Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel XXVI.
Dem Wind entgegen.

Unter anderen Neuigkeiten, die Johnson sehr interessierten, schrieb Blenkiron, daß er vor wenigen Tagen zufällig in die Nähe von Uckfield gekommen war, und daß die Neugier ihn bewogen hatte, Stapletons Landhaus, »das Nest«, aufzusuchen, das, wie er wußte, nicht weit entfernt war.

»Es ist,« schrieb er, »ein ziemlich großes Haus, zu dem ein etwa einen Kilometer langer Fahrweg führt, und das von drei Seiten von dichten Waldungen umgeben ist. Das Haus selbst liegt in einer Talsenkung verborgen, so daß man plötzlich ganz unerwarteter Weise davorsteht. Meine Absicht war nur, einen Blick auf seine Lage zu werfen, aber als ich so unvermutet hinkam, schloß ich, daß man mich wohl bemerkt hatte, und zog die Klingel, um zu fragen, ob Stapleton zu Haus wäre.

Auf mein dreimaliges Klingeln öffnete mir niemand. Nur das Knurren eines Hundes war zu hören; nach dem Laut zu urteilen, muß es eine Bulldogge gewesen sein. Das reizte meine Neugierde: ich ging zur Hintertür und klopfte. Wieder zeigte sich niemand, aber ich hörte deutlich Schritte dicht hinter der Tür. Schließlich versuchte ich, die Tür zu öffnen, aber sie war verschlossen.

Jetzt war meine Neugier aufs höchste gestiegen, und ich beschloß, mich so weit zu entfernen, daß keiner mich sehen konnte. Ich ging die Straße zurück, ohne mich umzusehen; dann, als ich vom Haus aus nicht mehr gesehen werden konnte, bog ich in den Wald ein und kam im Schutz der Bäume bis an eine Stelle, von der man den Fahrweg und die Vordertür überschauen konnte, während ich selbst versteckt blieb. Meine einzige Sorge war, daß der Hund losgelassen werden könnte, der mich natürlich gleich entdeckt hätte.

Nach etwa zwanzig Minuten zeigte sich plötzlich eine hübsch gekleidete junge Frau. Sie kam von der Hinterseite des Hauses her und blickte um sich herum, als erwarte sie jemand. Wenige Minuten später hörte ich, wie das Gittertor am Fahrweg geöffnet und wieder geschlossen wurde. Ein ältlicher Mann kam auf sie zu. Sie küßten sich sehr herzlich und blickten in meine Richtung. Sie können sich mein Erstaunen denken, als ich den Mann wiedererkannte. Es war Alix Stothert aus der Londoner Geheimagentur.

Keiner von ihnen bemerkte mich; sie vermuteten auch nicht, daß man sie beobachtete. Sie traten an die Vordertür des Hauses. Stothert zog einen Schlüssel hervor, öffnete die Tür und trat hinein. Die junge Frau folgte ihm. Dann schloß sich die Tür und ich hörte, wie sie von innen wieder verschlossen wurde. Ich wartete noch eine Stunde, um zu sehen, was geschehen würde, dann kehrte ich zur Straße zurück, ging mutig bis zum Haus und klingelte.

Auch diesmal erhielt ich keine Antwort; sogar der Hund war nicht mehr zu hören; sie mußten ihn ins Innere des Hauses gebracht haben. Nachdem ich viermal geklingelt hatte, machte ich mich auf den Rückweg. Ist das nicht sonderbar?

Stothert kann natürlich in Geschäften dort gewesen sein; aber wer war dann das Mädchen – sie sah sehr nett aus – und warum öffnete mir niemand auf mein Klingeln? Ich kann mir nicht helfen, aber das Ganze scheint mir nicht geheuer.

Als ich nach Uckfield zurückwanderte, überholte mich ein Mann auf einem Zweirad. Etwas später überholte ich ihn; er schien einen Reifen auszubessern. Als ich vorüberging, warf er einen Blick auf mich und fragte dann, ob ich ein Streichholz bei mir hätte. Ich gab ihm eins, wofür er mir mit übertriebener Herzlichkeit dankte, wie mir schien; dann bot er mir eine Zigarette an. Wir wechselten einige Worte über das Wetter, und ich ging weiter.

Auf der Bahnstation sah ich ihn wieder. Er wartete auf den Zug, hatte aber kein Rad bei sich. Ich ging zweimal an ihm vorbei, aber er tat, als sähe er mich nicht. Auf dem Bahnhof in London sah ich ihn, wieder ohne Rad, auf dem Bahnsteig. Und als ich vor Cox's Hotel, wo ich eben wohne, aus der Autodroschke stieg, stand er zu meinem Erstaunen, etwa hundert Schritt entfernt, auf der anderen Seite der Straße und betrachtete aufmerksam irgend ein Haus. Da erst kam mir der Gedanke, daß er mich verfolgte. Ich habe ihn seitdem nicht wiedergesehen, würde ihn aber sofort wiedererkennen, wenn ich ihm begegne.«

Johnson legte den Brief beiseite und öffnete den andern Umschlag.

Prestons Brief war kurz. Er erwähnte darin weder seine Verlobung noch überhaupt Yootha und ihr Verhalten. »Ich habe das Leben hier satt,« schrieb er unter anderem. »Die Stadt wimmelt von unmöglichen Menschen, deren einziges Interesse das Kasino ist. Sie scheinen nur zeigen zu wollen, wie sinnlos man viel Geld vergeuden kam. Unsere Landsleute treiben es am schlimmsten und geben den Franzosen einen traurigen Eindruck von unserem Volk. Ich kehre wahrscheinlich in den nächsten Tagen nach London zurück, aber meine Entschlüsse hängen von gewissen Umständen ab.«

»Was für Umstände meint er wohl?« sagte Johnson laut vor sich hin, als er den Brief durchgelesen hatte. »Preston muß schwere Sorgen haben. Das kann man zwischen den Zeilen lesen. Und warum schreibt er kein Wort von Yootha?«

Er hatte vollkommen recht mit seiner Vermutung. Charlie Preston war in schweren Sorgen. Ja, schlimmer als das: als er den Brief schrieb, war er beinahe in Verzweiflung über die plötzliche Veränderung, die mit Yootha vorgegangen war. Sie war eine Sklavin des Spiels geworden. Sie saß jeden Nachmittag und jeden Abend und oft auch am Vormittag schon mit Jessica am Roulettetisch. Sie hatte keinen anderen Gedanken mehr und sprach von nichts anderem. Im Augenblick bemühte sie sich, ein System zu finden, mit dem sie niemals verlieren könnte – ein unsinniger Gedanke, auf den alle Spieler verfallen, und der sie früher oder später zugrunde richten muß.

Preston hatte alles versucht, um sie vom weiteren Spielen abzubringen. Aber als sie Tag für Tag als Gewinnerin aus dem Kasino kam, glaubte sie seine Ratschläge entbehren zu können, obgleich sie wußte wie gut sie gemeint waren.

Aber das Schlimmste war. daß sie ganz unter Jessicas, Einfluß stand. Ja, als er ihr eines Tages Vorstellungen darüber machte, hatte sie ihm zu verstehen gegeben, daß das ihre eigene Sache wäre, und hinzugefügt, daß sie sich eher von ihm als von ihrer neuen Freundin trennen würde.«

Zwei Tage später wurde ihm bei seiner Rückkehr ins Hotel im Büro ein Brief überreicht, auf dessen Umschlag er Yoothas Schriftzüge erkannte. Er setzte sich in sein Zimmer, um ihn in Ruhe zu lesen, da er nichts Gutes ahnte. Er war kurz und lautete folgendermaßen:

 

»Lieber Charlie!

Nur ein paar Worte, um Dir zu sagen, daß ich morgen mit Jessica und ihren Freunden verreise. Wir gehen zuerst nach Monte, dann werden wir wohl einige Wochen in Paris bleiben und später nach London zurückkehren, wo ich Dich wiederzusehen hoffe. Ich möchte mich nicht mit Dir streiten, Schatz. Wirklich nicht! Aber es tut mir furchtbar leid, daß Du Jessica so falsch beurteilst. Sie ist jetzt so eng mit mir befreundet, und ich hoffe, daß es so bleiben wird. Wie froh wäre ich, wenn Du Dein Vorurteil gegen sie überdenken könntest, und wir wären alle gute Freunde! Es ist mir schrecklich, Dir wehe zu tun. aber ich glaube wirklich, daß Du Unrecht hast.

Viel Liebes und Gutes von
Deiner Yootha.«

 

»Das kommt alles von dem verdammten Spiel, das ihr dies Teufelsweib beigebracht hat!« rief er laut aus. »Well, im Augenblick kann ich nichts tun. Gebe der Himmel, daß sie alle in Monte verlieren, schwer verlieren, damit Yootha zur Vernunft kommt! Inzwischen muß ich sehen, unsere Hochzeit zu beschleunigen.«

Yootha reiste am nächsten Morgen früh ab. ohne ihn wiederzusehen, und ohne ihm ein Abschiedswort zu hinterlassen. Nach einer Woche hörte er von anderer Seite, daß die vier in Monte Carlo weiter gewannen. Man nannte eine fabelhafte Summe. Alle sagten, so etwas wäre noch nicht dagewesen ...

»Yootha, mein Schatz,« redete sie Jessica eines Abends am Ende eines Champagnersoupers an, bei dem viele neue »Freunde« zugegen waren, die ihr unerhörtes Glück um sie scharte »Was ist aus deinem fahrenden Ritter geworden – oder ist er nicht mehr dein Ritter? Ich würde mich freuen zu hören, daß du ihm den Abschied gegeben hast, oder auch, daß er dir den Abschied gegeben hat. Hast du Nachrichten von ihm?«

»Vor nicht sehr langer Zeit hörte ich,« erwiderte Yootha mit einem leichten Stirnrunzeln, das Jessica nicht entging, »daß er nach London zurückgekehrt ist.«

»Du hörtest?« wiederholte Jessica und lachte. »Das klingt nicht sehr beruhigend, nicht wahr? Wenn ein Mann verlobt ist, besonders mit einem so reizenden Mädchen – dann ist es nicht sehr rücksichtsvoll von ihm. sie in dieser Weise im Stich zu lassen. Und wenn er dich jetzt so vernachlässigt, was soll erst nach der Heirat werden?«

»Ich weiß nicht,« antwortete Yootha in verlegenem Ton. »Die Männer sind komische Wesen, das hab' ich immer gesagt. Eine Zeitlang war ich entschlossen, nie zu heiraten.«

»Und hast den Entschluß gleich aufgegeben, als du Captain Preston kennenlerntest?« fragte Jessica spöttisch.

»Nicht gleich,« sagte das junge Mädchen mit schwacher Stimme. Sie fühlte, daß sie zu viel Sekt getrunken hatte. Sonst hätte sie anders geantwortet und wäre für ihren Verlobten eingetreten.

Jessica rückte etwas näher an sie heran.

»Warum willst du ihn nicht fahren lassen?« flüsterte sie, so daß keiner außer Yootha sie hören konnte. »Er hat nicht recht an dir gehandelt. Ueberlege dir – er läßt dich allein mit einer Frau und zwei Männern, die er haßt, in der Welt umherziehen und kehrt selbst ganz ruhig nach England zurück, ohne dir auch nur Lebewohl zu sagen! Sieht das wie wahre Liebe, wie Liebe überhaupt aus? Was würdest du sagen, wenn irgendein anderer Mann an einer Freundin von dir so handelte? Hör' auf meinen Rat, Yootha,« sagte sie noch leiser, »gib ihn auf! Komm gleich in mein Zimmer und schreib ihm, daß du nach allem, was geschehen ist, deine Verlobung auflösen mußt. Es wird ihm nicht das Herz brechen, das kannst du mir glauben. Und du wirst mir einmal danken, daß ich dich davor bewahrt habe, einen Mann zu heiraten, der dich nicht liebt.«

Mit diesen Worten schenkte sie Yootha ein neues Glas Sekt ein.


 << zurück weiter >>