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Kapitel XIV.
Ein Halsband.

»Sehen Sie den, besoffenen Kerl, der aus der Loge hinausgetragen wird.«

Ein Tänzer im Saal machte diese Bemerkung zu seiner Dame, während er ihr mit einer Straußenfeder Kühlung zufächelte.

Das junge Mädchen lachte.

»Warum könnt ihr Männer niemals nüchtern bleiben?« sagte sie nur halb im Scherz. Sie beobachteten die Menschen, die sich um Levi Schomberg bemühten, bis die Gruppe hinter der Logentür verschwunden war.

Auch andere waren darauf aufmerksam geworden. Aber da alle gleich auf den Gedanken verfielen, daß der Mann, wer er auch sein mochte, zuviel getrunken hatte, so rief der Zwischenfall kein weiteres Aufheben hervor, und das ausgelassene Treiben nahm seinen Fortgang, als wenn nichts geschehen wäre.

Schomberg lag auf einem Sofa im Büro des Sekretariats hingestreckt. Der Körper war schon starr geworden, was auffallend schien, da der Tod vor kaum einer halben Stunde eingetreten sein konnte. Unter den Tänzern hatte sich ein Arzt gefunden, der in seinem Kostüm einen bekannten Schauspieler darstellte und eine höchst komische Figur machte, als er sich über den Toten beugte, um ihn mit seinem Stethoskop zu untersuchen. Kopfschüttelnd richtete er sich auf.

»Tot,« sagte er. »Wer ist es? Weiß jemand etwas von ihm?«

Er blickte auf die Menschen um ihn herum.

»Es ist Levi Schomberg,« sagte Preston. »Er gehörte zu Mrs. Mervyn-Robertsons Gästen. Wir haben ihn in ihrer Loge gefunden.«

»Mervyn-Robertson? Sie meinen die Frau, die Jessica genannt wird?« fragte der Doktor mit einem eigentümlichen Blick.

»Ja.«

»Darf ich Sie fragen, ob Sie mit ihr befreundet sind?«

»Ich kenne sie,« erwiderte Preston, »und mein Freund hier ebenfalls, aber ich kann nicht sagen, daß wir mit ihr befreundet sind. Woran ist er gestorben, Herr Doktor?«

»Ich kann es nicht ohne weiteres sagen. Wahrscheinlich am Herzschlag: die Hitze und Erregung mögen den Anfall verursacht haben. Wir müssen seine Freunde in Kenntnis setzen. Sind sie hier?«

»Ich glaube, ja. Ich kenne Schomberg nicht persönlich.«

»Ich dachte, der Logenschließer meinte, Sie seien beide mit ihm befreundet.«

»Wir sagten dem Schließer, daß wir mit ihm bekannt wären, um in die Loge zu kommen. Wir konnten vom Saal aus sehen, daß etwas mit ihm geschehen war.«

»Auf welche Weise? Hatte er keine Maske an?«

»Doch, aber wir hatten ihn schon bei Beginn des Balles erkannt.«

»So? Verzeihen Sie die Frage, aber warum interessierten Sie sich so sehr für einen Menschen, den Sie nur dem Aussehen nach kannten?«

Preston zauderte. Dann sagte er etwas verlegen:

»Wir hatten keinen besonderen Grund.«

»Gehen Sie doch,« rief der Arzt aus. »Sie müssen einen Grund gehabt haben. Kein Mensch sucht die Persönlichkeit eines anderen festzustellen, ohne einen Grund zu haben. Sie täten besser daran, es mir zu sagen.«

»Warum wollen Sie es wissen?«

»Well, wenn Sie es so nehmen, will ich Ihnen lieber sagen, daß die Umstände, unter denen dieser Mann gestorben ist, nicht ganz unverdächtig sind. Nach dem Gesicht zu urteilen, ist er eines natürlichen Todes gestorben. Aber der rigor mortis – die Totenstarre – ist für eine natürliche Todesursache, wie einen Herzschlag, zum Beispiel, zu früh eingetreten. Es wird eine gerichtliche Untersuchung stattfinden müssen.«

Nachdem die Behörden von dem Zwischenfall verständigt worden waren, kehrten Preston und Blenkiron eine halbe Stunde später mit dem Doktor in den Saal zurück, wo das Gedränge noch ebenso groß war, wie als sie ihn verlassen hatten.

»In welcher Loge haben Sie ihn gefunden?« fragte Doktor Johnson.

Blenkiron wies auf Loge 13.

»Es sind jetzt Menschen darin,« bemerkte Johnson. »Kennen Sie sie? Die eine ist das »Schlangenweib«, von dem heute abend alle sprachen.«

»Wir sind zwar nicht ganz sicher, glauben aber zu wissen,« erwiderte Preston vorsichtig, »daß das »Schlangenweib« Mrs. Mervyn-Robertson selbst ist, und daß der Mann, der mit ihr spricht, Stapleton heißt.«

»Meinen Sie Aloysius Stapleton, den Veranstalter des Balles?«

»Ja.«

»Well, wenn Schomberg zu ihrer Gesellschaft gehörte, so haben sie wohl noch nicht gehört, was geschehen ist, und jemand müßte es ihnen sagen.«

»Wollen Sie es nicht tun, Doktor Johnson?«

»Ich glaube, ich muß es tun. Und da Sie und Ihr Freund die »erste Hilfe« geleistet haben, wäre es gut, wenn Sie mitkämen und meine Mitteilungen bestätigten.«

Jessica und ihre Gäste trugen noch ihre Masken, obwohl manche Tänzer sie bereits abgelegt hatten. Als Doktor Johnson und seine Gefährten sich der Loge 13 näherten, herrschte darin die fröhlichste Stimmung, Jessica selbst lachte laut, und zwei von ihren Begleitern benahmen sich recht lärmend. Der Arzt schickte seine Karte hinein und ließ fragen, ob er Mrs. Mervyn-Robertson allein sprechen könnte, aber sie ließ ihn in die Loge bitten.

»Mrs. Mervyn-Robertson, nicht wahr?« wandte er sich an sie.

»Wer hat Ihnen das gesagt, Doktor Johnson?« rief sie lachend aus, während ihre Gäste gleichfalls lachten. »Ich habe die ganze Nacht versucht mein Incognito zu wahren, aber einer nach dem andern hat es erraten. Setzen Sie sich und trinken Sie ein Glas Champagner mit, nicht wahr?« Sie schob ihm einen Stuhl zu. Er sah sofort, daß sie recht viel getrunken hatte.

»Ich danke Ihnen sehr,« sagte er, »aber Sie werden mich entschuldigen. Ich hätte Ihnen lieber allein gesagt, Mrs. Mervyn-Robertson, was ich zu sagen habe, aber da Sie darauf bestanden, daß ich hereinkam, muß ich es Ihnen hier sagen. Ich glaube, einer Ihrer heutigen Gäste war ein Mr. Schomberg?«

»Ja«, antwortete sie. »Was ist aus ihm geworden?« Sie sah sich um. »Wir haben ihn schon ziemlich lange nicht gesehen. Mr. Johnson, wollen Sie nicht Ihre Freunde vorstellen?«

Preston und Blenkiron standen noch im Hintergrund.

»Gleich, Mrs. Mervyn-Robertson. Ich muß Ihnen zuerst eine recht – traurige Nachricht bringen. Machen Sie sich bitte auf einen Schreck gefaßt. Mr. Schomberg ist plötzlich gestorben. Er starb vor kaum einer Stunde – hier in dieser Loge.«

Preston und Blenkiron standen noch im Hintergrund.

Eine feierliche Stille folgte diesen Worten. Alle schwiegen.

»Levi – tot!« rief Jessica nach einer Weile.

»Das ist unmöglich. Er war noch eben hier und fühlte sich ganz wohl!«

»Vor einer Stunde,« verbesserte Johnson. »Es wurde nach mir geschickt und ich fand Mr. Schomberg tot auf dem Sofa des Sekretariatsbüros.«

»Aber wo starb er? Wer fand ihn?«

»Er starb, wie ich sage, in dieser Loge, wo ihn diese beiden Herren fanden, die Sie, glaube ich, kennen.« Er drehte sich nach den maskierten Gestalten hinter ihm um. »Mr. Blenkiron und Captain Preston.«

Preston bemerkte, daß Jessica zusammenzuckte, als sein Name genannt wurde.

Jessica grüßte.

»Aber wie kamen Sie in diese Loge?« fragte sie und sah von ihrem Platz zu ihnen empor.

»Wir müssen uns für unser Eindringen bei Ihnen entschuldigen, Mrs. Mervyn-Robertson,« sagte Preston, »aber es kam so.« und er setzte ihr auseinander, wie Blenkiron und er den erkrankten Mann erblickt und Einlaß in die Loge verlangt hatten.

»Das war sehr freundlich von Ihnen,« sagte Jessica, als er mit seinem Bericht zu Ende war. »Aber das ist zu schrecklich. Ich kann es nicht begreifen. Der arme Levi! Und er sah heute abend so gesund aus und war so guter Stimmung!«

Sie hielt plötzlich inne.

»Ich frage mich, wer das war, der ihn heute abend sprechen wollte?« sagte sie nach einer Weile. »Er schien erregt. als er zurückkam und wollte keinem ein Wort darüber sagen. Aber nach einiger Zeit schien er alles wieder vergessen zu haben.«

»Das dürfte wohl nichts mit der Todesursache zu tun haben, Mrs. Mervyn-Robertson,« sagte Johnson, der sie durch seine Maske hindurch scharf beobachtete. Er hatte offenbar vergessen sie abzunehmen.

»Nein, natürlich nicht,« antwortete Jessica mechanisch. Sie schien an etwas anderes zu denken. »Sagen Sie, Doktor Johnson,« fragte sie plötzlich in ganz verändertem Ton. »was halten Sie für die Ursache des unerwarteten Todes?«

»Zuerst vermutete ich eine natürliche Todesursache, aber später habe ich meine Ansicht geändert,« erwiderte er langsam, während sein Blick unbeweglich auf ihr ruhte.

»Und was veranlaßte Sie, ihre Meinung zu ändern?«

»Ein oder zwei Symptome. Es wäre zu weitläufig, das auseinanderzusetzen. Die gerichtliche Untersuchung wird ohne Zweifel alles aufklären.«

»Es wird also eine Untersuchung stattfinden?«

Preston schien es, als ob ihre Stimme ein wenig zitterte.

»Unter diesen Umständen – jedenfalls, sagte Johnson.

»Sie glauben daß er sich das Leben genommen hat – mit Gift?«

»O nein, Mrs. Mervyn-Robertson. Sie haben mich falsch verstanden. Aber wir brauchen im Augenblick auf die Sache nicht näher einzugehen. Wünschen Sie vielleicht, die Leiche zu sehen?«

»Muß ich das?«

»Durchaus nicht, wenn es nicht Ihr Wunsch ist. Ich dachte, Sie wollten es vielleicht.«

»Nein, lieber nicht. Es hat mich – uns alle so erschüttert!

Sie schenkte sich schnell ein Glas Champagner ein und leerte es auf einen Zug.

»Captain Preston und Mr. Blenkiron,« sagte sie. »Bitte trinken Sie auch einen Schluck. Es wird Ihnen gewiß nach dem Schreck gut tun.«

Die drei Männer verabschiedeten sich schweigend. Bald befanden sich Preston und sein Freund wieder im Gedränge. Doktor Johnson hatte sich von ihnen getrennt, nachdem er ihnen für ihre Dienste gedankt und sie darauf vorbereitet hatte, daß sie bei der Untersuchung als Zeugen auftreten müßten.

Eine kleine Gruppe an einem Tisch im großen Speisesaal unterhielt sich in lebhaftem Ton und Preston schnappte zufällig einige Brocken der Unterhaltung auf.

»Ja, eine Dame ist verhaftet worden ... vor etwa zehn Minuten ... die Perlen wurden in ihrem Besitz vorgefunden. Ihr Tänzer ... geriet in furchtbare Aufregung, erklärte, er wäre die ganze Zeit mit ihr zusammengewesen. Dann wurde sie der Besitzerin, des Halsbandes gegenübergestellt, die darauf schwor, daß sie beim Souper neben ihr gesessen hatte ... die Diebin oder angebliche Diebin ist ein ganz junges Mädchen ... Ja, ich war dabei, als man ihr die Maske abnahm ...«

»Haben Sie eine Ahnung, wer es ist?«

»Nicht die geringste. Aber man kann seinen Kopf darauf geben, daß bei einem solchen Fest auch berufsmäßige Gauner dabei sind. Sehen Sie nur die Menge von Diamanten! Es stecken viele Millionen drin! Da gibt es für manchen was zu holen ...«

Soviel kam Preston zu Gehör, ohne gerade ein besonderes Interesse bei ihm zu erwecken. Als er Jessicas Loge verließ, war er bemüht gewesen. Yootha ausfindig zu machen, die er in Cora Hartsilvers Gesellschaft zurückgelassen hatte. Aber ihre Loge war jetzt leer, und er schloß daraus, daß alle zum Tanz gegangen waren. Auch Hopford hatte er schon längere Zeit nicht mehr gesehen. Er hatte, wie Preston wußte, Yootha zu mehreren Tänzen engagiert.

Im Gedränge verlor Preston Blenkiron aus den Augen und suchte jetzt allein seinen Weg durch die Tänzer hindurch, die in kleinen Gruppen beisammenstanden und ein wenig ausruhen wollten.

Während er so umherwanderte, kehrten seine Gedanken immer wieder zu Schombergs seltsamem Ende zurück. Immer wieder tauchte vor seinem Geiste das Bild des schlanken jungen Mannes auf, der sich über die regungslose Gestalt beugte. War Schomberg in diesem Augenblick schon tot Und wenn –, warum hatte der junge Mann nicht gleich Lärm geschlagen und nach dem Arzt geschickt?

Und dieser schlanke Mann war, wie Hopford meinte, La Planta. Natürlich konnte Hopford sich irren. Und Jessica! Wie verstört sah sie aus, als Doktor Johnson ihr die Nachricht brachte! Das war allerdings sehr begreiflich. Und doch – –

Was war aus Yootha geworden? Wo in aller Welt konnte sie nur stecken? Wo waren Cora und Hopford? Vielleicht war er in seine Redaktion gegangen. Er hatte von dieser Möglichkeit gesprochen.

Vergebens blickte er unter den Tänzern umher, die an ihm vorüberschwebten und sich drehten, bis ihm beim Zuschauen schwindlig wurde. Weder von Yootha noch von einem anderen aus seiner Gesellschaft war irgend etwas zu sehen. Auch seine Loge, auf die er von Zeit zu Zeit einen Blick warf, blieb leer. Er hatte von dem ganzen Treiben genug und wäre gern heimgefahren. Aber zuerst mußte er Yootha sehen. Er fühlte, daß er an diesem Abend weniger von ihr gehabt hatte, als er erwartete. Aber sie liebte ja zu tanzen und er wäre – so sagte er sich – ein rechter Bär gewesen, sie am Tanzen zu hindern, weil er selbst durch sein verwundetes Bein daran gehindert war.

Plötzlich erblickte er Hopford. Er befand sich in einiger Entfernung – verschwand und kam wieder zum Vorschein. Er schien jemanden zu suchen. Und jetzt hatte Hopford ihn erblickt.

»Charlie, um's Himmels willen – ich suche dich überall,« rief Hopford, als sie endlich zusammentrafen. »Was Furchtbares ist passiert – du wirst einen Schreck kriegen. Aber rege dich bitte nicht auf; denn ich bin sicher, daß alles bald wieder in Ordnung ist. Cora weiß es und ist eben bei Yootha.«

»Yootha? Wo ist sie, Harry? Ich suche sie seit einer halben Stunde.«

»Das glaub' ich,« antwortete Hopford. Jetzt hör' zu, Charlie, und bewahre deine Ruhe. Einer Frau ist heute abend ein Perlenhalsband gestohlen worden, und das Halsband wurde in Yoothas Handtasche gefunden. Sie mußte infolgedessen – verhaftet werden.«

»Verhaftet? Yootha verhaftet?«

»Nun ja. Du verstehst, die Perlen wurden in ihrem Besitz gefunden. Hast du von Levi Schomberg gehört und –«

»Zum Teufel mit Levi Schomberg!« rief Preston aus. »Was geht mich Levi Schomberg an? Vergib, Harry! Bring' mich gleich zu Yootha. Ich muß die Polizei sofort über dieses lächerliche Mißverständnis aufklären!«


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