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Kapitel XII.
Yoothas Vorgefühl.

Yootha Hagerston hatte über Frauen, die verliebt waren, immer gelacht und behauptet, Liebe wäre ein »närrisches Gefühl« und ein »Zeichen geringer Klugheit«. Aber jetzt konnte sie sich über die tiefe Zuneigung, die sie zu Captain Preston gefaßt hatte, nicht mehr täuschen. Sie suchte jede Gelegenheit auf, mit ihm zusammenzukommen und hatte bald gemerkt, daß ihr Gefühl von dem schweigsamen, zurückhaltenden Mann erwidert wurde.

Ein Freund, der auf Reisen ging, hatte dem Hauptmann ein kleines Ruderboot auf der Themse zur freien Benutzung überlassen und so traf es sich, daß an dem schönen Julinachmittag, als Levi Schomberg Jessica besuchte, Preston und Yootha in dem kleinen Nachen einander gegenüber saßen, auf dem sie in eine abgelegene Bucht, fern vom Getriebe der Großstadt, hinausgefahren waren. Das Boot war an einem Baum am Ufer befestigt, und kein Laut unterbrach die tiefe Stille. Auch die Singvögel in den Bäumen waren verstummt, und die Luft war schwül, als ob ein Gewitter herannahte. Beide schwiegen.

»Wie gut, daß ich damals La Plantas Einladung bei Ritz zu frühstücken, gefolgt bin!« sagte Preston plötzlich. »Ich hatte keine Lust dazu und jetzt bin ich so froh darüber.«

»Warum?« fragte sie mit einem ernsten Blick.

Sie trug ein leichtes Ruderkleid, das ihre schlanke Gestalt deutlich sehen ließ, und saß, in weiche Kissen gelehnt, auf der Rückseite des Bootes.

Er sah sie an, ohne zu antworten. Dann begann er seine Pfeife in Brand zu stecken, als wollte er seine Verlegenheit verbergen.

»Ich weiß nicht,« sagte er endlich und warf das Streichholz ins Wasser. »Es war das erstemal, daß ich Sie traf, wenn Sie sich erinnern.«

Ob sie sich erinnerte! Hätte sie es jemals vergessen können? Das waren ihre Gedanken, aber sie äußerte sie nicht, sondern sagte in gleichgültigem Ton:

»Mir schien, daß sie damals nur für Cora Hartsilver Interesse hatten. Sie ist Ihnen doch sympathisch?«

»Wie sollte sie nicht? Alle Menschen müssen sie gerne haben.«

»Wie froh bin ich, das von Ihnen zu hören. Sie ist meine einzige Freundin, und der edelste, aufrichtigste Mensch, den ich kenne.«

Preston zog einige Augenblicke an seiner Pfeife, ohne etwas zu sagen. Ihre Augen trafen sich. Vergebens suchte er wegzusehen. Plötzlich lachte Yootha auf. Ein Lachen ohne sichtbaren Grund war bei ihr so ungewöhnlich, daß Preston auch lachen mußte.

»Worüber lachen wir eigentlich?« rief sie aus. Sie war rot geworden und Preston sah, daß ihre Hand, die sie über den Bootrand hängen ließ, zitterte.

»Ich weiß nicht,« sagte er. »Ich glaube, ich lache, weil ich mich so glücklich fühle.«

»Wirklich?« fragte sie und hatte Mühe ihre Erregung zu verbergen.

»Ihre Zigarette ist ausgegangen,« sagte er unvermittelt. »Versuchen Sie eine von meinen hier.«

Vorsichtig, um das Gleichgewicht des Bootes nicht zu stören, ging er zu Tür hinüber, setzte sich an ihre Seite und hielt ihr sein Etui hin. Er wollte sprechen, aber die Worte versagten ihm.

In diesem Augenblick fiel ein schwerer Regentropfen auf das Boot. Sie hatten nicht bemerkt, daß der Himmel, der bei ihrer Abfahrt wolkenlos war, sich bezogen hatte. Jetzt folgten die Tropfen schnell aufeinander und ein Blitz, den ein gewaltiger Donnerschlag begleitete, schreckte sie empor.

Sie hatten weder Mäntel noch Decken mitgenommen. Preston riß schnell seinen Rock herunter, warf ihn um Yoothas Schultern und zog das Boot dicht ans Ufer heran, um etwas Schutz zu finden. Schon fiel ein wolkenbruchartiger Regen herab, und besorgt blickte Preston auf seine Gefährtin. Yootha lächelte zu ihm empor und sah vollkommen glücklich aus. Nur die Besorgnis, er könnte ganz durchnäßt werden, machte sie unruhig.

Blitz auf Blitz leuchtete auf, der Donner rollte fast ununterbrochen, und bald erhob sich auch ein heftiger Wind.

Manche werden noch wissen, daß dieser Sturm der heftigste war, der seit zwanzig Jahren im Themsetal gewütet hatte. Er richtete in der Umgegend von London furchtbare Verwüstungen an.

Auch Preston und Yootha haben ihn nie vergessen können: denn er riß die Widerstände hinweg, die zwischen ihnen gelegen hatten, und als es ihnen mit großer Mühe gelungen war, einen Wagen zu finden und nach London zu gelangen, da waren sie – verlobt.

Und beide waren glücklich und dankbar, denn sie hatten gefunden, was jedem von ihnen fehlte.

Als sie ihn am nächsten Tage in seiner kleinen Wohnung besuchte, hielt er sie lange fest umschlungen und sagte ihr, wie glücklich er wäre.

Sie klammerte sich an ihn und stieß einen Seufzer aus. Voll Besorgnis sah er in ihre Augen.

»Nur eins ängstigt mich, Charlie,« sagte sie leise, »daß irgend etwas uns trennen könnte – noch vor unserer Hochzeit. Ich weiß nicht, warum, aber ein Gefühl sagt mir ... ein Vorgefühl, daß unser Glück nicht dauern kann. Ich bin ja so glücklich, so vollkommen glücklich! Könnten wir die Hochzeit nicht beschleunigen? Mit einer besonderen Erlaubnis ohne Aufgebot heiraten? Das Leben ist so ungewiß. Es geschehen so seltsame, unvorhergesehene Dinge. Sag' mir, Charlie, müssen wir am Donnerstag auf den Ball gehen?«

»In die Alberthalle? Ich fürchte, Liebling, es wird nicht anders gehen, wir bilden ja eine kleine Gesellschaft, wie du weißt. Möchtest du nicht hingehen? Ich dachte, du freutest dich darauf.«

»Zuerst freute ich mich, aber jetzt würde ich lieber nicht hingehen. Wenn du hingehst, komm ich natürlich mit. Aber ich werde froh sein, wenn es vorüber ist. Seitdem wir verlobt sind, fürchte ich mich vor diesem Ball.«

Preston suchte ihre Bedenken zu zerstreuen. Er meinte, sie wäre erschöpft und nervös. »Was kann uns denn auf einem Ball in der Alberthalle passieren?« rief er lachend. Aber er stimmte ihrem Vorschlag bei, die Verlobung erst dann bekanntzumachen, wenn sie Yoothas Eltern verständigt hätten.

»Werden sie sich darüber freuen?« fragte er.

»Schwerlich,« sagte sie in kühlem Ton. »Du weißt, daß meine Stiefmutter auf einen Teil meiner kleinen Erbschaft gerechnet hatte – und der geht ihnen durch unsere Heirat verloren,« fügte sie lachend hinzu.

Als sie nach einer Weile auf die Straße hinaustraten, eilte Harry Hopford auf dem Wege in sein Redaktionsbüro an ihnen vorbei.

»Ich hab' es leider sehr eilig,« sagte er, »aber ich hoffe Sie beide Donnerstag abend auf dem Ball zu sehen, nicht wahr? Ich habe Neuigkeiten, die auch Sie interessieren werden.«

»Sie sind mit uns zum Souper geladen, vergessen Sie das nicht!« rief Preston lachend dem Journalisten nach, der wie ein Wirbelwind fortstürmte.

»Ich habe um sechs eine Verabredung in Bloomsbery,« sagte er zu Yootha gewendet. »Es ist erst halb sechs. Würdest du mich ein Stück begleiten?«

Sie willigte gerne ein, und als sie um eine Ecke bogen, wies er auf ein Haus, das auf der anderen Seite der Straße lag.

»Das ist das Haus mit dem Bronzegesicht,« sagte er. »der Sitz der bekannten Londoner Privatagentur.«

Yootha sah mit Interesse hin.

»Ein schrecklicher Klopfer!« rief sie aus. »Ist das Gesicht nicht abscheulich? Cora hat mir schon davon erzählt. Aber die Gerüchte, die über das Haus verbreitet werden, sind doch Unsinn?«

»Natürlich, obwohl die Tatsache, daß Lord Froissart an dem Tage seines Todes dort gewesen ist, diesen Gerüchten gewiß wieder neue Nahrung gegeben hat.«

»Das Haus sieht finster aus,« bemerkte Yootha. »Aber ein Detektivbüro hat immer etwas Geheimnisvolles.«

Sie waren an das Haus gekommen, in dem Preston eine Verabredung hatte. Er rief eine Autodroschke heran.

»Also Donnerstag abend,« sagte er. als er sie hineingesetzt und die Wagentür geschlossen hatte. »Cora holt mich um zehn Uhr in ihrem Auto ab und wir fahren mit dir zusammen in die Alberthalle.«


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