferrara ward durch seine Fürsten groß« und

Ein edler Mensch zieht edle Menschen a
Und weiß sie festzuhalten.

Er zieht sich vom Hofe zurück und ist nur in der Einsamkeit glücklich. Antonio, der Diplomat und vielerfahrene Mann, kommt von Rom zurück zu seinem Fürsten, und was er von der großen Welt draußen erzählt, erfüllt die Seele des Poeten mit Neid über seine Tüchtigkeit und praktische Gewandtheit. Vergebens hat die Prinzessin den Lorbeerkranz von Virgil's Büste genommen und auf Tasso's Haupt gesetzt, vergebens hat Alphonso seine innige Freude über die Vollendung des befreiten Jerusalem ausgesprochen; Tasso hat Antonio gehört, der Idealist hat sich mit der Realität der Dinge berührt und staunt über ihre Größe:

Sein Wesen, seine Worte haben mich
So wunderbar getroffen, daß ich mehr
Als je mich doppelt fühle, mit mir selbst
Auf's neu in streitender Verwirrung bin.

Die Prinzessin deutet sein Gefühl unrichtig als Neid gegen das Lob, welches Antonio dem Ariost gespendet; er weist das ab:

Nein, was das Herz im Tiefsten mir bewegte,
Was mir noch jetzt die ganze Seele füllt,
Es waren die Gestalten jener Welt,
Die sich lebendig, rastlos, ungeheuer,
Um Einen großen, einzig klugen Mann
Gemessen dreht und ihren Lauf vollendet,
Den ihr der Halbgott vorzuschreiben wagt.
Begierig horcht' ich aus, vernahm mit Lust
Die sichern Worte des erfahrnen Mannes;
Doch ach! je mehr ich horchte, mehr und mehr
Versank ich vor mir selbst, ich fürchtete
Wie Echo an den Felsen zu verschwinden,
Ein Wiederhall, ein Nichts mich zu verlieren.

Prinzessin.

Und schienst noch kurz vorher so rein zu fühlen,
Wie Held und Dichter für einander leben,
Wie Held und Dichter sich einander suchen,
Und keiner je den andern neiden soll?
Zwar herrlich ist die liedeswerthe That,
Doch schön ist's auch, der Thaten stärkste Fülle
Durch würd'ge Lieder auf die Nachwelt bringen.
Begnüge dich, aus einem kleinen Staate,
Der dich beschützt, dem wilden Lauf der Welt,
Wie von dem Ufer, ruhig zuzusehen.

Tasso.

Und sah ich hier mit Staunen nicht zuerst,
Wie herrlich man den tapfern Mann belohnt?
Als unerfahrner Knabe kam ich her,
In einem Augenblick, da Fest auf Fest
Ferrara zu dem Mittelpunkt der Ehre
Zu machen schien. O! welcher Anblick war's!
Den weiten Platz, auf dem in ihrem Glanze
Gewandte Tapferkeit sich zeigen sollte,
Umschloß ein Kreis, wie ihn die Sonne nicht
So bald zum zweitenmal bescheinen wird.
Es saßen hier gedrängt die schönsten Frauen,
Gedrängt die ersten Männer unsrer Zeit.
Erstaunt durchlief der Blick die edle Menge
Man rief: Sie alle hat das Vaterland,
Das Eine, schmale, meerumgebne Land,
Hierher geschickt. Zusammen bilden sie
Das herrlichste Gericht, das über Ehre,
Verdienst und Tugend je entschieden hat.
Gehst du sie einzeln durch, du findest keinen,
Der seines Nachbarn sich zu schämen brauche! –
Und dann eröffneten die Schranken sich;
Da stampften Pferde, glänzten Helm und Schilde,
Da drängten sich die Knappen, da erklang
Trompetenschall und Lanzen krachten splitternd,
Getroffen tönten Helm und Schilde, Staub,
Auf einen Augenblick, umhüllte wirbelnd
Des Siegers Ehre, des Besiegten Schmach.
O laß mich einen Vorhang vor das ganze,
Mir allzu helle Schauspiel ziehen, daß
In diesem schönen Augenblicke mir
Mein Unwerth nicht zu heftig fühlbar werde.

Antonio mag er nicht leiden; unmittelbar fühlt er den Gegensatz ihrer Naturen. Aber er bewundert ihn –

Er besitzt,
Ich mag wohl sagen, alles was mir fehlt.
Doch – haben alle Götter sich versammelt,
Geschenke seiner Wiege darzubringen:
Die Grazien sind leider ausgeblieben,
Und wem die Gaben dieser Holden fehlen,
Der kann zwar vieles nehmen, vieles geben,
Doch läßt sich nie an seinem Busen ruhn.

»Doch läßt sich ihm vertrau'n, und das ist viel,« antwortet die Prinzessin und leicht überredet sie ihn, Antonio um Freundschaft anzugehen. Aber die Weise, in der er es thut, ist wie eines Kindes, formlos, aufdringlich. Der ernste verständige Antonio hat nichts von dieser überschwänglichen Freundlichkeit, er liebt Tasso nicht und weist sein Entgegenkommen mit verletzender Kälte zurück. Ein Streit entspinnt sich; Tasso vergißt sich so weit, im Palast seines Fürsten das Schwert zu ziehen. Alphonso kommt dazu, trennt die Gegner und verweist Tasso auf sein Zimmer.

Dieser Streit zwischen Antonio und Tasso stellt offenbar den innern Kampf Goethe's zwischen politisch thätigem und poetisch beschaulichem Leben in seiner ersten Weimarschen Zeit dar. Die höhnische Kälte Antonio's ist die offene Kriegserklärung der Politik gegen die Poesie.

Die über Tasso verhängte Strafe, unbedeutend und eine bloße Form wie sie ist, reizt seine schon erregte Stimmung noch mehr und entwickelt die überspannte Richtung seines Geistes immer schärfer. Er stellt sich mit Antonio ausgesöhnt, während er ihn wie alle andern gegen sich verschworen glaubt, und bittet um seinen Abschied zu einer Reise nach Rom. Nachdem ihm der Fürst diese Bitte gewährt, hat er eine Unterredung mit der Prinzessin, in der seine lang verhaltene Leidenschaft zu heller Flamme emporlodert. Ich gebe den Schluß dieser Scene:

Tasso.

Du bist es selbst, wie du zum erstenmal,
Ein heil'ger Engel mir entgegen kamst!
Verzeih' dem trüben Blick des Sterblichen,
Wenn er auf Augenblicke dich verkannt.
Er kennt dich wieder! Ganz eröffnet sich
Die Seele, nur dich ewig zu verehren.
Es füllt sich ganz das Herz von Zärtlichkeit –
Sie ist's, sie steht vor mir. Welch ein Gefühl!
Ist es Verirrung, was mich nach dir zieht?
Ist's Raserei? Ist's ein erhöhter Sinn,
Der erst die höchste, reinste Wahrheit faßt?
Ja, es ist das Gefühl, das mich allein
Auf dieser Erde glücklich machen kann,
Das mich allein so elend werden ließ,
Wenn ich ihm widerstand und aus dem Herzen
Es bannen wollte. Diese Leidenschaft
Gedacht' ich zu bekämpfen, stritt und stritt
Mit meinem tiefsten Sein, zerstörte frech
Mein eignes Selbst, dem du so ganz gehörst –

Prinzessin.

Wenn ich dich, Tasso, länger hören soll,
So mäßige die Gluth, die mich erschreckt.

Tasso.

Beschränkt der Rand des Bechers einen Wein,
Der schäumend wallt und brausend überschwillt?
Mit jedem Wort' erhöhest du mein Glück,
Mit jedem Worte glänzt dein Auge heller.
Ich fühle mich im Innersten verändert,
Ich fühle mich von aller Noth entladen,
Frei wie ein Gott, und alles dank ich dir!
Unsägliche Gewalt, die mich beherrscht,
Entfließet deinen Lippen; ja, du machst
Mich ganz dir eigen. Nichts gehöret mehr
Von meinem ganzen Ich mir künftig an.
Es trübt mein Auge sich in Glück und Licht,
Es schwankt mein Sinn. Mich hält der Fuß nicht mehr,
Unwiderstehlich ziehst du mich zu dir,
Und unaufhaltsam dringt mein Herz dir zu.
Du hast mich ganz auf ewig dir gewonnen,
So nimm denn auch mein ganzes Wesen hin!

Er fällt ihr in die Arme; die Prinzessin stößt ihn von sich und eilt hinweg; Antonio tritt zu Tasso, der wie von Sinnen seinen Fürsten als Tyrannen verwünscht und auf den verständigen Zuspruch des Weltmannes mit gesteigerter Wuth antwortet; er sieht den Staub des Wagens aufwirbeln, der die Prinzessin für immer von ihm entfernt, und sinkt ermattet zusammen. »Ermanne Dich! Du giebst zu viel Dir nach,« ruft ihm Antonio zu; »vergleiche Dich; erkenne was Du bist.« So »zur rechten Zeit erinnert« kommt Tasso zu sich und erkennt, daß eines ihm bleibt:

Die Thräne hat uns die Natur verliehen,
Den Schrei des Schmerzens, wenn der Mann zuletzt
Es nicht mehr trägt. – Und mir noch über Alles –
Sie ließ im Schmerz mir Melodie und Rede,
Die tiefste Fülle meiner Noth zu klagen:
Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt,
Gab mir ein Gott, zu sagen wie ich leide.

Dem Walten der »mächtigen Natur« sich fügend, die dem Felsen seine Festigkeit, der Welle die Beweglichkeit gegeben und bald in ihr die Sonne sich spiegeln, an ihrer Brust die Gestirne ruhen, bald sie in wildem Sturme überschäumen lasse, gesteht er dem Antonio seine Schwäche und richtet sich in diesem Bekenntniß auf an der Stärke des besonnen-verständigen Freundes.

Selbst aus dieser wenig erschöpfenden Darstellung wird der Leser entnehmen können, daß Frau von Staël Grund hatte zu der Bemerkung, die Farben des Südens träten in Goethe's Tasso nicht genug hervor ( les couleurs du midi ne sont pas assez prononcées). Das Stück ist in der That durchaus deutsch, und wie viel wirkliche Geschichte der Dichter auch hinein verwebt haben mag, es weht ein ganz anderer Geist darin, als der Italiens zu Tasso's Zeit. Die Prinzessin ist eine wahre Deutsche, die über ihre Gefühle mehr reflektirt als sich ihnen hingiebt, und über diesen schwankenden Träumer Tasso würde sich niemand mehr verwundert haben, als der wirkliche Torquato mit seinem leichtfertigen, leidenschaftlichen, stürmischen Wesen. Auch daß sein deutscher Namensvetter in der Poesie gleichsam die Aschenurne vergangener Leiden, die Vertraute stiller Schmerzen sah, würde der Italiener nicht verstanden haben.

Wie überwiegend vielmehr auch in diesem Drama persönliche Erlebnisse und Empfindungen des Dichters niedergelegt sind, machen nicht nur die sich unmittelbar aufdrängenden Beziehungen wahrscheinlich, die von Ferrara nach Weimar hinüberdeuten, sondern Goethe selbst hat es ausdrücklich bezeugt. An seine bereits früher angeführte ovidische Klage um den Abschied von Rom anknüpfend, sagt er am Schluß seiner italienischen Reise, jenen fremden Ausdruck eigener Empfindung habe er sich nicht lange wiederholen können, als er sich genöthigt gefühlt, ihn seiner Persönlichkeit, seiner Lage im besondersten anzueignen. Zuerst ganz der süßen Qual sich hingebend und besorgt, der zarte Duft inniger Schmerzen möchte bei dem Versuch einer Darstellung verschwinden, habe er sich bald zu einer freieren poetischen Thätigkeit ermannt und den Tasso wieder aufgenommen. »Wie mit Ovid dem Lokal nach, so konnte ich mich mit Tasso dem Schicksal nach vergleichen. Der schmerzliche Zug einer leidenschaftlichen Seele, die unwiderstehlich zu einer unwiderruflichen Verbannung hingezogen wird, geht durch das ganze Stück.«



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