Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfter Abschnitt.
Die Thätigkeit des Alters.

Goethe giebt die Zeitschrift »Kunst und Alterthum« heraus. Wachsende Hinneigung zum Mysticismus. Sulpiz Boisserée. Besuch von Lotte Kestner. Goethe's Frau stirbt. Sein Sohn heirathet Ottilie von Pogwisch. Wie Goethe die Bibliothek in Jena erweitert. Sein Streit mit dem weimar'schen Landtage wegen verlangter Rechnungsablage. Er soll eine Stange Gold gestohlen haben; Döbereiner's Platinastufe. Vermischte literarische Arbeiten. Die »Wanderjahre«; was davon zu halten; Eckermann's Bericht über ihre Bearbeitung; in Deutschland stoßen sie auf Widerspruch. Goethe's Ruhm verbreitet sich in Italien, England und Frankreich. Seine Lebenskraft selbst im hohen Alter. Seine Leidenschaft für Fräulein von Levezow. Feiert sein funfzigjähriges Jubiläum in Weimar. Erhält für Deutschland den Schutz seiner Werke gegen Nachdruck. Karl August stirbt; Eindruck auf Goethe.

An der Schwelle des Alters empfing Goethe eine glänzende Huldigung von seiner Vaterstadt. In den ersten Abschnitten von Wahrheit und Dichtung hatte er von Frankfurt ein Bild gegeben, welches seinen Landsleuten sehr gefallen mußte; je höher sein Ruhm ging, desto heller wurde auch der Abglanz, der auf sie fiel, und wenn es der Nachhülfe bedurft hätte, so sorgte Frau Rath dafür, den Frankfurtern den Namen ihres berühmtesten Mitbürgers im Gedächtniß zu halten. Einmal wurde im Theater ein Stück von Goethe aufgeführt, Frau Rath fehlte nicht, und im Zwischenakt sprach sie aus ihrer Loge ganz ungenirt zu den Schauspielern auf der Bühne: sie sollten nur recht brav spielen, sie wolle es auch dem Wolfgang nach Weimar schreiben. Im Jahre 1814 kam Goethe selbst durch Frankfurt und fand dort einen Empfang, der an Voltaire's letzten Besuch in Paris erinnert. Im Theater wurde Tasso mit großer Pracht gegeben. Kaum erschien der Dichter in seiner Loge, die mit Blumen und Lorbeerkränzen geschmückt war, als das Orchester eine Symphonie von Haydn begann und das ganze Haus sich mit jubelnder Begeisterung erhob. Endlich ging der Vorhang auf, eine feierliche Stille trat ein, und ein Prolog zur Begrüßung des Dichters wurde gesprochen, an dessen Schluß der Jubel von neuem ausbrach. Nach der Aufführung kam ein Epilog, während dessen die Lorbeerkränze von den Büsten Ariost's und Virgil's abgenommen und Goethen überreicht wurden. Als die Festlichkeit beendet war, standen in den Gängen und auf den Treppen die Schaaren seiner Verehrer, durch die er mit dankendem Lächeln hindurch schritt.

Im Jahre 1816 begann er die Zeitschrift »Kunst und Alterthum«, die er bis 1828 fortführte. Sie ist ein interessantes Denkmal seiner Studien und Strebungen im hohen Alter. Auch einen merkwürdigen Wechsel in der Richtung seiner Kunstideen bekundet sie. Wir haben gesehen, wie er zu der romantischen Schule stand, wie ihn seine Natur und sein Entwicklungsgang bestimmten, den Eigenthümlichkeiten dieser Schule die Vorzüge der klassischen Kunst entgegenzustellen. Die »Propyläen« vertraten seine antike Richtung, in »Kunst und Alterthum« spricht sich eine gewisse Hinneigung zur Romantik aus. Die gothische Kunst, die altdeutsche Malerei und die Niederländer widerstrebten ihm nun nicht mehr; aber als (1818) die Sculpturen vom Parthenon nach England geschafft und nun in Abgüssen aller Welt bekannt wurden, da lebte die alte Begeisterung wieder auf für jene Vollendung der Form, welche das Ideal der griechischen Kunst war, und eines schönen Tages trieb es ihn plötzlich nach dem benachbarten Rudolstadt, wo er sich an den kolossalen Pferdeköpfen vom Monte Cavallo »für lange Zeit herstellte«. Auch weiß Rauch aus damaliger Zeit – mit vielem Humor – von einem komischen Ausbruch Goethe's zu erzählen, als ihm der junge Rietschel sein Talent durch Verirrung auf die Abwege der Romantik zu gefährden schien. Wie würde er sich später gefreut haben, den Meister so ganz auf dem rechten Wege zu sehen!

So stark aber seine Abneigung gegen die Verirrungen der sogenannten christlichen Kunst auch war, er hatte doch zu viel vom Faust in sich, um sich von der Romantik ganz fern zu halten, obschon ihn, wie Boissereé bezeugt, die Romantiker persönlich abstießen. Mit zunehmendem Alter bildete sich natürlich auch die Richtung, an die Stelle poetischer Eingebung die Reflexion des Verstandes treten zu lassen, immer stärker aus, und mit seiner alten Neigung, Versteck mit den Leuten zu spielen, wurde es nun so sehr ernst, daß er vielleicht sich selbst eben so sehr anführte wie andere. So lange war die deutsche Nation wie versessen darauf gewesen, tiefen Sinn in Stellen seiner Werke zu entdecken, wo er selbst an verborgnen Sinn nicht entfernt gedacht; so lange hatte man ihn für einen Propheten erklärt, während er selbst nur Poet sein wollte, daß er nun seinerseits in die Falle ging und ein Prophet zu sein versuchte, da er nicht mehr ein so großer Dichter sein konnte als bisher. Nun sollte jeder individuelle Vorgang eine allgemeine Bedeutung haben, jede kleinste Wendung wurde wichtig. Ob der Löwe in der »Novelle« zu einer bestimmten Zeit brüllen sollte oder still sein, war ein Gegenstand langer Erwägung. Die Wanderjahre wurden eine große Rüstkammer von Symbolen, der zweite Theil des Faust eine andere. Mit stillem Behagen sah er die Kritiker der philosophischen Schule an weithergeholten Deutungen in der Erklärung seines Faust und Wilhelm Meister einander überbieten, und er war schlau genug, ihnen seine Unterstützung zu verweigern. Er sah ganze Bibliotheken mit Untersuchungen sich füllen über das, was »er gewollt habe«, aber nie ließ er sich zu einer Erklärung herbei, die diesen Untersuchungen ein Ende gemacht hätte. Vielmehr schien er geneigt, der Welt immer neue Räthsel aufzugeben. Kurz, er mystificirte das Publikum, aber sehr würdevoll, halb unbewußt, und bis auf einen gewissen Grad glaubte er selbst an seine eigene Mystifikation.

Im Jahre 1816 wurde Sachsen-Weimar zum Großherzogthum erhoben; der Großherzog verlieh ihm den neu gestifteten Falkenorden und erhöhte seinen Gehalt, der nun dreitausend Thaler und eine besondere Zulage für Pferde und Wagen betrug. Noch zwei andere Vorfälle sind in diesem Jahre anzumerken. Lotte, Werther's Lotte, nun sechzig Jahre alt und Wittwe mit zwölf Kindern, besuchte ihren Dichter in Weimar. Seit ihrer Heirath hatten sie einander nicht gesehen – welch ein Wiedersehen für sie beide! welch ein seltsames Spiel von Empfindungen muß das gewesen sein, die Erinnerung an eine heiter bewegte Vergangenheit und daneben die Ueberraschung, sich gegenseitig so verändert zu finden!

Das zweite und weit ernstere Ereigniß dieses Jahres war der Tod seiner Frau. Da die Menschen es einmal lieben, andere nach sich selbst zu beurtheilen und bei solchen Verlusten sich das ihrige zu denken, ohne weiter nach den Gefühlen des Betroffenen selbst zu fragen, so that auch hier mancher, als sei Christianens Tod für Goethe eine »glückliche Erlösung«. Aber der Schlag traf ihn hart. Sie, die achtundzwanzig Jahre lang ihn geliebt und gepflegt hatte, die bei allen ihren Fehlern ihm gewesen war, was keine andere Frau, sie konnte er nicht ohne tiefen Schmerz verlieren. Er hat seiner Trauer nur an zwei Stellen Ausdruck gegeben, in den schönen Versen, die mit der Ueberschrift ihres Todestages (6. Juni) in seinen Gedichten enthalten sind:

Du versuchst, o Sonne, vergebens
Durch die düstern Wolken zu scheinen!
Der ganze Gewinn meines Lebens
Ist, ihren Verlust zu beweinen –

und in einem Briefe an Zelter mit den Worten: »Wenn ich Dir, derber geprüfter Erdensohn, vermelde, daß meine liebe kleine Frau uns in diesen Tagen verlassen, so weißt Du, was es heißen will«. Schon im nächsten Jahre wurde sein einsames Haus neu belebt. Sein Sohn heirathete Ottilie von Pogwisch, eine der glänzendsten und muntersten Damen Weimars. Sie war stets ein großer Liebling ihres Schwiegervaters und führte ihm bis zu seinem Tode den Haushalt, empfing seine vielen Gäste und stand bei ihm so hoch in Gunst, daß sie sich alles erlauben durfte Auch sie ist nun gestorben, die letzte aus jenem Kreise, zu Weimar 26. Oct. 1872. Anm. d. Uebers.. Im nächsten Jahre sang er seinem ersten Enkel (Walther) das Wiegenlied. Bald erfreute ihn ein zweiter (Wolfgang), der, wie es scheint, später sein Liebling wurde; er ließ ihn bei sich im Zimmer arbeiten und spielen und pflegte ihn sein »liebes Wölfchen« zu nennen.

Seine Ministergeschäfte waren nicht schwer, wurden aber pünktlich vollzogen. Von seinem eigenwilligen und entschlossenen Verfahren mögen zwei Anekdoten Zeugniß geben. Die eine hat er selbst mit viel Selbstbehagen und Laune an Eckermann erzählt. »Die Jena'sche Bibliothek befand sich in einem sehr schlechten Zustande. Das Lokal war feucht und enge und bei weitem nicht geeignet, seine Schätze gehöriger Weise zu fassen, besonders seit durch den Ankauf der Büttner'schen Bibliothek von Seiten des Großherzogs abermals 13,000 Bände hinzugekommen waren, die in großen Haufen am Boden umherlagen, weil es, wie gesagt, an Raum fehlte, sie gehörig zu placiren. Ich war wirklich dieserhalb in einiger Noth. Man hätte zu einem neuen Anbau schreiten müssen, allein dazu fehlten die Mittel; auch konnte ein neuer Anbau noch recht gut vermieden werden, indem unmittelbar an die Räume der Bibliothek ein großer Saal grenzte, der leer stand und ganz geeignet war, allen unsern Bedürfnissen auf das herrlichste abzuhelfen. Allein dieser Saal war nicht im Besitze der Bibliothek, sondern im Gebrauch der Fakultät der Mediciner, die ihn mitunter zu ihren Konferenzen benutzten. Ich wendete mich also an diese Herren mit der sehr höflichen Bitte: mir diesen Saal für die Bibliothek abzutreten. Dazu aber wollten sich die Herren nicht verstehen. Allenfalls seien sie geneigt nachzugeben, wenn ich ihnen für den Zweck ihrer Conferenzen einen neuen Saal wolle bauen lassen, und zwar sogleich. Ich erwiderte ihnen, daß ich sehr bereit sei, ein anderes Lokal für sie herrichten zu lassen, daß ich aber einen sofortigen Neubau nicht versprechen könne. Diese meine Antwort schien aber den Herren nicht genügt zu haben. Denn als ich am andern Morgen hinschickte, um mir den Schlüssel ausbitten zu lassen, hieß es, er sei nicht zu finden. Da blieb mir weiter nichts zu thun, als eroberungsweise einzuschreiten. Ich ließ also einen Maurer kommen und führte ihn in die Bibliothek vor die Wand des angrenzenden gedachten Saales. »Diese Mauer, mein Freund, sage ich, muß sehr dick sein, denn sie trennt zwei verschiedene Wohnungspartien. Versuchet doch einmal und prüfet, wie stark sie ist«. Der Maurer schritt zu Werke, und kaum hatte er fünf bis sechs herzhafte Schläge gethan, als Kalk und Backsteine fielen und man durch die entstandene Oeffnung schon einige ehrwürdige Perrücken durchschimmern sah, womit man den Saal dekorirt hatte. »Fahrt nur fort, mein Freund, sagt' ich, ich sehe noch nicht hell genug. Genirt euch nicht und thut ganz, als ob ihr zu Hause wäret«. Diese freundliche Ermunterung wirkte auf den Maurer so belebend, daß die Oeffnung bald groß genug ward, um vollkommen als Thür zu gelten, worauf denn meine Bibliotheksleute in den Saal drangen, jeder mit einem Arm voll Bücher, die sie als Zeichen der Besitzergreifung aus den Boden warfen. Bänke, Stühle und Pulte verschwanden in einem Augenblicke, und meine Getreuen hielten sich so rasch und thätig dazu, daß schon in wenigen Tagen sämmtliche Bücher in ihren Repositorien in schönster Ordnung an den Wänden umherstanden. Die Herren Mediciner, die bald darauf durch ihre gewohnte Thür in corpore in den Saal traten, waren ganz verblüfft, eine so große und unerwartete Verwandlung zu finden. Sie wußten nicht, was sie sagen sollten, und zogen sich still wieder zurück; aber sie bewahrten mir alle einen heimlichen Groll. Doch wenn ich sie einzeln sehe und besonders wenn ich einen oder den andern von ihnen bei mir zu Tisch habe, so sind sie ganz charmant und meine sehr lieben Freunde. Als ich dem Großherzog den Verlauf dieses Abenteuers erzählte, das freilich mit seinem Einverständniß und seiner völligen Zustimmung eingeleitet war, amüsirte es ihn königlich, und wir haben recht oft darüber gelacht. Später als ich wegen großer Feuchtigkeit der Bibliothek einen schädlichen Theil der ganz nutzlosen alten Stadtmauer wollte abreißen und hinwegräumen lassen, erging es mir nicht besser. Meine Bitten, guten Gründe und vernünftigen Vorstellungen fanden kein Gehör, und ich mußte auch hier endlich eroberungsweise zu Werke gehen. Als nun die Herren der Stadtverwaltung meine Arbeiter an ihrer alten Mauer im Werke sahen, schickten sie eine Deputation an den Großherzog, der sich damals in Dornburg aufhielt, mit der ganz unterthänigen Bitte, daß es doch Seiner Hoheit gefallen möge, durch ein Machtwort mir in dem gewaltsamen Einreißen ihrer alten ehrwürdigen Stadtmauer Einhalt zu thun. Aber der Großherzog, der mich auch zu diesem Schritt heimlich autorisirt hatte, antwortete sehr weise: »Ich mische mich nicht in Goethe's Angelegenheiten. Er weiß schon, was er zu thun hat, und muß sehen, wie er zurecht kommt. Geht doch hin und sagt es ihm selbst, wenn Ihr die Courage habt.«

Die andere Geschichte erzählt Luden. Im Jahre 1823 trat der weimar'sche Landtag zusammen und verlangte Rechnungsablage. Goethe, der an der Spitze der Immediatcommission für Wissenschaft und Kunst stand, die über 11,787 Thaler zu verfügen hatte, ließ zuerst die Aufforderung zur Rechnungsablage unbeachtet, doch verlautete bald, er sei sehr ungehalten über den Landtag, daß derselbe sich herausnehme, von ihm über eine so lumpige Summe Rechnung zu verlangen. Endlich schickte er sie doch ein. Sie enthielt aber nur ein paar Zeilen: Einnahme – soviel, Ausgabe – soviel, folglich bleibt in der Kasse – soviel; unterzeichnet: Großherzogl. Immediatcommission für Wissenschaft und Kunst, Goethe. Als diese Zeilen verlesen wurden, brachen einige Abgeordnete in lautes Lachen aus; andere machten bittere Bemerkungen und schlugen sogar vor, das Geld nicht wieder zu bewilligen. Luden suchte diesen Beschluß abzuwenden und rieth dagegen, dem Dichter vorzustellen, daß man gar nicht zweifle, die Einnahme sei auf die beste und zweckmäßigste Weise verwendet worden, aber bei der Verwendung öffentlicher Gelder dürfe man nicht glauben, sondern müsse sehen. Von mehren Seiten wurden zwar Bedenklichkeiten erhoben: die Nachweisung der Ausgaben sei nichts, sie dürften nur für Nothwendiges und Nützliches gemacht werden; auch war die Rede von Spielereien, von Werken des Luxus, von Begünstigungen und ungebührlichen Besoldungen. Indeß ging der Beschluß durch und wurde dem Ministerium übergeben. Obgleich die Sitzungen des Landtags damals nicht öffentlich waren, so machte man aus den Verhandlungen doch kein Geheimniß, und bald genug waren denn auch diese allgemein bekannt. Goethe gerieth in heftigen Zorn; so lange hatte er dictatorisch gewaltet, ohne fremde Einsprache, und daß nun der Landtag seine Handlungen beaufsichtigen und bemängeln wollte, reizte ihn auf's höchste. Auch waren, trotz seines Unrechts, der Großherzog und die Großherzogin nicht geneigt, gegen ihn Partei zu nehmen. Karl August nahm mit dem Landtagsmarschall Rücksprache, die Großherzogin hatte mit Luden eine Unterredung, welche dieser mit folgenden Worten wiedererzählt. »Sie sprach zu mir mit derselben Feinheit und der edelsten Einfachheit, mit welcher sie so mächtig zu imponiren, mit welcher sie selbst Napoleons Zorn zu bändigen vermochte. Es wäre doch recht übel, sagte sie, wenn unsere freundlichen Verhältnisse gestört werden sollten. Es würde mir um so unangenehmer sein, da es, wie ich fürchte, auch den Großherzog verstimmen möchte. Der Landtag ist unleugbar in seinem Rechte; aber der Geheime Rath Goethe ist gewiß auch nicht der Meinung, daß er im Unrecht sei. Außer oder über dem geschriebenen Rechte giebt es ja noch ein anderes Recht; das ist das Recht für Dichter und Frauen. Der ganze Landtag ist doch wohl überzeugt, daß das bewilligte Geld wirklich von dem Herrn Geheimen Rathe verwendet worden sei (Luden bejahte das). Also kann nur noch gefragt werden, ob es gut oder zweckmäßig verwendet worden sei. Nun darf man doch auch nicht vergessen, in welcher Stellung der Geheime Rath Goethe zur Welt, zu unserm Lande, zum Hofe, zum Großherzoge seit einer langen Reihe von Jahren gewesen ist; diese Stellung hat natürlich auch auf seine Ansicht von den Dingen eingewirkt. Ich finde es daher ganz begreiflich, wie er wohl glauben kann, ihm stehe vor allen Andern das Recht zu, über die Zweckmäßigkeit der Verwendung des Geldes, das ihm zur Verwaltung übergeben worden ist, selbst zu entscheiden. Ich verstehe natürlich die Dinge nicht und bin weit entfernt, jemanden rechtfertigen zu wollen; mein Wunsch ist nur, daß die freundlichen Verhältnisse unter uns erhalten und dem alten Herrn geheimen Rathe eine Verdrießlichkeit erspart werden möchte. Wie das zu bewirken, weiß ich freilich nicht. Die Besorgniß des Landtags aber, daß andere Behörden oder deren Vorsteher sich auf diesen Vorgang berufen und die Vorlegung specieller Rechnungen verweigern möchten, ist doch wohl auch nicht sehr groß. Wir haben nur Einen Goethe, und wer weiß wie lange noch; ein zweiter dürfte sich vielleicht nicht bald wieder finden.«

Ist das nicht allerliebst? Und dürfen wir uns wundern, daß Luden sich überreden ließ und der gesammte Landtag zu einer Art schweigender Zustimmung gebracht wurde? Bei Gelegenheit dieser bezeichnenden Geschichten muß noch eine andere Platz finden, die weniger an sich Interesse hat, als weil sie in Deutschland und England in einer sehr abgeschmackten und sehr kränkenden Form verbreitet ist. Goethe soll eine Stange Gold gestohlen haben. Als ich das zum ersten Male hörte, allen Ernstes als eine Thatsache erzählen hörte, die bewiesen werden könne, erklärte ich es – der Leser kann denken, mit welcher Indignation – schlechthin für unmöglich und verlangte den Beweis; obschon der Beweis freilich überwältigend hätte sein müssen, ehe ich so etwas von Goethe glaubte. Indeß, der Beweis blieb aus. Schon hatte ich die Sache ganz vergessen, als sie mir noch einmal vorgebracht wurde und noch dazu in Weimar. Da stellte ich die nöthigen Nachforschungen an und fand, daß der Klatsch auf folgender Grundlage beruhe. Der Kaiser von Rußland hatte für den berühmten Chemiker Döbereiner eine große Platinastufe nach Weimar geschickt. Sie wurde an Goethe gegeben, der sie prüfen, Versuche daran machen und sie dann nach Jena an Döbereiner schicken sollte. Goethe, der für Mineralien bekanntlich eine wahre Leidenschaft hatte, stellte die Stufe zu seinen liebsten mineralogischen Schätzen, freute sich an ihrer Betrachtung und konnte sich endlich nicht mehr davon trennen. Döbereiner wurde ungeduldig und schrieb ihm darum. Keine Antwort. Er schrieb wieder; abermals vergebens. Es ging ihm wie einst dem Professor Büttner mit seinen Prismen und optischen Instrumenten, die er auch von Goethe nicht wiederbekommen hatte. Goethe verschob die Absendung weiter und weiter; endlich verlor Döbereiner die Geduld und beschwerte sich beim Großherzog. Karl August lachte: »Laßt den alten Esel in Ruhe! Ihr bekommt's doch nie von ihm. Ich will den Kaiser um eine andere Platinastufe bitten.«

Hierher gehört auch daß Goethe in seiner ersten weimarschen Zeit hundert Stiche von Albrecht Dürer aus Knebels Sammlung entnahm, um sie zu Hause mit Muße zu studiren, und daß sie Knebel nie wieder zu sehen bekam. Nun war dergleichen zwar in der Genieperiode ganz gewöhnlich, wo man alles mögliche von einander lieh und ans Zurückgeben nie dachte, und auch heute noch giebt es Leute genug, die im Behalten geborgter Bücher, Regenschirme u. dgl. ein gar weites Gewissen haben; aber zu rechtfertigen ist es doch nicht, und ich will's nicht entschuldigen. Mag der Leser daher über solche Leichtfertigkeiten so strenge urtheilen, wie es ihm gut scheint; nur verschone man uns künftig mit Geschichten wie die, Goethe habe ein Stück Gold oder eine Platinastufe gestohlen.

Mit Döbereiner verfolgt er in jenen Jahren alle neuen Erscheinungen, welche die fortschreitende Chemie der erstaunten Welt vorführte. Auch bereitete er seine Schriften über Morphologie für den Druck vor, studirte griechische Mythologie, englische Literatur und griechische Kunst. Byron's Manfred besprach er in Kunst und Alterthum und begrüßte den großen Dichter voll Begeisterung als die größte Erscheinung der neueren Zeit. Walter Scott las er mit stets wachsender Bewunderung. Homer, den er immer mit Liebe getrieben hatte, gewann nun für ihn wieder die Individualität, die ihm Friedr. Aug. Wolff eine Zeit lang zerstört hatte Erst die Gesundheit des Mann's, der, endlich vom Namen Homeros'
Kühn uns befreiend, uns auch ruft in die vollere Bahn.
Denn wer wagte mit Göttern den Kampf und wer mit dem Einen?
Doch Homeride zu sein, auch nur als letzter, ist schön.
; Schubarth's Ideen über Homer bekehrten ihn wieder zum Glauben an die persönliche Existenz des »blinden alten Mann's auf Chios' Felsenstrand«. Malerei, Sculptur, Baukunst, Geologie, Meteorologie, Anatomie, Optik, orientalische und englische Literatur, Calderon und die französischen Romantiker – das alles nahm abwechselnd seine unerschöpfliche Thätigkeit in Anspruch. »Das Leben, sagte er, gleicht doch zuletzt den sibyllinischen Büchern; es wird immer kostbarer, je weniger davon übrig bleibt«. Wer die letzten Jahre, die ihm von einem langen Leben noch übrig waren, so würdig zu benutzen verstand, dem müssen sie in der That kostbar gewesen sein. Je älter er wurde, desto fleißiger arbeitete er. In Gesellschaft ging er nur wenig, zu Hofe sehr selten. Die Zeit war längst vorüber, wo der persönliche Verkehr zwischen ihm und dem Fürsten so leicht und heiter sich herstellte wie zwischen Privatleuten, die Zeit, wo Karl August ihm z. B. anzeigte: »Gegen Abend komme ich zu Dir; laß doch Deine Hinterthür sowie Gartenthür offen, so um 6 herum«. Jetzt klagte der Großherzog wohl, daß er sich so abschlösse. »Wenn Du mich mit Deiner Gegenwart beglücken willst, so erkenne ich es mit Danke« (1816), und einige Jahre nachher (1821): »Ich wollte Dir das Bild nicht senden, in der Hoffnung, daß es Dich aus der Höhle locken sollte, da Lichtmeß schon lange vorbei ist, ein Tag, wo jeder Bär und Dachs das Lager verläßt«. Statt dessen kam der Hof zu ihm. Einmal jede Woche begrüßte ihn die Großherzogin; bisweilen brachte sie einen fürstlichen Gast mit, z. B. den Großfürsten (nachherigen Kaiser) Nikolaus und den König von Würtemberg. Er hielt für diesen Besuch immer etwas Neues und Interessantes in Bereitschaft und hatte ihn doppelt gern, weil er für die Großherzogin eine zärtliche Achtung empfand und seine Freude daran hatte, ihr an Stichen, Medaillen, Büchern, Gedichten oder naturwissenschaftlichen Dingen etwas Neues vorlegen zu können. Karl August kam oft zu ihm, aber nicht an bestimmten Tagen. Er pflegte ohne Weiteres in das einfache Arbeitszimmer einzutreten und mit dem Dichter wie mit einem Bruder zu plaudern. Eines Tages war ein Student aus Jena bei Goethe; da trat ein ältlicher Herr unangemeldet herein und setzte sich still auf einen Stuhl; der Student ließ sich in seiner Rede nicht stören; als er fertig war, sagte Goethe ruhig: »aber ich muß die Herren mit einander bekannt machen; Seine königliche Hoheit der Großherzog von Sachsen-Weimar, Herr N. N., Student aus Jena«. Ob der Student wohl je die Verlegenheit dieses Augenblicks vergessen hat?

In dieselbe Zeit (1821) fällt die erste Ausgabe von Wilhelm Meisters Wanderjahren; wir können diese Schrift daher hier besprechen, um so mehr als was nachher darin eingestreut (ich will nicht sagen: hineinverarbeitet) ist, sie nur noch lückenhafter und unvollkommener gemacht hat.

Es giebt in den Wanderjahren Stellen, die nur Goethe schreiben konnte, aber das Ganze kann ich mich nicht überwinden für etwas besseres zu halten als für eine Zusammenstellung von Skizzen und Studien, die oft der Vollendung entbehren und bisweilen der Vollendung nicht werth sind. Das Werk ist sehr ungleich, einige Partien sind so schwach wie andere bewunderungswürdig. In der Geschichte des Mannes von funfzig Jahren sind vorzügliche Sachen, und »die neue Melusina« ist ein allerliebstes Feenmärchen, aber von dem Symbolischen scheint mir vieles wüst und nach Seiten der Composition ist das Werk schwach und leichtfertig bis zur Unverschämtheit. Nicht nur sind die verschiedenen kleinen Erzählungen so handgreiflich gewaltsam herbeigezogen, als hätten wir eine Jugendarbeit vor uns; nicht nur sind diese Geschichten meistens langweilig und bisweilen gewöhnlich, eine Geschichte ist da – mit der Überschrift »Nicht zu weit« – die ziemlich lebhaft anhebend in der Mitte abbricht und nicht etwa Bruchstück sein soll, sondern ein Anfang, dessen Ende der Dichter zu geben verspricht, aber nie giebt. Das ist eine Keckheit gegen das Publikum, die um so mehr auffallen muß, als der sie beging, einen so hohen Begriff von der Kunst hatte. Er hätte diese Erzählungen einzeln herausgeben können, wie er sie einzeln geschrieben hatte, und wenn er das große Werk der Wanderjahre nicht ausführen konnte, so hätte er es als Bruchstück lassen oder gar nicht veröffentlichen sollen.

Die Verehrer dieses Werkes können sehr leicht schöne Stellen daraus anführen und ohne die geringste Schwierigkeit aus seiner langweiligen Symbolik jeden beliebigen Tiefsinn herauslesen, den sie nur zu finden wünschen. Allein ich meinerseits, so sehr ich Goethe bewundere und so tief mich seine Werke ergreifen, kann doch in den Wanderjahren den alten goethe'schen Zauber nicht finden, noch aus Liebe für den Dichter mich überzeugen, daß dieses Werk gut geschrieben, gut angelegt oder verständlich ausgeführt sei. Ueber den Geschmack läßt sich bekanntlich nicht streiten. Ich streite mit niemand, dem die Wanderjahre gefallen, aber ich muß ehrlich gestehen, daß ich darin ziemlich alle Fehler finde, die ein Werk haben kann: die Wanderjahre sind unverständlich, langweilig, lückenhaft und oft schlecht geschrieben. Wenn man einzelne besonders inhaltreiche oder schöne Stellen anführen hört, kann man sich leicht einreden, man habe einem eigenthümlichen Werke Unrecht gethan; liest man es aber wieder als ein Ganzes, so kommt man auf die ursprüngliche Verwerfung zurück. Washington Irving hat gesagt, in der einen Geschichte von den Religionen sei mehr wahre Religion als in der ganzen theologischen Tagesliteratur zusammengenommen, und Carlyle hat zu wiederholten Malen auf die tiefe Weisheit hingewiesen, die aus manchen Stellen hervorleuchtet – wie könnte das bei einem Werke auch anders sein, das Goethe geschrieben hat? – aber einzelne Stellen machen kein Buch, und um zu zeigen, wie dies Buch gemacht ist, wird eine Anführung aus Eckermann genügen.

»Bei der begonnenen Umarbeitung und Vervollständigung dieses früher in einem Bande erschienenen Romans hatte Goethe seinen Anschlag auf zwei Bände gemacht. Im Fortgang der Arbeit jedoch wuchs ihm das Manuscript über die Erwartung, und da sein Schreiber etwas weitläufig geschrieben, so täuschte sich Goethe und glaubte, statt zu zwei Bänden zu dreien genug zu haben, und das Manuskript ging in drei Bänden an die Verlagshandlung ab. Als nun aber der Druck bis zu einem gewissen Punkte gediehen war, fand es sich, daß Goethe sich verrechnet hatte und daß besonders die beiden letzten Bände zu klein ausfielen. Man bat um weiteres Manuscript, und da nun in dem Gange des Romans nichts mehr geändert, auch in dem Drange der Zeit keine neue Novelle mehr erfunden, geschrieben und eingeschaltet werden konnte, so befand sich Goethe wirklich in einiger Verlegenheit. Unter diesen Umständen ließ er mich rufen; er erzählte mir den Hergang und eröffnete mir zugleich, wie er sich zu helfen gedenke, indem er mir zwei starke Manuscriptbündel vorlegte, die er zu diesem Zwecke hatte herbeiholen lassen. In diesen beiden Paketen, sagte er, werden Sie verschiedene bisher ungedruckte Schriften finden Einzelnheiten, vollendete und unvollendete Sachen, Aussprüche über Naturforschung, Kunst, Literatur und Leben, alles durcheinander. Wie wäre es nun, wenn Sie davon sechs bis acht gedruckte Bogen zusammen redigirten, um damit vorläufig die Lücken der Wanderjahre zu füllen. Genau genommen gehört es zwar nicht dahin, allein es läßt sich damit rechtfertigen, daß bei Makarien von einem Archiv gesprochen wird, worin sich dergleichen Einzelnheiten befinden. Wir kommen dadurch für den Augenblick über eine große Verlegenheit hinaus und haben zugleich den Vortheil, durch dieses Vehikel eine Masse sehr bedeutender Dinge schicklich in die Welt zu bringen. Ich billigte den Vorschlag und machte mich sogleich an die Arbeit und vollendete die Redaktion solcher Einzelheiten in weniger Zeit. Goethe schien sehr zufrieden. Ich hatte das Ganze in zwei Hauptmassen zusammengestellt; wir gaben der einen den Titel: »Aus Makarien's Archiv« und der anderen die Aufschrift: »Im Sinne der Wanderer«, und da Goethe grade zu dieser Zeit zwei bedeutende Gedichte vollendet hatte, eins auf Schiller's Schädel, und ein anderes »Kein Wesen kann zu nichts verfallen«, so hatte er den Wunsch, auch diese Gedichte sogleich in die Welt zu bringen, und wir fügten sie also dem Schlüsse der beiden Abtheilungen an. Als nun aber die Wanderjahre erschienen, wußte niemand, wie ihm geschah. Den Gang des Romans sah man durch eine Menge räthselhafter Sprüche unterbrochen, deren Lösung nur von Männern von Fach, d. h. von Künstlern, Naturforschern und Literaten zu erwarten war und die allen übrigen Lesern, zumal Leserinnen, sehr unbequem fallen mußten. Auch wurden die beiden Gedichte so wenig verstanden, als es geahnt werden konnte, wie sie nur möchten an solche Stellen gekommen sein. Goethe lachte dazu.«

Einer weiteren Kritik über die Wanderjahre bedarf es nach dieser Geschichte nicht. Hätte Goethe sich nicht so hoch erhaben über das Publikum gefühlt, hätte er die literarische Polizei englischer oder französischer Recensenten sich gegenüber gehabt, er würde nicht so mit seinem eigenen Rufe zu spielen und das Publikum anzuführen gewagt haben.

Auch entging er selbst in Deutschland der Strafe nicht. Das Publikum war getäuscht, nicht zufrieden gestellt; nicht einmal seine Freunde waren zufrieden; niemand nahm das Werk freundlich auf; erst Schriftstellern unserer Tage war es vorbehalten, eine Bibel des Socialismus, ein sibyllinisches Buch darin zu sehen. Die ersten Beweise der Enttäuschung kamen von seinen nächsten Freunden, aber ihre Einwürfe waren natürlich schonend und konnten, mit denen seiner Feinde verglichen, noch als Lob gelten. Ein gewisser Pustkuchen, Pastor in Lieme bei Lemgo, ahmte Nicolai's Parodie auf den Werther nach, aber er meinte es ernsthaft mit seiner Parodie: er schrieb »Wanderjahre«, in denen er Goethe's Lebensanschauung dem Abscheu aller guten Christen blosstellte. Goethe begnügte sich zur Abwehr mit einem Epigramm in den zahmen Xenien und ging ruhig seines Weges weiter; denn

– red ich dagegen, so wird nur der Klatsch
Verschlimmert;
Mein liebliches Leben im nichtigen Patsch
Verkümmert.
Schon bin ich heraus!
Ich mach' mir nichts drau's –
Ade!

Er hatte gelernt, seine Gegner, die ihm nach einander Mangel an Patriotismus und an Religion vorgeworfen hatten, rechtschaffen zu verachten.

Hätten sie mich beurtheilen können,
So wär ich nicht was ich bin

rief er ihnen allen entgegen, oder schärfer noch das bekannte

Es will der Spitz aus unserm Stall
Uns immerfort begleiten,
Und seines Bellens lauter Schall
Beweist nur, daß wir reiten.

Namentlich warf er ihnen vor, daß sie dem stetigen Fortgang seiner inneren Entwicklung nicht zu folgen vermöchten; wie er es in den zahmen Xenien mit einem hübschen Bilde bezeichnet:

Sie zerren an der Schlangenhaut,
Die jüngst ich abgelegt.
Und ist die nächste reif genung,
Abstreif' ich die sogleich,
Und wandle neu belebt und jung
Im frischen Götterreich.

Während unter seiner eigenen Nation allmälig ein starker Widerspruch gegen ihn sich erhob, den zu besänftigen Werke wie die Wanderjahre nicht eben geeignet waren, begann sich sein Ruhm in der Fremde über Italien, England und Frankreich auszubreiten. Sein lebhaftes Interesse für die hervorragenden Erscheinungen der fremden Literatur fand Erwiderung in der Bewunderung, die Männer, wie Manzoni, Walter Scott, Byron, Carlyle, Stampfer, Ampère, Cousin, Soret und andere für ihn an den Tag legten, und aus diesen Wechselwirkungen erhob sich in seinem Geiste die große Idee einer »Weltliteratur«, in der die Völker aus ihrer nationalen Absonderung heraustreten und durch ein gemeinsames Band der höchsten geistigen Cultur zusammengehalten werden.

»Gottes ist der Orient,
»Gottes ist der Occident!
»Nord- und südliches Gelände
»Ruht im Frieden seiner Hände –

das kann als Motto gelten zu dieser universell umfassenden Receptivität.

Manzoni verehrte in Goethe, der sich über seinen Roman »Graf Carmagnola« (1820) mit großer Liebe öffentlich ausgesprochen hatte, den Begründer seines Rufes; »ich bin mir selbst erst dadurch etwas werth geworden, sagte er, daß ich mich der Liebe und Achtung Goethe's erfreue, und wenn man mir Beifall zollt, so ist es lediglich sein Verdienst; ehe er sich großmüthig meiner annahm, ging man schlecht genug mit mir um«. Welche hohe Bewunderung Goethe für Byron hegte und wie dieser sich dadurch geschmeichelt fühlte, ist bekannt genug; doch schloß die Bewunderung nicht die leise Mahnung aus, Maß zu halten; aber diese Mahnung kam zu spät; das Gedicht, in welchem Goethe sie aussprach – er beantwortete damit die Widmung des »Werner« – fand Byron auf seinem letzten Lebensgange nach Griechenland. Später setzte Goethe dem zu früh dahingerafften Dichter im zweiten Theil des Faust ein bleibendes Denkmal; der Euphorion, der Repräsentant der romantischen Poesie, ist Byron, dessen reiche Begabung in Versen wie diese

In der Hand die goldne Leier, völlig wie ein kleiner Phöbus,
Also regt er sich geberdend, sich als Knabe schon verkündend
Künft'gen Meister alles Schönen, dem die ew'gen Melodien
Durch die Glieder sich bewegen –

eben so schön poetisch geschildert wie seine »großartige Wildheit« gleich darauf in dem verwegenen Treiben und raschen Ende glücklich gezeichnet ist.

Goethe's Thätigkeit beschränkte sich nicht auf die Literatur. Oersted's glänzende Entdeckung des Elektromagnetismus erregte sein höchstes Interesse, er ließ sich von Döbereiner die Erscheinungen dieser Kraft näher erläutern und hatte bald darauf die Freude, Oersted selbst bei sich zu sehen. D'Altons bedeutende anatomische Abhandlung über die Faulthiere und die Dickhäuter besprach er mit einem Eifer, als sei er der jüngste Recensent. Auch schrieb er den Bericht über die Campagne in Frankreich, die Tages- und Jahreshefte, Abhandlungen über Kunst, kleinere Gedichte, die zahmen Xenien, übersetzte neugriechische Lieder und entwarf nach den Fragmenten des euripideischen Phaethon einen Plan des ganzen Stücks.

Es ist klar, der alte Jupiter war noch reich genug an Lebenskraft. Auch sein Körper war noch in ausgezeichneter Weise kräftig, seine Stirne gewölbt wie des Götterkönigs, ohne Furchen und Falten, sein Haar noch voll, seine Augen hatten noch ganz den strahlenden Glanz, der sie von jeher auszeichnete. Hufeland sagt von ihm, er habe nie einen Mann gekannt, der geistig und leiblich so vollkommen organisirt gewesen wie Goethe. Nicht blos seine Lebenskraft war außerordentlich, er zeichnete sich eben so wohl durch ein vollendetes Gleichgewicht der Kräfte aus. Man kann in Wahrheit sagen, seine charakteristische Eigenthümlichkeit war die Harmonie, mit der alle seine geistigen Fähigkeiten zusammen wirkten, so daß seine schaffende Einbildungskraft stets unter der Herrschaft der Vernunft stand. Dasselbe gilt in körperlicher Beziehung: keine Thätigkeit überwog die andere, alle wirkten zusammen zu einem wunderbaren Gleichgewichte. Aber Produktivität war der Grundzug seines leiblichen und geistigen Organismus; Ernährung und Blutbereitung ging bei ihm reichlich und rasch von Statten; selbst im hohen Alter hatte er noch viel Blut. Und nicht blos das Leben, sondern des Lebens Leben, die Kraft zu lieben, war ihm erhalten. Wenn der Marquis de Lassy mit seinem zierlichen Ausspruch, das Aufhören der Liebesträume sei ein Zeichen, daß der letzte Schlaf herannahe, Recht hat und wenn wir aus Goethe's Wort

Wer nicht mehr liebt und nicht mehr irrt,
Der lasse sich begraben

einen umgekehrten Schluß ziehen dürfen, so hatte Goethe in seinem vierundsiebzigsten Jahre zum Sterben noch lange Zeit. Er war damals noch jung genug, um zu lieben. In Marienbad, das er fast jeden Sommer zu besuchen pflegte, traf er im Jahre 1823 ein Fräulein von Lewezow, eine reizende Erscheinung –

– – – – – der Iris zu vergleichen,
Ein liebenswürdig Wunderzeichen,
So schmiegsam herrlich, bunt in Harmonie,
Und immer gleich und immer neu wie sie.

Eine Leidenschaft erwuchs zwischen ihnen, die, von ihrer Seite fast eben so heftig erwidert, ihn noch einmal in die Schwärmerei seiner Wertherzeit versetzte. Es hieß sogar, er wolle sie heirathen, und sein Wunsch war es in der That; aber die Vorstellungen seiner Freunde und vielleicht auch die Furcht vor der Lächerlichkeit hielten ihn davon zurück. Mit Gewalt riß er sich los; seine Marienbader Elegie, das unmittelbare »Produkt eines höchst leidenschaftlichen Zustandes«, die er gleich auf der Reise im Wagen schrieb, bleibt ein Denkmal seiner Leidenschaft und seines Schmerzes.

Auch war Fräulein von Lewezow nicht die einzige, welche von dem alten Manne bezaubert ward. Madame Szymanowska, eine ausgezeichnete Pianistin, deren Musik ihn wie mit »Engelsschwingen« umschwebte, war nach Zelter's Ausdruck »rasend« in ihn verliebt, und wie bildlich auch eine solche Bezeichnung gemeint sein mag, bei einem ernsten Manne wie Zelter deutet sie auf eine Glut von Begeisterung, wie sie ein vierundsiebzigjähriger Mann sonst nicht leicht entzündet. Das Nähere im zweiten Anhang.

Am 7. November 1825, wenige Wochen nach der Feier der fünfzigjährigen Regierung Karl August's, die Goethe mit Gedichten und einer besonderen Denkmünze begangen hatte, wurde sein eigener goldener Jubeltag gefeiert. Fünfzig Jahre waren vergangen, seitdem er in Weimar eintraf, und der Großherzog bestimmte, daß an diesem Tage auch sein Dienstjubiläum gefeiert werden solle. Als der Dichter bei Tagesanbruch die Fenster seines Schlafzimmers öffnete, war der erste Klang, der sein Ohr traf, ein Ständchen, das aus dem Garten herauftönte. Sein erster Blick fiel auf mancherlei geschmackvolle Geschenke von schönen Händen. Um halb neun waren alle Wagen der Stadt in Bewegung, alle angesehenen Leute auf der Wallfahrt nach des Dichters Hause. Eine Anzahl Musiker und vierzehn von seinen Freundinnen hatten sich in seinem Saale versammelt, um ein Morgenlied zu singen, welches Riemer gedichtet und Eberwein in Musik gesetzt hatte. Um neun Uhr wurde Goethe von einem Freunde und seinem Sohne aus dem Arbeitszimmer hereingeführt; das Gedränge war aber in allen Zimmern so groß, daß man ihn unbemerkt durch eine Nebenthür eintreten lassen mußte. Kaum erblickte man sein verehrtes Haupt, als die Musik begann und die Bewegung, die aus allen Augen glänzte, erhöhte. Die Nymphen der Ilm begrüßten den goldenen Tag ihres treuen Dichters und sangen seine Unsterblichkeit. Alle Zuhörer waren tief ergriffen; die Töne verhallten in feierlichem Schweigen. Bescheiden und würdevoll wandte sich der ehrwürdige Mann zu seinen Freunden und dankte ihnen mit beredtem Händedruck und herzlichen Worten. Dann trat Baron von Fritsch hervor und überreichte die goldene Denkmünze, welche der Großherzog zu der Feier hatte prägen lassen; sie trug auf der einen Seite die Bildnisse von Karl August und Louise, deren Namen auch am Rande eingegraben waren, auf der andern das lorbeergeschmückte Bild des Dichters; ein eigenhändiges Schreiben erfolgte dabei, das zwar amtlich und darum etwas förmlich, aber doch freundlich und liebevoll war; es enthalte »mehr als Gold«, sagte Goethe in seinem Dankschreiben. Für den Augenblick versagte ihm die Sprache; eine Zeit lang hielt er die beiden Gaben in tiefer Bewegung uneröffnet in der Hand.

Dann folgten die verschiedenen Deputationen der Behörden aus Weimar und Eisenach, der Freimaurerloge, der Universität Jena; die medicinische und die philosophische Fakultät sandten ihm ihr Doktordiplom, die theologische eine Votivtafel, worin sie anerkannte, Goethe habe nicht nur ihre Wissenschaft und deren Grundlage »oft sinnvoll, tief und erregend gewürdigt, sondern auch als Schöpfer eines neuen Geistes in der Wissenschaft und dem Leben und als Herrscher in dem Reiche freier und kräftiger Gedanken das wahre Interesse der Kirche und der evangelischen Theologie mächtig gefördert«. Die Jenenser Studenten waren durch zwei Abgeordnete besonders vertreten. Der Stadtrath von Weimar verlieh allen rechten männlichen Nachkommen des Dichters auf ewige Zeiten das Bürgerrecht der Stadt, »auf daß der gefeierte Name Goethe immerdar in ihren Urkunden als höchste Zierde derselben vorhanden sein möge.«

Bald nach zehn Uhr brachten Karl August und Louise persönlich ihre Glückwünsche dar. Eine Stunde blieben sie mit ihm allein. Dann kamen der Erbgroßherzog und die Erbgroßherzogin mit ihren beiden Töchtern. Inzwischen waren die Minister, die ersten Beamten, die angesehensten Personen vom Hofe und die Deputationen wieder zusammengetreten, und die ersten Damen von Weimar, darunter die Töchter und Enkelinnen von Wieland und Herder, hatten sich in einem oberen Zimmer des Hauses versammelt. Sobald alle Eingeladenen anwesend waren, wurden sie, je zwei und zwei, auf den großen Flur geführt, wo die Statue des Großherzogs und Goethe's Büste von Rauch auf einem schönen Piedestal, mit einem Lorbeerkranze daneben, aufgestellt waren. Grade als der Zug die Mitte der Halle erreichte, tönte von den Gallerien herab Musik. Die Wirkung dieser Klänge in der hohen, schönen, mit Büsten und Bildern geschmückten Halle war unbeschreiblich.

Um zwei Uhr war im Saale des Stadthauses großes Festessen von mehr als zweihundert Personen, doch nahm Goethe aus Gesundheitsrücksichten nicht Theil daran, sondern ließ sich von seinem Sohne vertreten, der nach des Vaters Wunsche den Trinkspruch des Tages mit einem Hoch auf Knebel, seinen ältesten weimar'schen Freund und Vermittler seines Eintritts in weimar'sche Dienste, erwiderte. Am Abend wurde Iphigenie gegeben; als Goethe und der Großherzog eintraten, empfing sie begeisterter Zuruf. Ein Festspiel, welches Karl August selbst angeordnet hatte, ging der Aufführung voran. Als der Vorhang aufging, sah man statt des Haines der Diana einen Saal mit Goethe's Büste auf einem Postamente von Lorbeer umkränzt; ein Prolog, von Kanzler Müller gedichtet und von Madame Seidel gesprochen, schilderte die Bedeutung des Festes. Nach dem dritten Akte zog sich Goethe auf den Rath seines Arztes zurück. Ein schöner Abschluß dieses seltenen Tages war ihm noch bereitet. Die großherzogliche Kapelle brachte ihm eine herrliche Abendmusik, in welcher Hummel mit feinem Gefühl und Geschmack den Triumphmarsch aus Titus, Glucks Ouvertüre zur Iphigenie und ein eigenes vortreffliches Adagio (mit einem Echo von Hörnern) verarbeitet hatte. Die Einleitung mit ihren triumphirenden Klängen bezeichnte die Herrlichkeiten des festlichen Tages, während die hinschmelzenden Töne des Adagio in die Ruhe hinüber zu leiten schienen, welche nach gethaner Arbeit folgt.

Am Frauenplan, wo Goethe wohnte, waren alle Häuser erleuchtet. Bei ihm selbst war noch spät eine zahlreiche Gesellschaft versammelt, die er glänzend bewirthete; nach einer Stunde indeß zog er sich zurück. Auch in Leipzig und Frankfurt wurde dieser Tag gefeiert. In Frankfurt stellte Consul Bethmann zur Festfeier eine lebensgroße Statue Goethe's in seinem Museum auf, die Rauch für ihn gearbeitet hatte.

Das war Goethe's goldner Jubeltag. Wenn wir die Schilderung dieses Festes lesen und uns jener Geschichte vom weimar'schen Landtage erinnern, dürfen wir uns da wundern, daß der Mann, den man so wie einen Gott behandelte, ein wenig in den Geist seiner Rolle einging und von dem großmächtigen Ansehen, das man ihm fast aufdrängte, wirklich etwas annahm?

Im folgenden Jahre bewies ihm das deutsche Vaterland seine Dankbarkeit durch eine Gabe, die eigentlich der bitterste Spott auf die deutsche Nation ist. Eine neue Ausgabe seiner sämmtlichen Werke schützte der Bundestag durch ein Privilegium gegen Nachdruck! Bis dahin hatten seine Schriften die Buchhändler bereichert, dieser späte Schutz sicherte seinen Nachkommen eine gute Erbschaft.

Von den Ehrenbezeugungen, die ihm in spätern Jahren so zahlreich zu Theil wurden, erwähne ich nur eine als charakteristisch. Am 28. August 1827 führte ihm Karl August den König Ludwig von Baiern zu, der ihm seinen Hausorden als Zeichen der Anerkennung persönlich überreichte. Da zum Tragen eines fremden Ordens die Erlaubniß des Landesherrn erforderlich ist, so wandte sich Goethe, immer streng förmlich, an den Großherzog und sagte: »Wenn mein gnädiger Fürst erlaubt!« Karl August lachte und rief: »Du alter Kerl! mach' doch kein dummes Zeug!«

Am 6. Januar 1827 starb Frau von Stein in ihrem fünfundachtzigsten Jahre. Sie hatte geglaubt, ihr Tod würde Goethe schmerzlich berühren, und darum angeordnet, ihr Leichenzug solle nicht über den Frauenplan gehen; es scheint aber nicht, als ob diese schonende Vorsicht nöthig gewesen wäre; wir finden keine Spur, daß der Todesfall einen Eindruck auf ihn gemacht hätte.

Und nun sollte auch der gute alte Herzog ihm entrissen werden, der ein halbes Jahrhundert hindurch sein Freund gewesen, der ihn voll Zärtlichkeit seinen »Waffenbruder« genannt, der bis ans Ende, wie nun die Briefe beweisen, trotz aller Zwistigkeiten Sinn und Art treuer Kameradschaft für seinen »lieben Alten« bewahrt hatte. Am 14. Juni 1828 starb der Großherzog. Alexander von Humboldt, dem Fürsten ebenfalls innig befreundet und die letzten Tage vor dessen Tode in Berlin fast beständig in seiner Gesellschaft, schrieb über dies letzte Zusammensein an den Kanzler von Müller einen Brief, den Goethe sich mittheilen ließ und zu wiederholten Malen mit Thränen in den Augen las. »Wer konnte mehr durch das schnelle Hinscheiden des Verewigten erschüttert werden, schrieb Humboldt, als ich, den er seit dreißig Jahren mit so wohlwollender Auszeichnung, ich darf sagen, mit so aufrichtiger Vorliebe behandelt hatte. Auch hier wollte er mich fast zu jeder Stunde um sich haben; und, als sei eine solche Lucidität, wie bei den erhabenen schneebedeckten Alpen, der Vorbote des scheidenden Lichts, nie habe ich den großen menschlichen Fürsten lebendiger, geistreicher, milder und aller ferneren Entwicklung des Volkslebens theilnehmender gesehen als in den letzten Tagen, die wir ihn besaßen. Ich sagte mehrmals zu meinen Freunden ahnungsvoll und beängstigt, daß diese Lebendigkeit, diese geheimnißvolle Klarheit des Geistes, bei so viel körperlicher Schwäche, mir ein schreckhaftes Phantom sei. Er selbst oscillirte sichtbar zwischen Hoffnung der Genesung und Erwartung der großen Katastrophe. In Potsdam saß ich mehrere Stunden allein mit ihm auf dem Kanapee; er trank und schlief abwechselnd, trank wieder, stand auf, um an seine Gemahlin zu schreiben, dann schlief er wieder. Er war heiter, aber sehr erschöpft. In den Intervallen bedrängte er mich mit den schwierigsten Fragen über Physik, Astronomie, Meteorologie und Geographie, über Durchsichtigkeit eines Kometenkerns, über Mond-Atmosphäre, über die farbigen Doppelsterne, über Einfluß der Sonnenflecke auf Temperatur, Erscheinen der organischen Formen in der Urwelt, innere Erdwärme. Er schlief mitten in seiner und meiner Rede ein, wurde oft unruhig und sagte dann, über seine scheinbare Unaufmerksamkeit milde und freundlich um Verzeihung bittend: »Sie sehen, Humboldt, es ist aus mit mir!« Auf einmal ging er desultorisch in religiöse Gespräche über. Er klagte über den einreißenden Pietismus und den Zusammenhang dieser Schwärmerei mit politischen Tendenzen nach Absolutismus und Niederschlagen aller freieren Geistesregungen. Dazu sind es unwahre Bursche, rief er aus, die sich dadurch den Fürsten angenehm zu machen glauben, um Stellen und Bänder zu erhalten. Mit der poetischen Vorliebe zum Mittelalter haben sie sich eingeschlichen. Bald legte sich der Zorn, und nun sagte er, wie er jetzt viel Tröstliches in der christlichen Religion finde. ›Das ist eine menschenfreundliche Lehre‹, sagte er, ›aber von Anfang an hat man sie verunstaltet. Die ersten Christen waren die Freigesinnten unter den Ultras‹.«

Goethe's Freunde, die seine Liebe zu dem alten Herzog kannten, waren in großer Besorgniß, dieser Stoß werde ihn zu heftig erschüttern. Er war gerade bei Tisch, als die Nachricht ankam. Einer flüsterte sie dem andern zu. Langsam und schonend theilte man sie endlich ihm mit. Die Gesellschaft war in athemloser Spannung. Aber sein Gesicht blieb ganz ruhig, und gerade diese Ruhe verrieth die furchtbare Erschütterung in seinem Innern. »Ach, das ist sehr traurig, sagte er seufzend; sprechen wir von etwas anderm.« Wohl mochte er den Trauerfall aus dem Gespräch verbannen, aber aus seinen Gedanken – das war nicht möglich. Die Erschütterung ging um so tiefer, als er seinem Schmerz nicht einmal Worte geben konnte. »Nun ist alles vorbei!« rief er aus. Am Abend ging Eckermann zu ihm, er fand ihn ganz zerschlagen. »Ich hatte gedacht, klagte er, ich wollte vor ihm hingehen; aber Gott fügt es, wie er es für gut findet, und uns armen Sterblichen bleibt nichts als zu tragen und uns empor zu halten, so gut und so lange es gehen will.« In der stillen Zurückgezogenheit des schön gelegenen herzoglichen Schlosses Dornburg an der Saale suchte der alte Mann durch Arbeit und Naturgenuß seines Schmerzes über den schweren Verlust Herr zu werden. Der neue Großherzog that das Seine, ihm mit wohlwollender Freundlichkeit entgegen zu kommen. Nach zehnwöchentlichem Aufenthalt kehrte er nach Weimar zurück, um sofort seine alte Thätigkeit wieder aufzunehmen. Im Jahre 1829 beendete er die Wanderjahre in der Form, wie sie nun vorliegen, arbeitete am zweiten Theile des Faust und nahm von einem jungen Franzosen Soret, dem Uebersetzer seiner Metamorphose der Pflanzen, unterstützt, eine Durchsicht seiner naturwissenschaftlichen Papiere vor.

Im Februar 1830 fiel ein neuer Schatten auf seinen Lebensabend: die Großherzogin Louise starb. Er hatte zu dieser Fürstin ununterbrochen in dem schönsten und reinsten Verhältniß gestanden. »Nie hat der geringste Mißklang stattgefunden«, sagte er zu Kanzler Müller. So sammelten sich die Wolken dichter und dichter; sie mahnten ihn, daß die Nacht auch für ihn hereinbreche – »die Nacht, wo niemand wirken kann«. Ehe wir zu diesen letzten Tagen seiner langen Laufbahn übergehen, wird es passend sein, den zweiten Theil des Faust zu besprechen, der zwar erst am 20. Juli 1831 beendet wurde, aber, um eine Unterbrechung des Schlußakts zu vermeiden, besser gleich hier abzuhandeln ist.



 << zurück weiter >>