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Kapitel XIX.
Der fleckenlose Ruf.

Wider alles Erwarten hatten die Behörden die Exhumierung der Leiche Schombergs angeordnet. Die Gerüchte, die über seinen plötzlichen Tod in Umlauf waren, erhielten dadurch neue Nahrung, und die zahlreichen Bekannten des kleinen Juden sahen der neuen Untersuchung mit Spannung entgegen.

»Seltsam, diese Exhumierung,« bemerkte Blenkiron in gleichgültigem Ton zu La Planta, mit dem er eines Morgens auf der Straße zusammentraf. »Was sagen Sie dazu?«

»Ach, fragen Sie mich nicht,« erwiderte La Planta schnell. »Ich hoffe nur, daß sie mich nicht als Zeugen in die Sache hineinziehen. Ich wünschte, ich hätte Schomberg an dem Abend nicht gesehen! Aber Louise wollte ihn durchaus einladen.«

»Schade, daß Sie bei der ersten Untersuchung nicht dabei waren,« fuhr Blenkiron fort. »Ihr schriftliches Zeugnis ließ einige Punkte unaufgeklärt, wie der Vorsitzende klar zu verstehen gab. Ich glaube, wenn diese Punkte klargestellt wären, die Exhumierung wäre nie angeordnet worden.«

»Ja, jetzt wünsche ich auch, ich wäre dagewesen, obgleich ich damals froh war, daß ich nichts mit der Sache zu tun hatte. Sie verstehen, der Arzt hatte mir verboten, das Bett zu verlassen ich war furchtbar erkältet. Was ist Ihre Ansicht über die Todesursache?«

»Ich habe eigentlich keine Ansicht darüber«, antwortete Blenkiron. »Der Vorsitzende schrieb den Tod natürlichen Umständen zu; damit gebe ich mich zufrieden.«

»Ganz meine Meinung,« sagte La Planta eilig.

»Und doch gibt es Menschen, die erklären, immer gedacht zu haben, daß es mit dem Tode des armen Kerls nicht ganz geheuer war, wie sie sagen, obgleich es ihnen vor dieser Exhumierung nicht einfiel, so etwas zu vermuten. Wie ich höre, ist die Polizei von privater Seite davon unterrichtet worden, daß Zweifel über die Todesursache bestanden.«

Als jedoch die Untersuchung stattfand, lautete der Bericht nicht ganz befriedigend. Zwar konnten keinerlei Spuren von Gift nachgewiesen werden, aber die Beschaffenheit der Leichenreste wurde dennoch für unnormal erklärt.

Am nächsten Tage erfuhr man, daß La Planta verhaftet worden war.

Sogleich lenkten die Tageszeitungen die Aufmerksamkeit des Publikums auf den unglücklichen jungen Mann und zogen alles aus seiner Vergangenheit ans Tageslicht, was sie nur aufstöbern konnten. Vielen seiner Freunde kam es jetzt plötzlich zum Bewußtsein, daß ihnen eigentlich nichts aus seinem Vorleben bekannt war, was seiner Ankunft in London, die einige Jahre zurücklag, vorausging.

Als er beim Kreuzverhör über diesen Punkt befragt wurde, gab La Planta zu, einige Jahre seines Lebens im fernen Osten verbracht und Stapleton in China kennengelernt zu haben. Auf die verfängliche Frage, ob er von dem Verstorbenen jemals Geld entliehen hätte, antwortete er mit einem entschiedenen: »Nein.«

»Können Sie uns die Tatsache erklären,« fragte der Staatsanwalt etwas später, »daß einige Tropfen eines sehr seltenen Parfüms, auf dessen Namen und Beschaffenheit ich im Augenblick nicht einzugehen brauche, auf dem linken Aermel des Phantasiekostüms gefunden wurden, das Sie auf dem Ball in der Alberthalle trugen, und daß einige Tropfen derselben Flüssigkeit sich auf dem Kostüm des Verstorbenen vorfanden?«

»Natürlich,« erwiderte La Planta, ohne sich einen Augenblick zu besinnen. »Ich hatte ein Fläschchen dieses Parfüms auf den Ball mitgenommen, und da Mr. Schomberg mir sagte, daß er den Geruch sehr gerne hätte, so gab ich ihm etwas davon, das heißt, ich spritzte einige Tropfen davon auf sein Kostüm.«

»Und wo haben Sie dieses Parfüm erhalten? Soviel ich weiß, ist es in London nicht zu haben.«

»Ganz recht. Ich lasse es mir aus dem Auslande kommen.«

»Das ›Ausland‹ ist sehr umfangreich, Mr. La Planta,« bemerkte der Staatsanwalt trocken. »Darf ich Sie bitten, Ihre Aussage etwas bestimmter zu formulieren? Vielleicht können Sie mir sagen, aus welcher Stadt oder aus welchem Ort Sie dieses Parfüm beziehen oder bezogen haben?«

»Aus Shanghai.«

»Ach, aus Shanghai? Das ist ja sehr interessant. Und wer schickt es Ihnen aus Shanghai? Darf ich den Namen und die Adresse des – oder derjenigen erfahren, die es Ihnen zusendet?«

La Planta schrieb sogleich einige Worte auf einen Zettel, den er dem Staatsanwalt überreichte.

Der Staatsanwalt wechselte in leisem Ton einige Worte mit einem Beamten und fuhr dann fort:

»Ist Ihnen bekannt, Mr. La Planta, daß dieses Parfüm nicht ohne besondere Erlaubnis in England verkauft oder gekauft werden darf, und daß seine Einführung verboten ist, da es eigentlich kein Parfüm, sondern auch ein äußerst starkes Gift ist, das besondere Eigenschaften hat?«

»Das ist mir bekannt.«

»Und Sie haben es trotzdem wissentlich eingeführt?«

»Allerdings.«

Allen, die der Gerichtsverhandlung beiwohnten, war es klar, daß La Plantas freimütige Antworten auf alle Fragen, die ihn verwirren sollten, den Staatsanwalt verstimmten. Das Verhör wurde etwa zwei Stunden lang fortgesetzt und als es endlich seinen Abschluß fand, verließ der Zeuge den Gerichtssaal als ein Mann »von fleckenlosem Ruf,« soweit der Tod des jüdischen Wucherers in Betracht kam.


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