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Achter Abschnitt.
Christiane Vulpius.

Christianen's Gesuch an Goethe. Ihre Herkunft, Erziehung, bürgerliche Stellung; Aeußeres und Inneres. Ihr Verhältniß mit Goethe. Die römischen Elegien. Inwiefern ein Dichter über die stehenden Rücksichten der Schicklichkeit seiner Zeit sich hinwegsetzen darf. Goethe's Liebe zu Christiane. Die Gesellschaft in Weimar mißbilligt das Verhältniß. Bruch mit Frau von Stein. Goethe's Briefe an sie. Spätere Aeußerungen.

An einem Herbsttage des Jahres 1788 wurde Goethe auf einem Spaziergange in seinem vielgeliebten Park von einem frischen hübschen jungen Mädchen angesprochen, welches ihm mit vielen Verbeugungen ein Gesuch überreichte. Er sah der Bittstellerin in die glänzenden Augen und warf dann einen freundlichen Blick in ihre Bittschrift, in welcher der große Dichter gebeten wurde, durch seinen Einfluß einem jungen Schriftsteller eine Stelle zu verschaffen, der in Jena von Uebersetzungen aus dem Französischen und Italienischen lebte. Der junge Schriftsteller hieß Vulpius, und seinen Rinaldo Rinaldini wird mancher meiner Leser in jungen Jahren unter Herzklopfen gelesen haben. Seine Räuberromane waren eine Zeitlang sehr populär, aber heutzutage ist sein Name der Vergessenheit nur dadurch entrissen, daß er der Bruder jener Christiane Vulpius war, welche die Bittschrift für ihn an Goethe überreichte und damit den ersten Schritt that, des Dichters Frau zu werden. Christiane ist in vielen Beziehungen eine interessante Figur für die Goethefreunde, und die Liebe, die sie dem Dichter einflößte, nicht weniger als die treue Anhänglichkeit, mit der sie ihm achtundzwanzig Jahre zur Seite war, sind eines freundlicheren Nachruhms werth, als man ihr gewöhnlich zu Theil werden läßt.

Ihr Vater war einer jener Elenden, deren Trunksucht langsam aber sicher eine ganze Familie ins Unglück bringt; oft versetzte er seine eignen Kleider, um nur Geld zum Trinken zu haben. Sobald seine Kinder heranwuchsen, suchten sie von ihm wegzukommen und sich selbst zu ernähren: der Sohn durch literarische Thätigkeit, die Töchter durch Anfertigung künstlicher Blumen Dieser wenig beachtete Umstand giebt wohl den Schlüssel zu dem Gedichte »der neue Pausias.«, Handarbeiten u. dgl. Man sagt gewöhnlich, Christiane sei äußerst ungebildet gewesen, und böswillige Federn berichten leichtfertig, Goethe habe sein Dienstmädchen geheirathet. Sie ist nie sein Dienstmädchen gewesen, noch auch war sie ungebildet. Allerdings war, wie die vorstehenden Anführungen beweisen, ihre Stellung in der Gesellschaft eine sehr bescheidene; aber daß sie nicht ungebildet war, geht aus den unzweifelhaften Thatsachen, daß Goethe für sie die römischen Elegien und die »Metamorphose der Pflanzen« dichtete und in ihrer Gesellschaft seine optischen und botanischen Forschungen betrieb, deutlich genug hervor. Wie viel sie davon verstand, können wir freilich nicht wissen, aber das läßt sich mit Sicherheit annehmen, daß er solche Unterhaltungen aufgegeben haben würde, wenn sie nicht ein lebendiges Verständniß gezeigt hätte.

Wird doch nicht immer geküßt, es wird vernünftig gesprochen –

so heißt's in den Elegien, und das ist entscheidend. In seiner vielseitigen Correspondenz sehen wir ihn durchgängig je nach der Verschiedenheit seiner Freunde mit verschiedenen Gegenständen sich beschäftigen und Fragen behandeln, die nicht blos ihn selbst, sondern auch jene interessirten, und in dem weiten Umkreis der Dinge, die er beherrschte, gab es gar vieles, worüber er sich mit Christiane hätte unterhalten können, wenn er bei ihr Mangel an Verständniß für naturwissenschaftliche Erscheinungen wahrgenommen hätte. In einer der Elegien, der achten, geben uns wenige Zeilen ein klares Bild, von welcher Art ihr Verstand und ihre Schönheit war; ein Verstand nämlich, wie er freilich von Schulmeistern nicht gewürdigt wird, weil er zum regelrechten Lernen nicht befähigt ist, und eine Schönheit, welche der gewöhnliche Geschmack nicht schätzt, weil sie die gewöhnliche Regelmäßigkeit der Züge entbehrt. Die Verse lauten:

Wenn du mir sagest, du habest als Kind. Geliebte, den Menschen
Nicht gefallen und dich habe die Mutter verschmäht,
Bis du größer geworden und still dich entwickelt – ich glaub' es:
Gerne denk' ich mir dich als ein besonderes Kind.
Fehlet Bildung und Farbe doch auch der Blüthe des Weinstocks,
Wenn die Beere, gereift, Menschen und Götter entzückt.

Und in einer solchen Frage muß doch gewiß des Dichters Zeugniß gelten!

Falle ich indeß, bei der Berichtigung eines allgemeinen Irrthums, nicht in den entgegengesetzten Fehler. Christiane hatte ihre Reize, aber sie war nicht hochbegabt, war keine Frau von Stein, war nicht befähigt, die höchsten Flüge des Dichtergeistes zu theilen. Einen behenden Mutterwitz, einen lebhaften Sinn, ein liebendes Herz und große Anstelligkeit zu häuslichen Dingen, das alles besaß sie unzweifelhaft; sie war heiter, lustig, vergnügungssüchtig, selbst bis zum Uebermaß, und, wie die Gedichte beweisen, zu denen sie Goethen begeisterte, sie war weniger die Geliebte seines Geistes als seiner Neigungen. Den Kopf von einer Fülle heller, goldbrauner Locken umgeben, die Gestalt klein und zierlich von reizender Fülle, mit lachenden Augen, schwellenden Lippen, die Wangen strahlend von rosiger Gesundheit – so erschien sie, nach der Mittheilung von Adele Schoppenhauer, einer völlig unbefangenen Zeugin, als ein »jugendlicher Dionysos.« Gleich bei der ersten Begegnung war Goethe von ihrer Naivetät und ihrer kindlichen Heiterkeit vollständig bezaubert; er erkannte in ihr eine jener freien, gesunden Naturen, welche die Bildung der Welt nicht verkünstelt hat. Sie war ihm wie ein Kind des sinnlich-schönen Italiens, welches er eben mit so tiefem Schmerz verlassen hatte, und in allen Sprachen der Welt giebt es nur wenige Gedichte von so leidenschaftlich bewegtem Ausdruck wie die, in denen er das Glück, das sie ihm gegeben, verewigt hat.

Warum heirathete er sie nicht sofort? Seine Abneigung gegen die Ehe ist uns schon bekannt, und zu dieser allgemeinen Abneigung kam dieses Mal noch die Rücksicht auf die große Verschiedenheit ihrer bürgerlichen Stellung. In der That war der Abstand so groß, daß nicht nur das Verhältniß deshalb zum öffentlichen Aergerniß wurde, sondern auch Christiane selbst den Heirathsantrag ablehnte. Wenigstens erzählt Stahr, daß, wie es noch Lebende aus ihrem eigenen Munde vernommen, die lange Verzögerung der förmlichen Heirath (bis 1806) nur ihre Schuld gewesen sei; ihre große Bescheidenheit und Demuth habe sich, wie diese Zeugen ihn versichert, »mit jeder Existenz neben Goethe begnügt.« Gewiß ist es, daß er um Weihnachten 1789 nach der Geburt seines ersten Kindes (August von Goethe, bei dem der Herzog zu Gevatter stand) die Geliebte sammt ihrer Schwester und Tante ganz in sein Haus nahm Auf diese Umsiedelung bezieht sich das zierliche Gedicht »Gefunden,« welches Stahr mit Recht die anmuthigste Parabel nennt:
Ich ging im Walde
So für mich hin.
Und nichts zu suchen
Das war mein Sinn.

Im Schatten sah' ich
Ein Blümchen stehn,
Wie Sterne leuchtend,
Wie Aeuglein schön.

Ich wollt' es brechen,
Da sagt' es fein:
Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?

Ich grub's mit allen
Den Würzlein aus,
Zum Garten trug ich's
Am hübschen Haus.

Und pflanzt' es wieder
Am stillen Ort;
Nun zweigt es immer
Und blüht so fort.
und das Verhältniß immer als eine Ehe ansah. »Sie ist immer meine Frau gewesen« sagte er, als er sie endlich wirklich geheirathet hatte. Aber wie er auch die Sache ansehen mochte, die öffentliche Meinung vergab ihm seinen Verstoß gegen die Gesetze der Gesellschaft nicht. Die Welt tadelte ihn laut, selbst seine Verehrer können an dies Verhältniß nicht ohne Schmerz denken. »Die Nation, sagt Schäfer, hat ihrem größten Dichter die Entzweiung mit Sitte und Gesetz nie verziehen; nichts hat der richtigen Würdigung von Goethe's sittlichem Charakter so sehr im Wege gestanden, nichts so sehr zu falschen Urtheilen über die Tendenz seiner Dichtungen verleitet, als diese Halb-Ehe.«

Seien wir indeß gerecht. Kann sich auch niemand des Bedauerns enthalten, daß Goethe, der einer reinen Häuslichkeit so besonders bedurfte, keine Frau gefunden hat, die ihm in jedem Sinne des Wortes sein Weib, die Herrin seines Hauses, die Gefährtin seines Lebens gewesen wäre, so wird man doch bei allseitiger Erwägung der Umstände das Geständniß niemand zurückhalten können, daß bei dem tiefdunkeln Schatten auch helles Licht war. Von der Schattenseite dieses Verhältnisses, namentlich in gesellschaftlicher Beziehung, haben wir bereits gesprochen; sehen wir nun auch, welches Glück es ihm brachte zu einer Zeit, wo er höchst einsam, höchst unglücklich war. Die Vaterfreuden, nach denen sein Herz sich sehnte, eine treue und hingebende Neigung, eine liebende Hand, die für seine Häuslichkeit sorgte In den Votivtafeln (1796) richtete Goethe an sie das Distichon mit der Ueberschrift C. G. (Christiane Goethe):
Viele Veilchen binde zusammen! Das Sträußchen erscheine
Erst als Blume. Du bist, häusliches Mädchen, gemeint.
, und in dieser Häuslichkeit einen Frieden, den er bisher vergebens gesucht hatte – das alles fand er in dieser Ehe ohne Priestersegen.

Oftmals hab' ich geirrt, und habe mich wieder gefunden,
Aber glücklicher nie; nun ist dies Mädchen mein Glück!
Ist auch dieses ein Irrthum, so schont mich, ihr klügeren Götter,
Und benehmt mir ihn erst drüben am kalten Gestad.

Von seinen Briefen an sie ist unter andern einer (noch ungedruckt) erhalten, den er zehn Jahre nach der ersten Bekanntschaft schrieb; darin spricht er mit der Leidenschaft eines jugendlichen Liebhabers sein Bedauern aus, daß er auf seinem Ausfluge nicht etwas von ihr mitgenommen habe, wenn's auch nur ein Pantoffel wäre, er würde sich dann weniger einsam fühlen. Um solche Liebe zu erwecken, muß Christiane ein ganz anderes Weib gewesen sein, als man sie gewöhnlich darzustellen liebt. Auch die kürzlich veröffentlichten Briefe Goethe's an Herder und seine Frau, gegen die er über sein Verhältniß mit ungenirtester Naivetät sich ausspricht, enthalten zahlreiche Beweise, wie leidenschaftlich er damals an »seinem Mädchen« hing Einige Stellen aus diesen, verhältnißmäßig weniger bekannten Briefen seien hier angeführt. Die erste Erwähnung seiner Geliebten ist aus dem August 1789, wo er von Ruhla, »dem Lande der berühmten Bergnympfen« schreibt: »doch sehne ich mich herzlich nach Hause, meine Freunde und ein kleines Erotikon wieder zu finden, dessen Existenz die Frau Dir wohl wird vertraut haben.« Bei der Abreise nach Venedig, wo ihn der Abschied von Christiane und seinem drei Monate alten Kinde »ganz mürbe« gemacht, empfiehlt er dem Freunde »sein Mädchen und seinen Kleinen,« die »ganz und gar verlassen« seien. Aus Venedig schreibt er, im Mai 1790, wie es ihn nach Hause verlange; sein Kleiner sei unwohl gewesen, »es hat mich sehr beunruhigt, ich bin noch nicht daran gewohnt;« dann dankt er »von Herzen für die Gesinnung gegen seine Zurückgelassenen;« »sie liegen mir sehr nahe und ich gestehe gern, daß ich das Mädchen leidenschaftlich liebe; wie sehr ich an sie geknüpft bin, habe ich erst auf dieser Reise gefühlt.« Am bezeichnendsten für seine damalige häusliche Stimmung und ganz in der besten Weise seiner lustigen Jahre schreibt er von Breslau, wohin er mit dem Herzog gegangen war, im September 1790: »Es ist all und überall Lumperei und Lauserei, und ich habe gewiß keine eigentlich vergnügte Stunde, bis ich mit Euch zu Nacht gegessen und bei meinem Mädchen geschlafen habe. Wenn Ihr mich lieb behaltet, wenige Gute mir geneigt bleiben, mein Mädchen treu ist, mein Kind lebt, und mein großer Ofen gut heizt, so hab ich vorerst nichts weiter zu wünschen.« – So schrieb damals ein Minister an einen Generalsuperintendenten! Anm. des Uebers.. Endlich sei noch erwähnt, daß auch seine Mutter mit der Wahl ganz zufrieden war, Christiane als Schwiegertochter bei sich empfing, zärtliche Briefe an sie schrieb und alle Einmischung unberufener Schwätzer wiederholt abwies.

Die römischen Elegien haben ein zwiefaches Interesse: einmal als Ausdruck der Empfindungen des Dichters, und dann als die vollendetsten Gedichte dieser Art in der gesammten Literatur. Es zeigt sich darin, wie tief sich Goethe in Italien mit dem Geiste der alten Kunst gesättigt hatte. Und doch, während er den Geist vergangener Zeiten mit unvergleichlichem Glück wiedergiebt, ist er zugleich durchaus originell. Nirgends in der griechischen oder römischen Literatur finde ich diese Vereinigung von weltumfassenden Gedanken, welche dem Verse Größe geben, und von individueller Leidenschaft, die ihm Tiefe giebt. Es sind nicht einfache Elegien, Ergüsse persönlicher Empfindungen, es sind römische Elegien, und eine Welt spiegeln sie wieder. In modernen Gedichten sind sonst alle klassischen Anspielungen meistens kalt und tragen die Spuren mühsamen Studiums, sind nicht die unmittelbar natürlichen Formen des poetischen Ausdrucks; hier in den römischen Elegien lebt die klassische Welt, ja bisweilen kann man fast sagen, der Dichter sei antiker als die Alten. Schlegel sagt von ihnen mit glücklichster Wendung, sie bereicherten die römische Dichtkunst mit deutschen Gedichten. Die dreizehnte Elegie z. B. (Amor der Schalk) ist ganz in Anakreons Weise, steht aber weit über allem, was wir von Anakreon haben. Antik auch ist die unverhüllte Sinnlichkeit des Dichters und der durch nichts beirrte Ernst seiner Leidenschaft, ein Ernst der die sonstige Thätigkeit seiner Natur nicht verschlingt, sondern sich mit ihr verbindet. So zeigt uns die wunderbare fünfte Elegie ein Bild der lebendigsten Sinnlichkeit, welche die poetische Thätigkeit nicht stört, sondern fördert. Welch ein Gedicht! welch eine Welt von Empfindungen und Gedanken eröffnen Verse wie diese:

Ueberfällt sie der Schlaf, lieg' ich und denke mir viel.
Oftmals hab' ich auch schon in ihren Armen gedichtet,
Und des Hexameters Maaß leise mit fingernder Hand
Ihr auf den Rücken gezählt. Sie athmet in lieblichem Schlummer
Und es durchglühet ihr Hauch mir bis ins Tiefste die Brust.

Das ist ein rechtes Bild von Goethe's Liebesgeschichte: die Leidenschaft nährte die Flamme seines Genius und erstickte sie nie; er genoß in vollen Zügen, aber dazwischen in Augenblicken der Ruhe waren ihm seine hohen Ziele lebhaft gegenwärtig.

Als Beispiel von der Verschmelzung individueller Leidenschaft mit klassischer Form, welche gleichsam die Vergangenheit in der Empfindung der Gegenwart wieder aufleben läßt, mögen die folgenden Zeilen gelten:

Laß Dich, Geliebte, nicht reu'n, daß Du mir so schnell Dich ergeben!
Glaub' es, ich denke nicht frech, denke nicht niedrig von Dir.
Vielfach wirken die Pfeile des Amor: einige ritzen
Und vom schleichenden Gift kranket auf Jahre das Herz.
Aber mächtig befiedert, mit frisch geschliffener Schärfe,
Dringen die andern ins Mark, zünden behende das Blut.
In der heroischen Zeit, da Götter und Göttinnen liebten,
Folgte Begierde dem Blick, folgte Genuß der Begier.
Glaubst Du, es habe sich lange die Göttin der Liebe besonnen,
Als im Idäischen Hain einst ihr Anchises gefiel?
Hätte Luna gesäumt, den schönen Schläfer zu küssen,
O, so hätt' ihn geschwind, neidend, Aurora geweckt.

Manche der schönsten Stellen wage ich gar nicht anzuführen, da sie ebenso antik in der Gradheit des Ausdrucks sind, wie in andern Beziehungen. Goethe hat mit Recht gegen Eckermann bemerkt, die poetische Form sei ein eigenthümlicher Schleier, welcher die Nacktheit des Ausdrucks verhülle; es lägen, sagt er, in den verschiedenen poetischen Formen geheimnißvolle große Wirkungen, und wenn man den Inhalt seiner römischen Elegien in den Ton und die Versart von Byrons Don Juan übertragen wollte, so müßte sich das »ganz verrucht« ausnehmen.

Zur Beantwortung der Frage, wie weit ein Dichter berechtigt ist, über die herkömmlichen Begriffe seiner Zeitgenossen von Schicklichkeit und Anstand sich hinwegzusetzen, mag ein Wort von Schiller angeführt sein. »Die Gesetze des Anstandes, sagt dieser, sind der unschuldigen Natur fremd; nur die Erfahrung der Verderbniß hat ihnen den Ursprung gegeben. Sobald aber jene Erfahrung einmal gemacht worden und aus den Sitten die natürliche Unschuld verschwunden ist, so sind es heilige Gesetze, die ein sittliches Gefühl nicht verletzen darf. Sie gelten in einer künstlichen Welt mit demselben Rechte, als die Gesetze der Natur in der Unschuldswelt regieren. Aber eben das macht ja den Dichter aus, daß er alles in sich aufhebt, was an eine künstliche Welt erinnert, daß er die Natur in ihrer ursprünglichen Einfalt wieder in sich herzustellen weiß. Hat er aber dieses gethan, so ist er eben auch dadurch von allen Gesetzen los gesprochen, durch die ein verführtes Herz sich gegen sich selbst sicher stellt. Er ist rein, er ist unschuldig und, was der unschuldigen Natur erlaubt ist, ist es auch ihm; bist du, der du ihn liesest oder hörest, nicht mehr schuldlos, und kannst Du es nicht einmal momentweise durch seine reinigende Gegenwart werden, so ist es dein Unglück und nicht das seine: du verlässest ihn, er hat für dich nicht gesungen.«

Hätte Goethe nichts geschrieben als die römischen Elegien, so stände er doch unter den deutschen Dichtern in erster Reihe. Sie sind außerdem als Beiträge zu seiner Lebensgeschichte kaum weniger interessant. Sie reden laut von der geistigen Einwirkung Italiens; sie sind beredtes Zeugniß von seiner Liebe für Christiane. Wohl hat er ihren Reizen und dem Glück, welches sie ihm gab, noch andere Huldigungen dargebracht, aber diese allein würden hinreichender Beweis sein, wie ungerecht das Urtheil ist, welches die bösen Zungen von Weimar über sie in Umlauf gesetzt haben, ein Urtheil freilich, welches durch ihr späteres Leben einige Unterstützung erhielt, als Jugend und Schönheit dahin waren und die Fehler ihrer Natur bös hervortraten. Wie Goethe selbst das Unglück hat, daß er in der Erinnerung der Nachwelt fast nur als der ruhige alte Herr fortlebt, selten dagegen als der herrliche Jüngling und Mann, wie die Büsten, Bilder und Anekdoten, die wir von ihm haben, überwiegend aus der letzten Hälfte seines Lebens stammen, so hat auch seine Frau das Unglück gehabt, daß die Berichte über sie meist von denen herrühren, welche sie erst kennen lernten, als die Anmuth und der Reiz ihrer Jugend den ungeschickten und breiten Formen des Alters Platz gemacht hatten. Ein Biograph aber hat die Aufgabe, durch fleißige Nachforschung die verschiedenen Zeiten eines Lebens in ihrer Wahrheit zu erfassen, und wie ich sorgsam bestrebt gewesen bin, den jungen Goethe in seinem Treiben, Leben und Lieben darzustellen, so habe ich auch versucht, die junge Christiane von der Nachrede falschen Geschwätzes zu retten und ihre Jugend gegen das spätere Alter in das rechte Licht zu setzen.

Daß man in Weimar das neue Verhältniß Goethe's laut mißbilligte, obgleich man gegen seine Beziehung zu Frau von Stein nicht ein Wort geäußert hatte, ist bereits erwähnt. Das Hauptärgerniß scheint gewesen zu sein, daß die Geliebte an Rang so tief unter ihm stand. Ein allgemeiner Schrei von Entrüstung erhob sich. Endlich kam es zum völligen Bruch zwischen ihm und Frau von Stein. Hier ein Brief, in welchem er auf die Vorwürfe antwortet, die sie ihm gemacht hatte. »Wenn Du es hören magst, so mag ich Dir gerne sagen, daß Deine Vorwürfe, wenn sie mir auch im Augenblick empfindlich sind, keinen Verdruß und Groll im Herzen zurücklassen. Auch sie weiß ich zurechtzulegen, und wenn Du manches an mir dulden mußt, so ist es billig, daß ich auch wieder von Dir leide. Es ist auch so viel besser, daß man freundlich abrechnet, als daß man sich immer einander anähnlichen will und wenn das nicht reussirt, einander aus dem Wege geht. Mit Dir kann ich am wenigsten rechten, weil ich bei jeder Rechnung Dein Schuldner bleibe. Wenn wir übrigens bedenken, wie viel man an allen Menschen zu tragen hat, so werden wir ja noch, Liebe, einander nachsehen. Lebe wohl und liebe – mich. Gelegentlich sollst Du wieder etwas von den schönen Geheimnissen hören.«

Mit diesen Geheimnissen meinte er die römischen Elegieen, die er auch gegen Herder so bezeichnete. Eine solche Hindeutung auf die beiden Rivalinnen der Stein, die Schöne in Rom und Christiane in Weimar, war natürlich am wenigsten geeignet, sie in eine versöhnliche Stimmung zu setzen. Ihre Antwort muß nicht zu freundlich gewesen sein, nach dem folgenden Briefe Goethe's zu schließen. »Ich danke Dir für den Brief, den Du mir zurückließest, wenn er mich gleich auf mehr als eine Weise betrübt hat. Ich zauderte darauf zu antworten, weil es in einem solchen Falle schwer ist aufrichtig zu sein und nicht zu verletzen. Was ich in Italien verlassen habe, mag ich nicht wiederholen, Du hast mein Vertrauen darüber unfreundlich genug aufgenommen. Leider warst Du als ich ankam in einer sonderbaren Stimmung und ich gestehe aufrichtig: daß die Art, wie Du mich empfingst, wie mich andere nahmen, für mich äußerst empfindlich war. Ich sah Herdern, die Herzogin verreisen, einen mir dringend angebotenen Platz im Wagen leer, ich blieb um der Freunde willen, wie ich um ihretwillen gekommen war, und mußte mir in demselben Augenblicke hartnäckig wiederholen lassen, ich hätte nur wegbleiben können, ich nehme doch keinen Theil an den Menschen u. s. w. Und das alles ehe von einem Verhältniß die Rede sein konnte das Dich so sehr zu kränken scheint. Und welch ein Verhältniß ist es? Wer wird dadurch verkürzt? wer macht Anspruch an die Empfindungen, die ich dem armen Geschöpf gönne? wer an die Stunden, die ich mit ihr zubringe? Frage Fritzen, die Herdern, jeden der mir näher ist ob ich untheilnehmender, weniger mittheilend, unthätiger für meine Freunde bin als vorher? Ob ich nicht vielmehr ihnen und der Gesellschaft erst recht angehöre. Und es müßte durch ein Wunder geschehen, wenn ich allein zu Dir das beste innigste Verhältniß verloren haben sollte. Wie lebhaft habe ich empfunden, daß es noch da ist, wenn ich Dich einmal gestimmt fand mit mir über interessante Gegenstände zu sprechen. Aber das gestehe ich gern, die Art, wie Du mich bisher behandelt hast, kann ich nicht erdulden. Wenn ich gesprächig war, hast Du mir die Lippen verschlossen, wenn ich mittheilend war, hast Du mich der Gleichgültigkeit, wenn ich für Freunde thätig war, der Kälte und Nachlässigkeit beschuldigt. Jede meiner Mienen hast Du kontrollirt, meine Bewegungen, meine Art zu sein getadelt und mich immer mal à mon aise gesetzt. Wo sollte da Vertrauen und Offenheit gedeihen, wenn Du mich mit vorsätzlicher Laune von Dir stießest. Ich möchte gern noch manches hinzufügen, wenn ich nicht befürchtete, daß es Dich bei Deiner Gemüthsverfassung eher beleidigen als versöhnen könne. Unglücklicherweise hast Du schon lange meinen Rath in Absicht des Kaffees verachtet und eine Diät eingeführt, die Deiner Gesundheit höchst schädlich ist. Es ist nicht genug, daß es schon schwer hält manche Eindrücke moralisch zu überwinden, Du verstärkst die hypochondrische quälende Kraft der traurigen Vorstellungen durch ein physisches Mittel, dessen Schädlichkeit Du eine Zeit lang wohl eingesehn und das Du, aus Liebe zu mir, auch eine Weile vermieden und Dich wohl befunden hattest. Möge Dir die Cur, die Reise recht wohl bekommen. Ich gebe die Hoffnung nicht ganz auf, daß Du mich wiedererkennen werdest. Lebe wohl. Fritz ist vergnügt und besucht mich fleißig.«

Ueber diesen Brief schrieb sie ein großes O!!! Es muß ihr schrecklich gewesen sein, so etwas zu lesen, und ohne Zweifel war sie über seine Ungerechtigkeit, wie sie es ansah, sehr entrüstet. Sie war mißverstanden worden. In solchen Fällen finden die Menschen ja immer, sie seien mißverstanden; sie fühlen sich frei von Tadel, man hat ihr Benehmen falsch aufgefaßt; sie sind sich bewußt, genau das Gegentheil von dem gedacht zu haben, was man ihnen Schuld giebt, und sie »wundern sich sehr«, daß man sie »so schlecht« kenne.

Nehmen wir aber einen andern Standpunkt ein und lesen den Brief weniger mit den Augen der Frau von Stein als mit denen unparteiischer Prüfung, so haben wir darin die vollste Rechtfertigung dessen, der ihn geschrieben. Wir sehen, wie höchst unliebenswürdig die Art gewesen sein muß, mit der sie ihn bei der Rückkehr aus Italien empfing. Ihr späteres Benehmen bestätigt diesen Eindruck nur zu sehr. Sie zeigte sich schlimmer als unliebenswürdig S. Anhang III. Zwar klingt jener Brief an manchen Stellen hart genug, aber aus wie schmerzlich bewegtem Herzen er geflossen ist, läßt sich doch nicht verkennen, und eine Woche später schrieb Goethe ihr Folgendes: »Es ist mir nicht leicht ein Blatt saurer zu schreiben geworden, als der letzte Brief an Dich und wahrscheinlich war er Dir so unangenehm zu lesen, als mir zu schreiben. Indeß ist doch wenigstens die Lippe eröffnet und ich wünsche, daß wir sie nie gegeneinander wieder schließen mögen. Ich habe kein größeres Glück gekannt als das Vertrauen gegen Dich, das von jeher unbegrenzt war; sobald ich es nicht mehr ausüben kann, bin ich ein anderer Mensch und muß in der Folge mich noch mehr verändern. Ich klage nicht über meine hiesige Lage, ich habe mich gut hineingefunden und hoffe darin auszuhalten, obgleich das Klima schon wieder mich angreift und mich früher oder später zu manchem Guten untüchtig machen wird. Wenn man die kalte feuchte Sommerzeit, die strengen Winter bedenkt, wenn durch des Herzogs äußeres Verhältniß Schöll bezieht diese Klage darauf, daß nach Goethe's Meinung der Herzog sich bei seinem Treiben zu wenig schonte und mit seiner neu eingeschlagenen militärischen Laufbahn als Inhaber eines preußischen Regiments nichts Gutes ausrichtete. und durch andere Combinationen alles bei uns inkonsistent und folgenlos ist und wird, wenn man fast keinen Menschen nennen kann, der in seinem Zustande behaglich wäre, so gehört schon Kraft dazu, sich aufrecht in einer gewissen Munterkeit und Thätigkeit zu erhalten und nicht einen Plan zu machen, der einen nach und nach auflösen könnte; wenn nun aber gar ein übles Verhältniß zu dem Nächsten entsteht, so weiß man nicht mehr, wohin man soll. Ich sage das so gut in Deinem als meinem Sinne und versichere Dich, daß es mich unendlich schmerzt, Dich unter diesen Umständen noch so tief zu betrüben. Zu meiner Entschuldigung will ich nichts sagen. Nur mag ich Dich gern bitten: Hilf mir selbst, daß das Verhältniß, daß Dir zuwider ist, nicht ausarte, sondern stehen bleibe wie es steht. Schenke mir Dein Vertrauen wieder, sieh die Sache aus einem natürlichen Gesichtspunkte an, erlaube mir, Dir ein gelaßnes wahres Wort darüber zu sagen und ich kann hoffen, es soll sich alles zwischen uns rein und gut herstellen. Du hast meine Mutter gesehen und ihr viel Freude gemacht. Laß auch mir Deine Wiederkunft freundlich sein.«

So bot er ihr seine Freundschaft, aber vergebens; er hatte die Eigenliebe einer Frau verletzt, und Frauenliebe in Haß verwandelt ist der schlimmste Haß. Für Frau von Stein war es nicht genug, daß er sie so viele Jahre mit seltener Hingebung geliebt hatte, nicht genug daß er ihrem Sohne mehr gewesen war als dessen eigener Vater, nicht genug daß er auch jetzt, wo der unvermeidliche Wechsel eingetreten war, noch immer zärtliche Neigung für sie hegte, in dankbarer Erinnerung an das, was sie ihm gewesen, – er hatte aufgehört sie zu lieben, dies Eine löschte die ganze Vergangenheit aus. Ein reines, edles Herz vergißt nie, daß es geliebt und in der Liebe glücklich gewesen; ein großes Herz ist dankbar in seiner Erinnerung. Das Herz der Frau von Stein hatte nur ein Gedächtniß für seine Wunden. Mit kleinlicher Bosheit sprach sie von der »niedrigen Person«, die ihren Platz eingenommen; Goethe's Freundschaft wies sie zurück, gab sich die Miene als bedaure sie ihn, und setzte böses Gerede über seine Frau in Umlauf. Sie konnten es nicht ganz vermeiden, einander wieder zu sehen, aber nie begegneten sie sich in der alten Weise. Er seinerseits fühlte und sprach von ihr zärtlich bis ans Ende, und so oft es auf seinem Tische Leckerbissen gab, die ihr, wie er glaubte, mundeten, hatte er immer die Aufmerksamkeit, ihr etwas zu schicken.

Von ihr ist uns ein Brief erhalten, der uns zeigt, wie sie, nach einem Zwischenraum von 12 Jahren, fühlte. Derselbe ist an ihren Sohn gerichtet und mag hier eine Stelle finden, um die Geschichte dieses Verhältnisses abzuschließen. Ich kann den Abschluß der Steinschen Episode nicht vorübergehen lassen, ohne meine etwas abweichende Ansicht über den Bruch des langjährigen Verhältnisses und die gleichzeitig eintretende Beziehung Goethe's zu seiner späteren Frau besonders auszusprechen.
Nachdem lange genug die böseste Nachrede gegen Christiane Vulpius, bisweilen mit hämischer Freude, immer ohne Kritik, nachgesprochen ist, hat sich in neuester Zeit in der Goethe-Literatur eine Wendung zu ihren Gunsten geltend gemacht. Die andere Freundin Goethe's, Frau von Stein, hat entsprechend das umgekehrte Schicksal erfahren; sie wird jetzt von manchen eben so scharf angegriffen, wie ihre glücklichere Rivalin beredt vertheidigt. Beides geschieht namentlich von Ad. Stahr und Lewes. Ihnen entgegen steht Schöll, der als Herausgeber der Briefe an die Stein bereits mehrmals erwähnt ist. Da die Briefe der Stein selbst alle vernichtet sind, so ist das Material, nach welchem der Bruch zwischen ihr und Goethe beurtheilt werden muß, durchaus einseitig und unbefangene Prüfung um so schwieriger, aber auch um so gebotener.
Im Grunde ist es zu verwundern, daß das innige Verhältniß Goethe's zu Frau von Stein sich eine so lange Reihe von Jahren erhalten hat, da der natürliche Abschluß durch eine Ehe sich bald als unmöglich herausstellen mußte. Goethe bedurfte des Weibes, der häuslichen Genossin. Daß er diesen Wunsch überhaupt erfüllte, trotz der Stein und ohne sich durch das Verhältniß zu ihr beirren zu lassen, daraus ist ihm kein Vorwurf zu machen. Ebenso wenig aber der Stein daraus, daß sie sich vor seinem Verhältniß zu Christiane zurückzog. Im Einzelnen mag sie weder weltklug noch edel genug gehandelt haben; gewiß aber ist, daß ein unbefangener Leser sich bei Goethe's Entschuldigungsbriefen eines schmerzlichen Gefühles nicht erwehren kann. Wie schlecht stimmt es zu seiner sonst ausgesprochenen Leidenschaft für Christiane, wenn er sie gegen die Stein »das arme Geschöpf« nennt und von den Empfindungen spricht, die er ihr »gönne«, wie wenig treu und männlich erscheint er, wenn er die Hülfe der Freundin in Anspruch nimmt, um »das Verhältniß nicht ausarten« zu lassen! und wenn er gar die Unfreundlichkeit der Stein auf diätetische Rücksichten zurückführt und beinahe Versöhnung zu hoffen scheint, falls sie nur den Kaffee aufgebe, so bleibt doch auch dem wärmsten Verehrer des Dichters nichts übrig, als den Kopf zu schütteln. Um indeß so billig zu sein wie gerecht, übersehen wir einen wichtigen Umstand nicht: briefliche Aeußerungen haben den Vortheil, die Menschennatur in ihrer unverstellten Unbefangenheit zu zeigen, aber sie verewigen auch die flüchtigsten Erregungen des Augenblicks und bringen die Gefahr mit sich, über dem Wechsel der Stimmungen, den sie wiederspiegeln, die bleibenden Züge zu vergessen. Briefe haben für die Kenntniß des Innern eines Menschen denselben Werth, wie Daguerreotype für sein Aeußeres: ob sie ein richtiges Bild geben, hängt von der Atmosphäre und der Stimmung ab, in der sie entstanden sind – auch wohl davon, für wen sie bestimmt sind.
Ueber Christiane Vulpius stimme ich eher mit dem Verfasser überein, der zudem ihre später so unangenehm hervortretenden Schattenseiten weit entfernt ist zu übersehen oder zu verschweigen (vgl. den ersten Abschnitt des letzten Buches in diesem Bande). Daß Goethe sie in den ersten Jahren zu seinen Studien heranzog, läßt sie dem Verfasser geistig wohl in einem etwas zu günstigen Lichte erscheinen; es war gewiß mehr ein Versuch des Dichters, sie zu sich emporzuheben, als daß es ihrem Vermögen wirklich entsprochen hätte. (Anm. d. Uebers.)

»Weimar, 12. Januar 1801. Ich wußte nicht, daß unser ehemaliger Freund Goethe mir noch so theuer wäre, daß eine schwere Krankheit, an der er seit neun Tagen liegt, mich so innig ergreifen würde. Es ist ein Krampfhusten und zugleich die Blatterrose, er kann in kein Bett und muß in einer immer stehenden Stellung erhalten werden, sonst will er ersticken. Der Hals ist verschwollen, sowie das Gesicht, und voller Blasen inwendig, sein linkes Auge ist ihm wie eine große Nuß herausgetreten und läuft Blut und Materie heraus, oft phantasirt er, man fürchtete vor eine Entzündung im Gehirn, ließ ihm stark zur Ader, gab ihm Senf-Fußbäder, darauf bekam er geschwollene Füße und schien etwas besser, doch ist diese Nacht der Krampfhusten wiedergekommen, ich fürchte weil er sich gestern hat rasiren lassen; entweder meldet Dir mein Brief seine Besserung oder seinen Tod, ehe laß ich ihn nicht abgehen. Die Schillern und ich haben schon viele Thränen die Tage her über ihn vergossen; sehr leid thut mir's jetzt, daß, als er mich am Neujahr besuchen wollte, ich leider, weil ich an Kopfweh krank lag, absagen ließ, und nun werde ich ihn vielleicht nicht wiedersehen.«

»Den 14ten. Mit Goethe geht es besser, doch muß der 21ste Tag vorüber sein, bis dahin könnte ihm noch etwas zustoßen, weil ihm die Entzündung etwas am Kopf und am Zwerchfell geschadet hat. Gestern hat er mit großem Appetit Suppe gegessen, die ich ihm geschickt habe; mit seinem Auge soll es auch besser gehen, nur ist er sehr traurig und soll drei Stunden geweint haben, besonders weint er, wenn er den August sieht, der hat indessen seine Zuflucht zu mir genommen: der arme Junge dauert mich, er war entsetzlich betrübt, aber er ist schon gewohnt, seine Leiden zu vertrinken; neulich hat er in einem Club von der Classe seiner Mutter siebzehn Gläser Champagner-Wein getrunken, und ich hatte alle Mühe ihn bei mir vom Wein abzuhalten.«

»Den 15ten. Goethe schickte heute zu mir, ließ mir danken für meine Theilnahme und er hoffte, er würde bald wieder ausgehen können; die Doktors halten ihn außer Gefahr, aber seine Genesung werde noch lange werden.«

Sollte man es für möglich halten, daß dies eine Frau geschrieben, die zehn Jahre lang leidenschaftlich geliebt worden, daß sie so von dem Geliebten schreiben konnte, während sie ihn am Sterben glaubte? Selbst hier kann sie ihren Haß gegen Christiane nicht zurückhalten.



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