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Kapitel XXVIII.
Der Notruf.

Um sieben Uhr morgens wurde Preston von seinem Diener Tom aus dem Schlaf geweckt. Ein Depeschenbote hatte eben ein Telegramm gebracht, das folgenden Wortlaut hatte:

»Bin in schwerer Not. Kannst du vielleicht herkommen? Bin erkrankt und ganz allein. Jessica hat mit den anderen Monte Carlo verlassen. Bitte gleich Drahtantwort. Yootha.«

Preston pflegte nicht lange zu überlegen. Er entschloß sich immer schnell und handelte, ohne zu zögern.

»Ist der Bote noch da?« fragte er Tom, der an seinem Bett stand.

»Ja, Sir.«

Preston ließ sich ein Telegrammformular geben und schrieb schnell eine kurze Antwort.

Als der Bote fort war, sagte er zum Diener: »Tom, mein Koffer muß gepackt werden. Ich fahre gleich nach Monte Carlo.« – »Auf wie lange, Sir?«

»Ich muß für vierzehn Tage versorgt sein.«

Er reiste direkt an die Riviera, ohne sich in Paris aufzuhalten. In Monte Carlo angelangt, fuhr er sofort in das Hotel, in dem Yootha abgestiegen war. Auf seine Frage nach ihr sagte man ihm, daß der Arzt gerade bei ihr wäre. Der Geschäftsführer machte ein ernstes Gesicht, als er sich nach ihrer Gesundheit erkundigte.

Nach einer Weile öffnete sich die Tür, und ein älterer Herr von ehrwürdigem Aussehen trat herein. Der Geschäftsführer machte ihn mit Preston bekannt.

»Sie ist endlich eingeschlafen,« sagte der Arzt. »Ich mußte ihr ein leichtes Schlafmittel geben. Seitdem sie Ihre Depesche erhalten, hat sie Sie sehnlichst erwartet, und ich glaube, Ihre Ankunft wird das beste Heilmittel für sie sein. Sie muß eine seelische Erschütterung irgendwelcher Art erlitten haben. Ihre Nerven sind aufs äußerste erregt.«

Als Yootha nach mehreren Stunden erwachte, fiel ihr Blick auf ihren Verlobten, der an ihrem Bett saß. Im ersten Augenblick glaubte sie zu träumen. Dann fuhr sie mit einem Freudenschrei empor und streckte ihm die Arme entgegen ...

Yootha erholte sich schnell und Preston beschloß mit ihr nach Paris zu fahren. Er hatte einen Brief von Hopford erhalten, der ihn dringend bat, dort hinzukommen, da er und seine Freunde wichtige Dinge mit ihm zu besprechen hätten.

Inzwischen war auch Yoothas Tante nach Paris geeilt, wo sie das Brautpaar im Hotel erwartete. Es war eine sympathische Dame in mittleren Jahren, deren kluge Augen Sinn für Humor verrieten.

»Ihr macht nicht viel Umstände mit mir,« sagte sie nach der ersten, herzlichen Begrüßung zu ihrer Nichte. »Ich hatte nicht die geringste Lust, nach Paris zu fahren, aber jetzt bin ich sehr froh, hier zu sein. Ja, mir geht es wieder ganz gut, aber dir scheint Monte Carlo und sein aufregendes Leben nicht besonders wohlgetan zu haben. Uebrigens, gestern war ein junger Mann hier und hat nach Euch gefragt. Er war so unterhaltend, daß ich ihn bat, den Lunch mit mir einzunehmen. Sein Name ist Hopford. Er hat seine Adresse hinterlassen.«

Am folgenden Abend machte Hopford das Brautpaar mit seinen Pariser Freunden bekannt.

»Ein Glück, daß Sie nach Paris kommen,« sagte er zu Preston. »Es ist uns gelungen, einige erstaunliche Entdeckungen zu machen, die Jessica und ihre Freunde betreffen, und jetzt sind wir Alix Stothert auf der Spur.«

»Alix Stothert!« rief Preston aus. »Was hat der damit zu tun?«

»Allem Anschein nach sehr viel. Zunächst scheint er mit Stapleton befreundet zu sein. Ein Kollege von mir hat auf meine Anregung Stapletons Landhaus bei Uckfield, das »Nest« wie es genannt wird, längere Zeit überwacht. Stothert scheint oft dorthin zu kommen, wie mein Freund glaubt, um Briefe abzuholen. Er trifft sich dort mit einer jungen Frau, die wohl im Geheimen für die Londoner Agentur arbeitet. Neulich hat mein Kollege in der Umgebung des Hauses einen Mann gesehen, der es ebenfalls zu beobachten schien. Er hat ihn bis in Cox's Hotel in London verfolgt, aber nicht feststellen können, wer er ist.«

»George Blenkiron wohnt meist dort, wenn er in der Stadt ist,« bemerkte Preston nachdenklich.

»So?« rief Hopford aus. »Dann muß ich ihn nach dem Mann fragen; vielleicht kennt er ihn. Das Hotel ist ja nicht groß.«

Dann fuhr Hopford in seinem Bericht fort. Er hatte die wichtige Tatsache festgestellt, daß Alphonse Michaud, der Eigentümer der Londoner Geheimagentur, mit Jessica und ihren Freunden gut bekannt war, obgleich sie sich in Dieppe nicht zu kennen schienen, wie er von Preston gehört hatte.

»Das bestätigt meinen Verdacht,« bemerkte Hopford, »daß Jessica und ihre Freunde mit der Londoner Agentur in Verbindung stehen.«

»Das kann ich nicht verstehen!« rief Preston. »Sie vergessen, Hopford, daß wir im ›Hause mit dem Bronzegesicht‹ über Jessica und ihre Freunde Ermittlungen anstellen ließen und manches erfahren haben.«

»Manches allerdings,« erwiderte Hopford, »aber nichts Wichtiges. Ich bin zu der Ueberzeugung gekommen, daß Jessica und ihre Clique – es ist nämlich eine Clique – mit der Geheimagentur gemeinsame Sache machen. Zufällig habe ich erfahren, daß La Planta vor Jahren Vertreter einer Versicherungsgesellschaft war, die Lord Froissart leitete und daß –«

»Verzeihen Sie die Unterbrechung, Hopford,« rief Preston, »aber genau dasselbe hat mir ein Major Guysburg erzählt, den ich in Dieppe kennenlernte, und der später nach Amerika gereist ist.«

Und Preston erzählte alles, was er von dem Major erfahren hatte.

Hopford wechselte einen Blick mit der französischen Geheimagentin, die über den fingierten Diamantendiebstahl in Amsterdam so genau unterrichtet war. Dann zog er sein Notizbuch hervor und fragte:

»Wie lange bleibt der Major in Amerika?«

»Er muß in den nächsten Tagen nach London zurückkehren,« antwortete Preston. Hopford notierte den Namen des Majors und fragte, wo er in London wohnte.

»In Morleys Hotel, sagte er mir,« war Prestons Antwort, der überrascht und erfreut war, als er bei der weiteren Unterhaltung erfuhr, daß Doktor Johnson sich mit Cora Hartsilver verlobt hatte. Aber auf Hopfords Frage, ob er Näheres darüber wüßte, antwortete Preston mit einer kurzen Verneinung, zündete sich eine Zigarre an und suchte das Gespräch auf einen anderen Gegenstand zu lenken.

Sie trennten sich in später Stunde. Als Hopford in die Rue des Petits Champs zurückkehrte, fand er eine blaue Depesche von seinem Chef vor, die ihn unverzüglich nach London rief. Das Telegramm schloß mit den Worten: »Wichtige Nachrichten für Sie bereit.«


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