Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dritter Abschnitt.
Die romantische Schule.

Gegenseitige Einwirkung der beiden Dichter auf einander. Die Philosophie schadet der deutschen Literatur. Charakter der romantischen Schule in Deutschland. Schlegel, Fichte, Schelling, Schleiermacher, Solger. Die Schlegel-Tieck'sche Shakespeare-Uebersetzung. Hinneigung der Romantiker zum Katholicismus, seinen Legenden und Märtyrern; allgemeine Begeisterung für den Mysticismus; die Kunst soll der Religion dienen. – Theoretische Untersuchungen Goethe's und Schiller's. Goethe's schriftstellerische Arbeiten. Er überläßt dem Freunde seinen Plan zum Wilhelm Tell.

»Nach dem tollen Wagstücke mit den Xenien müssen wir uns blos großer und würdiger Kunstwerke befleißigen und unsre poetische Natur, zur Beschämung aller Gegner, in die Gestalten des Edlen und Guten umwandeln«. Dieser Mahnruf fand Schiller gerüstet. Mit allem Ernst gingen die beiden ernsten Männer ans Werk und brachten ihre unvergleichlichen Balladen und ihre großen Gedichte Hermann und Dorothea und Wallenstein hervor. Ihr Einfluß auf einander war sehr eigenthümlich; im Gegensatz zu ihrer natürlichen Tendenz machte er Goethe spekulativ und theoretisch, Schiller realistisch. Vor Allem wurde er für Goethe ein Antrieb zu thätigem Schaffen. »Sie haben mir, schrieb er an Schiller, eine zweite Jugend gegeben und mich wieder zum Dichter gemacht, welches zu sein ich so gut wie aufgehört hatte.« Beide waren damals viel mit Philosophie geplagt; Schiller beschäftigte sich mit Kant und Spinoza, Goethe mit Kant und naturwissenschaftlichen Theorieen. Beide auch erfüllten sich mehr und mehr mit dem Geist der alten Kunst und waren entschlossen, die Grundsätze derselben wieder geltend zu machen. Da sie Männer von Genie waren, so schadeten diese beiden falschen Richtungen – die reflektirende und die nachahmende – ihren Schriften weniger als der Bildung der Nation. Ihr Genie rettete sie trotz ihrer Irrthümer, aber die Nation führten diese fehl. Wie Gervinus bemerkt, zeigt schon ein bloßer statistischer Nachweis der literarischen Erscheinungen den Verfall der Poesie in Deutschland während der letzten fünfzig Jahre, in denen die Philosophie herrschte. Die Philosophie hat die Sucht zu theoretisiren aufgebracht und die großen Meister der Dichtkunst zu Kritikern herabgezogen; zugleich mit der nachahmenden Richtung hat sie jenen glänzenden Irrthum hervorgebracht, der unter dem Namen der romantischen Schule bekannt ist.

Einige wenige Worte über diese vielbesprochene Schule sind wohl am Platze. Gleich ihrem Nachkömmling, der romantischen Schule in Frankreich, hatte sie in der Kritik eine Richtung, die gut war, und eine Neigung nach rückwärts, die vom Uebel war. Beide empörten sich gegen die Regeln einer beschränkten Kritik, beide stellten die mittelalterliche Kunst als die höchste hin, beide erklärten den Katholicismus und die Volkssagen für tiefsinniger als die Literatur des Tages. In andrer Beziehung waren sie sehr von einander verschieden; die Schlegel, Tieck, Novalis und Werner hatten nicht gegen einen strengen feststehenden nationalen Geschmack anzukämpfen, wie Victor Hugo, Dumas, Alfred de Vigny; im Gegentheil wurden sie von einem großen Theile der Nation unterstützt, da sie nur gewisse Anschauungen weiter förderten, die schon in der allgemeinen Richtung lagen. Auf dem Gebiete der Kritik waren ihre Ansichten wenig mehr, als erneute Jubelklänge über die durch Lessing, Herder, Goethe und Schiller bereits gewonnenen Siege. Friedrich Schlegel, bei weitem der bedeutendste Kritiker dieser Schule, begann seine schriftstellerische Laufbahn mit einer Auswahl aus Lessing's Werken (»Lessing's Geist, eine Blumenlese seiner Ansichten«) und endete damit, Philipp den Zweiten und den grausamen Alba zu bewundern und Calderon für einen größeren Dichter zu erklären als Shakespeare. So stellt er den Verlauf der ganzen Schule von Anfang bis zu Ende dar.

Fichte, Schelling, Schleiermacher und Solger sind die Philosophen dieser romantischen Schule; von den beiden ersten stammt das einst berühmte nun fast vergessene Princip der Ironie, das, wie Hegel nachwies, nicht nur überhaupt kein Princip war, sondern auch nicht einmal von den Romantikern selbst angewandt worden ist. Die Ironie Shakespeare's, des »Gottes ihrer Anbetung«, wirklich aufzuzeigen hat keiner von ihnen, selbst Tieck nicht versucht. Unter den wirklichen Diensten, welche Tieck und August Wilhelm Schlegel der deutschen Bildung geleistet haben, verdient bei dieser Gelegenheit ihre Shakespeare-Uebersetzung hervorgehoben zu werden, die, obgleich keineswegs so getreu wie man in Deutschland meint, oft erbärmlich schwach und bisweilen sehr fehlerhaft in der Auffassung des Sinnes Die Schlegel-Tieck'sche Uebersetzung darf nicht so ohne Unterscheidung als ein Ganzes behandelt werden. Schlegel hat viel besser, genauer und deutscher übersetzt als Tieck und die Seinen, und es ist sehr zu bedauern, daß neuere Uebersetzer sich an den von jenem übertragenen Stücken versuchen, statt die leichteren und dankbaren Ehren sich zu verdienen, welche z. B. der von Dorothea Tieck bearbeitete Coriolan bietet. (Anm. des Uebersetzers), doch im Ganzen ihres Gleichen nicht hat in aller Literatur und Shakespeare in Deutschland so heimisch gemacht hat wie in England selbst.

Auf ihrem Kreuzzuge gegen den französischen Geschmack, bei ihrer Verehrung für Shakespeare und ihrer Unterstützung der Bemühungen Herders zu Gunsten der Balladen-Literatur und des Geschmackes für gothische Kunst, gingen die Romantiker mit dem allgemeinen Strome. Auch der nationalen Richtung huldigten sie, indem sie mit Friedrich Schlegel erklärten, »Mythologie und Poesie, symbolische Sage und Dichtung, beide seien eins und unzertrennlich«, woraus denn unmittelbar weiter folgte, daß eine neue Religion oder doch jedenfalls eine neue Mythologie nöthig sei, denn »der tiefste Schaden und Mangel aller modernen Poesie bestehe eben darin, daß sie keine Mythologie habe.« Während nun Fichte, Schelling und Schleiermacher sich abmühten, eine neue Philosophie und eine neue Religion zu schaffen, ließ sich, wie man bald inne wurde, eine Mythologie nicht so nach einem Programm herstellen, und da sie doch einmal unentbehrlich war, so wandten sich die Romantiker dem Katholicismus mit seinen Heiligengeschichten und Glaubenshelden zu, – einige, wie Tieck und A.W. Schlegel, lediglich aus poetischer Schwärmerei, während andere, wie Friedrich Schlegel und Werner, sich aus voller Ueberzeugung zum Katholicismus und all seinem Zubehör bekannten.

Solger hat die Ironie die Tochter des Mysticismus genannt, und wie hoch die Romantiker den Mysticismus priesen, ist aus den Schriften von Novalis hinlänglich bekannt. Mystisch hieß bei ihnen poetisch und tiefsinnig zugleich. Ihre Kritik verherrlichte die abenteuerlichsten Ausgeburten des Mittelalters wegen ihres tiefen Spiritualismus, im Gegensatz zu dem heidnischen Materialismus Goethe's und Schiller's. Einmal im Zuge ging die Bewegung rasch bis an die Grenzen des Unsinns. Die Kunst trat ganz in den Dienst der Religion; nur in diesem Dienste, hieß es, habe sie geblüht, könne sie blühen. Fra Angelico und Calderon wurden plötzlich vergöttert. Die Theorie strotzte von Absurditäten. Wackenroder schrieb (mit Tieck's Beihülfe) seine »Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders« – zum Beweise wie Goethe meinte, daß, weil einige Mönche Künstler gewesen, alle Künstler Mönche werden müßten – und stellte darin Werner als einen Riesen der Kunst hin. Von gläubiger Gesinnung hoffte man Wunder in der Kunst; andächtiges Bibellesen sollte das beste Mittel sein, um es Fra Angelico und van Eyck gleich zu thun; aus einem härenen Hemde zog man künstlerische Eingebung. In Schaaren traten die Maler zur katholischen Kirche über. Cornelius und Overbeck gaben ihr Genie zu dem Versuche her, die todten Formen der Anfänge der christlichen Kunst wieder zu beleben, wie Goethe und Schiller in der griechischen Kunst gethan. Overbeck, der in einem Kloster malte, war von dem Geist der Askese so ergriffen, daß er nicht nach dem lebenden Modell zeichnen wollte, um nicht zu naturalistisch zu werden; denn Treue gegen die Natur hieß Untreue gegen die höhere Richtung des Spiritualismus. Cornelius hatte zu viel künstlerischen Takt, um in solche Uebertreibungen zu verfallen, aber andere, weniger begabt und bigotter, trieben diese Anschauung bis zur äußersten Consequenz. Einige von diesen Reformern ließen sich in Rom nieder und erregten die Verwunderung der Katholiken nicht weniger als der Protestanten. Caesar Masini schildert sie in seiner Schrift »über die Puristen in der Malerei« mit folgenden Worten: »Im Jahre 1809 kamen einige junge Männer aus Norddeutschland nach Rom. Sie verleugneten ihren protestantischen Glauben, kleideten sich in die Tracht des Mittelalters und stellten den Satz auf, mit Giotto sei die Malerei zu Grabe gegangen und zu ihrer Wiederbelebung sei es nöthig, auf den alten Stil zurückzugehen. Unter dieser Maske von Pietät versteckten sie ihre eigene Nichtigkeit. Sklavische Bewunderer der rohesten Kunstepochen erklärten sie Zwerge für Riesen und suchten uns von Raphael, Titian und Correggio rückwärts zu drängen in den trocknen harten Stil und die barbarische Stümperei der Buffalmacco, Calandrino und Paolo Uccello.«

Das ungefähr waren die Lehren der neuen Schule. Der Gegensatz zwischen Raphael und Fra Angelico, zwischen Titian und Albrecht Dürer ist nicht größer als der, in welchem Goethe und Schiller zu dem schwindsüchtigen Novalis und dem stutzerhaften Schlegel standen. Nichts desto weniger ist es gewiß, daß ihre Neigung zur Reflexion so gut wie zur Nachahmung die romantische Bewegung mehr förderte, als ihre Werke sie hemmten. Jetzt ist die Bewegung längst zur Ruhe und hat ihr Urtheil dahin, aber neben manchem offenbaren Schaden hat sie doch manche offenbaren Vortheile gehabt, und kein Kenner der modernen Literatur wird der Romantik die Anerkennung versagen, daß sie das Verständniß des Mittelalters wesentlich gefördert hat.

Kehren wir zu Goethe zurück. Schiller veranlaßte ihn zu endlosen theoretischen Untersuchungen; sie verhandelten über die Grenzen der epischen und dramatischen Dichtung, lasen und erörterten Aristoteles' Poetik – Unterhaltungen, welche Goethe's Abhandlungen über epische und dramatische Poesie zur Folge hatten – und thaten, wie ihr Briefwechsel zeigt, kaum noch einen Schritt, den sie nicht erst theoretisch abgemessen hatten. Wolfs Prolegomena zum Homer las Goethe mit Begeisterung und bekannte sich sofort zu den darin entwickelten Ansichten. Daran schlossen sich Untersuchungen über den Ursprung der hebräischen Gedichte, und aus Einhorn's Einleitung in's alte Testament nahm Goethe die Anregung zu dem Versuche einer neuen Erklärung des Zuges der Kinder Israel durch die Wüste, die er später in den Anmerkungen zum westöstlichen Divan entwickelte.

Mit diesen Studien gingen epische Schöpfungen Hand in Hand. Goethe schuf das vollendetste seiner Gedichte, Hermann und Dorothea, entwarf die Achilleis und führte sie zum Theil aus; auch den später in der »Novelle« prosaisch bearbeiteten Stoff wollte er damals in einem epischen Gedichte »die Jagd« behandeln. Außerdem ist dieses Jahr 1797 als das »Balladenjahr« merkwürdig, in welchem er und Schiller in freundschaftlichstem Wetteifer ihre Meisterwerke in dieser Gattung schufen. Auf Goethe's Antheil kommen die Braut von Korinth, der Gott und die Bajadere, der Schatzgräber und der Zauberlehrling.

Auch nahm er in diesem Jahre den Faust wieder auf und setzte ihn bruchstückweise fort. Die Zueignung, der Prolog im Himmel und das Intermezzo »Oberon's und Titania's goldne Hochzeit« wurden geschrieben. Aber mitten in dieser Beschäftigung mit dem Faust unterbrach ihn ein Besuch des Archäologen Hirt und regte die Erinnerungen an Italien so mächtig auf, daß die nordischen Phantome weichen mußten. Er legte den Faust bei Seite und schrieb einen Aufsatz über Laokoon. Seine Sehnsucht nach Italien wurde wieder rege, sein Wissensdrang war unersättlich, nie glaubte er Stoff genug zu haben. Schiller dagegen, an Stoff so bedeutend ärmer und zur Produktion viel geneigter, war der Ansicht, diese neue Reise nach Italien würde ihn mit zu viel Stoff überhäufen und ließ ihn durch Meyer davon abrathen. Goethe machte die Reise nicht. Wie ich glaube, hatte Schiller Recht: aus dem Punkte, den Goethe damals erreicht hatte, brauchte er nur dem schon gesammelten Stoff eine Form zu geben.

Im Juli 1797 machte er zum dritten Male eine Reise nach der Schweiz. In Frankfurt führte er Christiane und seinen Sohn der Mutter zu, bei der sie eine sehr herzliche Aufnahme fanden und einige angenehme Tage verlebten. Die weitere Reise zu begleiten ist unnöthig; biographisch ist sie nur dadurch interessant, daß er während derselben den Plan zu einem Epos Wilhelm Teil faßte und Gegend und Volk zu diesem Behuf studirte. Aber der Plan kam nicht zur Ausführung; er überließ ihn an Schiller und unterstützte ihn dabei zugleich mit Lokalschilderungen, die Schiller mit einer für Goethe selbst erstaunlichen Meisterschaft zu benutzen verstand. Dasselbe innige Zusammenwirken fand beim Wallenstein statt; doch hat man es hier sehr übertrieben dargestellt; nach seiner eigenen Aussage hat Goethe daran nur zwei Zeilen geschrieben Es sind das die beiden Verse gleich zu Anfang des Lagers:
Ein Hauptmann, den ein anderer erstach,
Ließ mir ein paar glückliche Würfel nach.
Goethe hielt sie für nothwendig, »um nichts unmotivirt zu lassen«. Ich bekenne, daß ich diese Art von Motivirung nicht verstehe; die Häufung der beiden Hauptleute hat mich von jeher frappirt und ist mir immer komisch erschienen. Anm. des Uebers.
. Aber seinen Rath genoß Schiller bei jeder Scene, und die endliche Aufführung war für Goethe wie ein persönlicher Triumph.

Im Frühjahr 1798 drohten ihn Schellings Naturphilosophie und feine eigenen Entwürfe zur Geschichte der Farbenlehre wieder von der Poesie abzuziehen, aber Schiller hielt ihn dabei fest. Goethe nahm den Faust wieder auf und schrieb die letzten Scenen des ersten Theils. Während des Sommers war er oft bei Schiller in Jena, also viel mit Poesie beschäftigt. Achilles und Tell, die antike und moderne Welt, wie Schiller sagt, stritten um den Vorrang, aber der Streit kam nicht zum Austrag, weil Goethe mit der Theorie des Epos noch nicht im Reinen war. Das Studium der Ilias »hatte ihn wieder in dem Kreise von Entzückung, Hoffnung, Einsicht und Verzweiflung durchgejagt.« Kaum hatte er Jena verlassen, als er von einer andern Polarität angezogen zu sein erklärte. Das waren die Propyläen, eine Zeitschrift für Kunst. Auch mit dem Bau des neuen Theaters hatte er zu thun; es gelang ihm, dasselbe am 12. Oktober mit Wallensteins Lager und dem Prolog zu eröffnen, dem am 30. Januar 1799 die Piccolomini und am 20. April Wallensteins Tod folgten.

In demselben Jahre 1799 war es, daß der junge Walter Scott eine Uebersetzung des Götz von Berlichingen herausgab und damit eine Bahn betrat, die ihn zu unsterblichem Ruhme führte, und im Dezember dieses Jahres war es, daß die großmüthige Unterstützung Karl August's Schiller in den Stand setzte, aus seiner Einsamkeit in Jena nach Weimar überzusiedeln und dort seine letzten Lebensjahre in stetem Verkehr mit Goethe und in gemeinsamer Verfolgung der ihnen so lieb gewordenen Pläne für Literatur, Kunst und Nationaltheater zu verleben. Ich benutze diesen Wechsel, um einen Abschnitt über das epische Gedicht Hermann und Dorothea einzuschalten, welches bereits 1797 veröffentlicht war.



 << zurück weiter >>