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Dritter Abschnitt.
Fortschritt.

Goethe's amtliche Wirksamkeit. Erhebung zum Range eines Geheimen Raths. Reise nach Frankfurt und Straßburg mit Karl August. Wiedersehen mit Friederike, mit Lili. Reise nach der Schweiz. Rückkehr nach Weimar. Veränderte Lebensweise. Leidenschaftliches Betreiben naturwissenschaftlicher Studien. Goethe wendet sich allmälig einem ernsthafteren und bestimmteren Lebensplane zu. Wachsende Neigung zu Frau von Stein. Gelegentliche Zwistigkeiten mit Karl August. Goethe erkennt die Dichtkunst als seinen wahren Lebensberuf.

Zu dem historischen Lauf unsrer Erzählung zurückkehrend, finden wir Goethe zu Anfang des Jahres 1779 sehr thätig in seiner neuen amtlichen Wirksamkeit. Er hat die Leitung des Kriegswesens übernommen, das in Folge von Vorbereitungen zu einem Kriege (dem bairischen Erbfolgekriege) plötzlich eine vermehrte Bedeutung erhielt. Er ist viel zu Pferde, im Lande herum, und bemüht sich aus allen Kräften, die Lage des Volkes zu verbessern. »Das Elend (schreibt er in seinem Tagebuche) wird mir nach und nach so prosaisch, wie ein Kaminfeuer; aber ich lasse doch nicht ab von meinen Gedanken und ringe mit dem unerkannten Engel, und sollt' ich mir die Hüfte ausrenken. Es weiß kein Mensch, was ich thue, und mit wie viel Feinden ich kämpfe, um das Wenige hervorzubringen.«

Unter diesem Wenigen verdient die Verbesserung der Löschanstalten Erwähnung, die bei den vielen Bränden im Lande und dem großen Schaden, den sie bei gänzlich mangelnder Ordnung anrichteten, sehr dringendes Bedürfniß war. Schon in seiner letzten Frankfurter Zeit hatte Goethe bei einem Brande in der Judengasse thätige Hülfe geleistet, in die rathlose Masse der Neugierigen und Helfenden Ordnung gebracht, durch entschlossenes Beispiel zu gemeinsamer, systematischer Arbeit angefeuert; jetzt war er in Apolda und Ettersburg wiederholt thätiger Zeuge verderblicher Feuersbrünste und setzte sich dabei so aus, daß ihm »die Augenbrauen versengt wurden und das Wasser ihm die Zehen brühte;« er brachte es beim Herzoge dahin, daß regelmäßige Löschanstalten geschaffen wurden.

Am 28. August desselben Jahres – seinem dreißigsten Geburtstage – erhob ihn der Herzog, in Anerkennung seiner geleisteten Dienste, zum Geheimen Rath, was er freilich, wie Wieland scherzend meinte, schon vorher allzeit gewesen. Der Frankfurter Bürgerssohn selbst bemerkte zu dieser neuen Ehre: »Es kommt mir wunderbar vor, daß ich so wie im Traum mit dem dreißigsten Jahre die höchste Ehrenstufe, die ein Bürger in Deutschland erreichen kann, betrete. On ne va jamais plus loin que quand on ne sait où l'on va, sagte ein großer Kletterer dieser Erde.« Und wenn er selbst schon es wunderbar fand, Weimar fand es skandalös. »Der Haß der hiesigen Menschen gegen unsern Mann (schreibt Wieland), der im Grunde doch keiner Seele Leides gethan, ist, seitdem er Geheimer Rath heißt, auf eine Höhe gestiegen, die nahe an die stille Wuth grenzt.« Indeß der Herzog, wenn er überhaupt dieses Wuthgeschrei hörte, würdigte es keiner Beachtung. Mehr als je hielt er zu seinem Freunde. Gleich nachher, am 12. September, trat er mit ihm eine Reise nach der Schweiz an, im tiefsten Geheimniß, in ganz bürgerlicher Weise, mit geringem Gepäck; außer Goethe war nur der Oberforstmeister von Wedell in seiner Begleitung. Zunächst gingen sie nach Frankfurt; dort wohnten sie in dem alten Hause am Hirschgraben, wo der würdige Rath Goethe die stolze Freude hatte, nicht nur seinen Sohn als Geheimrath, sondern auch den Fürsten, seinen Freund und Herrn, zu bewirthen. Frau Rath, wie man sich denken kann, war überglücklich: solcher Besuch erregte den Stolz der Mutter und den Stolz der Hausfrau zugleich. Bei einem andern Besuche des Herzogs, im Dec. 1784, schrieb Frau Rath an Fritz von Stein: »Der Herr Herzog ... kam über Frankfurth und ich hatte die Freude, ihn in meinem Hause mit einem Frühstück zu bewirthen. Ich bin viel glücklicher als die Frau von Reck. Die Dame muß reisen, um die gelehrten Männer Deutschlands zu sehen, bei mich (sic) kommen sie Alle ins Haus, das war ungleich bequemer, – ja ja, wems Gott gönnt, giebt ers im Schlaf.«

Von Frankfurt ging die Reise nach Straßburg. Da zog den Dichter die Erinnerung an Friederike unwiderstehlich nach Sesenheim. Ueber diesen Besuch schreibt er an die Stein: »Den 25sten Abends ritt ich nach Sesenheim und fand daselbst eine Familie, wie ich sie vor acht Jahren verlassen hatte, beisammen und wurde gar freundlich und gut aufgenommen. Da ich jetzt so rein und still bin wie die Luft, so ist mir der Athem guter und stiller Menschen sehr willkommen. Die zweite Tochter vom Hause hatte mich ehemals geliebt, schöner als ich's verdiente und mehr als andere, an die ich viel Leidenschaft und Treue verwendet habe, ich mußte sie in einem Augenblicke verlassen, wo es ihr fast das Leben kostete; sie ging leise darüber weg mir zu sagen was ihr von einer Krankheit jener Zeit noch überbliebe, betrug sich allerliebst mit so viel herzlicher Freundschaft vom ersten Augenblicke da ich ihr unerwartet auf der Schwelle ins Gesicht trat und wir mit den Nasen aneinanderstießen, daß mirs ganz wohl wurde. Nachsagen muß ich ihr daß sie auch nicht durch die leiseste Berührung irgend ein altes Gefühl in meiner Seele zu wecken unternahm. Sie führte mich in jede Laube und da mußt ich sitzen und so wars gut. Wir hatten den schönsten Vollmond; ich erkundigte mich nach allem. Ein Nachbar der uns sonst hatte künsteln helfen wurde herbeigerufen und bezeugt, daß er noch vor acht Tagen nach mir gefragt hatte, der Barbier mußte auch kommen, ich fand alte Lieder die ich gestiftet hatte, eine Kutsche die ich gemalt hatte, wir erinnerten uns an manche Streiche jener guten Zeit und ich fand mein Andenken so lebhaft unter ihnen, als ob ich kaum ein halb Jahr weg wäre. Die Alten waren treuherzig, man fand ich war jünger geworden. Ich blieb die Nacht und schied den andern Morgen bei Sonnenaufgang von freundlichen Gesichtern verabschiedet, daß ich nun auch wieder mit Zufriedenheit an das Eckchen der Welt hindenken, und in Friede mit den Geistern dieser ausgesöhnten in mir leben kann.«

Es liegt etwas durchaus Rührendes in diesem Wiedersehen und auch darin, daß er diese seine Erzählung an die Frau richtete, die er damals liebte und die ihm nicht mit einer Liebe wie einst Friederike erwiderte. Friederike ihrerseits erscheint hier wie immer als eine zarte und edle Natur, eines glücklicheren Looses würdig. Ihr ganzes Leben war Liebe, Entsagung, Aufopferung. Nach Goethe's erstem Abschied von Straßburg hatte sich Lenz in sie verliebt; auch andere warben um sie, aber sie wies alle Anträge ab. »Das Herz, das Goethe geliebt hat,« sagte sie, »kann keinem andern Manne angehören.«

Den 26sten Sonntags traf er wieder mit seinen Reisegefährten in Straßburg zusammen, und des Nachmittags – schreibt er – »ging ich zu Lili und fand den schönen Grasaffen mit einer Puppe von sieben Wochen spielen, und ihre Mutter bei ihr. Auch da wurde ich mit Verwunderung und Freude empfangen. Erkundigte mich nach allem und sah in alle Ecken. Da ich denn zu meinem Ergötzen fand, daß die gute Creatur recht glücklich verheurathet ist. Ihr Mann aus allem was ich höre scheint brav, vernünftig und beschäftigt zu sein, er ist wohlhabend, ein schönes Haus, ansehnliche Familie, einen stattlichen bürgerlichen Rang, alles was sie brauchte u. s. w. Er war abwesend. Ich blieb zu Tische. Ging nach Tisch mit dem Herzog auf den Münster, Abends eine Stunde in's Theater. Dann aß ich wieder bei Lili und ging in schönem Mondenschein weg. Die schöne Empfindung die mich begleitet kann ich nicht sagen.«

Fühlt man nicht aus diesen kurzen Berichten die Verschiedenheit der beiden Frauen heraus, und die Verschiedenheit seiner Neigung zu ihnen auch?

Von Straßburg ging die Reise über Emmendingen, wo er seiner Schwester Grab besuchte, in die Schweiz. In seinen »Briefen aus der Schweiz,« hauptsächlich aus den Reiseberichten an die Stein bearbeitet, mag der Leser über den Eindruck sich unterrichten, den die Natur dieses Landes auf ihn machte; hier können wir nicht den Gang der Erzählung mit Anführung einzelner Stellen aufhalten. Es muß genügen, daß er mit Lavater in Zürich im Austausch von Gedanken und Gefühlen glückliche Stunden verlebte, und daß er auf dem Heimwege das kleine Singspiel Jery und Bätely verfaßte, aus dem die »darinnen wehende Gebirgsluft« ihn noch in späteren Jahren freundlich anmuthete. In Stuttgart fiel es dem Herzog ein, an den Hof zu gehen, und da die Reisenden für diesen Fall nicht mit der nöthigen Garderobe versehen waren, so mußten erst die Schneider an die Arbeit, um den Fürsten und seine Begleiter hoffähig zu machen. Sie wohnten den Neujahrsfestlichkeiten der berühmten Karlsschule bei, und bei dieser Gelegenheit zuerst sah der zwanzigjährige Schiller, dem schon die Räuber im Kopf lagen, den Dichter des Götz und Werther.

Nach viermonatlicher Abwesenheit kehrten sie am 13. Januar 1780 nach Weimar zurück. Der Herzog sowohl wie der Dichter, beide hatten sich sehr zu ihrem Vortheil verändert. Goethe schrieb damals in sein Tagebuch: »Ich fühle nach und nach ein allgemeines Zutrauen, und gebe Gott, daß ich's verdienen möge, nicht wie's leicht ist, sondern wie ich's wünsche. Was ich trage an mir und andern, sieht kein Mensch. Das Beste ist die tiefste Stille, in der ich gegen die Welt lebe und wachse und gewinne, was sie mir mit Feuer und Schwert nicht nehmen können.« Er krystallisirte sich allmälig, gewann allmälig die volle Herrschaft über sich selbst. »Ich will Herr über mich selbst sein; Niemand als wer sich selbst verleugnet, ist werth zu herrschen und kann herrschen.« Aber bei der leichten freien Sinnesart, die ihm die Natur mitgegeben, war das nichts Leichtes; Wein und Weiberthränen, fühlte er, gehörten zu seinen Schwächen:

Ich könnte viel glücklicher sein,
Gäb's nur keinen Wein
Und keine Weiberthränen.

Weder vom einen noch vom andern konnte er sich ganz frei machen. Als Rheinländer war er von Jugend auf an den Reiz des Weines gewöhnt, als Dichter war er nie fest gegen die Zauberei der Weiber. Aber ebensowenig wie er jemals beim Wein den Kopf verlor, ebensowenig gab er sich jemals einer Frau ganz hin: nie wurde der Reiz zum Rausch.

So sehen wir seine Leidenschaft für Frau von Stein fortdauern, aber sie kühlt sich etwas ab. Zu lieben war ihm Bedürfniß, aber hier liebte er vergebens, und allmälig beruhigte er sich zu stiller Neigung. Auch kam er nun mit Corona Schröter in ein immer näheres Verhältniß, und seine eifrige Betheiligung an theatralischen Aufführungen war nicht nur eine angenehme Erholung von dem schweren Druck seiner Amtsgeschäfte, sondern er machte dabei auch Vorstudien zum Wilhelm Meister, dessen erste Keime sich damals bildeten. Das Theatralische, meinte er, sei noch eins von den wenigen Dingen, an denen er noch Kinder- und Künstlerfreude habe.

Als eine Folge seiner veränderten ernsteren Haltung darf es angesehen werden, daß Herder, der sich bis dahin kalt zurückgehalten hatte, ihm näher trat. Diese erneuerte Freundschaft mit Herder regte in Goethe das Verlangen an, Lessing, dessen Bekanntschaft er in Leipzig versäumt hatte, zu besuchen; schon war die Reise nach Wolfenbüttel angesetzt, als die Trauerkunde kam, der große Kämpfer sei zur Ruhe gegangen: Lessing war todt.

Von wesentlicher Bedeutung für die damalige Wandlung Goethe's ist es, daß zu gleicher Zeit der leidenschaftliche Betrieb seiner naturwissenschaftlichen Studien eintrat. Schon früher hatte er sich zu wiederholten Malen, aber fahrig und ohne Ausdauer ihnen zugewandt, doch jetzt nahm er sie mit einem Ernst auf, der sie für den Rest seines Lebens zu einer bewußten und steten Thätigkeit erhob. Er suchte nach einer sicheren Grundlage für seine Ziele, es war natürlich, daß ihn nach einer sichern Grundlage für seinen Geist verlangte, und die konnte ein Geist wie der seine nur im Studium der Natur finden. Als Dichter und als Denker war die Natur Ausgangs- und Endpunkt seiner Strebungen. Ein bloßer Dichter konnte er nicht sein, denn er war ein Deutscher und zwar ein Deutscher des achtzehnten Jahrhunderts, und wie Schiller die Ergänzung seiner dichterischen Thätigkeit in der Philosophie, so suchte sie Goethe in den Naturwissenschaften. Wenn es wahr ist, wie Männer von Fach wohl mit verächtlichem Spott erklären, daß Goethe in der Naturwissenschaft ein Dichter gewesen – was übrigens gegen die Thatsache, daß er in der Wissenschaft groß war und große Entdeckungen machte, nicht das mindeste beweist – so ist es auch nicht minder wahr, daß er ein wissenschaftlicher Dichter ist. Seine Stellung in der Wissenschaft genau darzulegen, bleibe einem späteren (dem zehnten) Abschnitt vorbehalten; hier deuten wir nur den äußern Fortgang seiner Studien an. Büffon's wundervolles Werk, die »Epochen der Natur,« heute zwar durch die Fortschritte der Geologie veraltet, aber an Stil und hohem Gedankengehalt immer noch anziehend, machte auf Goethe den tiefsten Eindruck. Bei Büffon wie bei Spinoza und später bei Geoffroy St. Hilaire fand er eine Weise der Naturbetrachtung, die der seinigen völlig entsprach – die nämlich, das Einzelne zu poetischer Synthese zusammenzufassen. Saussüre, den er auf seiner letzten Reise in Genf kennen gelernt hatte, veranlaßte ihn zum Studium der Mineralogie, und da seine Amtsgeschäfte ihn oft in Verkehr mit Bergleuten brachten, so knüpfte sich ein praktisches Interesse daran, und dies Studium wurde bald zu einer wahren Leidenschaft, sehr zu Herders Aerger, der in seinem Schriftsteller-Eifer ihn fortwährend aufzog, daß er sich an dem tauben Gestein abquäle. Außerdem trieb er Anatomie und besonders Osteologie, die ihn schon in früherer Zeit angezogen hatten, als er für Lavaters Physiognomik die Thierköpfe zeichnete; jetzt studirte er sie in Jena, wohin er zeitweise ging, unter Professor Loder systematisch Brief an Karl August vom 4. November 1781: »Loder hat mir in diesen acht Tagen Osteologie und Myologie demonstrirt. Zwei Unglückliche waren uns eben zum Glück gestorben, die wir denn auch ziemlich abgeschält, und ihnen von dem sündigen Fleische geholfen haben ... Auf den Mittwoch fang ich auf der Akademie Abends an, das Skelet den jungen Leuten zu erklären und sie zur Kenntniß des menschlichen Körpers anzuführen. Ich thue es zugleich um meinet- und ihretwillen.«. Bei diesen Studien mußte er auch sein Zeichentalent oder vielmehr dies ihm fehlende Talent wieder üben. Und so wußte er mitten unter ernsten Geschäften und vielfachen Zerstreuungen, Hoffestlichkeiten, Bällen, Maskeraden und Aufführungen, doch Zeit zu finden zu den umfassendsten Studien. Wie er das fertig brachte, ist ein Räthsel. Er war wie Napoleon ein Riesenarbeiter und nie glücklicher als bei der Arbeit. Noch in späteren Jahren sagte sein Secretär Kräuter von ihm, er sei »der fleißigste Mensch unter der Sonne.«

Damals entwarf er auch den Plan zum Tasso und fing an, ihn in Prosa auszuarbeiten; Wilhelm Meister rückte langsam vor; kleinere Sachen entstanden in großer Zahl. Aber veröffentlicht wurde nichts. Goethe lebte nur für sich und einen kleinen Kreis von Freunden, ohne das Publikum zu bedenken. Auch kümmerte sich das Publikum damals weniger um ihn; es war mit Schillers Räubern beschäftigt, die man in den Bierkneipen bejubelte, in den Salons verdammte, und ein gewisser Küttner konnte 1781 in seinen »Charakteren deutscher Dichter und Prosaisten« nicht mit Unrecht sagen, daß die Lobpreisungen, welche trunkene Bewunderer einst für Goethe erhoben hätten, verstummt seien. Schäfer I, 319. Inzwischen wuchs auch Egmont heran und nahm eine von der ursprünglichen Anlage ganz verschiedene Gestalt an.

In alle Einzelheiten seines damaligen Lebens, wie sie in den Briefen, namentlich an die Stein, so reichlich vorliegen, ist es nicht nöthig einzugehen. Nur vielen Raum würden sie wegnehmen, das nähere Verständniß des Mannes wenig fördern. Ein langsamer Fortschritt zu einem ernsteren und entschiedeneren Lebensplan ist in allen gleichmäßig zu erkennen. Am 27. Mai 1782 starb sein Vater, nicht eben betrauert; der Herzog z. B. meldete den Todesfall an Merck mit den Worten, der alte Goethe sei »ja nun abgestrichen und die Mutter könne endlich Luft schöpfen.« Auch dem Dichter kam die Erbschaft aus des Vaters Nachlaß zu Statten. Am 1. Juni vertauschte er nach langem Widerstreben und mit tiefem Bedauern sein Gartenhaus, sein liebes Gartenhaus, das freilich für glücklich einsame Stunden immer sein Zufluchtsort blieb, mit einer städtischen Wohnung, die zu seiner Stellung und seinen Berufsgeschäften besser paßte. Die Herzogin Amalie schenkte ihm einen Theil der Möbel. Bald darauf wurde er durch ein kaiserliches Diplom geadelt, und von nun an ist er Herr von Goethe. Lange hatte er sich gegen die Erhebung in den Adelsstand gewehrt, aber die Herzogin Mutter hatte ihn zu bereden verstanden; als das Diplom ankam, war es für niemanden eine Ueberraschung, und der Dichter selbst »nahm es so hin.« Mehr Aufsehen machte die plötzliche Entlassung des Kammerpräsidenten von Kalb, dessen Geschäftsführung nicht ganz in Ordnung befunden worden, und die, wie es hieß, einstweilige Übertragung seines Postens an Goethe, der indeß seine Stelle im geheimen Rath zugleich beibehielt.

Für uns ist sein Verhältniß zum Herzog und zu Frau von Stein von größerer Wichtigkeit. In den Briefen an diese aus den Jahren 1781 und 1782 zeigt sich ein bemerkenswerther Wechsel. Der ruhiger gewordene Ton erhebt sich wieder zu Wärme und Leidenschaft; aus jedem Laute spricht der glücklich Liebende. Da die Briefe der Stein selbst vernichtet sind und andere Zeugnisse fehlen, so läßt sich dieser Wechsel nicht mit Sicherheit erklären. Möglich, daß eine sechsjährige Probezeit sie von seiner Treue überzeugt hatte; möglich, daß sie auf Corona Schröter eifersüchtig wurde; möglich, daß sie fürchtete, ihn ganz zu verlieren – genug, die Thatsache steht fest: er war endlich glücklich. Vgl. das kleine Gedicht »Der Becher.« Der Dichter sitzt, einen Becher in den Händen, aus welchem er süßen Wein schlürft. Amor tritt hinzu:
»Freund, ich kenn' ein schöneres Gefäße,
»Werth, die ganze Seele drein zu senken;
»Was gelobst Du, wenn ich Dir es gönne,
»Es mit anderm Nektar Dir erfülle?«

O, wie freundlich hat er Wort gehalten,
Da er, Lida, Dich mit sanfter Neigung
Mir, dem lange Sehnenden, geeignet!

Wenn ich Deinen lieben Leib umfasse
Und von Deinen einzig treuen Lippen
Langbewahrter Liebe Balsam koste,
Selig sprech' ich dann zu meinem Geiste u. s. w.

Lida ist bekanntlich Frau von Stein. Anm. des Uebers. Der außerordentliche Zauber, mit dem sie ihn gefesselt hielt, die tiefe und unablässige Verehrung, die er ihr widmete, die vollständige Identificirung all seiner Gedanken und Strebungen mit ihrem geistigen Dasein, das alles läßt sich nur nach sorgfältiger Lesung seiner Briefe würdigen. Hier müssen wenige Stellen genügen: »O Du Beste. Ich habe mein ganzes Leben einen idealischen Wunsch gehabt, wie ich geliebt sein möchte, und habe die Erfüllung immer im Traume des Wahns vergebens gesucht; nun, da mir die Welt täglich klarer wird, find' ich's endlich in Dir auf eine Weise, daß ich's nie verlieren kann« (20. März 1782). – »Liebste was bin ich Dir nicht schuldig. Wenn Du mich auch nicht so vorzüglich liebtest, wenn Du mich nur neben anderen duldetest, so wäre ich Dir doch mein ganzes Dasein zu widmen verbunden. Denn hätt' ich auch ohne Dich je meinen Lieblingsirrthümern entsagen mögen! Könnt' ich auch wohl die Welt so rein sehen, so glücklich mich drinnen betragen, als seitdem ich nichts mehr drinnen zu suchen habe?« (9. April.) – »Wie eine süße Melodie uns in die Höhe hebt, unsern Sorgen und Schmerzen eine weiche Wolke unterbaut, so ist mir Dein Wesen und Deine Liebe. Ich gehe überall herum bei allen Freunden und Bekannten als wenn ich Dich suchte; ich finde Dich nicht und kehre in die Einsamkeit zurück.« (25. August.)

Während er so selbst glücklich war und sich mehr und mehr abklärte, trübte sich ab und zu sein Verhältniß zu dem jungen Herzog, der noch nicht durch den wirren Drang der Jugend sich durchgearbeitet hatte. Aus dem Briefwechsel zwischen beiden kann man sich überzeugen, daß Goethe, der in der ersten Zeit ihres Zusammenseins zu ihm wie zu einem jungen Freunde völlig auf gleichem Fuße gestanden hatte, sich mit ihm duzte und auf alle Tollheiten augenblicklicher Einfälle einging, nun allmälig einen respektvolleren Ton anschlug und die ernste Haltung eines älteren Freundes und Führers annahm. Karl August behielt das brüderliche Du gegen Goethe sein Leben lang bei, aber dieser zog sich mit den Jahren immer mehr in die Weise des Rathes und Ministers zurück. Nicht daß seine Neigung für den fürstlichen Freund abgenommen hätte, aber je ernster er im Leben wurde, desto mehr hielt er auf die Formen des Lebens. Auch mochte die Rücksicht auf die Herzogin Louise dabei mitwirken, für die er eine zärtliche Bewunderung, wie Tasso für die Prinzessin, hegte. Ihre edle, würdevolle, nur etwas kalte Natur, ihre Seelengröße und die Grazie ihres Geistes rührten ihn gewiß um so mehr, als er das Unglück ihres Lebens kannte und mitfühlte. Oft war er zu seinem Schmerz Zeuge von kleinen häuslichen Zwistigkeiten und mußte dem Herzog wegen seiner gelegentlichen Derbheit Vorstellungen machen.

Aus den Briefen an die Stein ergiebt sich, daß Goethen bisweilen die Geduld ausging über den Herzog, dessen Unarten er beklagen muß, obwohl er seine guten Seiten zu schätzen weiß. Die »Knoten in dem Strange seines Wesens,« meint er mit einem bezeichnenden Bilde, seien »einer ruhigen gleichen Aufwicklung des Fadens« sehr hinderlich. »Mich wundert nun gar nicht mehr, daß Fürsten meist so toll, dumm und albern sind; nicht leicht hat einer so viel verständige und gute Menschen um sich und zu Freunden als er, und doch will's nicht nach Proportion vom Flecke, und das Kind und der Fischschwanz gucken, ehe man sich's versieht, wieder hervor. Das größte Uebel hab ich auch bemerkt. So passionirt er fürs Gute und Rechte ist, so wird's ihm doch weniger darinnen wohl als im Unschicklichen; es ist ganz wunderbar, wie verständig er sein kann, wie viel er einsieht, wie viel er kennt, und doch wenn er sich etwas zu Gute thun will, so muß er etwas Albernes vornehmen, und wenn's das Wachslichterzerknaupeln wäre. Leider sieht man daraus, daß es in der tiefsten Natur steckt und daß der Frosch für's Wasser gemacht ist, wenn er gleich auch eine Zeit lang sich auf der Erde befinden kann.« Eine andere Stelle zeigt uns, daß der »feile Fürstenknecht,« der »servile Hofmann« dem Herzoge mit den ernstesten Vorstellungen zu Leibe geht. »Hierbei ist eine Epistel (schreibt er der Stein): Wenn Sie meinen, so schicken Sie das Blatt dem Herzog, reden Sie mit ihm und schonen Sie ihn nicht. Ich will nichts als Ruhe und daß er auch weiß, woran er ist. Sie können ihm auch sagen, daß ich Ihnen erklärt hätte, keine Reise mehr mit ihm zu thun. Mach es nach Deiner Klugheit und Sanftheit.« Die nächste kleine Reise machte der Herzog auch wirklich ohne Goethe, doch verständigten sie sich nachher wieder und die Drohung ging weiter nicht in Erfüllung. Von der Aussöhnung schreibt Goethe zwei Monate darauf: »Mit dem Herzog habe ich eine sehr sinnige Unterredung gehabt. In dieser Welt, meine Beste, hat niemand eine reichere Erndte, als der dramatische Schriftsteller. Und die Weisen sagen: Beurtheile niemand bis du an seiner Stelle gestanden hast.« Später klagt er wieder, daß der Herzog selbst das Rechte auf unrechte Weise thue. »Der Herzog ist vergnügt und gut, nur find ich den Spaß zu theuer; er füttert achtzig Menschen in der Wildniß (bei Eisenach auf einer Jagd), plagt und ennuyirt die seinigen und unterhält ein Paar schmarutzende Edelleute aus der Nachbarschaft, die es ihm nicht danken. Und das Alles mit dem besten Willen sich und andere zu vergnügen. Gott weiß ob er lernen wird, daß ein Feuerwerk um Mittag keinen Effekt thut. Ich mag nicht immer der Popanz sein, und die andern fragt er weder um Rath noch spricht er mit ihnen was er thun will.« Auch im folgenden Jahre (1782) fehlt es nicht an ähnlichen Ergüssen: »Die Herzogin ist so angenehm als man sein kann, der Herzog ist wacker und man könnte ihn recht lieben, wenn er nicht durch seine Unarten das gesellige Leben gerinnen machte und seine Freunde durch unaufhaltsame Waghalsigkeit nöthigte, über sein Wohl und Wehe gleichgültig zu werden. Es ist eine kuriose Empfindung, seines nächsten Freundes und Schicksalsverwandten Hals und Arm und Beine täglich als halb verloren anzusehen und sich darüber zu beruhigen ohne gleichgültig zu werden.« Und zwei Tage darauf: »Der Herzog geht auf Dresden, er hat mich gar gut eingeladen, mit zu gehn oder zu folgen, ich werde aber wohl bleiben ... Die Anstalten zur Dresdner Reise sind mir zuwider. Der Herzog macht sie auf seine Art, d. h. nicht immer die nächsten und disgustirt einen nach dem andern. Ich bin ganz ruhig, denn es ist nicht zu ändern und es freut mich nur, daß es keine Fürstenthümer gilt, um welche oft mit dergleichen Karten gespielt wird.«

Durch dergleichen gelegentliche Ausbrüche kleinen Zwistes litt indeß die wirkliche Achtung nicht, welche er vor dem Herzog hatte. Er verzeihe ihm seine Thorheiten, schreibt er, weil er sich seiner eignen erinnere. In dem Bewußtsein, daß er jeden Augenblick Freiheit habe, anspannen zu lassen und von Weimar wegzugehen, fühlt er sich zufrieden und sicher, obwohl er immer deutlicher erkennt, daß ihn die Natur zum Schriftsteller und nur dazu bestimmt habe. Eine »reinere Freude als jemals« gewährt es ihm, wenn er »etwas nach seinen Gedanken gut geschrieben« hat; er fühlt sich »recht zu einem Privatmenschen geschaffen« und begreift nicht, wie ihn »das Schicksal in eine Staatsverwaltung und eine fürstliche Familie habe einflicken mögen.« Je klarer er sich über die wahre Aufgabe seines Lebens wird, desto glücklicher wird er. Man kann sich denken, mit wie eigener Empfindung er in solcher Stimmung den Werther neu herauszugeben unternahm und nach zehn Jahren zum ersten Male wieder dies Jugendwerk las. Einiges änderte er darin, namentlich in dem Verhältnisse von Albert zu Lotte; auch schaltete er damals die Erzählung von dem Bauernknechte ein, der aus Eifersucht einen Todtschlag begeht. Bemerkenswerth ist bei dieser Bearbeitung noch ein Umstand, den Schöll in seinen vortrefflichen Anmerkungen zu den Briefen an die Stein hervorgehoben hat. Herder, den Goethe zu Rathe zog, machte ihn auf einen angeblichen Fehler in der Composition aufmerksam, und zwar auf denselben, den zwei und zwanzig Jahre nachher Napoleon tadelte, daß nämlich Werthers Selbstmord theils die Folge vergeblichen Ehrgeizes, theils unerwiderter Liebe sei – ein Fehler übrigens, den ich trotz Herder und Napoleon, trotz Goethe's eigener Zustimmung nicht für einen Fehler zu halten mir erlaube, wie ich bei Gelegenheit der Zusammenkunft Goethe's mit Napoleon (Buch 7, Abschn. 4) genauer darthun werde.



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