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Kapitel XVI.
Drohende Wolken.

Zur Segelregatta, die alljährlich in Henley auf der Themse stattfindet, hatte Preston in diesem Jahr, wie es bis zum Ausbruch des Krieges seine Gewohnheit war, wieder ein sogenanntes »Hausboot« gemietet, das bei Henley vor Anker lag. Er hatte einige Freunde aufgefordert, ihn dort an einem beliebigen Tage der Segelwoche zu besuchen, und wollte ihnen bei dieser Gelegenheit in Yoothas Beisein ihre Verlobung mitteilen.

Aber keiner seiner Freunde ließ sich sehen. Einige telegraphierten aus London, daß sie verhindert wären; andere hielten es nicht einmal für nötig, sich zu entschuldigen.

Preston war überrascht.

»Merkwürdig,« sagte er in Gedanken am zweiten Tage der Regatta und klopfte die Asche aus seiner Pfeife. »Ich dachte, einige von ihnen würden heute vorbeikommen. Cooper und Atterton sind hier. Ich habe sie vor einer halben Stunde in einem Boot gesehen.«

Yootha, die in einen Zeltstuhl zurückgelehnt saß, antwortete nicht. Aber ein Blick auf ihr trauriges Gesicht sagte ihm genug.

Seine Miene wurde finster.

»Jetzt weißt du, warum sie nicht kommen, Charlie,« begann sie. »Ich bin nicht erstaunt darüber. Du weißt, wie die Menschen mir seit der Ballaffäre aus dem Wege gehen; und seit unsere Verlobung bekannt geworden ist, meiden sie mich noch mehr. Wenn du allein hier wärest, so würden wahrscheinlich alle deine Freunde zum Lunch kommen.«

»Du nennst sie ›Freunde‹?« rief Preston zornig aus. »Wenn sie sich so verhalten, will ich nichts mehr von ihnen wissen, das kann ich dir versichern.«

Ein kleines Boot kam vorbeigefahren und der junge Mann, der darin saß, rief Preston an: »Kann ich einen Augenblick an Bord kommen? Ich möchte Sie sprechen.«

»Kommen Sie,« antwortete Preston ohne besondere Begeisterung; denn der junge Mann war Archie La Planta. Nach wenigen Sekunden legte das kleine Boot an.

»Ich hoffe, ich störe Sie nicht,« sagte La Planta, der so tat, als ob er eben erst bemerkte, daß Preston mit Yootha allein war. »Ich hörte, Sie hätten Gäste zum Lunch. Darf ich übrigens gratulieren?« fügte er hinzu. »Ich habe es erst heute erfahren.« »Danke,« sagte Preston, der seinen Aerger über die Störung zu verbergen suchte. »Wer hat Ihnen erzählt, daß wir uns verlobt haben?«

»Ach, verschiedene Menschen. Die letzte Wettfahrt war fabelhaft – nicht?«

»Allerdings. Sie wollten mir doch etwas sagen?«

»Ja. Zunächst ein Auftrag von Jessica. Sie läßt fragen, ob Sie und Miß Hagerston zum Tee auf ihr Hausboot kommen wollen. Es ist das große Boot, Apex, das wie ein Kriegsschiff mit Kanonen usw. versehen ist. Eine lustige Gesellschaft ist da versammelt und Jessica würde sich sehr freuen, Sie beide bei sich zu sehen. Es ist mir streng verboten worden, mit einer Absage zurückzukehren,« fügte er lachend hinzu.

Preston schwieg einen Augenblick.

»Was sagst du dazu, Yootha?« fragte er zuletzt mit einem Blick, den sie wohl verstand. »Sollen wir gehen oder nicht?«

»Ich gehe gerne hin,« erwiderte sie, um seinem Wink zu folgen. »Haben Sie schon gefrühstückt, Mr. La Planta?«

»Aufrichtig gesagt, nein,« erwiderte er in gleichgültigem Ton und zündete sich eine Zigarette an.

»Dann bleiben Sie doch zum Lunch bei uns,« sagte Preston. »Vielleicht kommt noch anderer Besuch.«

»Furchtbar nett von Ihnen,« antwortete La Planta ruhig. »Dann wollte ich Sie noch fragen, ob Sie zufällig Madame Camille Lenoir von der Londoner Geheimagentur heute irgendwo gesehen haben. Ich weiß, daß sie mit Bekannten hier ist, und möchte sie durchaus treffen.«

»Ich habe sie auf keinem Boot gesehen.« Archie La Planta machte eine ärgerliche Handbewegung.

»Wie schade,« sagte er. »Verschiedene Menschen haben sie heute gesehen, und niemand kann mir sagen, wo sie zu finden ist. Uebrigens, hat das Haus mit dem Bronzegesicht schon irgend etwas über das Perlenhalsband ermitteln können?«

»Bisher noch nichts, aber sie hoffen zuversichtlich, mir in einer Woche etwas mitzuteilen.«

»Das ist gut. Stothert ist kein Optimist und sagt so etwas nicht ohne Grund.«

Er wandte sich an Yootha.

»Ich habe Sie seit dem Ball nicht wieder gesehen,« sagte er. »Und auf dem Ball habe ich Sie nicht einmal erkannt. Das war eine widerwärtige Geschichte – unerhört, wie Sie behandelt wurden – es wundert mich nicht, daß es Sie ganz krank gemacht hat, wie mir erzählt wurde. Ich hoffe, Sie haben sich jetzt wieder ganz davon erholt.«

»Ich danke Ihnen,« antwortete sie, ohne eine gewisse Kälte in ihrem Ton verbergen zu können. »Ja, ich habe mich erholt – wenn auch, wie ich glaube, nicht alle meine Freunde!«

»Wie? Ich verstehe Sie nicht.«

»Ach, es hat keine Bedeutung,« erwiderte sie mit leichtem Erröten und ging auf etwas anderes über. – –

Als Yootha und Captain Preston nach wenigen Stunden auf dem »Apex« erschienen, wurden sie von Jessica in der fröhlichsten Stimmung und mit überraschender Freundlichkeit empfangen. Und auch alle anderen Gäste kamen ihr so liebenswürdig, ja herzlich entgegen, daß Yootha sich bald sehr wohl und glücklich fühlte. Preston und sie waren der Einladung mehr aus Neugier gefolgt, zugleich, um dem Gerede aller bösen Zungen di« Spitze zu bieten. Und jetzt fanden sie alles ganz anders, als sie erwartet hatten. Besonders Archie La Planta gab sich alle erdenkliche Mühe, ihnen den Aufenthalt auf dem Hausboot angenehm zu gestalten.

Nach einer halben Stunde trat Stapleton mit einem schwarzhaarigen, sehr intelligent aussehenden Herrn in mittleren Jahren an Yootha heran und stellte ihr Doktor Johnson vor, den sie noch nicht kannte.

»Unser gemeinsamer Freund, Captain Preston, hat mir von Ihnen erzählt,« sagte der Arzt und sah sie lächelnd mit seinen scharfen Augen an. »Er ist doch auch hier?«

»Natürlich,« antwortete Yootha. »Vor einem Augenblick war er noch mit uns zusammen.«

»Wie ich höre, Miß Hagerston, sind Sie mit Preston verlobt. Darf ich mir erlauben, Ihnen beiden von Herzen Glück zu wünschen?«

Sie dankte errötend.

»Ich kenne Preston nur kurze Zeit, aber Sie werden mir verzeihen, wenn ich Ihnen sage, daß ich ihn furchtbar gern habe. Ah, da kommt er!«

Einige Minuten lang unterhielten sich die drei über gleichgültige Dinge. Sie hätten sich manches zu sagen gehabt, aber die Umgebung ließ es nicht ratsam erscheinen.

»Yootha und ich speisen heute abend allein auf meinem Hausboot,« sagte Preston nach einer Weile. »Wenn Sie mit dem vorlieb nehmen wollen, was gerade da ist, würden wir uns sehr freuen, Sie bei uns zu sehen. Sagen Sie ja, Johnson.«

Nach kurzem Zaudern sagte Johnson zu. Inzwischen hatte ein Streichquartett sich eingestellt, das die Gäste, und besonders Preston, durch den Vortrag bekannter Melodien in Entzücken versetzte. Die Musik dauerte recht lange. Als sie zu Ende war, suchten Yootha und Preston die Gastgeberin auf, um Abschied zu nehmen.

Jessica wollte sie nicht gehen lassen, aber Preston sagte ihr, daß er zum Abend auf seinem Boot Besuch erwartet.

Wenige Minuten, nachdem sie sich verabschiedet hatten, kam ein Mann in einem kleinen Boot schnell herangerudert.

»Kann ich Captain Preston sprechen?« fragte er La Planta, der an den Bord des Hausbootes gelehnt stand und ihn hatte kommen sehen. »Ich bin sein Diener und komme von seinem Hausboot.«

»Ist es etwas Wichtiges?« fragte La Planta und musterte den Ankömmling mit kühlem Blick.

»Ja, sehr wichtig.«

»Well, Captain Preston und Miß Hagerston sind eben fort. Sie müssen an ihnen vorbeigefahren sein.«

»Sind sie auf das Hausboot zurückgekehrt?«

»Das nehme ich an.«

Prestons Diener drehte das Boot und ruderte zurück.

La Planta blies den Rauch seiner Zigarette in die Luft und beobachtete lächelnd, wie der Ruderer in der Entfernung kleiner und kleiner wurde. Endlich richtete er sich auf. Die meisten Gäste waren fortgefahren. Nur ein Dutzend blieb zurück. Jemand berührte seinen Ellenbogen. Er drehte sich um.

»Nun?« fragte Stapleton.

La Planta nickte.

»Alles nach Wunsch,« antwortete er.

»Und wann wird er es erhalten?«

La Planta warf einen Blick auf seine Armbanduhr.

»Er hat es vielleicht schon erhalten. Ich freue mich, daß der Bursche ihn verfehlt hat. Was sind Preston und dieses Mädchen und Cora Hartsilver und die anderen alle für Toren, sich mit Leuten wie wir sind, einzulassen!«

»Preston ist kein Tor, Archie. Auch Cora nicht.«

La Planta zuckte mit den Achseln, ohne ein Wort zu erwidern und warf mit einer verächtlichen Handbewegung seine Zigarette ins Wasser.


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