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Kapitel IV.
Das Bronzegesicht.

Obwohl Archie La Planta seit dem Abschluß des Waffenstillstandes häufig mit Cora Hartsilver zusammengetroffen war, kannte er sie doch nicht näher, und ihre Einladung hatte ihn nicht wenig überrascht. Er glaubte, daß sie eine größere Gesellschaft gebe, und als er an diesem Abend ihre Wohnung betrat, war er erstaunt, zu sehen, daß außer ihm nur Yootha Hagerston eingeladen war. Während er eine leichte Unterhaltung mit den Damen führte, suchte sein lebhafter Verstand zu erraten, welche Gründe Mrs. Hartsilver dazu bestimmt hatten, ihn einzuladen.

Das Essen war ausgezeichnet und La Planta, ein großer Feinschmecker, fühlte sich am Schluß der Mahlzeit höchst behaglich.

»Wann sehen wir Ihre reizende Freundin wieder,« fragte Yootha Hagerston plötzlich in leichtem Ton »Ich finde sie so sympathisch.«

»Was für eine reizende Freundin?«

»Nun, Mrs. Mervyn-Robertson natürlich. Wer könnte es sonst sein?«

La Planta, der dem vortrefflichen Portwein recht fleißig zugesprochen hatte, war sogleich auf seiner Hut. Es fiel ihm ein, daß Mrs. Mervyn-Robertson gesagt hatte, Mrs. Hartsilver und Yootha Hagerston suchten sich durch eine Privatagentur Auskunft über sie zu verschaffen.

War das der Grund der Einladung? Sollten sie ihn ausfragen wollen, wenn auch mit mehr Geschick als Preston vorhin gezeigt hatte?

Er nahm sich zusammen und erwiderte:

»Mrs. Mervyn-Robertson wird sich gewiß immer freuen, Sie zu sehen.« Dann fügte er hinzu: »Sie hat zwar viele Bekannte, aber nur wenige Freunde.«

»Glauben Sie, daß ich sie zum Essen bitten könnte?« fragte Mrs. Hartsilver schnell. »Wir haben uns nur gelegentlich gesehen.«

»Ohne Zweifel. Sie mag keine Zeremonien. Wie die meisten Menschen, die viel gereist sind, hat sie einen weiten Blick.«

»Ach, sie ist viel gereist?« fragte Yootha.

»Wie interessant! Erzählen Sie, wo sie gewesen ist.«

»Sie sollten lieber fragen, wo sie nicht gewesen ist. Sie war, glaub' ich, fast überall.«

»Ich finde sie reizend,« wiederholte Yootha. »Als Mann wäre ich bis über die Ohren in sie verliebt.«

»Manche Männer sind es,« erwiderte La Planta in eigentümlichem Ton. »Aber sie macht sich nicht viel aus Männern im allgemeinen.«

»Sagten Sie nicht, daß sie in China gewesen ist?« fragte Yootha unvermittelt.

»Ich hab' es nicht gesagt – aber sie ist dort gewesen. Sie hat sich längere Zeit in Shanghai aufgehalten.«

»Sie ist Witwe, wie ich höre,« bemerkte Cora.

»Ja.«

»Haben Sie ihren Mann gekannt?«

»Nein. Er ist seit Jahren tot.«

»Aber Sie kennen sie schon lange?«

»Nur zwei Jahre etwa.«

»Ist sie eine richtige Engländerin? Zuweilen scheint mir –«

»Nun?«

»Ich meine, zuweilen hab' ich den Eindruck, daß sie aus der Fremde stammt.«

»Wenn Australien – die Fremde ist,« sagte La Planta in gleichgültigem Ton. »dann hat sie einen ›fremden‹ Akzent. Ihre Eltern waren Australier – Schafzüchter in Queensland.«

»Das erklärt die seltsamen Ausdrücke, die sie zuweilen gebraucht. Es waren gewiß reiche Leute?«

»Wohlhabend, glaub' ich, wenn auch nicht sehr reich.«

»Ihr Vermögen stammt also von ihrem Manne?«

La Planta hatte unter der Einwirkung des Weines mehr oder weniger mechanisch geantwortet. Plötzlich schien er aus seiner Betäubung zu erwachen.

»Sie scheinen sich für Mrs. Mervyn-Robertsons Privatleben sehr zu interessieren, Mrs. Hartsilver, und Sie gleichfalls, Miß Hagerston,« sagte er. »Seltsamerweise hat ein Mann, den Sie kennen – ich habe Sie selbst mit ihm bekannt gemacht – vor einer Stunde bei mir vorgesprochen und ein Kreuzverhör über dieselbe Dame mit mir angestellt. Natürlich, ein bloßer Zufall, aber ein seltsamer Zufall.«

Der Ton, in dem er diese Worte sprach, war beinahe ebenso scharf, wie bei der Antwort, die er Preston gegeben hatte. Mrs. Hartsilver und Yootha Hagerston zuckten zusammen und gingen schnell auf etwas anderes über.

Nach zehn Minuten begaben sie sich ins Wohnzimmer, und bald darauf nahm er, ziemlich unvermittelt, Abschied. Obgleich er mehr getrunken hatte, als gut für ihn war, so wußte er doch, daß er nichts gesagt hatte, was ihn reuen konnte. Er schritt gemächlich über den Portlandplatz und sah sich nach einem Auto um. Dann beschloß er, zu Fuß nach Hause zu gehen.

In der Regent Street sah er sich plötzlich seinem Freund Stapleton gegenüber.

»Du Archie!« rief der letztere aus. »Ich dachte gerade an dich. Speist du nicht bei Mrs. Hartsilver?«

»Ich war bei ihr,« erwiderte La Planta, »aber sie und Yootha Hagerston fielen mir auf die Nerven, und ich habe mich früh empfohlen.«

»War es keine große Gesellschaft?«

»Nein, es war sonst niemand da.«

»Sonst niemand! Wie kamst du zu der Einladung?«

»Ich weiß es nicht, aber ich glaube es zu erraten. Komm mit mir nach Hause. Ich habe dir einiges zu sagen.«

Nach kurzem Zaudern ging Stapleton auf den Vorschlag ein.

Zwei Depeschen erwarteten La Planta in seinem Wohnzimmer. Nachdem er sie überflogen, reichte er sie seinem Freunde.

Stapleton zog beim Lesen die Augenbrauen hoch.

»Seltsam, nicht wahr?« fragte er.

»Durchaus nicht. Ich hab' es nicht anders erwartet.«

Stapleton sagte nichts weiter, trat an den Tisch, auf dem eine Whiskyflasche und Selterwasser stand, und mischte sich einen Trank zurecht. Dann nahm er eine Zigarre aus La Plantas Kiste und zündete sie an.

»Manches gibt mir in der letzten Zelt zu denken,« sagte er endlich, »zum Beispiel, warum dich diese beiden Frauen eingeladen haben, mit ihnen allein zu speisen.«

»Zerbrich dir nicht den Kopf darüber,« erwiderte Archie und erzählte seinem Freunde, wie die beiden Damen versucht hatten, ihn über Mrs. Mervyn-Robertsons Vergangenheit auszufragen.

»Seltsam,« sagte Stapleton mit nachdenklicher Miene. »Das stimmt mit einer Mitteilung, die mir vor einer Stunde gemacht wurde. Du kennst den kleinen Juden, der seinen Freunden Geld leiht – Levi Schomberg?«

Archie nickte.

»Wir gingen vorhin mit ihm die Jermyn Street hinunter – er wollte ins Türkische Bad – und er riet mir, mich vor »Hartsilvers Witwe« in acht zu nehmen. Er meinte, sie sei eine Intrigantin und versuche eine Affäre gegen – du kannst dir denken wen, ins Werk zu setzen.«

»Was für eine Affäre?«

»Eine Skandalaffäre. Ich muß aus alledem schließen, daß Cora Hartsilver auf unsere Freundin eifersüchtig ist oder sonst einen Groll gegen sie hat.«

So sprachen sie eine Weile fort.

Und während sie sich unterhielten, gingen nicht weit von ihnen interessante Dinge vor.

*

»Das Haus mit dem Bronzegesicht,« wie es in der Nachbarschaft genannt wurde, lag in einer ruhigen Straße, nahe am Russell Square. Es verdankte diese seltsame Bezeichnung einem mächtigen alten Florentiner Klopfer an seiner Vordertür. Es stellte eigentlich eine Bacchantin dar, und allerhand Gerüchte waren darüber im Umlauf. Die einen meinten, das Gesicht habe einen besonderen Sinn und deute auf manches, was hinter dem Portal vor sich gehe. Ein anderes Gerücht besagte, das Gesicht übe einen magischen Zauber aus und mancher Neugierige, der das Haus betreten, sei nie wieder herausgekommen.

Das war natürlich nur unkontrollierbares Gerede, aber es stand fest, daß eine Atmosphäre geheimnisvollen Grauens das Haus umgab. Es hatte früher offenbar einem Privatmann gehört. Jetzt war es der Sitz eines Privatdetektivbureaus, das kurz vor Ausbruch des Krieges eröffnet worden war und sich der Gunst weiter Kreise der reichen Gesellschaft erfreute.

Es war gegen Mitternacht und ein mit bequemen Möbeln ausgestatteter Raum, der in der Mitte des Gebäudes lag, war noch erleuchtet, obgleich das Licht der elektrischen Tischlampe nicht hinausdringen konnte. Ein ehrwürdig aussehender älterer Herr und eine junge hübsche Frau mit semitischer Gesichtsbildung saßen nebeneinander und blätterten in Papieren, die vor ihnen lagen.

Beide waren schweigend in ihre Arbeit vertieft. Wenn der Alte dem Stoß von Papieren ein Dokument entnommen und es aufmerksam durchgelesen hatte, übergab er es seiner Kollegin, die es schnell überflog, ein oder zwei Randbemerkungen dazu machte und es dann, mit einer Etikette versehen, beiseite legte. Nach einer halben Stunde schweigsamer Arbeit war der Stoß von Papieren bewältigt.

Der Mann lehnte sich in seinen Stuhl zurück, streckte seine Glieder und gähnte.

»Für heute haben wir einigermaßen genug davon, was, Camelle?« wandte er sich an seine Gefährtin.

»Nicht zu knapp!« antwortete sie mit einer fremdartigen Aussprache, die nicht zu dem familiären Ausdruck paßte. »Schon über zwölf,« fügte sie mit einem Blick auf ihre Armbanduhr hinzu. »Das ist hart.«

»Das tut nichts; es kann nicht ewig dauern,« sagte er. »Wollen Sie mir eine Ihrer Chiprezigaretten geben?«

Sie zündete sich selbst eine Zigarette an und reichte ihm dann ihr Etui.

Das Zimmer glich in mancher Hinsicht mehr einem Boudoir als einem Bureau, aber an der Wand hingen mit bunter Kreide bezeichnete Karten, und unter jeder Karte war eine Reihe Nummern zu sehen. Auf dem Kaminsims stand das eingerahmte Bild eines Mannes mit dunklem Kraushaar und gewichstem Schnurrbart. In einer Ecke waren etwa zwanzig lackierte Blechkästen aufgestapelt, die Akten enthalten mochten. Einige Luxussessel, ein bequemes Sofa, mehrere kleine Tische und Chippendalestühle vervollständigten die Einrichtung des Zimmers, in das kein Laut hineindrang.

Der Mann erhob sich schweigend und begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Plötzlich blieb er stehen.

»Dieser Fall interessiert mich sehr, Camille,« sagte er. »Ich bin überzeugt, daß sie den Mann geheiratet hat.«

» Naturellement,« antwortete die Frau mit einem Achselzucken. »Und jetzt will sie ihn los sein.«

»Aber warum?«

»Ma foi, welche Frage! Er hat viel Geld, nein

»So scheint es, nach seinen Ausgaben zu urteilen.«

»Also! Was sonst?«

»Aber Beweise für die Heirat müssen beschafft werden, sonst kriegt sie das Geld nicht.«

»Ich werde sie verschaffen.«

»Aber wenn –«

Er hielt plötzlich inne und beide blickten schnell nach der Tür. Kein Laut unterbrach die tiefe Stille.

» Qu' est ce que c'est que ca?« fragte die Frau mit nervöser Flüsterstimme und faßte seinen Arm. Beide starrten noch immer auf die geschlossene Tür.

»Warten Sie, ich will nachsehen.«

Er erhob sich, aber die Frau hielt ihn fest.

»Nein, nein,« rief sie heiser, »Sie dürfen nicht hinausgehen!«

»Doch, ich gehe.«

Er versuchte sie abzuschütteln, aber sie ließ ihn nicht los.

»Wenn es sein muß – hier,« rief sie und zog einen kleinen Revolver hervor, den sie ihm in die Hand drückte. Dann ließ sie ihn frei.

Geräuschlos schritt er auf dem dicken Teppich durch das Zimmer, ergriff behutsam die Türklinke und öffnete leise die Tür.

In diesem Augenblick fiel ein Lichtschein, wie von einer elektrischen Taschenlampe in das Zimmer. Der, alte Mann eilte mit überraschender Schnelligkeit ins Treppenhaus hinaus, aber der Lichtschein war bereits verschwunden. Er drehte das elektrische Licht an. Nirgends war jemand zu sehen.

Mit behutsamen Blicken nach allen Seiten und dem Finger auf dem Drücker des Revolvers stieg er vorsichtig die Treppe hinab. Gleich darauf hörte die Frau, die ihm voller Angst in einiger Entfernung folgte, wie er unten in der Halle die Tür, die zu den Wirtschaftsräumen führte, öffnete und mit einem dumpfen Krach zuschlug.

Eine Minute wartete sie mit verhaltenem Atem. Zweifellos befand sich jemand außer ihnen im Hause. Aber wie konnte er hereingekommen sein, da seit den frühen Abendstunden Vorder- und Hintertüren sorgfältig verschlossen und verriegelt waren?

Sie versuchte genügend Mut zu sammeln, um ihrem Gefährten zu folgen, als dicht hinter ihr ein Geräusch entstand. Mit einem Angstschrei wandte sie sich um.


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