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Siebenter Abschnitt.
Faust.

Die allmälige Entstehung des Faust. Das Problem unserer geistigen Existenz und das Bild unseres bürgerlichen Lebens. Aehnlichkeit zwischen Faust und Hamlet. Die Popularität des Hamlet hat eine zwiefache Ursache: geistige Größe und dramatische Mannigfaltigkeit. Popularität und verschwenderischer Reichthum des Faust. Die sogenannte »Idee« des Faust ist nicht so wichtig als die Mittel, durch die seine Wirkung erreicht wird. Inhalt des Stücks. Die beiden Vorspiele; ihre Nothwendigkeit, ihr Zweck. Die Scenen des Faust im Einzelnen. – Warum der Faust beim ersten Lesen nicht befriedigt, je länger je mehr fesselt und bezaubert. – Marlowe's »Faustus« und Calderon's »wunderthätiger Magus«; Maler Müller's »Faust«. – Ein Beispiel verfehlter Kritik. Goethe selbst giebt den Schlüssel zum Faust. – Im Faust ist das Problem nur hingestellt, nicht gelöst.

Der erste Theil des Faust wurde erst 1806 veröffentlicht, war aber bereits vor Schiller's Tode vollendet und kann deshalb passend hier besprochen werden. Länger als dreißig Jahre war dies Werk im Geiste des Dichters herangewachsen, und obgleich sich eine genaue Zeitangabe für die einzelnen Theile nicht feststellen läßt, so ist sie doch annähernd möglich. Schon in jungen Jahren war Goethe mit der Faustsage vertraut. In Straßburg (1770-71) faßte er den Gedanken, seine eigenen geistigen Erlebnisse in die Form dieser alten Sage zu gießen, aber erst 1774 oder 1775 schrieb er den ersten Monolog und die erste Scene mit Wagner; während seines Verhältnisses mit Lili entwarf er den Plan zur Geschichte Gretchen's, schrieb die Scene auf der Straße, die in Gretchen's Schlafzimmer, die Scene zwischen Faust und Mephisto auf dem Spaziergange und auf der Straße, und die Gartenscene. Auf der Schweizerreise brachte er die erste Begegnung mit Mephisto und den Pakt zu Papiere, ebenso die Scene vor dem Thore, die zwischen Mephisto und dem Schüler, und die in Auerbach's Keller; auch entwarf er damals den Plan zu der Helena, die er später vielfach verändert in den zweiten Theil des Faust aufnahm. Während der italienischen Reise sah er die früheren Aufzeichnungen wieder durch und schrieb die Hexenküche, den Monolog im Walde (Erhabner Geist u. s. w.) und die Scene im Dom. Im Jahre 1797 arbeitete er das Ganze um und fügte das Vorspiel auf dem Theater, den Prolog im Himmel, die Zueignung und die Walpurgisnacht hinzu. Im Jahre 1801 vollendete er das Gedicht in seiner jetzigen Gestalt und änderte vielleicht 1806 noch im Einzelnen daran, als er es veröffentlichte. Prüfen wir nun mit einiger Sorgfalt dieses Kind so vieler Sorgen.

Der Hahn beim Aesop kratzt eine Perle aus dem Staube, und erklärt sie für weniger werthvoll als ein armseliges Gerstenkorn. Perlen sind nur für den, der ihren Werth kennt. So ist es auch in der Kunst mit schönen Stoffen: nur in den Händen großer Künstler sind sie schön. Wo die nöthige Kraft ist, da ist ein glücklicher Stoff ein glänzendes Vermögen; wo die Kraft fehlt, zeigt sich die Unfähigkeit nur um so greller. Mittelmäßige Dichter haben ihre ungeübte Hand am Faust versucht, Dichter von unleugbarem Genie haben den Stoff zu meistern unternommen, aber Goethe allein war ihm völlig gewachsen und hat daraus das größte Gedicht der neueren Zeit geschaffen

– – fürwahr ein orphisch Lied,
Ein göttlich Lied, worin Gedanken hoch
Und wild zur eignen Melodie ertönen.
Coleridge – an orphic tale indeed,
A tale divine, of high and passionate thoughts,
To their own music chaunted.

Obgleich das Genie in unbedeutenden Kleinigkeiten, an denen gewöhnliche Geister ohne Arg vorübergehen, Stoff zur Thätigkeit finden kann, so ist doch die Zahl der Gegenstände sehr klein, welche dem Genius zu voller Entfaltung Gelegenheit geben. Die eigenthümliche Geistesrichtung eines Mannes verleiht Gegenständen einen Reiz und eine Bedeutung, die sie für andere nicht haben. Solch ein Stoff war für Raphael die Mutterliebe der göttlichen Jungfrau, für Goethe der Faust, – ein Postament, auf dem ihr Genius in seiner ganzen Größe sich aufrichten konnte.

Den mannigfachen, geschichtlichen und ästhetischen Stoff, der in der Faust-Literatur angesammelt ist, auch nur übersichtlich darzulegen, ist weder meine Absicht, noch erlaubt es der Raum. Der Fleiß und Scharfsinn der Erklärer hat sich bis in die kleinsten Einzelheiten am Faust versucht, und die Wißbegier oder Neugier braucht sich über Mangel an Belehrung nicht zu beklagen. Viel wichtiger als alles gelehrte Beiwerk ist es, den rechten Standpunkt zu gewinnen, von dem wir dieses wunderbare Gedicht studiren und genießen können. Seine Popularität ist fast ohne Beispiel; es ergreift jedes Menschen Geist mit dem unwiderstehlichen Zauber eines ewigen Problems und mit dem Reize unendlich wechselnder Mannigfaltigkeit; es hat alles, »was Menschenherz bewegt«; es ist witzig, leidenschaftlich, weise, possenhaft, geheimnißvoll, melodisch, religiös, skeptisch, magisch und spöttisch: da ist kein Ton des ganzen Saitenspiels menschlicher Empfindung, der nicht mittönte, keine Saite des Herzens, die nicht anklänge. Grübelnde Forscher, die mit ernsten Zweifeln ringen und die hohen Räthsel des Lebens zu lösen trachten, fühlen ihre Pulse bei diesem Gedichte seltsam bewegt; ja, wie Heine sagt, jeder Billardkellner in Deutschland zerbricht sich den Kopf darüber. Im Faust sehen wir wie in einem Spiegel das ewige Problem unserer geistigen Existenz und daneben die bunten Züge unseres bürgerlichen Lebens. Das Gedicht ist ein Problem und ein Bild zugleich. Darin liegt sein Zauber. Als Problem umfaßt es alle höchsten Fragen des Lebens, als Bild stellt es alle Meinungen, alle Empfindungen und alle Klassen dar, die sich auf der Bühne des Lebens bewegen. Das große Problem ist in seiner ganzen Schärfe hingestellt, das Bild in seiner ganzen Mannigfaltigkeit gemalt.

Die zwiefache Natur des Faust erklärt seine Popularität und, was uns hier näher angeht, giebt den Schlüssel zu dem Geheimniß seiner Composition. Dies haben alle Kritiker, die mir bekannt sind, übersehen, und so mißtrauisch man auch eine Ansicht aufnehmen wird, die über einen so viel besprochenen Gegenstand etwas neues vorzubringen beansprucht, so wird doch der Inhalt dieses Abschnittes hoffentlich hinlänglichen Beweis für meine Auffassung geben und ihr Anerkennung verschaffen Der Verf. hat seine Ansicht der Hauptsache nach schon früher in einem Aufsatze über die drei Fauste in der British and Foreign Review (vol. 18.) entwickelt, was zur Vermeidung von Mißverständnissen hier bemerkt sein mag.. Sie drängte sich mir zuerst auf, als ich nach den Ursachen forschte, weshalb der Hamlet so populär sei. Beide Werke, der Hamlet und der Faust, haben so viel Verwandtes und sind in unserer Vorstellung so mit einander verwachsen, daß eine Besprechung des einen sicher auch auf das andere Licht wirft.

Der Hamlet ist das populärste Stück in englischer Sprache. Das in gewissen Kreisen verbreitete Vorurtheil: wenn es jetzt zum ersten Male zur Aufführung käme, würde es durchfallen, ist durch die Thatsachen widerlegt. Jedes Jahr unterhält es Tausende, und Millionen regt es an. In Scheunen und kleineren Theatern öfter als auf Hofbühnen aufgeführt, bewährt es immer und überall seine Anziehungskraft. Die niedrigsten und unwissendsten Klassen des Publikums sind davon entzückt. Die Ursache dieses Genusses ist eine zwiefache. Zuerst die Erhabenheit des Stückes und sein Reichthum an Gedanken über die tiefsten Fragen; denn selbst die stumpfste Seele hat, wenn auch kein Verständniß, doch Gefühl für das Große und hört mit stummer Ehrfurcht den Ergüssen eines großen denkenden Geistes zu, der unablässig seine Fragen an das Schicksal stellt. Der zweite Grund ist die erstaunliche dramatische Mannigfaltigkeit des Stücks. Welch eine Reihe ergreifender Wirkungen dringen da auf uns ein – der Geist, der mörderische König, die ehebrecherische Königin, der schwermüthige Held, der zu so schrecklichem Schicksal verdammt ist, die arme Ophelia mit ihrem gebrochenen Herzen, ihrem erschütternden Wahnsinn und traurigen Tode, das Schauspiel im Schauspiel, die »Schlinge für des Königs Gewissen«, die grausige Lustigkeit der Todtengräber, das Begräbniß der Ophelia und auf ihrem Grabe der Streit zwischen ihrem Bruder und Geliebten, endlich die rasche blutige Lösung. Dazu der überwältigende Zauber tiefer Gedanken. In der That kann der Hamlet die Tragödie des Gedankens heißen, denn es ist eben so viel Reflexion als Handlung darin, aber die Reflexion selbst ist dramatisch gemacht und reißt mit ununterbrochenem Interesse den Hörer fort. Auffallend ist noch an diesem Stück die unlösbare Verschmelzung von verfeinerter Geistigkeit und schaudervollem Thun, von Reflexion und wildem Lärm, von hoher und zarter Poesie und derben theatralischen Effekten. Die Maschinerie ist eine Maschinerie des Grausens, körperlichen und geistigen: Geistererscheinungen, furchtbare Enthüllungen von blutschänderischem Ehebruch und Mord, Wahnsinn, Polonius »wie eine Ratte« hinter der Tapete umgebracht, Todtengräber, welche Schädel auf der Bühne umherwerfen und den Kirchhof mit ihren Späßen entweihen – solche Schrecken bilden die Maschinerie, durch die sich die höchste, erhabenste und philosophischste aller Tragödien fortbewegt.

Daß ein so verschwenderisch ausgestattetes Werk so populär geworden ist, begreift sich leicht. Der Faust, der ihm an Popularität gleichkommt, wetteifert mit ihm auch an verschwenderischem Reichthum. Fast jede Seite des Lebens ist darin berührt, fast jede bedeutende Frage findet ihren Ausdruck, und die Form wechselt im mannigfaltigsten Rhythmus. Das Stück hat ein großes Publikum, weil es sich an ein großes Publikum wendet.

Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen,
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.

Die Kritiker richten gewöhnlich ihre ganze Aufmerksamkeit auf das, was sie die Idee des Faust nennen, und bei diesem mühsamen Suchen nach einer entlegenen Deutung haben sie, wie mir scheint, die näherliegende und natürlichere Erklärung übersehen, welche das Werk selbst bietet. Ich habe, wie der Leser schon weiß, wenig Sinn für diejenige Philosophie der Kunst, welche es sich zum Geschäft macht, die Kunst in Philosophie zu übersetzen, und halte weder mich noch meine Leser mit Betrachtungen über die Idee eines Kunstwerkes auf; ich weiß aus Erfahrung, daß es dem Künstler bei seinem Schaffen auf ganz etwas anderes ankommt, als eine Idee zu entwickeln, und aus der gleichen Erfahrung weiß ich auch, daß das Publikum des Künstlers sich zunächst gar nicht um die Idee bekümmert, sondern den Kritikern überläßt, sich darum zu streiten. Ich studire ein Kunstwerk nicht anders als ein Werk der Natur; ich freue mich an seiner Wirkung und suche dann die Mittel zu erkennen, durch welche die Wirkung hervorgebracht wird, keineswegs aber die Idee, welche den Mitteln zu Grunde liegt. Wenn ich bei der Sektion eines Thieres einen klaren Einblick in den Mechanismus erhalte, wie gewisse Funktionen sich vollziehen, so giebt mir die Belehrung, die Funktionen seien die Endursachen dieses Mechanismus, keinen Zuwachs an wirklicher Kenntniß, während ich mich umgekehrt, wenn ein vorgefaßter Zweckbegriff statt der sinnlichen Anschauung entscheiden soll, in einem wahrem Sumpfe von naturphilosophischen Vermuthungen befinde, wo ich nirgends festen Fuß fassen kann. Dies mußte ich vorausschicken, ehe ich in den Inhalt eines Werkes wie Faust eingehen kann, welches ganze Bände voll philosophischer Kritik veranlaßt hat: ich habe ein Gedicht vor mir, ich zerlege es, nehme ein Glied des Organismus nach dem andern, zeige die Stellung auf, die es einnimmt, und suche seine Funktion nachzuweisen. Wem solche Kritik widerstrebt, den bitte ich diesen Abschnitt zu übergehen.

Mit zwei Vorspielen leitet sich das Stück ein. Das Vorspiel auf dem Theater, so kurz es ist, erschöpft die ganze Frage über das Verhältnis des Dichters und des Publikums zur dramatischen Kunst. Die lustige Person löst diese Frage mit dem einfachen »Wer machte denn der Mitwelt Spaß?« – dem weisesten Worte, welches je über diesen Gegenstand geäußert ist, und heute noch so frisch und anwendbar, als wäre es gestern geschrieben. Die ganze Verhandlung ist so erschöpfend wie knapp. Jede Zeile scheint nur leicht hingeworfen und hat doch die vollendete Klarheit vollendeter Kraft. Ohne Uebertreibung läßt sich sagen, daß sich die Meisterschaft des Genie's in diesen leichten glücklichen Zügen eben so klar bekundet, wie in den bedeutenderen Partieen des Faust; ja vielleicht zeigt sich grade in solchen Kleinigkeiten geistige Kraft am entschiedensten: untergeordnete Schriftsteller thun in dergleichen Dingen immer zu wenig oder zu viel, sind entweder hochtrabend oder platt.

Führen wir einige Proben dieser praktischen Weisheit an. Der Schauspieldirektor will wissen, wie er der Menge am besten behagen könnte.

Sie sitzen schon mit hohen Augenbrauen
Gelassen da und möchten gern erstaunen.
Ich weiß wie man den Geist des Volks versöhnt;
Doch so verlegen bin ich nie gewesen;
Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,
Allein sie haben schrecklich viel gelesen.

Der Dichter, der von Nützlichkeitsrücksichten keine Ahnung hat, antwortet mit schwunghaften Ergüssen über seine hohe Kunst; die lustige Person fordert ihn auf, er solle sich doch als Meister seiner Kunst zeigen und das Publikum unterhalten:

Laßt Phantasie mit allen ihren Chören,
Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft,
Doch merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören.

Besonders aber, fällt ihm der Direktor ein, laßt genug gescheh'n! und ganz im Geist eines Direktors fügt er hinzu:

Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!
Was hilft's, wenn Ihr ein Ganzes dargebracht;
Das Publikum wird es Euch doch zerpflücken.

So geht der Streit weiter, bis der Direktor ihn mit dem Machtwort zu Ende bringt:

So schreitet in dem engen Bretterhaus
Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,
Und wandelt mit bedächt'ger Schnelle
Vom Himmel durch die Welt zur Hölle.

Die letzten Worte geben uns einen Schlüssel zu dem Bau des Drama's; man hat sie gewöhnlich nur auf die Wanderung durch das geistige Labyrinth bezogen, aber das genügt nicht: sie beziehen sich daneben eben so gut auf die Scenen des wirklichen Lebens, welche im Faust zur Darstellung kommen.

Der Prolog im Himmel folgt. Man hat ihn vielfach auf das seltsamste mißverstanden. Eine Parodie auf das Buch Hiob hat man ihn genannt und als solche getadelt; er passe nicht zu dem übrigen Stück, heißt es; als nichtssagend und gottlos, ja, als ganz unnöthig gotteslästerlich hat man ihn gebrandmarkt; in manchen Uebersetzungen fehlt er, als »zur Veröffentlichung nicht geeignet«. Coleridge überlegte bei sich, ob es für seinen moralischen Ruf auch zuträglich sei, daß er durch Uebersetzung dieses Prologs ins Englische Reden verbreiten helfe, an denen doch vieles gemein, frech und gotteslästerlich sei. Auch auf mich, gestehe ich, war der erste Eindruck ein sehr ungünstiger, und nur die Erwägung, daß das Gedicht in Inhalt und Darstellung der mittelalterlichen Faustsage folge, vermochte denselben zu mildern. Nur eine organische Kritik kann den Sinn organischer Schöpfungen wahrhaft erfassen; so lange wir einen Organismus von außen her, nach einer sogenannten Idee, oder richtiger: nach unsern Ideen, nicht nach seiner Natur beurtheilen, werden wir niemals seinen Bau und sein Leben richtig verstehen, und zwar gilt das von allen Organismen – von Gedichten so gut wie von Thieren und Pflanzen. Frau von Staël hat über den ganzen Faust das bewundernswerthe Wort gesprochen: »daß ein Mann, wie Goethe, nicht alle ästhetischen Fehler, die man seinem Stücke vorwerfen kann, selbst kenne, wäre wirklich zu naiv anzunehmen; aber es ist interessant, die Gründe kennen zu lernen, die ihn bestimmt haben, die Fehler darin zu lassen oder vielmehr zuzulassen.« Wenn wir demnach die Gründe verstehen wollen, aus denen Goethe diesen Prolog geschrieben hat, und zwar so geschrieben hat, so müssen wir die Annahme, er habe gotteslästerlich sein wollen und nicht, wenn er gewollt hätte, eben so ernst und würdevoll sein können wie Klopstock, von vorn herein bei Seite lassen. Sehen wir uns die Sache etwas näher an.

Die Wette zwischen Mephistopheles und Gott bildete einen Bestandtheil der Faustsage. Indem Goethe diese letztere annahm, war er auch an jene gebunden, und wie genau er sie dann in dem wahren mittelalterlichen Stil behandelt hat, wird jeder, der mit den mittelalterlichen Legenden und besonders mit den sogenannten Mysterien (Schauspielen kirchlich-religiösen Inhalts) bekannt ist, sofort erkennen. In diesen Mysterien überrascht uns neben der ernstesten Moral die gröbste Spaßmacherei, die nach unsern Begriffen der Gotteslästerung gleich kommt; das Heiligste wird in den Schmutz des Volkswitzes hinabgezogen; über die heiligsten Namen werden Scherze und Geschichten gemacht, vor denen es die frommen Leser unserer Tage schaudern würde. Als eine Probe, wie weit man diese Scherze trieb, und zwar in Schauspielen, welche von Geistlichen gespielt wurden und geistlichen Zwecken dienten, sei hier eine der frechsten Stellen angeführt, die es in dieser Beziehung giebt. Gott Vater erscheint während der Kreuzigung Christi schlafend auf seinem Himmelsthrone, ein Engel tritt zu ihm, um ihn zu wecken, und es entspinnt sich folgendes Gespräch:

Engel: Ewiger Vater, Ihr thut Unrecht und werdet Euch mit Schmach bedecken. Euer vielgeliebter Sohn ist eben gestorben, und Ihr schlaft wie ein Betrunkener.

Gott Vater: Ist er gestorben?

Engel: Allerdings.

Gott Vater: Hol mich der Teufel, ich wußte nichts davon.

Ganz unzweifelhaft war dergleichen durchaus nicht böse gemeint; es waren eben Ausbrüche von Naivetät, die eben so naiv genommen wurden. Von dieser mittelalterlichen Färbung gab auch Goethe der mittelalterlichen Sage, die er behandelte, etwas – nicht so viel, um zu verletzen, sondern nur einen schwachen Anflug. Bei dem Prolog folgte er nur dem alten Puppenspiel Faust, von dem wir verschiedene Bearbeitungen haben. Ein untergeordneter Künstler hätte denselben gewiß so erhaben und philosophisch wie möglich gemacht; Goethe machte ihn mit voller Absicht naiv. Daß er ihn nicht anders hätte machen können, wenn er gewollt hätte, dürfen wir unmöglich annehmen; er wollte eben nicht; er schrieb diese Scene aus seiner Kenntniß der älteren Faustliteratur, ihre Naivetät deutet auf diese als die Quelle seiner poetischen Eingebung zurück. Wenn man den ganzen Ton des Werkes erwägt, so ergiebt sich, wie wenig ein Prolog, in welchem Gott und Mephistopheles nach der strengeren und edleren Auffassung unserer Zeit dargestellt wären, zu solchen Scenen wie die mit dem Pudel, der Hexenküche und der Walpurgisnacht gepaßt hätten, die alle in dem Geist der alten Sage behandelt sind. Es darf gesagt werden, daß der Prolog genau ist, was er sein muß: Poetisch, mit einem Anfluge von mittelalterlicher Färbung. Der Grundton des ganzen Werkes ist darin angeschlagen; er eröffnet die Welt von Wundern und Wunderglauben, in der das große und mystische Schauspiel des Lebens vor sich geht; er ist die Schwelle, an der der Dichter unsere bestaubten Werktagskleider uns ablegen heißt; wir erhalten frische Gewänder und treten in eine neue Sphäre, wo ein Drama sich vor uns abspielt, traumhaft in seiner Form, aber in Sinn und Geist von furchtbarer Realität.

Die Sprache aber, die dem Mephisto in den Mund gelegt ist – diese frech unehrerbietige Sprache, die den Leser leicht zu dem Irrthum verführt, den ganzen Prolog für gotteslästerlich zu halten – paßt sie nicht durchaus zu dem Ganzen? Der »Geist, der stets verneint« ist so durch und durch frech, daß selbst in der Gegenwart des Schöpfers kein Schauer der Ehrfurcht ihn erfaßt; die erhabenern Empfindungen sind seiner Seele fremd, und wie alle seines Gleichen glaubt er selbst bei andern nicht daran. »Verzeiht, ich kann nicht hohe Worte machen« – Geistern wie er, ist alle Größe Großsprecherei. Mephisto ist kein Heuchler, nicht einmal so weit kann er der Tugend huldigen. Er ist einfach der Geist der Verneinung, nichts weiter. Dem lieben Gott bietet er eine Wette an, als wäre er ein wilder junger Herr, und das kurze Selbstgespräch, worin er seine Gefühle über das Ergebniß dieser Unterredung ausspricht, hat eine Leichtfertigkeit und einen Anflug von Hohn, die wahrhaft teuflisch sind.

Daß der Faust zwei Vorspiele hat, verdient Beachtung. Der Grund dieser Zweiheit liegt nach meiner Ansicht in der zwiefachen Natur des Gedichts, in den beiden Hauptgegenständen der Darstellung. Die Welt und das Treiben der Welt soll dargestellt, die Seelen des Menschen und ihre Kämpfe sollen gezeichnet werden. Jener Absicht entspricht das Vorspiel auf dem Theater; denn

die ganze Welt ist Bühne,
Und alle Frau'n und Männer bloße Spieler.

Die zweite Richtung leitet der Prolog im Himmel ein; denn der Himmel ist Mittel- und Angelpunkt aller Kämpfe, Zweifel und andächtigen Stimmungen, und zum Himmel empor strebt Faust –

»Nicht irdisch ist des Thoren Trank noch Speise,
»Ihn treibt die Gährung in die Ferne.«

Noch eine weitere organische Nothwendigkeit fordert die zwei Prologe: im ersten setzen der Theaterdirektor und sein Dichter die Figuren der Bühne, im zweiten setzen Gott und Mephisto die Personen des wirklichen Drama's in Bewegung; von Schauspielern geht die Ausführung aus, vom Himmel stammt das Drama der Versuchung. Beide Prologe wurden in demselben Jahre geschrieben, und zwar erst lange Zeit nachdem die Faustsage bereits im Geiste des Dichters Form gewonnen hatte; sie entstammten einem nachträglichen Durchdenken des Stoffes. Es ziemt sich wohl zu erforschen, was Goethe damit bezweckte. Wie ich glaube, wollte er nach seinem ursprünglichen Plane nur den geistigen Kampf des Menschen darstellen, und erst die Reflexion brachte ihn später dahin, auch ein Bild von dem Treiben der Welt zu geben. In diesem späteren Plane lag der zweite Theil des Faust mehr oder weniger deutlich eingeschlossen, und so sind denn die beiden Prologe die Einleitung zu dem ganzen Gedichte, wie es jetzt vorliegt.

Kehren wir zu dem Inhalt des Stückes zurück. Die erste Scene zeigt Faust in seinem Studirzimmer. Hier beginnt das Drama. Faust sitzt unter seinen Büchern und Instrumenten, vergeblichen Mitteln vergeblichen Forschens. Von nächtlicher Arbeit erschöpft und bleich fühlt er, daß all sein Bemühen vergeblich gewesen, daß die Wissenschaft ohnmächtig ist, daß auf seine Fragen Antwort zu erringen irdische Weisheit nicht vermag; er ergiebt sich der Magie –

Daß ich nicht mehr mit saurem Schweiß
Zu sagen brauche was ich nicht weiß;
Daß ich erkenne, was die Welt
Im Innersten zusammenhält,
Schau' alle Wirkenskraft und Samen
Und thu' nicht mehr in Worten kramen.

Der Mond, der zu ihm hereinblickt, erinnert ihn an das Leben draußen, das er über altem Papier und Instrumenten versäumt hat; mit Ekel wendet er sich hinweg von dem todten Geräth, das ihn umgiebt; »das ist deine Welt! das heißt eine Welt«; von Thiergeripp und Todtenbein drängt es ihn nach der lebendigen Natur; »wo fass' ich Dich, unendliche Natur?« – in diesen Worten klingt der Ruf des Jahrhunderts wieder. Mit seinem Zauberbuche beschwört er den Erdgeist herauf; dem ewig wechselnden, ewig schaffenden Geiste, der die weite Welt umkreist, fühlt er sich verwandt und gleich; aber mit dem Donnerworte »Du gleichst dem Geist, den Du begreifst, nicht mir!« schleudert dieser das »Ebenbild der Gottheit« in die Verzweiflung zurück. Da klopft's draußen; es ist Wagner, Faust's Famulus; die »Fülle der Gesichte« stört der trockne Schleicher. Wie schön ist dieser Uebergang, dieses Hereinbrechen der prosaischen Wirklichkeit in die Traumgebilde des Dichters! Der Famulus hat die leidenschaftlichen Ausbrüche Faust's für Uebungen im Deklamiren tragischer Stellen genommen und »möcht' in dieser Kunst was profitiren«. Wagner ist das Urbild eines Philisters und Pedanten; er widmet sich den Büchern, wie Faust der Wissenschaft; er schwört auf den Buchstaben, Bücherstaub ist ihm Lebensluft, das Pergament sein »heil'ger Bronnen.«

Wieder sich selbst überlassen, setzt Faust seine verzweiflungsvollen Betrachtungen fort. Das Donnerwort des Geistes hat ihn ganz vernichtet; »den Göttern gleicht er nicht, zu tief ist das gefühlt«; er beschließt zu sterben – »durch Thaten zu beweisen, daß Manneswürde nicht der Götterhöhe weicht«; er füllt eine Schale mit tödtlichem Gift, setzt sie an den Mund, da ertönt Glockenklang und Chorgesang aus einer nahen Kirche, des Osterfestes erste Feierstunde verkündend; Engel singen die Botschaft von Christ dem erstandenen; Faust steht ergriffen, mit Gewalt ziehen diese Klänge ihm das Glas vom Munde, und überwältigt strömt er sein Gefühl in jene ewigen Verse aus, deren Schönheit zu erfassen alle Kelche unsrer Seele sich erschließen müssen:

Was sucht ihr, mächtig und gelind,
Ihr Himmelstöne, mich am Staube?
Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.
Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube;
Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.
Zu jenen Sphären wag' ich nicht zu streben,
Woher die holde Nachricht tönt; –
Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,
Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben.
Sonst stürzte sich der Himmelsliebe Kuß
Auf mich herab, in ernster Sabbathstille;
Da klang so ahnungsvoll des Glockentones Fülle,
Und ein Gebet war brünstiger Genuß;
Ein unbegreiflich holdes Sehnen
Trieb mich durch Wald und Wiesen hinzugehn,
Und unter tausend heißen Thränen
Fühlt' ich mir eine Welt erstehn.
Dies Lied verkündete der Jugend muntre Spiele,
Der Frühlingsfeier freies Glück;
Erinnrung halt mich nun, mit kindlichem Gefühle,
Vom letzten, ernsten Schritt zurück.
O tönet fort ihr süßen Himmelslieder!
Die Thräne quillt, die Erde hat mich wieder!

Diese Eröffnungsscene war angedeutet bereits in dem alten Puppenspiel, in welchem Faust von Compassen, Erd- und Himmelskugeln und kabbalistischen Instrumenten umgeben erscheint und zwischen Theologie, Philosophie und Magie – der göttlichen, menschlichen und höllischen Wissenschaft – hin und her schwankt. Aber diese Andeutung hat Goethe aus seinem eigenen Gedankenreichthum bereichert und so jene wunderbare Scene geschaffen, die wir alle kennen.

Die Scene vor dem Thore. Wir verlassen das dumpfe Studirzimmer und die einsamen Kämpfe eines Menschengeistes, um die frische Luft der freien Natur zu athmen, das Alltags-Leben und seine gewohnten Freuden zu betrachten. Es ist Sonntag; Studenten und Schüler, Dienstmädchen und Bürgertöchter, Bürger und Soldaten strömen zum Thore hinaus ihren Vergnügungsorten zu. Wolken von Staub und Tabacksrauch begleiten die Schaaren; lustiges Lachen, Ausbrüche von Liebes-Leid und Lust, fröhliche Lieder und eifrige Kannengießerei lassen uns Einblicke thun in die gewöhnliche Welt. Dieses wahrhaft deutsche Bild ist wundervoll gezeichnet und seine Stelle in dem Gedichte bedeutsam: es zeigt uns, wie der gewöhnliche Mensch das Leben auffaßt, während wir in der vorigen Scene das Leben auf dem Sinne des Forschers lasten sahen, wie es von ihm eine Erklärung seiner tief ernsten Bedeutung fordert. Faust hat seine Tage in Grübeleien verbracht; das Volk verlebt seine Zeit in leichtfertigem Treiben und sinnlichem Genuß, ohne um das große Räthsel der Welt sich je zu kümmern; denn ihm ist die Welt etwas Bekanntes, Vertrautes, nicht ein Geheimnißvolles. Ein starkes Bier, ein beizender Taback, die Treue oder Untreue eines Tänzers, die Verdienste des neuen Bürgermeisters – das sind Fragen, die das Volk mehr beschäftigen als alles, was Himmel und Erde an Geheimnissen enthält. In dieses Treiben treten Faust der Grübler und Wagner der Pedant. Faust wird tief davon ergriffen; er fühlt wie viel weiser diese einfachen Menschen sind, als er selbst – denn sie genießen.

Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet Groß und Klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein.

Ja, hier fühlt er sich als Mensch unter Menschen, hier verlangt auch ihn nach den Freuden, die er seine Mitmenschen genießen sieht. Wagner dagegen ist zu sehr Pedant, um solche Empfindungen zu hegen; er liebt dergleichen Scenen nicht, nur um mit seinem Doctor zu spazieren, ist er hinausgegangen; er ist einer von den Leuten, die am Niagara-Fall von Keilinschriften reden können und bei einem Volksfeste über die Urgeschichte der Menschheit grübeln.

Das Volk drängt sich um Faust und bezeugt ihm seine Verehrung; ein alter Bauer erinnert dankend an die ärztliche Hülfe, die Faust als junger Mann bei einer verheerenden Pest geleistet. Wagner sieht diese Verehrung der Menge mit Bewunderung und Neid, Faust klingt sie wie Hohn. Verehrung für ihn, der seine eigene Nichtigkeit so tief fühlt! Auf dem Gipfel eines Hügels läßt er sich nieder und versinkt in die Erinnerung vergangener Zeiten.

Hier saß ich oft gedankenvoll allein
Und quälte mich mit Beten und mit Fasten.
An Hoffnung reich, im Glauben fest,
Mit Thränen, Seufzen, Händeringen
Dacht' ich das Ende jener Pest
Vom Herrn des Himmels zu erzwingen.

Aber den Dank des Volkes verdient er nicht; seine Kenntnisse haben nicht genutzt, nur geschadet; hier wie immer war das Wissen eitel. Der Anblick der untergehenden Sonne zieht ihn von diesem düstern Rückblick ab; er verliert sich in die Schönheit des Naturgemäldes, das sich vor ihm aufthut; aber über das beschauliche Genießen siegt sofort wieder die Reflexion und der rastlose Drang seines Innern. Seine Gedanken folgen der enteilenden Sonne.

O daß kein Flügel mich vom Boden hebt,
Ihr nach und immer nach zu streben!
Ich sah' im ewigen Abendstrahl
Die stille Welt zu meinen Füßen,
Entzündet alle Höhn, beruhigt jedes Thal,
Den Silberbach in goldne Ströme fließen.
Nicht hemmte dann den göttergleichen Lauf
Der wilde Berg mit allen seinen Schluchten;
Schon thut das Meer sich mit erwärmten Buchten
Vor den erstaunten Augen auf.
Doch scheint die Göttin endlich wegzusinken;
Allein der neue Trieb erwacht;
Ich eile fort ihr ew'ges Licht zu trinken,
Vor mir den Tag, und hinter mir die Nacht;
Den Himmel über mir und unter mir die Wellen –
Ein schöner Traum, indessen sie entweicht.
Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht
Kein körperlicher Flügel sich gesellen.
Doch ist es jedem eingeboren,
Daß sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt,
Wenn über uns, im blauen Raum verloren,
Ihr schmetternd Lied die Lerche singt;
Wenn über schroffen Fichtenhöhen
Der Adler ausgebreitet schwebt,
Und über Flächen, über Seen,
Der Kranich nach der Heimath strebt.

Der trockne Wagner begreift dies Sehnen nicht; von Wald und Feld verlangt es ihn zurück zu seinen Büchern; er ist sich nur des einen Triebs bewußt, während Faust klagt:

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen;
Die eine hält, in derber Liebeslust,
Sich an die Welt, mit klammernden Organen;
Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust
Zu den Gefilden hoher Ahnen.
O giebt es Geister in der Luft,
Die zwischen Erd' und Himmel herrschend weben,
So steiget nieder aus dem goldnen Duft
Und führt mich weg, zu neuem bunten Leben!

Die Erscheinung des Pudels unterbricht dies Gespräch. Wagner sieht, mit charakteristischer Dummheit, eben nur einen Pudel darin; Faust dagegen erkennt mit klarem Geistesblick sofort die magischen Schlingen, die er um seine Füße zieht. Sie gehen ins Thor zurück, der Pudel hinter ihnen her.

In sein Studirzimmer zurückgekehrt überläßt sich Faust ernsten feierlichen Gedanken; darüber wird der Pudel unruhig, und als Faust gar die Bibel zu übersetzen anfängt – was allerdings den gemächlichsten Teufel wild machen muß – knurrt und heult er wild umher. Ein Stück Beschwörung folgt; aus der thierischen Hülle tritt Mephistopheles hervor. Bei den Einzelheiten dieser Scene kann ich mich nicht aufhalten, so groß auch die Versuchung ist; ich gehe sofort zu dem Pakt zwischen Faust und Mephisto über. Die geistige Stimmung, welche Faust dazu treibt, ist mit großer Kunst vorbereitet. Faust ist so weit gekommen, daß er daran verzweifelt, das Ziel seines Ehrgeizes je zu erreichen; er hat einsehen gelernt, daß all sein Bemühn vergeblich, daß die Wissenschaft ein hohles Traumgebilde ist, dem er sein Glück geopfert. Eben vorher, auf dem Spaziergange, hat er wahrhaft zufriedene glückliche Menschen gesehen. Nun sehnt er sich selbst nach Glück und Genuß, obgleich er auch daran nicht glaubt, so wenig wie an das Wissen. Ganz dem Zweifel verfallen, vermacht er seine Seele dem Teufel, wenn er jemals sich wirklich glücklich fühlen sollte:

Faust.

Werd' ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,
So sei es gleich um mich gethan!
Kannst du mich schmeichelnd je belügen,
Daß ich mir selbst gefallen mag;
Kannst du mich mit Genuß betrügen!
Das sei für mich der letzte Tag!
Die Wette biet' ich!

Mephistopheles.

Top!

Faust.

Und Schlag auf Schlag!
Werd' ich zum Augenblicke sagen:
Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zu Grunde gehn!
Dann mag die Todtenglocke schallen,
Dann bist du deines Dienstes frei,
Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen,
Es sei die Zeit für mich vorbei!

Welch eine Tiefe von Leiden und Trübsinn eröffnet uns dieser Pakt! Nicht den flüchtigsten Augenblick schön finden, nicht einen Augenblick glücklich sein – oder für ewig sich verloren geben! Das Folgende führt diese Stimmung in ihrer vollen Verzweiflung noch weiter aus:

Faust.

Das Streben meiner ganzen Kraft
Ist grade das, was ich verspreche.
Ich habe mich zu hoch gebläht;
In deinen Rang gehör' ich nur.
Der große Geist hat mich verschmäht,
Vor mir verschließt sich die Natur.
Des Denkens Faden ist zerrissen,
Mir ekelt lange vor allem Wissen.
Laß in den Tiefen der Sinnlichkeit
Uns glühende Leidenschaften stillen!
In undurchdrungnen Zauberhüllen
Sei jedes Wunder gleich bereit!
Stürzen wir uns in das Rauschen der Zeit,
Ins Rollen der Begebenheit!
Da mag denn Schmerz und Genuß,
Gelingen und Verdruß,
Mit einander wechseln wie es kann;
Nur rastlos bethätigt sich der Mann.

Mephistopheles.

Euch ist kein Maß und Ziel gesetzt.
Beliebt's euch überall zu naschen,
Im Fliehen etwas zu erhaschen,
Bekomm' euch wohl, was euch ergetzt,
Nur greift mir zu und seid nicht blöde!

Faust.

Du hörest ja, von Freud' ist nicht die Rede.
Dem Taumel weih' ich mich, dem schmerzlichsten Genuß.
Verliebtem Haß, erquickendem Verdruß.
Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt ist,
Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen,
Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist,
Will ich in meinem innern Selbst genießen,
Mit meinem Geist das Höchst' und Tiefste greifen,
Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen,
Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern,
Und, wie sie selbst, am End' auch ich zerscheitern.

Auch dieser Vertrag mit dem Bösen findet sich schon in dem alten Puppenspiel, und sehr interessant wäre es im Einzelnen zu verfolgen, wie Goethe diese älteren Andeutungen benutzt und ausgeführt hat. In der Augsburger Bearbeitung stellt Mephistopheles unter andern Bedingungen auch die, Faust solle nie wieder den theologischen Lehrstuhl betreten. Aber was das Publikum dazu sagen werde, fragt Faust. »Dafür laß mich sorgen,« erwidert Mephisto; »ich werde Deine Stelle einnehmen und, glaub' mir, den Ruhm deiner biblischen Gelehrsamkeit noch vermehren.« Hätte Goethe diese Bearbeitung gekannt, er hätte sicherlich einen so sarkastischen Zug nicht unbenutzt gelassen.

Die unnachahmliche Scene zwischen Mephisto und dem Schüler, der, ein liebes junges Blut, nicht weniger als »was auf der Erden und in dem Himmel ist«, die Wissenschaft und die Natur erfassen möchte, muß ich übergehen. Jede Zeile ist bittrer Spott oder tiefe Weisheit, oft auch beides zugleich. Die Stellung indeß, welche diese Scene zu dem ganzen Stück einnimmt, verdient eine besondere Bemerkung. Was ist die Scene anders als eine vernichtende Satire auf jede Art menschlichen Wissens? und wo steht sie als grade da, wo der Held auf alles Wissen verzichtet, seine Bücher zugemacht hat und für immer des Lebens sich freuen will?! So leitet das Wort Mephisto's:

Grau, guter Freund, ist alle Theorie,
Und grün des Lebens goldner Baum

zu dem vollständigen Bruch mit der Spekulation und Theorie und zu eifriger Genußsucht hinüber.

Diese Welt des Genusses eröffnet sich in Auerbach's Keller. Mit aristophanisch derbem Witze ist die Scene behandelt. Und welch eine Scene! Der Keller dunstet von schlechtem Wein und kaltem Tabacksdampf; das eingeräucherte Gewölbe hallt wieder von wilder Fröhlichkeit und lärmenden Gesängen. Die platten Bursche zeigen sich in aller Pracht ihrer Plattheit. Und das ist menschliches Vergnügen! Und noch heutzutage kann man dergleichen leider in jeder Stadt Europa's erleben! Faust sieht dem Treiben mit Ueberraschung und Widerwillen zu; »ich hätte Lust nun abzufahren«, äußert er bald. Raschen Fluges führt uns der Dichter hinweg zu einer andern eben so häßlichen, eben so widerwärtigen Scene – in die Hexenküche. Eine Bestialität löst die andere ab, geistige Rohheit die sinnliche. In dieser Sudelküche trinkt Faust den Zaubertrank der alten Hexe, mit dem im Leibe, wie Mephisto sagt, er bald Helena in jedem Weibe sieht. Mit der Verjüngung erwachen Begierden in ihm, die er bisher nicht gekannt; er empfindet »mit innigem Ergötzen, wie sich Cupido regt und hin wieder und springt.«

Gretchen! Das einfache Mädchen kommt aus der Kirche, Faust redet sie an, sie antwortet kurz angebunden, schnippisch – so beginnt die Liebesgeschichte, welche dem Gedichte einen unwiderstehlichen Zauber leiht. Shakespeare selbst hat kein solches Bild wie Gretchen gezeichnet, keine solche eigenthümliche Vereinigung von Leidenschaft, Einfalt, bürgerlicher Einfachheit und bezaubernder Anmuth. Die bescheidene bürgerliche Stellung und Armuth Gretchens bleibt uns immer gegenwärtig; niemals wird sie zu einer bloßen Abstraktion; nur die Liebe erhebt sie über ihre niedere Stellung, und nur in der Leidenschaft wird sie so erhoben. Sehr geschickt gemacht und sehr unterhaltend ist der Gegensatz zwischen dem einfachen Mädchen und ihrer Nachbarin Martha, diesem Weibe »wie auserlesen zum Kuppler- und Zigeunerwesen«, das mit seiner ungenirten Werbung den Mephisto selbst mürbe macht. Die Wirkung dieses Gegensatzes in der berühmten Gartenscene ist sehr schön, und was ist das für eine Scene! Ich habe keine Worte, ihre tiefe und überwältigende Wirkung auszudrücken; es ist ein Bild, das unauslöschlich im Gedächtniß haftet; es sind Verse in der Scene, die »kommen uns nicht aus dem Sinn« und regen die Seele auf wie tiefergreifende Musik in uns fort und wieder klingt. So wenn Gretchen zu Faust sagt

Denkt ihr an mich ein Augenblickchen nur,
Ich werde Zeit genug an euch zu denken haben –

welch ein Bild von dem einsamen Leben des Weibes, das all sein Dichten und Trachten, was nicht die Pflichten geschäftiger Stunden beanspruchen, auf einen einzigen Mittelpunkt richtet! Und dann das entzückende Spiel, als Gretchen die Blume zerpflückt – »er liebt mich – nicht – liebt mich – nicht!« mit dem seligen Aufschrei »er liebt mich!« Und endlich die reizenden Schlußworte, als Faust fort ist:

Du lieber Gott! was so ein Mann
Nicht alles alles denken kann!
Beschämt nur steh' ich vor ihm da,
Und sag' zu allen Sachen ja.
Bin doch ein arm unwissend Kind,
Begreife nicht was er an mir find't.

Reißen wir uns aus dem umstrickenden Zauber dieser Einzelheiten los und beachten wir die Kunst dieser Scene im Ganzen, den Fortschritt der Empfindungen, die des Dichters Schöpfershand in raschen Augenblicken erwachsen läßt. Goethe hat hier die Natur in ihrem innersten Heiligthum belauscht; mit einem Spiegel, so rein wie die Natur selbst, hat er ihre Bilder aufgefangen, und ohne die leiseste Verwischung giebt er sie uns wieder. Zuerst fühlt sich Gretchen neben Faust noch schüchtern und beklommen, sieht in seiner Freundlichkeit höfliche Herablassung: beim zweiten Auftreten hat schon Vertrauen und Vertraulichkeit sich eingestellt, mit herzlicher Offenheit erzählt sie ihm von ihren einfachen Erlebnissen und läßt ihn in ihre kleinen Freuden blicken, wie in die schweren Stunden, welche die häuslichen Verhältnisse ihr auflegen; gleich darauf erscheint die Liebe voll erblüht: sie beglückt ihn mit dem holden Geständniß

– ich war recht bös' auf mich,
Daß ich auf euch nicht böser werden konnte –

sie holt sich bei der Blume Gewißheit auch seiner Liebe, der selige Schauer des Liebesglückes überläuft sie, endlich – nun ist alle Scheu vor dem gelehrten fremden Mann überwunden – endlich neckt sie ihn, faßt ihn liebend in die Arme und küßt ihn kühn und sicher: »Bester Mann, von Herzen lieb' ich Dich.« So ist die ganze Stufenleiter der Empfindungen durchlaufen; die Nähe des Geliebten ist dem Gemüthe dieses Gretchen die Sonne, die ihre Liebe rasch vom unscheinbaren Keime zu lieblicher Blüthe zeitigt – und wie frisch ist immer die Farbe, wie schön sind immer die Formen!

Die Scene in Wald und Höhle folgt. Ihre Beziehung zu dem Ganzen ist mir, aufrichtig gesagt, nicht klar. Faust ist allein in den Einsamkeiten der Natur und strömt dort sein Entzücken und Verzweifeln aus.

Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles,
Warum ich bat – –
Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,
Kraft, sie zu fühlen, zu genießen. Nicht
Kalt staunenden Besuch erlaubst du nur,
Vergönnest mir in ihre tiefe Brust
Wie in den Busen eines Freund's zu schauen.
Du führst die Reihen der Lebendigen
Vor mir vorbei, und lehrst mich meine Brüder
Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen.
– – – – – – – – – – zeigst
Mich dann mir selbst, und meiner eignen Brust
Geheime tiefe Wunder öffnen sich.
Und steigt vor meinem Blick der reine Mond
Besänftigend herüber; schweben mir
Von Felsenwänden, aus dem feuchten Busch,
Der Vorwelt silberne Gestalten auf
Und lindern der Betrachtung strenge Lust.

O daß dem Menschen nichts Vollkomm'nes wird,
Empfind' ich nun. Du gabst zu dieser Wonne,
Die mich den Göttern nah' und näher bringt,
Mir den Gefährten, den ich schon nicht mehr
Entbehren kann, wenn er gleich, kalt und frech,
Mich vor mir selbst erniedrigt, und zu Nichts
Mit einem Worthauch deine Gaben wandelt.
Er facht in meiner Brust ein wildes Feuer
Nach jenem schönen Bild geschäftig an.
So tauml' ich von Begierde zu Genuß,
Und im Genuß verschmacht' ich nach Begierde.

Mephisto tritt zu ihm, facht das wilde Feuer wieder an, Faust wehrt ihn halb von sich ab, empfindet schon Reue, daß er auch den Frieden der Geliebten untergrabe; aber er ist der Notwendigkeit verfallen und ihr Geschick mit ihm: »was muß geschehn, mag's gleich geschehn« – er läßt sich von Mephisto führen. Die Scene ist reich an Schönheiten, aber ich wiederhole, daß ich ihr Verhältniß zum Ganzen nicht verstehe. Von dem Liebenden zu ihr, der Liebenden. Ihre Gedanken durchmessen nicht das Königreich der Natur, nicht die Reihen der Lebendigen, nicht der Vorwelt silberne Gestalten; ein einziger ist, der Sinn und Herz und Kopf erfüllt; am Spinnrad sitzend, ist sie in Sehnsucht ganz versunken; »ihre Ruh' ist hin, ihr Herz ist schwer«; ihn nur denkt sie, sieht sie – den hohen Gang, die edle Gestalt, des Mundes Lächeln, der Augen Gewalt; sie hört der Rede Zauberfluß, fühlt den Händedruck und ach den Kuß! –

In der dann folgenden zweiten Gartenscene fragt sie Faust nach seiner Religion. »Glaubst Du an Gott?« forscht sie ängstlich, feierlich beschwörend. Das Glaubensbekenntniß mit dem er antwortet, muß ich ganz geben:

Mißhör' mich nicht, du holdes Angesicht!
Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen:
Ich glaub' ihn.
Wer empfinden
Und sich unterwinden
Zu sagen: ich glaub' ihn nicht?
Der Allumfasser,
Der Allerhalter,
Faßt und erhält er nicht
Dich, mich, sich selbst?
Wölbt sich der Himmel nicht da droben?
Liegt die Erde nicht hier unten fest?
Und steigen freundlich blickend
Ewige Sterne nicht herauf?
Schau' ich nicht Aug' in Auge dir,
Und drängt nicht alles
Nach Haupt und Herzen dir,
Und webt in ewigem Geheimniß
Unsichtbar sichtbar neben dir?
Erfüll' davon dein Herz, so groß es ist,
Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
Nenn' es dann wie du willst,
Nenn's Glück! Herz! Liebe! Gott!
Ich habe keinen Namen
Dafür! Gefühl ist alles,
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsgluth.

Größere, tiefere, heiligere Gedanken sind nie in einem Gedichte ausgesprochen. Gretchen fühlt, »ungefähr« sage das der Pfarrer auch, – »nur mit ein bischen andern Worten«. In ihrer Besorgniß um die Gläubigkeit des Geliebten ist etwas unsäglich Ergreifendes; ihre Natur offenbart sich dabei nach der einen Seite, wie ihre ahnungsvolle Abneigung gegen Mephisto sie von der andern Seite in hellem Lichte zeigt: dem sieht sie's »an der Stirn geschrieben, daß er nicht mag eine Seele lieben«; in seiner Gegenwart ist's ihr sogar, als liebe sie Faust nicht mehr; ja, wenn er da ist, »könnt' sie nimmer beten.«

Die holde Unschuld, die so plaudert, bereitet uns auf die arglose Naivetät vor, mit der sie ohne Zögern dem Geliebten die Erlaubniß zum nächtlichen Besuche giebt und ihrer Mutter den Schlaftrunk einzuflößen verspricht.

Seh' ich Dich, bester Mann, nur an,
Weiß nicht was mich nach Deinem Willen treibt;
Ich habe schon so viel für Dich gethan,
Daß mir zu thun fast nichts mehr übrig bleibt.

Furchtbar bedeutsam folgt dann gleich die kurze Scene am Brunnen, wo Gretchen ihre Freundin Lieschen nach böser Frauen Art schadenfroh von dem Fehltritt einer Bekannten erzählen hört. Gegen den Verführer hat Lieschen kein Wort; nur über die arme Gefallene schmählt sie, der es »endlich recht ergangen«. Gretchen, die in ihrem eigenen Zustande Grund zum Mitleid hat, kann nun nicht mehr so schadenfroh aburtheilen; sonst freilich, gesteht sie, konnte sie

über Andrer Sünden
Nicht Worte g'nug der Zunge finden
Und segnet' mich und that so groß.

Aber nun ist sie »selbst der Sünde bloß«. Und doch, so schließt sie mit einer Kindlichkeit von Unschuld, die unaussprechlich rührend ist,

Doch – alles was dazu mich trieb,
Gott! war so gut! ach war so lieb!

Nun schreitet das Verhängniß rasch seinen Gang. In der folgenden Scene betet Gretchen zur Mutter Gottes, der Schmerzensreichen, ihr Antlitz gnädig ihrer Noth zu neigen. Dann tritt ihr Bruder Valentin auf, tief ergriffen von der Schwester Schande; als Faust und Mephisto unter Gretchens Fenster ein Ständchen bringen, greift er sie mit dem Schwerte an; aber der Teufel ficht gegen ihn, er fällt und stirbt, von den herbeieilenden Nachbarn umgeben, unter bittern Vorwürfen gegen Gretchen, heftigen Verwünschungen gegen Martha.

Von diesem blutigen Schrecken in den Dom. Gretchen kniet unter dem Volke, hinter ihr der böse Geist. Ein feierliches, fast erstarrendes Grausen erfaßt uns bei dieser Lage der geängsteten Sünderin, die Ruhe und Trost sucht und neue Verzweiflung findet. Der Chorgesang

Dies irae, dies illa
Solvet saeclum in favilla

tönt Schrecken in ihr Ohr, die Orgelklänge sind ihr wie der Ruf der Posaune des Gerichts, bei den Worten

Judex ergo cum sendebit,
Quidquid latet apparebit,
Nil inultum remanebit.

stürzt sie unter dem entsetzlichen Geflüster des bösen Geistes ohnmächtig nieder.

Die Walpurgisnacht. Die Einführung dieser Scene an dieser Stelle wäre ein großer Mißgriff, wenn der Faust lediglich ein Drama wäre. Ungern läßt sich der Geist von der Betrachtung menschlicher Leidenschaft hinwegreißen in die »Traum- und Zaubersphäre« dieser poetischen Vision; nachdem wir mit Gretchen gelitten haben, sind wir nicht in der Stimmung für den Blocksberg. Aber Faust ist kein bloßes Drama; nicht die mannigfaltigen Entwicklungen eines einzelnen Vorganges aus dem Leben sollen vor unsern Augen entfaltet, nicht unsere Aufmerksamkeit an eine Geschichte gefesselt werden: der Faust ist ein Schaustück im großen Stil der alten Sage, in welchem alle Phasen des Lebens zur Darstellung kommen. Die Scene auf dem Blocksberg ist ein Bestandtheil der alten Sage und findet sich in vielen Bearbeitungen des Puppenspiels. Beachtenswerth ist es, daß Goethe diese Scene unmittelbar auf die im Dom folgen läßt; er bringt so das höllische Zauberwesen mit dem religiösen Element in Gegensatz, grade wie er vorher die Hexenküche und ihre Wüstheit den Orgien in Auerbach's Keller entgegenstellte.

Auf dem Blocksberge dürfen wir nicht verweilen; wir müssen wieder auf die Erde hinab, zurück zu der Tragödie, die dort ihrer Lösung zueilt. Verführung, Kindesmord, Verurtheilung – das ist der Fortgang. Faust erfährt endlich alles, erfährt, daß eine dreifache Mordschuld ihn belastet – die Mutter, Valentin, das Kind, und daß nun auch Gretchen dem Tode verfallen ist. In seiner Verzweiflung tobt er gegen Mephisto, daß er es ihm verheimlicht und ihn indeß in abgeschmackten Zerstreuungen gewiegt habe. »Sie ist die erste nicht,« antwortet Mephisto mit teuflischer Kälte. Da bricht Faust los: »Die erste nicht! Jammer, Jammer, von keiner Menschenseele zu fassen, daß mehr als ein Geschöpf in die Tiefe dieses Elendes versank, daß nicht das erste genug that für die Schuld aller übrigen in seiner windenden Todesnoth vor den Augen des ewig Verzeihenden!« Er treibt Mephisto, ihn hinzuführen in Gretchens Kerker; er will sie befreien.

Eine Eigenthümlichkeit dieser Scene verdient eine besondere Bemerkung: sie ist das einzige Stück Prosa in dem ganzen Werke – was kann den Dichter dazu bestimmt haben? Zuerst glaubte ich, der Grund liege in der Natur der Scene, aber die leidenschaftliche Kraft des Ausdrucks scheint den Vers zu fordern, und die Scene in Auerbach's Keller ist doch sicherlich von mehr prosaischer Natur, als diese. Die Frage bleibt also unbeantwortet, und ästhetische Kritiker mögen ihren Scharfsinn daran versuchen.

Die folgende Scene besteht nur aus sechs Zeilen – und doch welch eine Malerei in diesen wenigen Versen! »Nacht, offen Feld; Faust, Mephistopheles auf schwarzen Pferden daher brausend;« am Rabenstein ist geschäftige Bewegung, eine schreckliche Hindeutung auf Gretchens Ende. »Vorbei, vorbei!« – Mephisto treibt hinweg.

Und nun eröffnet sich die letzte Scene. Faust tritt in den Kerker, wo Gretchen auf ihrem Strohlager ruht; sie singt aus alten Liedern, ihre Vernunft ist dahin, ihr Ende nahe; »mein armer Kopf ist mir verrückt, mein armer Sinn ist mir zerstückt« – wie furchtbar ist das wahr geworden! Der entsetzliche Jammer dieses Wiedersehens bringt auch bei wiederholtem Lesen uns Thränen in die Augen. Den ganzen Kreis ihrer Freuden und Leiden durchwandert des armen Gretchens irrer Geist: die Straße, den Garten, wo sie mit Martha einst den Geliebten erwartete, sieht sie wieder; der glücklichen Zeiten erinnert sie sich, wo die Mutter schlief, damit sie sich freuten; des süßen, des holden Glückes gedenkt sie, an seine Seite sich zu schmiegen; dazwischen die traurigen Bilder des gefallenen Bruders, der entschlafenen Mutter, des gemordeten Kindes, die entsetzliche Gewißheit des blutigen Endes – welch eine Reihe von ergreifenden Gesichten! Wo die Leidenschaft ihres Irrsinns sich auf den Gipfel steigert, erhebt sich das widrige leidenschaftslose Antlitz Mephisto's – der Kreis der Ironie, die das ganze Gedicht durchzieht, vollendet sich. Entsetzt wendet Gretchen sich ab; lieber, als dieser Rettung zu vertrauen, ergiebt sie sich dem Gericht Gottes; der Engel Schaaren ruft sie an um Hülfe gegen den Geliebten; ihr graut vor ihm. Mephisto verschwindet mit Faust, eine Stimme von oben ruft das trostreiche »Ist gerettet!«

Die eben gegebene Uebersicht mit ihrer Reihe von mannigfach wechselnden Lebensbildern wird nicht nur die Popularität des Faust, sondern auch das Geheimniß der Composition dieses Gedichtes erklären helfen. Der rasche Gang und die Mannigfaltigkeit der Scenen geben dem Werke einen gewissen Anschein von Formlosigkeit, bis es uns gelingt, die organische Einheit zu erfassen, welche diese Scenen zu einem Ganzen bindet. Beim ersten Lesen ist man gewöhnlich nicht befriedigt; der Mangel einer sichtbaren Verknüpfung läßt das Gedicht mehr wie ein Traumgebild als wie ein Kunstwerk erscheinen. So haben selbst ausgezeichnete Kritiker sich verleiten lassen zu urtheilen. Coleridge z. B., der so geistvoll für Shakespeare als Künstler stritt, war durchaus nicht im Stande, irgend eine Einheit im Faust zu entdecken. Das Gedicht sei kein Ganzes, sagt er, die Scenen seien nichts als Bilder einer Zauberlaterne, und ein großer Theil des Werkes sei für ihn völlig schal. Wenn aber der Hamlet keine Zauberlaterne ist, so ist's auch der Faust nicht. Die wechselnden Bilder einer Zauberlaterne stehen nicht in verknüpfender Beziehung mit einem allgemeinen Plane, haben keinen Zusammenhang unter einander. In der eben gegebenen Uebersicht wird hoffentlich beides, der allgemeine Plan wie der Zusammenhang der einzelnen Scenen unter einander, deutlich hervorgetreten sein. Eine nähere Vertrautheit mit dem Werke beseitigt das erste Gefühl von Enttäuschung; wir lernen es verstehen, und mit dem Verständniß wächst unsere Bewunderung. Das Bild ist mit so geschickter Hand und doch so leicht gemalt, daß die Kraft des Künstlers von Grazie umkleidet ist und nirgends eine Spur von Anstrengung sich verräth.

Es giebt eine gewisse Art von Kunstwerken, die uns bei der ersten Bekanntschaft entzücken: die Gedanken sind neu, die Form ist neu, die Ausführung ergreifend. Im Feuer der Begeisterung erklären wir das neue Werk für meisterhaft; wir lesen es immer wieder, lernen es auswendig, werden unsern Bekannten lästig mit steten Citaten und Lobpreisungen. Aber nach wenigen Jahren, vielleicht schon Monaten, wird uns das Werk unleidlich; wir sind nicht mehr im Stande, es zu lesen; wir begreifen nicht, wie wir es jemals haben bewundern können; die Gedanken sind nicht länger neu, scheinen nun Gemeinplätze oder gar völlig verfehlt; die Ausführung ist nicht länger bewunderungswürdig, wir sind dem Verfasser hinter seine Kunstgriffe gekommen. Also war das Werk gar kein Meisterwerk? Gewiß nicht. Ein Meisterwerk erregt keine plötzliche Begeisterung; wir müssen es lange und viel studiren, ehe wir zu vollem Verständniß gelangen, müssen zu ihm emporwachsen, denn es läßt sich nicht zu uns herab. Der Einfluß eines solchen wirklich klassischen Werkes ist weniger plötzlich als dauernd; je vertrauter es uns wird, desto nachdrücklicher wirkt es; nie schwächt sich sein Zauber ab, mehr und mehr werden wir von Staunen und Ehrfurcht ergriffen über den unendlichen Reichthum seines Inhalts; von einem Kunstgriff finden wir nichts, denn ein solcher Künstler hat keinen. Homer, Shakespeare, Raphael, Mozart, Beethoven, nehmen nie unser Urtheil im Sturm gefangen, aber einmal im Besitz befestigt sich ihr Einfluß immer mehr. Ich erinnere mich, daß ich die Skulpturen vom Parthenon mit einer Gleichgültigkeit ansah, die ich mich schämte zu gestehen, und seitdem haben sie mir fast Thränen der Entzückung ins Auge gelockt. Mit dem Faust ging es mir ähnlich; zuerst fühlte ich mich sehr getäuscht. Da ich die wahre Natur des Werkes nicht begriff, so glaubte ich, Goethe habe sein Ziel verfehlt, weil er meine mitgebrachten Vorstellungen nicht befriedigte. So anmaßend sind wir in unsrer Kritik; ein Künstler, der nie an uns gedacht hat, soll sich bei seinem Schaffen in der Richtung unsrer Gedanken bewegen! Später, als ich den Faust im Original zu lesen anfing, ging seine Herrlichkeit allmälig meinem Geiste auf, und jetzt kann ich den Zauber, den er auf mich übt, nur jener auch das Kleinste umfassenden und nie zu erschöpfenden Liebe für die vergleichen, welche uns seit lange theuer sind, an denen uns jeder Zug in einer eigenthümlichen und durch stille Beziehungen wahrhaft geheimnißvollen Weise berührt. Wenn ich das Gedicht durchblättre oder auf eine Stelle daraus stoße, so weht mich aus den Versen ein unendlich süßer Hauch an, und mein Geist fühlt ein Entzücken, als wenn mir die Lüfte einen Klang von einer lieben Melodie aus der Ferne zutragen.

Die Enttäuschung, welche der Faust so oft erregt, erklärt sich auch daraus, daß man an ein solches Meisterwerk mit den hochgespanntesten Erwartungen herantritt. Ging es doch unserm Reynolds mit Raphael ähnlich. Bei seinem ersten Besuche im Vatikan mußte er mit unverhohlenem Verdruß gestehen, daß er Raphael's Gemälden keinen Geschmack abgewinnen könne, und er tröstete sich nur damit, Andern sei's nicht besser gegangen. »Die Wahrheit ist (fügt er hinzu) daß, wenn diese Kunstwerke wirklich meinen Erwartungen entsprochen hätten, sie nur oberflächliche und blendende Schönheiten geboten haben würden, keineswegs aber solche, die sie zu ihrem großen Ruhme berechtigen.« Es darf uns daher nicht überraschen, daß selbst ausgezeichnete Männer sich ungünstig über den Faust äußern. Charles Lamb z. B. hielt das Stück im Vergleich mit Marlowe's Faust für ein ganz gewöhnliches Melodrama – eine Ansicht, deren Seltsamkeit eine kurze Darlegung dieser Marlowe'schen Tragödie, die gleich folgen soll, deutlich zeigen wird. Fügen wir nur noch hinzu, daß kein Gedicht in der Uebersetzung mehr leidet als der Faust; ja, in allem Ernst und ohne Uebertreibung und Vorurtheil sei es gesagt, der Faust übersetzt ist nicht der Faust. Eine längere Ausführung des Verfassers, wie es tief in der Natur der Poesie liege, daß auch die beste Uebersetzung poetischer Werke hinter dem Original zurückbleibe, darf ich wohl übergehen; erwähnen muß ich sie aber, weil sie ein glänzender Beweis ist, wie tief sich der Verfasser auch im Einzelsten in die Natur der Poesie eingelebt hat. Ich benutze zugleich diese Gelegenheit zu einem Worte gerechter Anerkennung für die vortrefflichen eigenen Uebersetzungen Goethe'scher Gedichte, welche Herr Lewes in seinem Werke giebt. Anm. des Uebers.

An der dramatischen Bearbeitung der Faustsage haben sich in älterer und neuerer Zeit Dramatiker verschiedener Nationen versucht. Eine vergleichende Uebersicht dieser Dramen ist von großem Interesse und sehr lehrreich. Als ihre Hauptvertreter nehme ich den Faustus unseres Marlowe, des Zeitgenossen Shakespeare's, und Calderon's »wunderthätigen Magus.«

Doktor Faustus hat viele glänzende Stellen, wie sie dem tüchtigen Marlowe nicht fehlen konnten; aber im Ganzen ist es ein ermüdendes, sehr gewöhnliches und schlecht angelegtes Stück. Die niedrigste Possenreißerei ohne jeden Witz nimmt einen großen Theil der Scenen ein, und die ernsten Partieen ermangeln der dramatischen Entwicklung. Kein Charakter ist gut gezeichnet. Der melancholische Mephistophilis hat eine gewisse Größe, aber er ist nicht der Versucher, wie ihn die allgemeine Vorstellung sich denkt, der mit Schlangenlist nach seinem Ziele kriecht; ist auch nicht der kalte, ironische »Geist der stets verneint«, sondern gleicht mehr dem Satan Byron's mit seinem Anfluge von Frömmigkeit und sehr reumüthiger Stimmung. Wie er zu Faustus spricht, muß es diesen mehr abschrecken als verführen:

Faustus.

Zwang mein Beschwören dich herauf nicht? Sprich!

Mephostophilis.

Es war der Grund, doch nur per accidens;
Denn, hören wir, daß einer Gott verlästert,
Die Schrift abschwört und Christum, seinen Heiland,
Da fliegen wir, das stolze Herz zu fangen:
Nur solche Mittel können uns bewegen,
Wobei das Heil der Seele wird gewagt.
Drum ist der kürz'ste Weg, uns zu beschwören,
Abschwören kühnlich alle Göttlichkeit
Und fromm zum Herrn des Höllenreiches beten.

Faustus.

Der Lehre bin bereits ich treu gefolgt.
Ich kenne keinen Herrn, als Beelzebub,
Dem ich mich selbst von ganzer Seele weihe.
Das Wort Verdammung schreckt mich nicht zurück,
Eins ist mir Hölle und Elysium,
Mein Geist sei bei den alten Philosophen.
Doch lassen wir die eitlen Menschenpossen.
Sag' mir, wer ist der Lucifer, dein Herr?

Mephostophilis.

Erzherrscher und Regierer aller Geister.

Faustus.

War nicht der Lucifer ein Engel einst?

Mephostophilis.

Ja, Faustus, und gar sehr von Gott geliebt.

Faustus.

Wie kommt's denn, daß er Fürst der Teufel ist?

Mephostophilis.

Oh, um den frechsten Stolz und Uebermuth
Hat Gott ihn aus des Himmels Licht geworfen.

Faustus.

Und wer seid ihr denn, die ihr lebt mit ihm?

Mephostophilis.

Unsel'ge Geister, die wir mit ihm leben,
Verschworen gegen unsern Gott mit ihm
Und bis in Ewigkeit verdammt mit ihm.

Faustus.

Wo seid denn ihr Verdammten?

Mephostophilis.

In der Hölle.

Faustus.

Wie kommt's, daß du jetzt aus der Hölle bist?

Mephostophilis.

Was? Hier ist Hölle, ich bin nicht aus ihr.
Denkst du, daß wer das Antlitz Gottes sah
Und schmeckte von den ew'gen Himmelsfreuden,
Daß der nicht tausend Höllenqualen leidet,
Beraubt des ewig vollen Heils sich fühlend?
O, Faustus, laß die eitlen Fragen sein,
Die mir das matte Herz mit Grau'n erfüllen.

Ist das die Sprache des Versuchers? oder auch nur die Sprache des gefallenen Lucifer? Die Sprache des Dichters ist es, der das ausspricht, was die Zuhörer an Satan's Stelle empfinden würden, nicht aber was Satan selbst empfindet. Und dieser Mangel an Charakterzeichnung geht durch das ganze Stück.

Indeß, wir haben es mehr mit der philosophischen Behandlung des Stoffes zu thun, als mit der dramatischen. Wer Marlowe's Faustus mit der Erwartung in die Hand nimmt, einen philosophischen Stoff philosophisch behandelt zu sehen, der mißversteht sowohl Marlowe's Geist wie seine Zeit. Faustus ist in keinem philosophischeren Sinne geschrieben, als der Jude von Malta oder der große Tamerlan; es ist darin nur ein volksthümlicher Stoff für die Bühne bearbeitet – eine Volkssage, die für den Geist jener Zeiten außerordentlich bezeichnend ist, wo die Menschen im Glauben an den Teufel und seine Macht gern ihr künftiges Leben für die Befriedigung irdischer Wünsche dahingaben. Unzweifelhaft liegt darin ein philosophisches Problem, welches sich auch noch heutzutage dem denkenden Geiste aufdrängt. Ja, noch heutzutage; denn die menschliche Natur ändert sich nicht, nur die Formen wechseln, der Geist bleibt, nur offenbart er sich anders. Freilich, die Menschen glauben nicht länger an den Teufel und seine Macht, wenigstens daran glauben sie nicht mehr, daß man ihn heraufbeschwören und mit ihm ein Bündniß schließen könne, sonst hätten wir Geschichten wie die von Faust wohl zu Hunderten; aber der Geist, der diese Geschichte geschaffen hat und ganz Europa an sie glauben machte, der ist unverändert geblieben. Der Geist der Faustsage ist die Hingebung des künftigen Lebens für das irdische. Auf das Machtwort der Triebe blind zu sein gegen den Ausgang, unvermeidlichen und schrecklichen Folgen im vollen Bewußtsein ihrer Unvermeidlichkeit frech zu trotzen, wenn nur für den Augenblick eine Lust befriedigt wird – das ist der Geist, der Faust trieb, seine Seele zu verhandeln, das der Geist, der täglich Menschen ihre Seele zu verkaufen treibt. Wir schließen keinen Pakt heutzutage, aber wir werfen unser Leben weg; kein Versucher steht uns von Angesicht zu Angesicht persönlich gegenüber und bietet uns für das Jenseits unbeschränkte Macht im Diesseits, aber wir haben unsere eigenen nimmer ruhenden listigen Begierden, und für die geben wir unsere Existenz preis, an eines Augenblickes Lust wagen wir Jahre von Elend.

Die Geschichte des Faustus gestattet verschiedene Arten philosophischer Behandlung. Marlowe hat davon nicht eine genommen; er hat die Sage von ihrer volksthümlichen Seite gefaßt und seinem Helden die allergewöhnlichsten Motive untergelegt. Das ist kein Vorwurf, aber eine Thatsache. Faustus ist mit dem Wissen zerfallen, mit der Logik (oder Philosophie), weil sie ihn nichts lehrt als gut disputiren, mit der Medicin, weil sie die Todten nicht wieder aus den Gräbern zu wecken vermag, mit der Rechtsgelehrsamkeit, weil sie sich nur mit »äußerlichem Kram« befaßt, und mit der Theologie, weil sie lehrt, der Sünde Lohn sei Tod und wir alle seien Sünder. Nun ergiebt er sich der »Metaphysika der Zauberei,« der Magie; da findet er Befriedigung; denn eine »Welt der Wonne, des Genusses, der Macht, der Ehre und der Allgewalt ist hier verheißen einem treuen Jünger.«

Faustus.

Wie der Gedanke mich so ganz erfüllt! –
Soll'n mir die Geister holen, was mich lüstet?
Aus allen Zweifeln meine Seele lösen?
Vollbringen, was tollkühner Muth erdenkt?
Gen Indien sollen sie nach Golde fliegen,
Des Orients Perlen aus dem Meere wühlen,
Die Winkel all' der neuen Welt durchspähen,
Nach edlen Früchten, leckern Fürstenbissen;
Sie sollen mir die neue Weisheit lesen,
Der fremden Kön'ge Kabinet enthüllen:
Ganz Deutschland sollen sie mit Erz umwallen,
Den schönen Rhein um Wittenberg mir leiten;
Sie soll'n mit Geist die hohen Schulen füllen,
Daß die Studenten reich damit sich schmücken –
Soldaten werb' ich mit dem Geld der Geister,
Den Prinz von Parma jag' ich aus dem Lande
Und herrsch' als ein'ger König aller Reiche.
Ja, wundersamre Kriegsmaschinen, als
Das Feuerfaß auf der Antwerpner Brücke,
Soll'n meine Geisterdiener mir erfinden.

Für unsere Vorstellung mögen diese Reden etwas Plattes haben; aber damals, zu Marlowe's Zeit, wo man Hexen verbrannte, wo der Glaube an Bündnisse mit den höllischen Geistern allgemein verbreitet war, wo der Preis des Verderbens irdischer Genuß war, da hatte das Publikum für dergleichen gewiß Verständniß und Gefühl. Damm läßt Marlowe seinen Helden sagen:

Faustus.

Geh', trag' zum großen Lucifer die Zeitung:
Sag', Faustus ist dem ew'gen Tod verfallen
Durch freches Sinnen gegen Jovis Gottheit;
Sag', seine Seele übergiebt er ihm,
Wenn er ihn vier und zwanzig Jahre lang
In allen Erdenfreuden hier läßt leben
Und dich mir giebt zum stetigen Begleiter,
Zu geben mir, was ich verlangen mag,
Antwort zu sagen allen meinen Fragen,
Dem Feinde Feind, dem Freunde Schutz zu sein,
Und allweg meinem Willen zu gehorchen.
Geh', kehre heim zum großen Lucifer,
Dann komm um Mitternacht nach meiner Kammer
Und künde deines Meisters Willen mir.

Mephostophilis.

Ich gehe, Faustus.

(ab.)

Faustus.

Hätt' ich mehr Seelen, als da Sterne leuchten,
Ich gäb' sie all' für Mephostophilis.
Durch ihn werd' ich der Erde großer Kaiser,
Und baue Brücken durch die leichte Luft,
Um über's Meer mit meiner Schaar zu ziehen.
Ich will der Afrikanerküste Berge
Zusammenbinden mit dem Spanierland,
Daß beide meiner Krone dienstbar werden.
Der Kaiser soll durch meine Gunst nur leben,
Wie alle Fürsten in dem deutschen Reich,
Jetzt, da ich's habe, was mein Herz ersehnt.

Nach geschlossenem Vertrage benutzt Faust seine Macht, die Welt zu durchstreifen, die derbsten Späße an ihr auszulassen: er zieht nach Rom und ohrfeigt den Papst, läßt Edelleuten aus ihren Köpfen Hörner hervorwachsen, führt einen Roßkamm mit einem Pferde an, das im Wasser zu einem Bündel Stroh wird, und treibt mehr dergleichen gewöhnliche Scherze, wie sie die Zuschauer grade auch gemacht haben würden, wenn sie seine Macht besessen hätten. Dann dieser Possenstreiche müde, beschwört er die Helena herauf; sein Entzücken bei ihrem Anblicke spricht er in Worten aus, die als Probe, wie Marlowe bei guter Gelegenheit schreiben kann, der Anführung werth sind:

(Helena mit zwei Liebesgöttern tritt auf.)

Faustus.

War das der Blick, der tausend Schiffe trieb
In's Meer, der Troja's hohe Zinnen stürzte?
O, mache mich mit einem Kuß unsterblich!
Ihr Mund saugt mir die Seel' aus – Sieh, da fliegt sie!
Komm, Helena, gieb mir die Seele wieder!
Hier laß mich sein, auf diesem Mund ist Himmel,
Und Staub ist Alles, was nicht Helena.
Ich bin dein Paris, und für deine Liebe
Soll Wittenberg statt Troja steh'n in Flammen;
Ich will mit deinem schwachen Sparter kämpfen,
Auf meinem Helmbusch deine Farbe tragen,
Ja, ich will Achillen in die Ferse schießen,
Und dann zurück zu dir, zu deinen Lippen!
O du bist schöner als der Abendstern,
Gekleidet in den Strahl von tausend Sternen,
Bist glänzender als Jovis Flammenpracht,
Wie er der armen Semele erschien, –
Bist lieblicher als der Monarch des Himmels
In Arethusens weichen Azurarmen:
Du, du allein sollst meine Liebe sein.

Nun kommt sein letztes Stündlein heran; wie manche seines Gleichen in unsern Tagen, befallen ihn Gewissensbisse, als es zu spät ist; an seiner Macht hat er sich übersättigt, nun schaudert's ihn vor dem Preise. Er rast wild umher, fällt in Verzweiflung (die der Dichter mit großer Kraft schildert) und wird endlich von Teufeln zerrissen. Der Schluß stimmt genau zu dem Anfang: Faustus wird verdammt, weil er den Pakt eingegangen ist; jeder Punkt des Geschäfts wird erfüllt; es ist die Geschichte eines Hexenmeisters, und Faustus endet wie ein Hexenmeister.

An der Gewöhnlichkeit dieses Stücks ist zum Theil Marlowe schuld, zum Theil seine Zeit. Es hätte sich genau so behandeln lassen, wie es dem Glauben der Menge entsprach, und doch mächtig eindrucksvoll sein können. Was hätte nicht Shakespeare daraus gemacht? Um indeß Marlowe nicht Unrecht zu thun, müssen wir auch die Anschauungen seiner Zeit in Rechnung ziehen; und da werden wir zugeben, daß eine andere, höhere Behandlung des Stoffes seinem Publikum vielleicht viel weniger zugesagt hätte. Eine wirklich philosophische Behandlung würde es nicht verstanden, an edlere Motive beim Faustus nicht geglaubt haben. Hätte der Dichter ihn zuletzt noch gerettet, so wäre das ein Verstoß gegen die Volkssage nicht weniger als gegen die moralischen Begriffe seiner Zuhörer gewesen, denn warum sollte die schwarze Kunst ungestraft bleiben? warum der Hexenmeister nicht verdammt werden? Das Volk nahm die Volkssage ganz wörtlich, und der Dichter behandelte sie in voller Uebereinstimmung mit dem Glauben seines Publikums. Die symbolische Deutung der Faustsage gehört durchaus der modernen Bildung an.

Wenden wir uns zu Calderon's wunderthätigem Magus. Wie oft hat man von dem behauptet, Goethe habe ihm die leitenden Gedanken seines Faust entlehnt! Noch kürzlich ist die Ansicht ausgesprochen, dies sei das Drama, auf welches Goethe seinen Faust gegründet habe; es sei auffallend, wie genau die Vorgänge in beiden Gedichten einander gleichen; die Urquellen des Faust, nach denen gewisse Leute vergeblich suchten, seien sämmtlich in dieser einen Tragödie enthalten, welche weder an dichterischem Verdienste und feiner Detailmalerei, noch an Anmuth und Schönheit hinter dem deutschen Meisterwerke so sehr zurückstehe. Diese Behauptungen klingen so zuversichtlich, daß sie einem Leser, der nicht auf seiner Hut ist, ohne Weiteres überzeugend scheinen. Und doch sind es nur leichtfertige, durchaus unbegründete Behauptungen. Goethe's Faust gleicht dem wunderthätigen Magus weder in der Fabel des Stücks, noch in den Situationen, noch in den Charakteren, noch in den Gedanken. Mit Marlowe's Faustus hat er noch eine gewisse oberflächliche Aehnlichkeit, weil die Sage in beiden dieselbe ist; aber bei Calderon ist sowohl die Sage eine ganz andere, wie die Behandlung. Der neueste Herausgeber Calderon's, Eugenio de Ochoa, erklärt auch, er könne schlechterdings nicht begreifen, wie dieses Gerede von Aehnlichkeit habe aufkommen können, da es so vollständig grundlos sei.

Das Calderon'sche Drama spielt bei Antiochia; die Stadt feiert mit Festgepränge die Weihung eines Jupitertempels. Cyprian, ein junger Philosoph, hat sich aus dem Getöse der Stadt in eine ländliche Gegend zurückgezogen, um ruhig seinen Studien obzuliegen. Er grübelt über die Lehren seiner polytheistischen Religion; er kann den Gott nicht finden, den ihm eine Erklärung des Plinius als die »höchste Güte«, als »Wesen durch sich selbst vorhanden, als allwissend und allmächtig« darstellt. Zu ihm tritt, als Cavalier gekleidet, der Dämon. Sie disputiren mit einander. Cyprian hebt die Irrthümer des Polytheismus hervor, der Dämon vertheidigt ihn als die wahre Lehre; wir erkennen, daß Cyprian sich schon zu dem Glauben an den einen Gott bekehrt und damit den ersten Schritt zum Christenthum gethan hat, und diese Bekehrung, die durch die bloße Macht der Wahrheit bewirkt ist, diese Sinnesänderung, die nur aus einer Prüfung der Vielgötterei hervorgeht, schmeichelte dem Publikum Calderon's ohne Zweifel sehr; eine Schmeichelei, die sich noch steigert durch die außerordentlich schwache Vertheidigung des Dämons, der bei seinem Auftreten erklärt, er werde trotz alles Forschens die Wahrheit vor Cyprian verbergen. Ein rechtschaffener Katholik, dieser spanische Dramatiker! Nicht einmal für einen Augenblick kann er den Teufel im Rechte sein lassen. Statt des »Geistes der stets verneint«, giebt er uns einen bösen Feind, der so ohnmächtig wie böse ist – einen Teufel, der sich selbst für besiegt erklären muß und nun den Forscher, den er durch seine Irrlehren nicht täuschen kann, durch Sinnenlust zu meistern beschließt. Die schöne Justina, eine Nachbarin Cyprian's, darf er nach höherem Beschluß verfolgen und versuchen; ihre Schönheit soll den Cyprian fesseln; mit einem Schlage will er an beiden Rache nehmen. Wie sehr ein solcher Teufel von Goethe's Mephisto verschieden ist, brauchen wir kaum anzudeuten.

Ein Streit zweier seiner Freunde, die beide in Justina verliebt sind, bringt Cyprian bald darauf mit der Schönen zusammen, deren Entscheidung zu Gunsten des Einen oder Andern er einholen soll. Beim ersten Anblick verliebt er sich selbst in sie und gesteht ihr seine Liebe. Justina, im Stillen eine Christin, ist ein wahres Bild christlicher Unschuld; sie fühlt sich durch die Werbungen verletzt und weist die Cyprian's so gut wie die seiner Freunde zurück. Diese Kälte erbittert ihn und macht ihn nur um so hartnäckiger in seiner Verfolgung des schönen Zieles.

– So die Vernunft entwunden
Hat mir diese Leidenschaft,
So ist jede Sinneskraft
Mir in dieser Angst verschwunden,
Daß ich (denn ein kühner Mann
Wird stets seiner Zagheit Meister)
Selbst dem teuflischsten der Geister
– Ja, die Hölle ruf' ich an! –
Daß ich ihm, da Qual und Pein
Schon mich rettungslos umschließen,
Gäb', um dies Weib zu genießen,
Meine Seele.

»Sie sei mein!« giebt der Dämon unsichtbar zur Antwort.

Bei einem andern Schriftsteller wäre wohl die Bemerkung am Platze, wie schlecht es zu einander stimmt, daß ein Polytheist so die Hölle anruft; aber bei Calderon findet sich dergleichen so oft, daß es im einzelnen Falle nicht besonders überraschen darf.

Nachdem der Dämon jenes Wort gesprochen, erhebt sich ein Unwetter mit Donner und Blitz, das Meer braust auf, ein Schiff scheitert; der Dämon tritt auf, als käme er aus dem Schiffbruch; Cyprian gewährt ihm Aufnahme und sucht ihn über sein Unglück zu trösten. Der Dämon weist den Trost zurück, für ihn sei alle Hoffnung dahin, er habe alles verloren, was dem Leben Werth gäbe. Dann erzählt er in einer Einkleidung, welche die Zuhörer leicht durchschauen mußten, die Geschichte seiner Empörung gegen Gott und seiner Züchtigung. Zugleich läßt er, um Cyprian aufzuregen, durchblicken, daß er Zauberkraft besitzt. Aber dieser gewährt ihm zunächst nur Gastfreundschaft wie jedem Fremden. In der folgenden Scene fragt ihn der Dämon nach der Ursache seines steten Kummers. Das giebt Gelegenheit zu einem Prachtstück spanischer Liebesrhetorik. Cyprian beschreibt seine Geliebte und seine Leidenschaft für sie mit der Redseligkeit eines Liebenden und im Geschmack eines Ossian. Sehr umständlich erzählt er dem Dämon, daß zu den Reizen seiner Geliebten nicht weniger gehört, als die Schönheiten der Morgenröthe mit ihren Wölkchen und Thauperlen, der Wiesenbächlein und ersten Rosen und singenden Vöglein, der glänzendsten Krystalle und schimmernden Sterne und Sonnenstrahlen, und so durch funfzig Verse hindurch –

alle bilden im Vereine
dieses Weibes Götterpracht,

und so versunken, erklärt er weiter, sei er in die Liebe zu ihr, daß er alles andere Denken und Streben aufgegeben habe und für ihren Besitz gern einem Geist der Tiefe seine Seele hingeben wolle. Der Dämon geht den Handel ein, läßt zum Beweise seiner Macht einen Berg sich hin und her bewegen, einen Felsen sich öffnen, in welchem Justina schlafend erscheint, und sich wieder schließen, als Cyprian auf sie zueilt. Erst soll er den Vertrag unterzeichnen; er taucht einen Dolch in sein eigenes Blut und schreibt auf Leinwand den Vertrag. Darauf willigt der Dämon ein, ihn in der Magie zu unterrichten, die ihm nach Jahresfrist Gewalt über Justina geben werde.

Diese Versuchungsscene ist sehr schal, schwach in der Anlage, stümperhaft in der Ausführung. Man beachte nur den Mangel an künstlerischer Haltung: Cyprian ruft die Hölle an, will für Justina seine Seele hingeben, der Dämon antwortet: deine Seele ist mein! Donner und Blitz folgen, alle Elemente sind in Aufruhr – Bühnen-Effekte genug, aber das Stück kommt damit kein Haar breit weiter; denn obgleich der Dämon auftritt, macht er doch noch nicht den Vertrag mit Cyprian, ja, versucht ihn nicht einmal, sondern er kommt nur, um sich mit ihm bekannt zu machen, sein Vertrauen zu gewinnen und ihn nachher zu versuchen. Wie schwach, dürftig und unsicher ist das alles gezeichnet! Daneben wird das Bündniß Cyprian's mit dem Teufel noch kleinlich parodirt: einer seiner Diener versteckt sich im Zimmer, um die entscheidende Verhandlung mit anzuhören; der Dämon bemerkt das, läßt ihn aber gewähren und holt ihn dann hervor, um ihn in die Einsamkeit mitzunehmen, in die er und Cyprian sich für das nächste Jahr zurückziehen wollen; da der Diener verliebt ist wie sein Herr, so will er auch wie sein Herr seine Seele dem Dämon verkaufen, schlägt sich an die Nase, daß sie blutet, und will dann mit dem Blute auf sein Taschentuch schreiben, welches natürlich nicht gerade reinlich ist! –

In dieser Versuchungsscene findet sich übrigens der einzige Punkt, in welchem der Goethe'sche Faust mit dem Calderon'schen Stücke Aehnlichkeit hat. Diese Aehnlichkeit besteht nur in einer Kleinigkeit, aber trotzdem haben einige Kritiker darauf ihre Behauptung gegründet, daß Goethe von Calderon entlehnt habe. Der Punkt, den die Legende von Cyprian und die Faustsage mit einander gemein haben, ist – der Vertrag; in allen übrigen Punkten weichen sie von einander ab, so gut wie die beiden Gedichte. Interessant aber ist es, die Motive der drei Helden Faustus, Cyprian und Faust und die Forderungen, welche jeder von ihnen für seine Seele stellt, unter einander zu vergleichen: da fährt Calderon am schlechtesten, sein Held ist am billigsten, ist der armseligste von den dreien.

Fahren wir in unserer Inhaltsangabe des Calderon'schen Stückes fort. Das Probejahr ist zu Ende, und Cyprian verlangt ungeduldig nach seinem Lohne. Er hat die Magie gründlich erlernt und es darin so weit gebracht, wie sein Meister selbst; er rühmt sich, daß er die Todten aus ihren Gräbern rufen könne und noch manche andere Wunderkraft besitze. Aber mit all' dieser Macht thut er nichts, versucht er nichts. Was nützt da das Probejahr? was diese Meisterschaft in der Magie? Hätten wir diese Frage Calderon selbst vorgelegt, er würde wahrscheinlich gelächelt und erwidert haben: »was nützt das?! es verlängert das Stück und bringt Abwechslung hinein!« Eine verständige Antwort das für einen gewandten Theaterdichter, aber gar wenig im Einklange mit der heutigen Auffassung, die Calderon für einen großen Künstler hält. Von einem Manne, der ein- bis zweihundert Stücke schrieb, ist es wohl zu viel erwartet, daß er ein einziges geschaffen habe, welches für ein wirkliches Kunstwerk gelten könne; auch würden wir an Calderon schwerlich jemals einen höheren Maßstab gelegt haben, als den eines gewandten und wirkungsreichen Bühnenschriftstellers, wenn ihn nicht seit der romantischen Schule die Deutschen so übertrieben gelobt hätten, was denn wir Engländer, die wir seine Werke selten lesen, ohne Weiteres als richtig hingenommen haben.

Von Cyprian gedrängt, ruft der Dämon seine Geister auf, daß sie Justina's Seele mit unlautern Gedanken erfüllen. Aber das hätte schon längst geschehen können, und damit wäre das ganze Probejahr Cyprian's und seine Studien in der Magie weggefallen, die, obgleich ausdrücklich zur Eroberung Justina's unternommen, doch niemals gegen sie angewandt werden. – Justina tritt in heftiger Unruhe auf; unsichtbare Geister singen von der Glut der Liebe; das Bild Cyprian's steigt vor ihrer Erinnerung auf; der Dämon hält den Augenblick für günstig, zu ihr zu treten. Justina fragt ihn:

Sag', ob du ein Blendwerk bist,
Meines Wahnsinns Truggeflimmer?

Dämon.

Das nicht; sondern mich verbindet
Mitleid, daß im mächt'gen Streite
Leidenschaft dich überwindet,
Daß ich an den Ort dich leite,
Wo sich Cyprian befindet.

Justina.

Nimmer wird dir das gelingen;
Denn die Qual, die Leidenschaft,
Die mein schwach Gemüth durchdringen,
Konnten zwar den Sinn bezwingen,
Aber nicht die Willenskraft.

Dämon.

Weil du's dachtest mit Verlangen,
Ist die Hälfte schon gethan;
Da die Sünde nun begangen,
Nimm den Willen nicht gefangen
Auf schon halb durchschnittner Bahn.

Justina.

Mich verwirret nicht dein Rath,
Ja, ich dacht' es, und wohl hat
Schon begonnen, wer da denket;
Aber meine Willkür lenket
Den Gedanken nicht, die That.
Meinen Fuß muß ich bewegen,
Dir zu folgen; diesem nun
Setzt mein Wille sich entgegen.
Er vermag's; denn Eins ist Thun
Und ein Andres Ueberlegen.

Dämon.

Doch wenn fremde Wissenschaft
Wider dich, Justina, streitet;
Wie wird dir der Sieg verschafft,
Wenn mit solcher Macht sie leitet,
Daß sie zwingt der Schritte Kraft?

Justina.

Um den Sieg mir zu erringen,
Steht mir freier Wille bei.

Dämon.

Mein Zwang wehrt ihm das Vollbringen.

Justina.

Wäre denn der Wille frei,
Wenn er je sich ließe zwingen?

Dämon.

(sucht vergebens sie fortzuziehen).

Komm, Genuß ist dir bereit.

Justina.

Theuer müßt' ich ihn erwerben.

Dämon.

Er ist Fried' und Seligkeit.

Justina.

Er ist Elend und Verderben.

Dämon.

Er ist Glück.

Justina.

Ist bittres Leid.

Dämon.

Ha, wer wird dir Schutz verleihn?
Schon bist du in meinen Banden!

(Er zieht gewaltsamer.)

Justina.

Mein Schutz ruht auf Gott allein.

Dämon (sie loslassend).

Weib, der Sieg, der Sieg ist dein,
Weil dem Sieg du widerstanden.

Wie entzückt muß das Calderon'sche Publikum gewesen sein, den Dämon so durch die bloße Erklärung des Glaubens an den wahren Gott besiegt zu sehen!

Nicht im Stande, dem Cyprian die wirkliche Justina zu verschaffen, beschließt der Dämon ihn mit einem Trugbilde zu täuschen. Eine Gestalt, in einen Mantel gehüllt, erscheint dem Cyprian und heißt ihn folgen; er schließt sie in die Arme, reißt ihr begehrlich den Mantel ab und erblickt statt seiner Geliebten – einen Leichnam. Auf seinen Schreckensruf antwortet das Phantom versinkend;

Also, Cyprianus, geht
Aller Glanz der Welt zu Grunde.

Ein ächt katholischer Gedanke! In dieser fürchterlichen Situation zeigt sich Calderon als fanatischer Katholik, als gewandter Schauspielschreiber, aber nicht als Künstler. Als eine Mahnung seiner Religion mag der Leichnam von mächtiger Wirkung sein, als theatralischer Effekt ebenfalls, aber künstlerisch ist die Erfindung verwerflich; sie streitet gegen den Plan des Stücks. Wenn der Dämon den Cyprian verführen will, wird er es mit solchen Mitteln versuchen? Gewiß nicht. Aber Calderon opfert hier wie so oft alles dem Effekt.

Erbittert über den Betrug fordert Cyprian eine Erklärung. Der Dämon gesteht, er habe über Justina keine Gewalt, da sie unter dem Schutze einer höheren Macht stehe. Cyprian fragt, wer dieser Mächtige sei. Der Dämon zittert, will ihn nicht nennen; endlich muß er es sagen: dieser gütige, allmächtige Gott, der die Tugend beschützt, ist der Gott der Christen. Das also ist der Gott, den Cyprian so lange sucht; nun will er keinem andern mehr dienen. Der Dämon erklärt wüthend, das sei für ihn zu spät; ihm selbst gehöre Cyprian's Seele. Aber dieser entgegnet, der Dämon habe die übernommene Bedingung nicht erfüllt; der Vertrag sei nichtig. Ein heftiger Wortwechsel entbrennt. Cyprian zieht sein Schwert und will – wieder ein Theatereffekt! – den Dämon durchstoßen, natürlich vergebens. Der Dämon ergreift ihn, will ihn fortziehen, Cyprian ruft den Gott der Christen an, der Dämon muß ihn freilassen. Nun wird Cyprian Christ, denn Justina, die er als Gefangene wieder trifft, versichert ihn, daß Gott trotz aller seiner Sünden auch für ihn Gnade habe. –

Es giebt nicht
So viel Stern' am Himmelskreise,
So viel Funken in den Flammen,
So viel Sand in Meeresweiten,
So viel Vögel in den Lüften,
So viel Staub im Sonnenscheine:
Als er Sünden kann vergeben.

Justina und Cyprian werden von dem römischen Statthalter in Antiochia zum Tode verurtheilt und sterben den Märtyrertod von Henkers Hand. Am Schluß erscheint der Dämon auf einer Schlange über dem Schaffot schwebend und verkündet auf Gottes Befehl, daß Justina, deren Tugend er verleumdet hat, unschuldig sei und daß Cyprian durch sein Blut sich gelöst habe von seinem übereilten Bündniß; beide steigen hinauf zu Gottes Throne und leben jetzt in einer bessern Welt.

Nach diesen Mittheilungen aus dem Faustus und dem wunderthätigen Magus wird der Leser zu beurtheilen im Stande sein, wie Marlowe und Calderon ihren Stoff jeder im Sinne seines Genius und seiner Zeit behandelt haben: der eine giebt eine Volkssage in ihrer ganzen Naivetät, der andere benutzt eine Legende als Mittel religiöser Belehrung. Goethe nahm die Sage in einem Zeitalter auf, wo der naive Glaube verschwunden war, und behandelte sie ebenfalls seinem eigenen Genius und dem Geist der Zeit gemäß. Der Geist der Zeit ließ sich keine einfache Sage mehr gefallen, sondern verlangte eine symbolische Sage – nicht eine Geschichte, die als Thatsache gelten wollte, sondern die eine Thatsache nur darstellte, die einen geistigen Inhalt in der Form eines äußern Vorganges zur Anschauung brachte; denn obgleich in unsern Tagen selbst der ungebildetste Sinn den Gedanken eines wirklichen Pakts mit dem Teufel von sich weist, erblickt doch der ungebildetste wie der höchste Sinn in einem solchen Vertrage ein Symbol der eigenen Gelüste und Kämpfe in unserm Innern.

Zum Beweise, daß ich diese Erklärung nicht erst nachträglich mir zurecht gelegt habe, damit sie auf Goethe's Faust passe, brauche ich mich nur auf die zahlreichen Versuche zu beziehen, welche z. B. Lessing, Maler Müller, Lenau und Bailey (in seinem Festus) gemacht haben, der alten Sage einen modernen Sinn unterzulegen. In allen diesen Bearbeitungen der Faustsage ist die symbolische Deutung das Lebensprinzip der Dichtung, wobei natürlich diese Deutung je nach dem verschiedenen Sinn des Dichters verschieden ausfällt. Der Lessing'sche Faust ist nur ein kurzes Bruchstück, der Lenau'sche ist allgemein bekannt, Bailey's Festus liegt den deutschen Lesern zu fern; auf den Faust von Maler Müller verlohnt es sich einzugehen.

Die Scene spielt zuerst in den Ruinen einer verfallenen gothischen Kirche. In mitternächtiger Stunde sind die Teufel versammelt; Lucifer, ihr König, spricht mit verächtlichem Hohn über die Schwachheit und Erbärmlichkeit des Zeitalters: nicht ein großes Verbrechen werde begangen, nicht ein großer Mann sei zu verführen, alles sei mittelmäßig, gewöhnlich, gemein; das Laster sei allgemein genug, aber das Verbrechen selten. Mogol, der Goldteufel, klagt ebenfalls: sein Gold verliere sich jetzt in so viele kleine Kanäle; nur selten könne er einen vollen Strom Goldes einem einzigen Manne zuführen, der es gut zu benutzen verstehe; die Hauptsummen fallen den Richtern in die Hände oder den Müttern, die ihrer Töchter Ehre den Meistbietenden verkaufen. Cacal, der Wollustteufel, findet die Welt ebenfalls entartet: bringen ihm auch alle Stände und Klassen und Lebensalter ihre Opfer dar, hat er auch manche Tochter der Mutter entrissen, Brüder ihre Schwestern, Männer ihre Frauen um eines Amtes willen hohen Gönnern zuzuführen verleitet, doch, klagt er, treffe sich 's selten, daß ihm volle Sündenfreude werde. Atoti, der Literatur-Teufel, ist halb toll über all die schlechten Verse und Dummheiten in Prosa, die er auf der Oberwelt anhören muß; ihn ekelt vor dem »Geheckel und Gepäckel«, das aus Interesse und Lobsucht einander beräuchert und »die Eselsohren kränzelt«; tagtäglich mit ihnen umzugehen, sei »wirklich keines braven Teufels Spaß mehr«. Nach diesen Klagen verzweifelt Lucifer an der entarteten Welt und will sein Scepter zerbrechen, seiner Herrschaft entsagen; da tritt Mephistopheles auf und verspricht ihm einen »festen ausgebackenen Kerl«, einen wirklich großen Mann zu stellen. Das ist Doktor Faust. Mit sieben Geistern macht sich Mephisto auf den Weg ihn aufzusuchen.

Die Satire dieser Einleitung ist sehr gewöhnlich und sehr handgreiflich, weder so kunstlos einfach wie die des Mittelalters, noch so scharf und schneidend, wie die feinere der modernen Zeit; zum einmaligen Lesen unterhaltend genug, ist sie doch nicht bedeutender, als was mancher Mensch von Talent in einer Stunde auch zu Stande brächte.

Faust lebt in Ingolstadt in hoher Achtung wegen seines Wissens, aber wenig geachtet wegen seines Lebenswandels. Die Studenten hegen tiefe Verehrung für ihn, aber die Bürger im Orte wollen ihm nicht mehr borgen. Knellius, ein Magister, den er durch seine Ueberlegenheit gedemüthigt hat, ein hochmüthiger, neidischer, schurkischer Pedant, hat eine Schaar Juden und Handwerker gegen ihn aufgehetzt, auf Bezahlung ihrer Forderungen zu dringen. Faust ist in einem Weinkeller beim Würfelspiel; schon hat er den größten Theil seines Vermögens verloren, den Rest wagt er auf einen Wurf, und auch den verliert er. Da erschallt draußen das Geschrei der ausgehetzten Menge, die ihn sucht; die Spieler entfliehen, Faust bleibt in wilder Verzweiflung allein. Eine Stimme aus der Luft spricht ihn freundlich an. Er bläst die Lichter aus; »ich will im Dunkeln mit dir sprechen! bist du mein Freund, so zeige mir's; bist du's nicht, so bleibe tief in der Hölle.« Die Wand theilt sich; man sieht Haufen von Silber und Gold, Juwelen und Kleinodien; »die Güter der Welt, die ich meinen Freunden zutheile!« ruft die Stimme. Zum zweiten Male öffnet sich die Wand, man sieht Kronen, Scepter, Orden – »die Herrlichkeiten der Welt, die ich meinen Freunden verleihe.« Beim dritten Male sieht man schöne Mädchen tanzen, eine liebliche Musik läßt sich hören – »Freuden der Welt denen, die ich liebe!« Eins noch fehlt, sagt Faust, und als der Vorhang zum vierten Male aufgeht, sieht man eine Bibliothek, die Künste und Wissenschaften in Marmorgruppen um eine Pyramide, aus der Faust's Büste von der Ehre gekrönt steht.

Die Stimme: Ruhm und Ehre denen, die mir hold sind!

Faust: Wo bin ich? Ist's Wahrheit, was ich sah, oder träum' ich nur? Aber nein, ich fühl's durch alle meine Adern hindurch, fühl's daß es Wahrheit, tiefe Wahrheit ist, bin durchaus ergriffen von diesem Anblick! Wie's in mir lechzt nach dem Besitz, nach dem vollen Genuß! Wie lieb' ich den, der in mir dieß Schauspiel erregt! Wohlan, mächtiger Geist, wo du auch bist, komm! Komm ganz mir beizustehn, wenn du's vermagst!

Mephistopheles erscheint als ein wohlgekleideter Fremder; bald darauf toben Faust's Verfolger heran; in seiner Noth nimmt er von Mephisto ein Buch in die Hand und fährt durch die Luft davon. Die Studenten erheben sich unter Anführung eines tollen Burschen Herz gegen Knellius und zwingen ihn in einer höchst lächerlichen Scene zur Abbitte. Da kehrt Faust plötzlich zurück. Aber er ist schon ein anderer geworden. In einer Unterredung mit Herz preist er diejenigen glücklich, die zufriedenen Sinnes an der Natur und ihren stillen Genüssen sich freuen; das sind »Söhne des Glücks, vollkommen in Dasein und Genuß, hingelegt in Wollust an die Brust der Natur.«

»Aber wehe, wer immer den sauern Drang hinaufwärts fühlt; immer mit den Gedanken droben, immer hinauf kämpfend und streitend mit sich selbst, die schwere Pilgrimschaft des Lebens beginnt! Er vergißt wohl ganz Mutter Natur mit ihren holdseligen trauerstillenden Augenblicken; sparsam theilt er sich selbst des Lebens Freuden zu. Und doch! Wer ist sein eigner Schöpfer? Oder wenn er einmal so da ist, wer kann sein Inwendiges umbilden, daß es ihm gehorche oder ihn nicht wider Willen dahin reiße? Wer darf nicht sein, was er einmal ist? Wer darf sein eigner Erbarmer sein? Fort denn, alle müßige Betrachtung! Fort, wenn du die Seele nur marterst und zwiefach Elend machst. Wenn das Schiff an des Untergangs schwarzem Rachen einmal hängt, was fragt da der Schiffer ... Lauf ein und suche dir selbst einen glücklichen Hafen.«

Diese Entschlossenheit Faust's macht für einen Augenblick sein Vater wieder wankend, der ihn in einer sehr ergreifenden Scene beschwört, sein Leben zu ändern; aber in die väterlichen Ermahnungen hinein tönen auch die Stimmen der bösen Geister, die ihn um Mitternacht erwarten, und nachdem ihn sein Vater verlassen, spottet er der weibischen Thränen, die ihm dessen Worte entlockt haben.

»Ich sollte wieder der Niedrigkeit entgegen kriechen, von deren bettlerischem Anhauch ich mich erst weggewendet? entgegen der Demüthigung, dem Kasteien, Entsagen und Glauben auf dieser Welt? ... Warum hat meine Seele den unersättlichen Hunger, den nie zu stillenden Durst nach Können und Vollbringen, Wissen und Wirken, Hoheit und Ehre! Und ich sollte kriechen und immer wieder kriechen in stinkender Niedrigkeit ohne Erfüllungshoffnung der lechzenden Seele? Unbemerkt in dieser großen Woge des Lebens verrauschen? Hinweg, tausend Centner schwere Last! Hab' ich's beschworen, dich zu tragen?«

Um Mitternacht, im dunkeln Wald am Kreuzweg, macht er seine Beschwörung, mit einem Apparat wie Kaspar in der Wolfsschlucht. Die sieben Teufel Mephisto's erscheinen; er soll wählen, wen von ihnen er zum Diener haben will. Aber ehe er gewählt hat, versinken die Teufel, Mephisto steigt auf, Faust entschlummert, und mit einem Monologe Mephisto's, in welchem dieser von seinem »süßen Wunsche« spricht, »ein Geschöpf habhaft zu werden nach seiner Neigung, anzuschließen an sein Herz mit diamantnen Ketten«, als hole er sich den Faust aus der Oberwelt, weil er drunten etwas haben müsse, das er liebe – mit diesem seltsamen Monologe schließt der Müller'sche Faust, der wie so mancher andre nur Fragment ist. Was an dem Stück ist, läßt sich aus unsrer Inhaltsangabe genügend ersehen. Talentvoll ist es gewiß, an manchen Stellen von großer Wirkung, aber es ist nicht das Werk eines Genies; hundert andere hätten es gerade so gut schreiben können, alle natürlich in dem festen Glauben, es sei poetischer als Goethe's Faust.

Kehren wir zu der Frage der symbolischen Behandlung der Faustsage zurück. Goethe mußte sie symbolisch behandeln, das war eine Forderung der Zeit; die Art dieser Behandlung entschied sein eigenes Genie. Beim zweiten Theil des Faust werden wir sehen, wie seine schwindende Kraft mehr in der Symbolik, als in der Poesie, mehr in der Reflexion des Verstandes, als im Gefühl Anregung suchte; aber hier im ersten Theil bemerken wir an seiner Behandlung eine wunderbare Vereinigung des Sagenhaften und Symbolischen, des Mittelalterlichen und Modernen. Die tiefe Weisheit, die herrliche Poesie, die klare schöne Malerei, der Witz, der Humor, die Leidenschaft – das alles wird jedem Leser von selbst auffallen, und gerne ginge ich noch auf manche Einzelheit näher ein, wenn nicht dieser Abschnitt bereits so sehr angewachsen wäre; so muß ich mich begnügen, die großen Züge des Gedichts rasch ins Auge zu fassen.

Was stellt der Faust dar? Coleridge meint, im Faust sollen die Folgen der Verachtung von Vernunft und Wissenschaft, die aus einem vergeblichen Wissensdrang hervorgehen, dargestellt werden, und die Art, wie dieser Gedanke ausgeführt ist, kann er dann nicht loben; es sei im Faust kein rechtes Verhältniß von Ursache und Wirkung, die Sinnlichkeit und der Wissensdrang ständen nicht im Zusammenhang. Das ist denn wieder ein Beispiel von jener Kritik, welche ihre Voraussetzungen in das Kunstwerk hineinträgt und dem Künstler als seinen eigenen Plan und Zweck unterschiebt. Bei genauerer Prüfung hätte Coleridge finden müssen, daß die Worte »Verachte nur Vernunft und Wissenschaft« nicht das Thema des Faust sind. Nach den ersten beiden Scenen ist vom Wissen nicht mehr die Rede; nur in seinen Anfängen geht das Stück von jener Verachtung aus. Und was sagt Goethe selbst? »Die Sage vom Faust klang und summte gar vieltönig in mir wieder. Wie er, hatte auch ich mich in allem Wissen umhergetrieben und war früh genug auf die Eitelkeit desselben hingewiesen; wie er, hatte auch ich es im Leben auf allerlei Weise versucht, und war immer unbefriedigter und gequälter zurückgekommen.« Das ist, wenn irgend was, der Schlüssel zum Faust. Der Faust ist ein Bild seiner Seelenkämpfe – seiner und des Menschen überhaupt. Den Kampf des Menschen gegen die Schranken seiner geistigen Existenz stellt er dar. Goethe wußte aus eigener Erfahrung, daß die Philosophie eitel sei, hatte schon früh erfahren, welche Verderbniß unter dem glänzenden Schein guter Sitte sich verberge, welch' dunkle Irrgänge die bürgerliche Gesellschaft unterminiren. Halten wir uns für einen Augenblick lediglich an die eine Seite des Gedichts, nehmen wir es nur sofern es ein Problem darstellt, nicht ein Bild, so kommen wir zu dem Schluß, daß der Faust ein Aufschrei ist der Verzweiflung über die Nichtigkeit des Lebens. Da seine Versuche, das Geheimniß des Lebens zu erschöpfen, mißlungen sind, giebt sich Faust dem Versucher hin, der ihm verspricht, er solle den Genuß des Lebens erschöpfen. Er durchmißt den ganzen Kreis der Luft wie er das Wissen durchmessen, und abermals vergebens. Die rohen Freuden in Auerbach's Keller, die Wüstheiten auf dem Blocksberg können natürlich sein Sehnen nicht stillen. Seine Leidenschaft für Gretchen ist heftig genug, aber fieberhaft, verrauschend; Gretchen hat nicht so viel Gewalt über ihn, daß er zum Augenblicke sagte, »verweile doch, du bist so schön«. Ruhelos stürmt er weiter; »ihm ist kein Maß noch Ziel gesetzt«, er sucht das Absolute, das Höchste, was nie erreicht werden kann. Das ist Menschenloos:

Es irrt der Mensch, so lang' er strebt.

Ein Wort zum Schluß. Man hat es wohl als einen Vorwurf ausgesprochen, das menschheitliche Problem sei im Faust nur hingestellt, nicht gelöst. Nach meiner Meinung besagt der Vorwurf nichts: ein Gedicht ist nicht der rechte Träger für eine Lösung. Gedichte sind keine Systeme, die Leier ist keine Kanzel, und wenn der Sänger zum Professor wird, so legt er sein eigentliches Amt nieder und pfuscht Andern ins Handwerk. Aber hohe Beachtung verdient es, daß Goethe, der das Problem so klar hingestellt hat, uns sowohl praktisch durch sein Leben, als theoretisch in seinen Schriften möglichst nahe an die Lösung heranführt: er zeigt uns, wie wir das schwere Gewicht dieser großen Last mit Weisheit tragen können. Seine Lehre, daß wir entsagen müssen, die er selbst so vielfach und so fruchtbar angewendet hat, kommt einer Lösung nahe, oder nimmt doch wenigstens dem unlösbaren Geheimniß seine verwirrende und beängstigende Wirkung. Das Geheimniß unsrer Existenz ist ein furchtbares Problem, aber es ist eben ein Geheimniß und geht über die Grenzen menschlicher Kraft hinaus. Als Geheimniß müssen wir es anerkennen und müssen entsagen! Unser Wissen kann immer nur Stückwerk sein, nie vollkommen; aber selbst dies begrenzte Wissen ist doch noch unendlich und für uns unendlich wichtig; in diesem weiten Kreise arbeite jeder nach seinen Kräften. Auch Glück, ideales vollkommenes Glück ist für uns unerreichbar: verzichten wir darauf! Der Kreis werkthätiger Pflicht ist weit, ausreichend für unsere Kräfte: sie adelt jeden, der ihr treu dient. In dem sauern Schweiß der Arbeit liegt ein Antrieb, der dem Leben Schwung giebt, und das Bewußtsein, daß unsere Arbeit in der einen oder andern Weise unsern Mitmenschen zu dauerndem Segen gereicht, läßt uns die Flucht der Jahre leichter tragen.



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