Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel XXX.
Schluß.

Der spaltenlange Artikel, der in einem einzigen Londoner Morgenblatt erschien, erregte ungeheures Aufsehen. Die Abendzeitungen des ganzen Landes druckten ihn teilweise ab, und er wurde das Tagesgespräch von England in den Klubs und auf der Straße, vor allem aber in den höheren Kreisen der Gesellschaft.

Daß das bedeutendste Informationsbüro der Hauptstadt, eine Agentur, die das allgemeine Vertrauen genoß und vom hohen und niederen Adel aufgesucht wurde, sich plötzlich als das Hauptquartier einer Bande von Schurken und Erpressern erwiesen hatte, war für die »Gesellschaft« ein schwerer Schlag.

Dieser Schlag traf sie um so härter, als Klienten der sogenannten »Londoner Geheimagentur« dem ehrwürdigen alten Herrn, der sich Alix Stothert nannte, Geheimnisse über sich selbst, wie auch über ihre Freunde und Verwandten anvertraut hatten, die sie um keinen Preis verraten hätten, wenn ihnen die Möglichkeit ihrer Enthüllung auch nur im Traum eingefallen wäre. Und jetzt ergab sich zu ihrem Schrecken, daß wenigstens ein Dutzend »hochachtbarer« Mitglieder der höheren Gesellschaft zugleich aktive Mitglieder der Verbrecherclique waren, die jetzt überall die »Erpresserbande« hieß.

Kein Wunder, daß die »Londoner Geheimagentur« über die intimen Angelegenheiten aller derjenigen, die zum Stadt- oder Landadel gehörten oder überhaupt in der Gesellschaft eine Rolle spielten, eine so profunde Kenntnis besaß! Die »Methoden« der Agentur waren so außerordentlich einfach! Sie bestanden einerseits darin, daß jedem brauchbaren Klienten möglichst viele kompromittierende Mitteilungen sowohl über seine eigene Person als auch über Freunde und Bekannte entlockt wurden. Diese Informationen wurden nachgeprüft und ergänzt, und ein geschickter Komplize bedrohte dann die unglücklichen Opfer mit Veröffentlichung des ganzen Materials, wenn sie sich weigerten, ein hohes Schweigegeld zu zahlen.

Ein anderes, ebenso einträgliches Verfahren bestand in dem geheimen Vertrieb des seltsamen chinesischen Schlafmittels, das von Alphonse Michaud eingeschmuggelt wurde, und dessen Käufer hinterher große Summen zahlen mußten, um einer Anzeige bei den Behörden zu entgehen.

Außerdem verabreichten Michaud und andere Mitglieder der Bande das Gift selbst in besonderer Weise, sodaß es dem Betäubten die Erinnerung an die Erlebnisse nahm, die der Betäubung unmittelbar vorangingen. Es war, wie in dem Zeitungsartikel geschrieben stand, ein narkotisches Mittel von höchst komplizierter Zusammensetzung und konnte mit Parfums versehen werden, war aber an sich farb- und geruchlos, sodaß es ganz unbemerkt eingeflößt werden konnte. Daher kam es, daß einige Mitglieder der Bande es gegen andere Mitglieder verwendet hatten, wenn es ihnen einen Gewinn versprach.

Das schien zum Beispiel mit Archie La Planta geschehen zu sein, als er während der Vorstellung im Alhambratheater aus der Loge hinausgerufen wurde. Er war einem ihm bekannten Mitglied der Bande in dessen Wohnung gefolgt, wo er bei einem Glas Whisky eingeschläfert wurde. Am nächsten Morgen hatte er alles vergessen.

Er sollte auf diese Weise von Jessicas Abendgesellschaft ferngehalten werden, auf der dasselbe Bandenmitglied, aber unter Beihilfe einer Frau, Jessica betäubte. Diese Frau nahm ihr später ungesehen den Schlüssel ab, mit dem sie das Safe öffnete, und stahl nicht nur die Wertsachen, sondern auch die Briefe von Cora und Sir Lethbridge, die sich darin befanden. Diese Schriftstücke hatte Jessica sich kurz vorher dadurch zu verschaffen gewußt, daß sie entlassene Dienstboten von Cora und Sir Stephen bestach, in der Absicht, später einmal Geld von Cora zu erpressen. Aber die Frau, die Jessica bestahl, hatte diesen Plan selbst zur Ausführung gebracht und Cora den anonymen Brief geschrieben. Das alles war bei der Voruntersuchung ans Tageslicht gekommen.

Und so ging es fort. Ueberall erwies sich, daß Klienten des »Hauses mit dem Bronzegesicht« und intime Freunde von Jessica, Stapleton, La Planta und anderen Mitgliedern der Bande Erpressungsversuchen ausgesetzt worden waren, während von Zeit zu Zeit eines der Mitglieder selbst der leidende Teil war, wobei dann meist das geheimnisvolle Gift zur Anwendung kam.

Levi Schomberg gehörte zwar nicht zu der Bande, aber einer seiner Klienten hatte ihm gegen teilweise Erlassung seiner Schulden die ganze Organisation der Verbrecherbande aufgedeckt und der Wucherer hatte nun seinerseits Stapleton und Jessica mit gerichtlicher Anzeige bedroht, wenn sie ihm nicht zahlten, was er verlangte.

Sein Tod war in der Voruntersuchung noch nicht völlig aufgeklärt worden, La Planta gab zwar zu, ihn mit dem Schlafmittel betäubt zu haben, schwor aber, daß er nicht die Absicht hatte, ihn zu vergiften. Entweder er mußte sich in der Dosis des Giftes versehen haben, die er ihm in einem Glas Whisky eingegeben hatte, oder Schomberg mußte – so meinte er – ein schwaches Herz gehabt haben. Darüber wurde noch ein Gutachten des Sachverständigen, Doktor Johnson, erwartet. Uebrigens hatte La Planta, wie er sagte, das Gift auf Stapletons Veranlassung verabreicht, der ihm auch die fertige Dosis mit der Bemerkung übergab, es wäre die richtige Menge. Ob es sich wirklich so verhielt oder nicht, war schwer zu entscheiden, besonders da die eigentliche Gerichtsverhandlung mit dem Kreuzverhör der Angeklagten und ihrer Gegenüberstellung noch bevorstand.

Dagegen war Hopford wohl imstande, einigen Freunden, die ihn über Captain Prestons Erfahrungen befragten, genügende Auskunft zu geben. Preston war in Henley in die Hände von Schurken geraten, die ihm die Wahl stellten, entweder mit seiner Braut einen gegen Cora Hartsilver gerichteten Erpressungsversuch zu unterstützen oder selbst finanziell ruiniert zu werden.

»Aber auf welche Weise? Was hat er sich denn zu Schulden kommen lassen?« war die allgemeine Frage.

»Natürlich nichts Unehrenhaftes,« erklärte Hopford. »Er könnte nicht unehrenhaft handeln, auch wenn er es wollte. Aber er scheint vor Jahren für einen Offizier, den er für seinen Freund hielt, zwei Wechsel unterschrieben zu haben. Der Kerl erwies sich als ein Schurke, mußte seinen Abschied nehmen, trat mit der Verbrecherbande in Verbindung und fälschte die beiden Wechsel auf einen weit höheren Betrag. Und wenn er sich weigerte, das Komplott gegen Mrs. Hartsilver zu unterstützen – es handelte sich um kompromittierende Briefe, die sie geschrieben hatte – so sollten die Wechsel sofort präsentiert werden. Kein Wunder, daß der arme Mann in der letzten Zeit so krank aussah! Wer weiß, wieviele Selbstmorde die »Agentur« auf dem Gewissen hat! Wir werden immer nur einen Teil aller Verbrechen kennen, die sie verübt hat oder verüben wollte.«

Einige Tage später brachten die Zeitungen eine interessante Nachricht, die sich auf den Diamantenraub in Amsterdam bezog, von dem wiederholt die Rede war. Die Verhaftung von Archie La Planta in London im Zusammenhang mit den Verbrechen der »Geheimagentur«, hatte die Aufmerksamkeit der Amsterdamer Polizei auf sich gezogen. Sie hatte sich, so hieß es im Bericht, an die Londoner Polizei gewandt, die ihrerseits einen gewissen Major Guysburg ersucht hatte, nähere Angaben über zwei Personen zu machen, die noch zur Zeit in Amsterdam wohnhaft waren. Der eine hatte, als der Diamantenraub geschah, mit La Planta zusammengewohnt und war jetzt als Zeuge gegen ihn aufgetreten, der andere war vor Jahren Alphonse Michauds Privatsekretär gewesen. Nach mancherlei Schwierigkeiten und Verzögerungen juridischer Art gelang es schließlich, Michaud zu überführen. Er hatte tatsächlich die Steine gestohlen, die von ihm selbst vorher hoch versichert worden waren, und nach dem Diebstahl die volle Versicherungssumme eingesteckt.

Und so hatten sich die Wolken, die Yoothas und Coras Glück und auch das Glück von Preston und Johnson verfinsterten, endlich verzogen. Sie hatten alle vier beschlossen, die Doppelhochzeit gegen Ende des Monats zu feiern, und waren jetzt mit dem Einkauf der Ausstattung, der Beantwortung von Glückwunschbriefen, dem Empfang von Geschenken und vielen anderen Dingen beschäftigt, die sorgsame Brautpaare gewöhnlich stark in Anspruch nehmen. George Blenkiron hatte seinem alten Freund Charles Preston versprochen, sein Brautführer zu sein. Uebrigens wollte dieser auf die militärische Laufbahn verzichten, da das Leben eines Offiziers in Friedenszeiten ihn, wie er sagte, zu Tode langweilen würde.

Harry Hopford hatte Johnson gebeten, die Dienste des Brautführers bei seiner Hochzeit übernehmen zu dürfen. Johnson vermutete und Cora wußte, daß Hopford selbst von »der schönen Witwe,« wie sie allgemein genannt wurde, sehr entzückt war. Aber er war klug genug gewesen, den Gedanken, sich selbst um ihre Hand zu bewerben, von vornherein auszuschließen.

»Ich bedaure jede Frau, die einen Journalisten oder Literaten heiratet,« sagte er sich einmal bei einer Zigarre, deren Rauch er melancholisch in die Luft blies. »Wir Skribenten mögen unsere guten Seiten haben, aber ich glaube, unsere chronische Reizbarkeit, unser Mangel an seelischem Gleichgewicht wiegen sie reichlich auf, von unserer Unbeständigkeit Frauen gegenüber gar nicht zu reden. Wenn ich eine Frau wäre, so würde ich jedenfalls lieber einen Börsianer oder Rechtsanwalt heiraten, als einen Mann, der sein Brot mit der Feder verdient. Solche Leute geben doch ihren Frauen eine gewisse Chance, mit ihnen in Frieden leben zu können, während wir –«

Er zuckte lächelnd die Achseln und mischte sich ein neues Glas Whisky und Soda zurecht. Trotz allem wollte es ihm nicht gelingen, Cora Hartsilvers Bild zu vergessen. Plötzlich erklang das Telephon und er ergriff den Hörer.

Ein Feuer war in Smithfield ausgebrochen und breitete sich schnell aus – ein Großfeuer – Dampfer eilten von allen Seiten an die Unglücksstätte – ja, eine halbe Spalte oder womöglich eine ganze – ja, nicht später als Mitternacht. –

Er nahm sein Notizbuch und steckte es ein, drehte das Licht aus und stieg die Treppe hinunter. Eine Autodroschke fuhr vorbei, als er auf die Straße trat. Er rief sie an.

»Ja,« sagte er, als er schnell die Oxford Street entlang fuhr, »die Frau eines Journalisten muß ein Hundeleben führen!«

*

Am Abend vor der gemeinsamen Hochzeit saßen die beiden glücklichen Paare mit ihren Brautführern, Hopford und Blenkiron, im Grillroom des Piccadilly beim Souper. In nicht allzugroßer Nähe spielte das Orchester ein beliebtes Stück; rund um sie herum sprachen und lachten die anderen Gäste, und die Kellner eilten, mit Schüsseln oder Weinflaschen beladen, hin und her, als hinge ihr Leben an ihrer Schnelligkeit.

Plötzlich näherte sich der Geschäftsführer, mit einem breiten Lächeln auf dem freundlichen Gesicht. Er trat an Preston heran.

»Auf Mr. Hopfords Wunsch,« sagte er, »habe ich soeben sechs Offiziere des Devonregiments, die eben in einem Privatzimmer speisen, davon in Kenntnis gesetzt, daß Sie und die Damen und Herren hier soupieren. Ebenfalls auf seinen Wunsch habe ich ihnen noch weiteres mitgeteilt.«

Sein Lächeln wurde noch breiter.

»Und die Offiziere lassen gratulieren, und hoffen, daß Sie und Ihre Freunde, sobald es Ihnen paßt, sich zu ihnen in ihr Zimmer begeben werden.«

»Wie heißen die Herren?« fragte Preston.

Der Geschäftsführer nannte die Namen.

»Donnerwetter!« rief Preston aus. »Das ist ja mein alter Oberst und fünf meiner besten Kameraden – wir waren alle zusammen in Frankreich. Ich habe sie so lange nicht gesehen!«

Er wandte sich an den Geschäftsführer:

»Bitte sagen Sie den Herren, daß wir die freundliche Einladung annehmen und gleich hinaufkommen ... Harry, du Schurke, wie hast du erfahren, daß diese Offiziere hier speisen?«

»Der reine Zufall; während ich heute morgen auf der Suche nach Neuigkeiten war. Zuerst hatte ich den Gedanken, Ihren alten Oberst gleich in der Frühe aufzusuchen. Dann fiel mir ein, daß sie hier speisen, und es schien mir besser und weniger formell, wenn ich sie beim Essen davon benachrichtigte, daß Sie morgen Hochzeit feiern, und daß wir alle heute abend hier sind. Ich wußte, daß sie sich freuen würden, Sie wiederzusehen.«

Er warf einen Blick auf Yootha.

»Was gibt es?« fragte er, denn sie war plötzlich ernst geworden.

»Gar nichts,« erwiderte sie mit gezwungenem Lächeln, obwohl ihre feuchten Augen ihre Worte Lügen straften. »Ich dachte an meine Brüder, die beide noch in Mesopotamien sind und wahrscheinlich dort bleiben werden. Ich habe sie seit mehr als zwei Jahren nicht wiedergesehen und hätte sie heute abend so gerne hier. Das würde mich ganz glücklich machen.«

»Machen Sie sich darüber keine Sorgen,« antwortete Hopford und zwinkerte schlau mit den Augen. Zeitungen haben zuweilen auch ihr Gutes. Ich habe heute abend in meinem Redaktionsbureau erfahren, daß das Regiment in die Heimat zurückkehrt, so daß Sie Ihre Brüder wahrscheinlich in London finden werden, wenn Sie von Ihrer Hochzeitsreise zurückkehren. Es sei denn,« fügte er mit schalkhaftem Lächeln hinzu, »daß sie sich direkt nach Cumberland begeben, um bei Ihrem Vater und Ihrer teuren Stiefmutter zu bleiben.«

 

* * *

 


 << zurück