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Achter Abschnitt.
Die lyrischen Gedichte.

Goethe's Vielseitigkeit thut seinem Ruhm Eintrag. Seine Poesie ist vollendet, die Prosa bisweilen schwach. Der Zauber seiner lyrischen Gedichte; ihre ungekünstelt natürliche Sprache; ihre einfachen Bilder. Der Fischer, die Braut von Korinth, der Gott und die Bajadere, der Erlkönig. Sie tragen ihre Melodie in sich.

Der Faust und die lyrischen Gedichte sichern Goethe den ersten Platz vor allen neueren Dichtern, Shakespeare ausgenommen, und wären sie die einzigen Schöpfungen seines Genius, so würde ihm nie jemand diesen Rang bestritten haben. Aber noch viele andere Werke hat er geschaffen und das heißt so viel als: er hat den Angriffen auf seinen Ruhm noch manchen Zugang eröffnet. Sein Reichthum thut seinem Ruhme Eintrag; daß er so viel gethan, hat den Glauben an seine Kraft vermindert; denn wie man die Kraft eines Lichtstrahls an seiner schwächsten Stelle mißt, so schätzt man, ungerecht genug, die Dichter nach ihren schwächsten Werken, außer wenn die Wogen des Enthusiasmus der Kritik mit ihren Bedenken über dem Kopfe zusammenschlagen. Die griechische Literatur steht für uns hauptsächlich darum so groß da, weil sie ein Bruchstück von Bruchstücken ist; ihre Meisterwerke sind erhalten, die schlechten sind untergegangen. Umgekehrt erscheint die Literatur unserer eigenen Zeit uns so armselig, nicht weil keine guten Bücher erschienen, sondern weil die Zahl der schlechten so massenhaft ist, daß jene ganz darin verschwinden. Goethe hat vierzig Bände voll des verschiedenartigsten Inhalts geschrieben. Er hat mit einer Vollendung geschrieben, die vor ihm kein Deutscher erreicht hat, und wiederum so dürftig, daß es höchst erfreulich wäre, dürfte man hoffen, daß kein Deutscher nach ihm es so versuchte. Aber die schwächsten Stellen sind in Prosa geschrieben. In seinen Versen ist er immer Poet; selbst seine dürftigsten Gedichte haben etwas von jener Grazie, die uns in den schönsten bezaubert.

Ihm schenkte des Gesanges Gabe,
Der Lieder süßen Mund Apoll –

und diese Gabe des Gesanges, die wahre Dichterweihe, welche kein anderes Talent ersetzen kann, macht seine Kleinigkeiten gefällig, seine besten Lieder unvergleichlich.

Goethe's lyrische Gedichte sind von allen seinen Werken die bekanntesten, und durch ihren Zauber haben sie selbst die Bewunderung seiner Gegner gewonnen. Wohl hört man über ihn und seine Werke die seltsamsten und verschiedensten Urtheile, aber über die kleineren Gedichte hört man nur einstimmiges Lob. Sie sind gesättigt mit einem Leben und einer Schönheit, gegen die kein Vorurtheil Stand hält; sie geben Gefühlen, die zugleich höchst mannigfaltig und wahr sind, musikalischen Ausdruck; sie sind heiter, graziös, kokett, spielend, zärtlich, leidenschaftlich, traurig, gedankenvoll und malerisch, bald einfach wie eine schlichte Weise, die uns in müßigen Stunden im Kopfe summt, bald schwer von mächtigen Gedanken, bald spiegeln sie mit himmlischer Anmuth den leichten Flug eines launigen Einfalls wieder, bald strömen sie Klageseufzer aus, in denen ein gepreßtes Herz sich Luft macht. »Diese Lieder (sagt Heine, selbst ein Meister des Gesanges) umspielt ein unaussprechlicher Zauber. Die harmonischen Verse umschlingen dein Herz wie eine zärtliche Geliebte; das Wort umarmt dich, während der Gedanke dich küßt.«

Zum Theil liegt dieser Zauber in der schlichten Einfalt der Sprache. Nicht wie bei den meisten Dichtern bewegt sie sich zwischen epigrammatischen Pointen und poetischen Effekten, blendet uns nicht mit künstlichen Bildern, die bei aller Schönheit doch selten den wirklichen Sinn wiedergeben, zu dessen Schmuck sie bestimmt sind; wie eine Blume sich erschließt, so anspruchslos anmuthig ist diese Sprache, und sie wechselt so mannigfaltig, wie die Natur des Gegenstandes es erfordert. Sie entbehrt alles Beiwerks von Zierrath. Ihre Schönheiten sind ›organisch‹, sind eng verflochten in das dichterische Gewebe selbst, nicht blos zum Schmuck angeheftet. Nehmen wir z. B. die Ballade vom Fischer. Wie einfach und geradezu sind da die Bilder, und doch wie wunderbar malerisch! »Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll, ein Fischer saß daran« – mit weniger Worten kann eine Situation nicht gezeichnet werden.

Labt sich die liebe Sonne nicht,
Der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenathmend ihr Gesicht
Nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
Das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
Nicht her in ew'gen Thau?

Schöner, wonniger kann keine Sprache malen. Und die Mittel, mit denen das erreicht ist? Der Grundton ist schlicht, wie in einem Volksliede, wenige Züge wie die glücklich bezeichnenden »wellenathmend«, »feuchtverklärt«, geben eine idealere Färbung, der ruhig schöne Fluß der Gedanken schafft sich die spiegelhelle Form. Wenden wir uns zu einem ganz verschiedenartigen Gedichte, »die Braut von Corinth« – wie scharf und unverhüllt spricht da jedes Wort das geheimnißvolle Grausen der Situation aus! Die Vampyrbraut hört die dumpfe Geisterstunde schlagen –

Und nun schien es ihr erst wohl zu sein;
Gierig schlürfte sie mit blassem Munde
Nun den dunkel blutgefärbten Wein –

Den Jüngling verlangt nach ihrer Umarmung; von der Liebe Jugendkraft beseelt, umfaßt er sie –

Wechselhauch und Kuß!
Liebesüberfluß!
Brennst du nicht und fühlest mich entbrannt?
Liebe schließet fester sie zusammen,
Thränen mischen sich in ihre Lust;
Gierig saugt sie seines Mundes Flammen,
Eins ist nur im andern sich bewußt. –

Wie geisterhaft ist diese Lust, diese Vereinigung von Tod und Leben, dieser Hochzeitsaltar auf einem Grabe! In dem ganzen wunderbaren Gedichte ist nicht ein einziges Bild, alles wird einfach und geradezu erzählt, alles steht in voller Realität vor uns. Dasselbe gilt von der bekannten Ballade »der Gott und die Bajadere«, die so zu sagen das Gegenbild der Braut von Corinth ist. In diesem Gedichte ist der Wechsel des Rhythmus, der zwischen zärtlicher Leichtigkeit und feierlichem Ernst hin und wieder spielt, von einer Wirkung, und die ganze Folge der Vorgänge entrollt sich in einer Reihe von Bildern mit einer Kunst, welche kein anderer deutscher Dichter je erreicht hat. Auch im Erlkönig zeigt sich dieselbe Kunst. Die Unruhe des unregelmäßigen Rhythmus mit seinen ungleichen, bald jambischen, bald anapästischen Versfüßen, – Schubert's bekannte Composition giebt sie wunderbar wieder – entspricht sowohl der unheimlichen Scenerie, in der der Nebel hin- und herwogt und der Nachtwind in den dürren Blättern raschelt, wie dem düstern Inhalt dieses Nachtstücks; die Situation ist auch hier gleich in den ersten zwei Zeilen gegeben: der Vater mit seinem Kind, zu Pferde, spät in Nacht und Wind; die dramatische Form von Frage und Antwort zwischen Vater und Kind belebt den raschen Gang des Gedichts; die kleinen landschaftlichen Züge, in die der Vater die ängstlichen Gesichte des Kindes beruhigend aufzulösen strebt, sind mit außerordentlicher Kunst als poetische Motive nach zwei Seiten hin benutzt; sie vergegenwärtigen nach einander die Einzelheiten der Landschaft – den Nebel, die dürren Blätter, den Wind, die alten grauen Weiden – und eröffnen zugleich unserer Phantasie Blicke in die Geisterwelt, daß wir die Schrecken des Kindes verstehen und mitempfinden; und wenn bei diesem raschen Ueberblicke, wo wir nur andeuten können und das Beste dem Gefühl des Lesers anheimgeben müssen, von dem Allereinzelsten die Rede sein darf, wie kunstvoll und doch ungekünstelt ist das entscheidende Wort, das Lösewort des unheimlichen Räthsels auch das letzte des Gedichtes – »In seinen Armen das Kind war todt«.

So außerordentlich volksthümlich indeß der Erlkönig ist – es ist nicht ein einziges Wort darin, das nicht in jedem Volksliede stehen könnte – so läßt sich doch gerade an ihm der große Unterschied zwischen einem vollendeten Kunstwerke von Poesie und einer Volksballade Nachweisen. Goethe wurde zu seinem Erlkönig angeregt durch die dänische Ballade »Erlkönigs Tochter«, welche Herder übersetzt hatte; auch den irrigen Namen, der richtig Elfenkönig heißen müßte, entnahm er daher. Der Vers ist in beiden Gedichten derselbe; auch die erste und letzte Zeile stimmt in beiden fast überein, aber der Inhalt ist durchaus verschieden. In der dänischen Ballade begegnet Herr Oluf, als er zur Hochzeit reitet, Erlkönigs Tochter; sie ladet ihn ein, mit ihr zu tanzen; er lehnt es ab, da morgen sein Hochzeitstag sei. Sie bietet ihm goldene Sporen und ein seidenes Hemde, aber wieder antwortet er: auf morgen ist mein Hochzeitstag. Da bietet sie ihm Haufen Goldes; das will er wohl nehmen, aber tanzen darf und will er nicht. Voll Zorn giebt sie ihm einen Schlag aufs Herz, nun möge er nach Haus reiten. Als er nach Haus kommt, erschrickt seine Mutter, daß er so bleich sieht; er erzählt ihr, daß er in Erlkönigs Reich gewesen. »Und was soll ich deiner Braut sagen?« »Sag' ihr, ich sei im Wald mit Roß und Hunden.« Am andern Morgen kommen die Hochzeitsgäste und fragen nach Herrn Oluf; man weist sie auf einen rothen Mantel hin; die Braut hebt ihn auf – »da lag Herr Oluf und war todt«. Diese Inhaltsangabe wird zu einer Vergleichung in dem oben angedeuteten Sinne hinreichen.

Nicht in den Balladen allein, von denen wir die bekanntesten eben überblickt haben, zeigt sich Goethe's Meisterschaft in der lyrischen Poesie. Alle seine lyrischen Gedichte könnte ich durchgehen und ein neues Werk so lang wie diese Biographie darüber schreiben, ohne das reiche Thema zu erschöpfen. Von den frühesten Liedern, in denen er Natur und Liebe in herrlicher Vereinigung feiert bis hinan zu den Gesängen Mignons und des Harfners, welch' reicher Himmel, Stern bei Stern! Genüge es, zu jenem glänzend geistreichen Worte Heinrich Heine's noch das zwar einfachere, aber nicht leichter wiegende Lob Beethoven's hinzuzufügen. Beethoven sagte: Goethe's Lieder drängten ihn zum Componiren, sie trügen ihre Melodie in sich. Und Musik werden sie bleiben, so lang die deutsche Zunge klingt.

Einer weiteren Ausführung bedarf es in dieser Lebensbeschreibung nicht. Ist sie doch selbst nur ein Commentar zu diesen Gedichten, die zu ihren andern Vorzügen auch noch den haben, daß sie wirkliche Ausdrücke dessen sind, was er dachte und fühlte.

Spät erklingt, was früh erklang,
Glück und Unglück wird Gesang.

Selbst da, wo er wie in den Balladen oder in solchen Gedichten, wie die ausgezeichnete Idylle »Alexis und Dora«, nicht persönlichen Erlebnissen poetischen Ausdruck giebt, ist er nicht unwahr, heuchelt er nicht. Von den kleineren Gedichten sind manche wahre Schätze von Weisheit, und wieder andere sind nur heitere Naturlaute, wie sie »der Vogel singt, der in den Zweigen wohnet«.



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