Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebenter Abschnitt.
Heimkehr.

Trübe Stimmung bei der Rückkehr nach Weimar. Sein Brief aus Italien an Karl August. Erleichterung seiner Amtsgeschäfte. Rascher Fortgang der Krystallisation. Erkalten des Verhältnisses zu Frau von Stein. Erste Begegnung mit Schiller. Weiter Abstand zwischen den beiden. Verschiedenheit ihrer äußeren Stellung.

Sehr bereichert zwar, aber keinesweges befriedigt kam Goethe aus Italien zurück. Die Größe der Schätze, die er angesammelt, setzte ihn in Verlegenheit; seine neue Erfahrung brachte auch neue Räthsel mit sich, erweiterte seinen Horizont zu neuen bisher ungeahnten Fernen. In Rom hatte er erkannt, daß das Studium eines ganzen Lebens kaum ausreichen würde, seinen Heißhunger nach Wissen zu stillen, und mit tiefem Schmerz war er von Italien geschieden. Die Hauptstadt der Welt ohne Hoffnung der Rückkehr zu verlassen, gab ihm ein Gefühl, das er durch Worte wiederzugeben verzweifelte. Die Verse, in denen Ovid sein ähnliches Schicksal besungen, wälzten sich zwischen seinen Empfindungen immer auf und ab:

Wandelt von jener Nacht mir das traurige Bild vor die Seele,
Welche die letzte für mich ward in der römischen Stadt,
Wiederhol' ich die Nacht, wo des Theuren so viel mir zurückblieb
Gleitet vom Auge mir noch jetzt eine Thräne herab.

War so die Heimkehr an sich tief schmerzlich, die Ankunft zu Haus war noch peinlicher. Wer je längere Zeit von dem Kreise alter Gewohnheiten, alter Bekanntschaften entfernt gewesen, in einer neuen Welt ein höheres Dasein, seiner Natur und seinen Strebungen entsprechend, gelebt hat, dann wieder in den gewohnten Kreis zurückkehrt, dort alles unverändert findet, alles die altgewohnten Pfade fort wandeln sieht, dieselben alten Triebe wirksam, dieselben alten Ansichten maßgebend – wer da ein Fremder in der eigenen Heimath sich gefühlt, der wird es verstehen, was es für Goethe hieß, aus Italien nach Weimar zurückzukehren. Selbst in einer großen, an Interessen reichen Stadt fühlen wir uns nach langer Abwesenheit unbehaglich: die nämlichen Fragen beschäftigen unsere Freunde, wie da wir gingen, die nämlichen Bücher werden noch besprochen, die Straßen sind immer noch die alten, die Anzeigen die alten, die Welt der Heimath scheint still gestanden zu sein, während wir so vieles durchlebten. Was muß erst Goethe empfunden haben, als er, mit neuen Anschauungen und neuen Gedanken den Geist erfüllt, von Italien in das ruhige alte Weimar wiederkehrte? Niemand schien ihn zu verstehen, niemand theilte die Begeisterung noch die Schmerzen seiner Erinnerungen. Er sei verändert, klagten die Freunde, und was war's? – sie selbst bewegten sich in dem alten ausgetretenen Kreis herum, wie blinde Gäule in einer Mühle.

Beachten wir zunächst, daß er mit dem Entschlusse heimkehrte, sein Leben hinfort ganz der Kunst und Wissenschaft zu widmen und nicht länger mit Amtsgeschäften nutzlos sich abzumühen. Schon von Rom hatte er in diesem Sinne an Karl August geschrieben: »Wie sehr danke ich Ihnen, daß Sie mir diese köstliche Muße geben und gönnen. Da doch einmal von Jugend auf mein Geist diese Richtung genommen, so hätte ich nie ruhig werden können, ohne dies Ziel zu erreichen. Mein Verhältniß zu den Geschäften ist aus meinem persönlichen zu Ihnen entstanden; lassen Sie nun ein neu Verhältniß zu Ihnen nach so manchen Jahren aus dem bisherigen hervorgehen. Ich darf wohl sagen, ich habe mich in dieser anderthalbjährigen Einsamkeit selbst wieder gefunden. Aber als was? – als Künstler! Was ich sonst noch bin, werden sie beurtheilen und nutzen. Sie haben durch Ihr fortdauerndes wirkendes Leben jene fürstliche Kenntniß, wozu die Menschen zu gebrauchen sind, immer mehr erweitert und geschärft, wie mir jeder Ihrer Briefe deutlich sehen läßt. Dieser Beurtheilung unterwerf ich mich gern. Fragen Sie mich über die Symphonie, die Sie zu spielen gedenken, ich will gern und ehrlich jederzeit meine Meinung sagen. Lassen Sie mich an Ihrer Seite das ganze Maaß meiner Existenz ausfüllen, so wird meine Kraft, wie eine neu geöffnete, gesammelte, gereinigte Quelle von einer Höhe nach Ihrem Willen leicht da- oder dorthin zu leiten sein. Schon sehe ich, was mir die Reise genützt, wie sie mich aufgeklärt und meine Existenz erweitert hat. Wie Sie mich bisher getragen, sorgen Sie ferner für mich; Sie thun mir mehr wohl, als ich selbst kann, als ich wünschen und verlangen darf. Ich habe so ein großes und schönes Stück Welt gesehen, und das Resultat ist, daß ich nur mit Ihnen und den Ihrigen leben mag. Ja, ich werde Ihnen noch mehr werden, als ich oft bisher war, wenn Sie mich nur das thun lassen, was Niemand als ich kann, und das Uebrige Andern auftragen. Ihre Gesinnungen, die Sie mir in Ihrem Briefe zu erkennen geben, sind so schön, für mich bis zur Beschämung ehrenvoll, daß ich nur sagen kann: Herr, hier bin ich, mache aus deinem Knecht was du willst.« In dem gedruckten Briefwechsel (Bd. 1. S. 77) lautet dies Schreiben etwas anders; ganze Sätze des einen fehlen in dem andern; der wesentliche Inhalt wird dadurch nicht berührt. Anm. d. Uebers.

Der weise Fürst gab eine edle Antwort. Er entband seinen Freund von der Stelle als Kammerpräsident und von der Leitung der Kriegskommisston, ließ ihm aber das Recht, den Sitzungen, wenn es ihm seine Geschäfte erlauben würden, beizuwohnen und dabei, bezeichnend genug, »seinen Sitz auf dem für den Herzog bestimmten Stuhle zu nehmen.« Aber nur die Last der Geschäfte wurde dem Dichter abgenommen; der Rath seines fürstlichen Freundes blieb er nach wie vor. Die Leitung der Bergbau-Kommission und aller auf Kunst und Wissenschaft bezüglichen Anstalten behielt er, namentlich auch die des Theaters.

Seit der italienischen Reise fand man ihn allgemein in seiner Haltung kälter und ernster geworden. Der Krystallisationsproceß hatte sich rasch entwickelt. Das Gefühl, wie so weit ab sein jetziger Standpunkt von dem seiner Umgebung sei, vermehrte diesen Schein von Kälte. Je weniger er sich verstanden sah, desto mehr zog er sich auf sich selbst zurück. Die ihn verstanden – Meyer, Herder und der Herzog – fanden keinen Grund über ihn zu klagen.

Die ersten Wochen nach seiner Rückkehr war er natürlich stets bei Hofe. Gleich den ersten Tag (19. Juni), wie das Hof-Fourier-Buch ausweist, war er dort zur Tafel; dann bis zum Schluß des Monats noch sechs Mal, im Juli am 1., 2., 4.-8., 11., 12., 14.-21. und so fast täglich bis in den September hinein. Bei der größeren Freiheit seiner amtlichen Stellung knüpfte sich das Band der Freundschaft mit dem Herzog nur um so fester. Natürlich verlangte jeder von seinen Reisen zu hören, und er seinerseits war entzückt, davon zu erzählen.

Wenn aber Weimar an den Wechsel, über den es klagte, sich bald gewöhnte, eine gab es in Weimar, die tieferen Grund zur Klage hatte und deren Natur nicht stark genug war, ihn zu tragen und sich daran zu gewöhnen – das war Frau von Stein. Die lange Abwesenheit hatte Goethe's Leidenschaft abgekühlt. In Rom hatte er sich überdies in eine andere verliebt, und bei der Rückkehr war er zwar immer noch dankbar für das Glück, das sie ihm gegeben, fühlte er für sie zwar immer noch die Neigung, die keine Aenderung ihres Betragens zerstören konnte und die er bis ans Ende warm im Herzen trug, aber von der Leidenschaft, die sie ihm zehn Jahre lang eingeflößt, war doch nur wenig übrig; er fühlte klar, sie habe sich ausgelebt. Auch ihre Nähe konnte die glimmenden Kohlen nicht wieder zur Flamme anfachen. Charlotte von Stein war jetzt fünf und vierzig Jahre alt! Es begreift sich leicht, welchen Eindruck es auf ihn machen mußte, sie mit eins um zwei Jahre älter, um zwei Jahre verändert zu finden. Was im täglichen Verkehr unmerklich und unbemerkt geblieben wäre, das trat ihm nun plötzlich vor die Augen. Und sehen hatte er ja in Italien gelernt! Charlotte von Stein war fünfundvierzig Jahre alt, – für ihn so gut wie für alle andern. In dieser bedenklichen Lage schlug sie noch dazu den allerschlimmsten Weg ein. Sie fand ihn verändert und sagte ihm das, sagte es ihm in einer Weise, die ihn nur um so schärfer fühlen machte, wie sie selbst sich verändert hatte. Sie fand ihn kalt und – griff zu Vorwürfen. Das war mehr ein Frauenmittel als ein glückliches. Statt seinen Schmerz um die Trennung von Italien mitzufühlen, fühlte sie nur, daß für sie kein Compliment darin liege, und darin hatte sie wohl nicht Unrecht, aber eine treuere edlere Natur hätte den eigenen Schmerz in Mitgefühl um die Trauer des Geliebten aufgehen lassen. Er trauerte um Italien; sie konnte ihm das nicht ersetzen; das fühlte sie, und ihre Eigenliebe war verletzt. Die Lage war peinlich genug. Indeß, kam es auch zum Schlimmsten, eins blieb ihr, worin eine edle Natur nicht geringen Trost gefunden hätte: seine liebste Freundin konnte sie auch jetzt noch sein, und solch eines Mannes Freundschaft war mehr werth als eines andern Liebe. Aber auch das sollte nicht sein.

Vor dem entscheidenden Bruche reiste er mit ihr nach Rudolstadt. Dort traf er zum ersten Male mit Schiller zusammen, wie dieser (12. September 1788) an Körner berichtet: »Endlich kann ich Dir von Goethe erzählen, worauf Du, wie ich weiß, sehr begierig wartest. Sein erster Anblick stimmt die hohe Meinung ziemlich tief herunter, die man mir von dieser anziehenden und schönen Figur beigebracht hatte. Er ist von mittlerer Größe, trägt sich steif und geht auch so; sein Gesicht ist verschlossen, aber sein Auge sehr ausdrucksvoll, lebhaft, und man hängt mit Vergnügen an seinem Blicke. Bei vielem Ernst hat seine Miene doch viel Wohlwollendes und Gutes. Er ist brünett und schien mir älter auszusehen als er meiner Berechnung nach wirklich sein kann. Seine Stimme ist überaus angenehm, seine Erzählung fließend, geistvoll und belebt; man hört ihn mit überaus vielem Vergnügen, und wenn er bei gutem Humor ist, welches diesmal so ziemlich der Fall war, spricht er gern und mit Interesse. Unsere Bekanntschaft war bald gemacht und ohne den mindesten Zwang: freilich war die Gesellschaft zu groß und Alles auf seinen Umgang zu eifersüchtig, als daß ich viel allein mit ihm hätte sein oder etwas anderes als allgemeine Dinge mit ihm sprechen können ... Im Ganzen genommen ist meine in der That große Idee von ihm nach dieser persönlichen Bekanntschaft nicht vermindert worden, aber ich zweifle, ob wir einander je nahe rücken werden. Vieles, was mir jetzt noch interessant ist, hat seine Epoche bei ihm durchlebt. Er ist mir (an Jahren weniger als an Lebenserfahrungen und Selbstentwicklung) soweit voraus, daß wir unterwegs nie mehr zusammenkommen werden, und sein ganzes Wesen ist schon von Anfang her anders angelegt, als das meinige, seine Welt ist nicht die meinige, unsere Vorstellungsarten scheinen wesentlich verschieden. Indeß schließt sich's aus einer solchen Zusammenkunft nicht sicher und gründlich. Die Zeit wird das Weitere lehren.«

Hätte er Goethen ins Herz blicken können, so würde er den Abstand zwischen ihnen beiden noch weiter gefunden haben, als er dachte. Kaum giebt es ein anderes Beispiel, daß eine so große Freundschaft zwischen zwei Männern entstand, die zuerst einander so entgegengesetzt schienen. Damals war Goethe noch besonders schlecht auf Schiller zu sprechen, weil er in ihm den einflußreichen Sophisten sah, der die Nation verderbe und irreführe. Aus seinen eigenen Worten wissen wir, wie es ihn anwiderte, bei der Rückkehr aus Italien Werke, wie Heinse's Ardinghello und Schillers Räuber, in Deutschland in hohem Ansehen zu finden; er seinerseits hatte sich schon längst völlig und für immer von dem Geist der Sturm- und Drangperiode losgesagt, hatte gegen seine eigenen Werke aus dieser Zeit einen wahren Haß, und nun, mit den reinsten Anschauungen geläutert heimgekehrt aus Italien, fand er die Nation statt wie früher bereit ihm zu folgen, in Bewunderung befangen für jene »wunderlichen Ausgeburten« von freilich »genialem Werth«, aber wildester Form. Mit der ruhigen idealen Schönheit einer Iphigenie und der sonnigen Menschlichkeit eines Helden wie Egmont hoffte er die deutsche Welt zu entzücken, und nun fand er die Nation und sich selbst »eingeklemmt zwischen Ardinghello und Franz Moor«. Sein Verleger klagte, die neue Ausgabe seiner Werke, die er so lange und mit so sorgsamem Fleiß vorbereitet hatte, verkaufe sich sehr langsam, während die stark gepfefferten Schriften seiner Nebenbuhler zu tausenden abgingen.

Bei solcher Stimmung erklärt es sich, daß er von Schiller sich etwas fern hielt und verschiedene Versuche, sie einander näher zu bringen, abwies. Auch Schiller seinerseits fühlte sich damals nicht sehr zu ihm hingezogen. »Oefters um Goethe zu sein (so schreibt er unterm 2. Februar 1789 an Körner), würde mich unglücklich machen: er hat auch gegen seine nächsten Freunde keinen Moment der Ergießung, er ist an nichts zu fassen; ich glaube in der That, er ist ein Egoist in ungewöhnlichem Grade. Er besitzt das Talent die Menschen zu fesseln, und durch kleine sowohl als große Attentionen sich verbindlich zu machen, aber sich selbst weiß er nimmer frei zu behalten. Er macht seine Existenz wohlthätig kund, aber nur wie ein Gott, ohne sich selbst zu geben – dies scheint mir eine konsequente und planmäßige Handlungsart, die ganz auf den höchsten Genuß der Eigenliebe calculirt ist. Mir ist er dadurch verhaßt, ob ich gleich seinen Geist von ganzem Herzen liebe und groß von ihm denke. Eine ganz sonderbare Mischung von Haß und Liebe ist es, die er in mir erweckt hat, eine Empfindung, die derjenigen nicht ganz unähnlich ist, die Brutus und Cassius gegen Cäsar gehabt haben müssen; ich könnte seinen Geist umbringen und ihn wieder von Herzen lieben.« Solche Ausbrüche machen uns, die wir wissen, wie Schiller den Mann lieben und verehren lernte, den er hier so gründlich verkennt und obenhin beurtheilt, einen seltsamen Eindruck, aber sie haben auch heute noch ein vielfaches Interesse, vor allem in der Beziehung, daß sie ein schlagendes Beispiel bieten, was es mit den absprechenden Urtheilen über Goethe auf sich hat. Wenn Schiller, der zuerst so hart aburtheilte, bei näherer Bekanntschaft die edle Natur seines großen Rivalen lieben lernte, so dürfen wir auch wohl an Goethe's heutige Tadler die Frage stellen, ob sie sich das nicht zur Lehre dienen lassen und ihre Ansicht einer näheren Prüfung unterwerfen wollen.

In einem andern Briefe Schillers aus derselben Zeit heißt es: »Mit Goethe messe ich mich nicht, wenn er seine ganze Kraft anwenden will. Er hat weit mehr Genie als ich, und dabei weit mehr Reichthum an Kenntnissen, eine sichere Sinnlichkeit, und zu allem diesen einen durch Kunstkenntniß aller Art geläuterten und verfeinerten Kunstsinn.« Aber neben dieser Anerkennung von Goethe's überlegener Genialität erhielt sich in Schiller ein bitterer Neid auf das so viel glücklichere Loos, das seine äußere Stellung bezeichnete – und nur zu wohl konnte der arme Schiller neidisch sein! »Ich will mich gern von Dir kennen lassen wie ich bin,« schreibt er einen Monat später an denselben Freund. » Dieser Mensch, dieser Goethe ist mir einmal im Wege, und er erinnert mich so oft, daß das Schicksal mich hart behandelt hat. Wie leicht ward sein Genie von seinem Schicksal getragen, und wie muß ich bis auf diese Minute noch kämpfen!'

Das Schicksal hatte sie allerdings gar verschieden behandelt. Goethe war jener »Seligen« einer, »welche die Götter vor der Geburt schon liebten.« Schiller dagegen hatte von früh auf mit der ganzen Noth des Lebens zu kämpfen. Nun war er schon der Lieblingsdichter seiner Nation, aber noch immer von Noth umlagert. In seinen Briefen an Körner sehen wir ihn mit Bedauern gegen kleinliche Sorgen um das bloße Leben ankämpfen. Seine Gesundheit ist schlecht, seine Verhältnisse drückend. Er ist genöthigt, aus der Literatur ein Gewerbe zu machen, und ein wie kümmerliches! Er bemüht sich um Lohnarbeit, macht Uebersetzungen den Bogen zu ein paar Thalern und ist seelenfroh, wenn sich ihm etwas der Art bietet. Hoher Gedankenflug trägt ihn empor, aber niedrige Sorge drückt ihn zu Boden. Noch hat er den wilden Drang der Jugend nicht ganz durchgemacht, noch nicht die ruhige Klarheit des Mannes errungen, und keine Hülfe von außen erleichtert ihm den Kampf. Wie ganz anders steht daneben Goethe! Nie hat ihn Armuth bedrückt, und nun hat er Muße, Wohlstand, Ruhm, gesellschaftliche Stellung; von außen kommt wenig, das ihn unglücklich machen könnte. Wenn Schiller das alles überdachte, so durfte er wohl sagen, das Glück sei gegen ihn eine geizige Stiefmutter gewesen, während es Goethen vorgezogen habe.

Und doch hatte auch Goethe seine Sorgen, nur andrer Art. Die Flamme des Genius trug er in sich, aber diese Flamme strahlt nicht nur, sie verzehrt auch. Nicht mit den Verhältnissen, aber innere Kämpfe hatte er zu bestehen. Er fühlte sich ein Fremder im eigenen Lande. Seine Sprache verstanden wenige, seine Ziele niemand. Er zog sich in sich selbst zurück.

In dem damaligen Verhältniß der beiden Dichter muß ein Punkt besonders beachtet werden. So groß Schiller für die Gegenwart ist und so hoch ihn Goethe bald nachher schätzte, damals galt er doch nur für ein aufstrebendes junges Talent. Seine ersten Schriften freilich hatten eine weite Popularität, aber auch die Schriften der Klinger, Maler Müller, Lenz, Kotzebue und anderer hatten die, und galten doch bei bedeutenden Kritikern nie für was Großes; so unbekannt war Schiller damals noch in manchen literarischen Kreisen, daß er bei seinem ersten Besuche in Weimar mit eben so viel Ueberraschung als verletzter Eigenliebe sich beklagen mußte, Herder scheine ihn nur dem Namen nach zu kennen und habe augenscheinlich von seinen Schriften nichts gelesen. In ähnlicher Weise sprach Goethe in der amtlichen Empfehlung Schillers zu seiner Jenaer Professur von ihm als von einem »Herrn Friedrich Schiller, welcher sich durch eine Geschichte des Abfalls der Niederlande bekannt gemacht« habe. So war denn nicht blos Schillers Richtung der damaligen Kunstanschauung Goethe's durchaus entgegengesetzt, sondern er nahm auch nicht einmal eine Stellung ein, welche selbst dem Gegner Achtung abnöthigt, und Goethe hielt die Kunst für ein zu bedeutsames Moment in der Kulturgeschichte der Menschheit, als daß er die Verschiedenheit der Richtungen als unerheblich hätte übersehen können.



 << zurück weiter >>