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Kapitel XXIV.
In Paris.

Paris hatte sich seit dem Kriege sehr verändert. Das fröhliche Treiben der Boulevards das vor dem Jahre 1914 der Stadt ein so charakteristisches Gepräge gab, hatte, beträchtlich nachgelassen. Die Pariser machten im allgemeinen einen viel ernsteren Eindruck.

Hopford und Johnsons Freund, Idris Llanvjar, bei dem er wohnte, unterhielten sich eines Morgens in Paris über diese Beobachtung und andere Dinge, als Hopfords Kollege, der am »Matin« beschäftigt war, sich zu ihnen gesellte. Es war ein großer, schlanker, gut aussehender Mann, mit den gewinnenden Manieren, die den Nachkommen des alten französischen Adels eigen sind. Er lüftete seinen Hut, als er an ihren Tisch herantrat – sie saßen draußen vor einem Café auf dem Boulevard des Italiens – und entschuldigte sich dann in geläufigem Englisch, etwas verspätet zu sein.

»In den Bureauräumen des ›Matin‹, sagte er, war Feuer ausgebrochen und das Blatt wäre beinahe nicht erschienen. Aber dank der Liebenswürdigkeit des ›Journal des Debats‹, das uns seine Druckerei zur Verfügung stellte, kam alles im letzten Augenblick wieder in Ordnung.«

Er schenkte sich ein Glas Wein aus der Flasche ein, die auf dem Tisch stand, und fuhr dann fort: »Ich habe Ihnen beiden einen Vorschlag zu machen, meine Herren. Wenn Sie darauf eingehen, so könnten wir vielleicht zu wichtigen Ergebnissen kommen. Wir haben uns zu dreien zusammengefunden, um gewisse Entdeckungen zu machen, deren Veröffentlichung im Falle des Erfolges eine Art Sensation bewirken würde. Ich habe meinem Freunde Hopford schon gesagt, daß ich über gewisse Vorgänge hier in Paris unterrichtet bin, die mit manchem, was sich in der letzten Zeit in London ereignet hat, in engem Zusammenhang stehen müssen. Nun gehören zwei meiner hiesigen Freunde der Geheimpolizei an und sind über alles, was die Unternehmungen und Methoden des internationalen Verbrechertums betrifft, vollkommen unterrichtet. Es sind ein Herr und eine Dame, die heute abend zu mir kommen. Ich hoffe, daß Sie beide mir gleichfalls die Ehre erweisen werden, damit wir gemeinsam die ganze Sache besprechen können. Ist Ihnen das recht?«

So fanden sich, zu später Stunde, in einem kleinen Zimmer eines jener hübschen, niedrigen Häuser, die dem Besucher des Quartiers Latin wohlbekannt sind, vier Männer und eine Frau zusammen, die alle mit ungewöhnlichem Scharfsinn und den Eigenschaften begabt waren, die ein geschickter Geheimpolizist und ein erfolgreicher Zeitungsreporter besitzen muß.

Die Dame war eine Frau von etwa achtundzwanzig Jahren und seltsamen Aussehen. Sie trug kurzes Haar und hatte ein blasses Gesicht, feine, festgeschlossene Lippen und dunkle, äußerst intelligente Augen. Sie stand, wie Hopfords Freund erzählte, in dem Ruf, alle anderen Pariser Geheimagenten an Ausdauer und Energie zu übertreffen. Während des Krieges, sagte er, war es ihr gelungen, nicht weniger als sieben Spione zur Verantwortung zu ziehen und zu überführen.

Hopford hatte eben der Versammlung über alle Vorfälle in London berichtet, die dem Leser bekannt sind, und zündete sich eine neue Zigarre an, als die Geheimagentin nach einer kurzen Pause, die Frage stellte:

»Wann hat sich Madame Vandervelt aus dem Fenster gestürzt?«

Hopford, der alle Daten im Kopf hatte, gab ihr die gewünschte Auskunft.

»Ich habe Leonora Vandervelt gekannt,« sagte sie.

»Sie lebte damals unter einem anderen Namen in der Nähe der Madeleinekirche. Als ich hinter ihre Schliche gekommen war, ließ ich sie verhaften, und sie kam auf ein Jahr ins Gefängnis, obgleich sie drei Jahre verdient hätte. Nach ihrer Entlassung ging sie ins Ausland und ich verlor sie aus den Augen. Das ist das erstemal seit jener Zeit, daß ich wieder von ihr höre. Eine Zeitlang war sie mit Angela Robertson aus Shanghai eng befreundet. Dann sind sie im Streit auseinandergegangen und Angela, die Sie Jessica Mervyn-Robertson nennen, erklärte in meinem Beisein, daß sie Rache nehmen würde – wofür, wußte ich nicht. Das alles geschah natürlich, bevor die Vandervelt ins Gefängnis kam. Sie sagen mir, daß sie sich das Leben genommen hat – nun, ich weiß, wer sie dazu brachte. Es war Angela Robertson.«

»Wie können Sie das wissen?« fragte Hopford, der ihren Worten mit Aufmerksamkeit gefolgt war.

»Sie werden es bald erfahren. Wissen Sie, wie Mrs. Robertson zu ihrem Reichtum gelangt ist?«

»Vielleicht durch Erpressungsversuche?« erwiderte Hopford schnell.

»Sie haben richtig vermutet. Sie und ihre Gefährten, Stapleton und La Planta gehören zu den schlauesten und hartnäckigsten Erpressern, die ich kenne. Sie haben ihr Handwerk in allen Hauptstädten des Kontinents ausgeübt und sich in London niedergelassen, weil es dort am meisten einbringt, da Ihre Landsleute viel Geld haben und es sich verhältnismäßig leicht abnehmen lassen. Sie sagen, daß sie vorgibt, Australierin zu sein. Sie ist niemals in Australien gewesen, sondern hat nur eine Schwester, die in Monkarra in Queensland verheiratet ist. Als Mrs. Robertson und Stapleton Shanghai endgültig verließen, gingen sie zuerst nach Amsterdam, wo sie La Plantas Bekanntschaft machten – ein Mann, mit dem man sich gut unterhalten kann, der aber sonst in jeder Beziehung ein Schuft ist. Damals war er Vertreter einer englischen Versicherungsgesellschaft in Amsterdam.«

»Die von Lord Froissart geleitet wurde,« fügte ihr Kollege ein.

»Ja, und La Planta wurde Mrs. Robertson und Stapleton von einem gewissen Alphonse Michaud vorgestellt, über den ich zunächst schweigen möchte. Zuletzt lebten alle vier in einem Hotel in der Kalverstraat.«

»Im Augenblick befinden sie sich in Dieppe. Mrs. Robertson und ihre Gefährten tun, als wären sie mit Alphonse Michaud nicht bekannt. Sie müssen ihre Gründe haben,« bemerkte der andere Geheimagent. »Ich kehre eben von dort zurück.«

»Es sind viele Engländer dort,« bemerkte Hopford. »Ein Freund von mir, Captain Preston, ist auch darunter.«

»Wohl Captain Charles Preston, der mit einem jungen Mädchen, namens Yootha Hagerston verlobt ist?« fragte der Geheimpolizist.

»Das ist er,« antwortete Hopford. »Ich habe unter seiner Führung den Krieg durchgemacht und kenne auch Miß Hagerston.«

Der Geheimpolizist blickte auf seine Kollegin.

»Ist das nicht ein Zusammentreffen?«

»So etwas überrascht mich nie,« bemerkte sie trocken und zuckte die Achseln.

»Aber es weist auf weitere Zusammenhänge hin,« erwiderte er.

»Jetzt verstehe ich,« fügte Llanvar ein. »In London existiert seit einiger Zeit eine organisierte Bande, die reichen und angesehenen Menschen beträchtliche Summen Geldes durch direkte oder indirekte Erpressung zu entlocken sucht, nicht wahr?«

»Nicht allein das,« erwiderte die Französin. »Ich weiß aus sicherer Quelle, daß die Mitglieder dieser Bande untereinander Erpressungsversuche machen. Aber ungeachtet ihrer Schlauheit und Geschicklichkeit wird es uns doch hoffentlich jetzt gelingen, sie alle zu entlarven, wenn sie auch zum Teil in der besten Gesellschaft verkehren und ohne Zweifel einflußreiche Freunde haben.«

Als Hopford in der Nacht mit dem Nervenarzt, Idris Llanvar nach Hause ging, war er in gehobener Stimmung. Jeder hatte in der nächtlichen Konferenz einen Ring in die Kette von Beweisen gefügt, die zur Verhaftung der gefährlichen Bande führen sollten.

Auch Llanvar hatte über alles berichtet, was ihm vor Jahren in Shanghai zu Ohren gekommen war. Angela Robertson und ihr Gatte, Fobart Robertson, Macmahon, Stringborg mit seiner Frau Marietta, Stapleton und einige andere bildeten, als sie in dieser Stadt lebten, eine geschlossene kleine Clique, über die schon damals die seltsamsten Gerüchte verbreitet waren. Es hieß vor allem, daß sie den geheimen Export eines sehr starken narkotischen Mittels organisierten, das ganz besondere Eigenschaften haben sollte. Niemand konnte sagen, wohin es ausgeführt wurde, aber man wußte »aus zuverlässiger Quelle,« daß hohe Beamte in Shanghai, Hongkong und anderen Hafenstädten große Summen erhielten, um ein Auge zuzudrücken.

Einmal war sogar ein Eingeborener, der offenbar im Auftrags eines Europäers handelte, an den Arzt herangetreten und hatte ihm große pekuniäre Vorteile in Aussicht gestellt, wenn er »der Form halber« gewisse Schriftstücke unterzeichnen wollte, die ihm heimlich zugestellt werden sollten. Er hatte zum Schein eingewilligt, in der Hoffnung, Näheres zu erfahren. Aber es war ihm nichts mehr bekannt geworden, woraus er schloß, daß die Mitglieder der Clique ihm nicht trauen wollten.

Bevor sie sich zur Ruhe legten, tranken Llanvar und sein Gast im Wohnzimmer des Arztes ein Glas Whisky und Soda und besprachen die Ergebnisse dieses Abends. Plötzlich bemerkte Hopford:

»Ich wundere mich, warum unser Freund Johnson nicht geheiratet hat. Er ist ein so vortrefflicher Mensch, gefällt den Frauen und muß doch recht wohlhabend sein.«

Llanvar schwieg eine Weile.

»Well, ich denke, er hätte nichts dagegen, daß ich es Ihnen sage,« bemerkte er lächelnd, »er hat in dieser Hinsicht eine schlimme Erfahrung gemacht. Ein Mädchen, das er vergötterte, ließ ihn im Stich und heiratete einen reichen Mann, der zugleich Wiscount war. Die Ehe wurde übrigens nach drei Jahren geschieden. Ich weiß nicht, wer die Schuld daran trug, aber ich glaube, er war für Johnson ein Glück, daß dieses Mädchen nicht seine Frau wurde.«

»Das war wohl im fernen Osten.«

»Ja, in Hongkong. Ich glaube, Johnson wird niemals heiraten.«

»Ich glaube das Gegenteil. Ja, ich möchte darauf wetten, daß er in einem Jahr glücklicher Ehemann ist.«

Llanvar sah ihn höchst erstaunt an.

»Nicht möglich!« rief er aus. »Wer ist denn die Dame?«

Hopford machte ein geheimnisvolles Gesicht und sagte lächelnd:

»Eine junge Witwe, die eben zur Erholung in Jersey ist, wo auch Doktor Johnson einige Wochen zu bleiben gedenkt. Mehr darf ich Ihnen nicht verraten.«


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