Adolf Kußmaul
Jugenderinnerungen eines alten Arztes
Adolf Kußmaul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Heerfahrt nach Holstein im August 1848.

Im Sommer 1848 wurde der deutschen Armee, die unter General von Wrangel in Schleswig-Holstein stand, eine, aus Abteilungen des VIII. Bundesarmeekorps zusammengesetzte Division unter dem Befehle des württembergischen Generalleutnants von Miller zugewiesen. Die badische Abteilung bildete eine Brigade unter dem Kommando des Obersten von Roeder in der Stärke von 5 Bataillonen, je eines von den 5 Infanterieregimentern zu 950 Mann, und einer Fußbatterie. Das Bataillon Holtz, dem ich als Feldarzt angehörte, war eines der ausgewählten fünfe. Viele junge Leute, darunter auch einige Universitätsfreunde, hatten als Freiwillige in der Brigade Aufnahme gefunden. Aus den geträumten Lorbeeren in den meerumschlungenen Herzogtümern ist nichts geworden, keinen einzigen »danske Landssoldat« bekam die Brigade zu Gesicht.

Der Abmarsch unseres Bataillons erfolgte von Rastatt am 13. August. Bei Tagesanbruch stand es marschbereit, und wir hätten wohlgetan, sofort aufzubrechen, denn es war noch kühl und ein heißer Tag in Aussicht, aber man hatte der Rastatter Bürgerschaft zugestanden, die scheidende Truppe mit einem Abschiedstrunk zu bewirten. Als wir endlich ausrückten, brannte die Sonne schon recht warm auf die angeheiterten Köpfe. Gegen Mittag begannen viele zu wanken, schließlich lagen die Leute zu Dutzenden längs der Straße. Ich hatte vollauf Arbeit, schnürende Riemen zu lösen, Ermattete und Ohnmächtige zu beleben, doch ging es ohne Todesfall ab.

Unter den Freiwilligen des Bataillons befand sich ein Theologe, 407 der die Hochschule absolviert, aber sein Examen noch nicht gemacht hatte; seine Heidelberger Freunde nannten ihn, um seines treuherzigen und etwas ruppigen Wesens willen, den Förster. Er hatte sich im Frühjahr bei seinen Eltern, braven Pfarrersleuten in der Nähe von Freiburg, auf das Examen vorbereitet, als der Aufstand losbrach, Hecker über den Schwarzwald marschierte und die Aufständischen Freiburg verbarrikadierten. Da litt es ihn nicht zu Hause; statt mit Gottes Wort auf der Kanzel zu Frieden und Gehorsam zu mahnen, griff er zum Gewehr und kämpfte auf der Barrikade wider den Feind, der die Stadt erstürmte. Es gelang ihm, unversehrt zu entkommen, und seine Teilnahme an dem Kampfe blieb verborgen. Aber der Pulverdampf, das Zischen der Kugeln, die Aufregungen des Gefechts hatten unsrem »Förster« wohl gefallen, und als die badische Brigade gegen die Dänen geschickt wurde, meldete er sich in Rastatt als Freiwilliger, um für das Vaterland an der Nordmark des Reichs zu streiten. Ich sah ihn im heißen Sonnenbrand mühsam daher marschieren, den schweren Tschako auf dem Haupte, die Last des Tornisters auf dem Rücken, die Muskete auf der Schulter; darum lud ich ihn ein, auf dem »Pflasterkasten«, der Ambulance, aufzusitzen, denn ich besorgte, er werde, der Anstrengung noch ungewohnt, wie so viele andre, zusammensinken. Er wies mich jedoch bestimmt ab und marschierte weiter, bis wir die ersehnten Quartiere in dem Städtchen Mühlburg bei Karlsruhe bezogen. – Kaum hatte ich meine dringendsten Geschäfte erledigt, so eilte ich, ihn aufzusuchen. Ich fand ihn gesund und gut aufgehoben, traute aber meinen Augen nicht: es war eine Stunde vergangen, und doch steckte er noch in voller Rüstung und saß, mit Tschako und Tornister, das Gewehr in der Hand, ernst vor sich hinblickend, auf dem Rande des Bettes, das ihm für die kommende Nacht zugerichtet war. Ich erschrak: »Um Gottes willen, Förster,« rief ich ihm zu, »hat dich ein Sonnenstich um den Verstand gebracht? Was fehlt dir?« – »Nichts fehlt mir, aber ich ruhe und raste nicht, bis ich mich an die Montur und Armatur gewöhnt habe!« Der wackere Förster hat die Fahrt nach Holstein glücklich mitgemacht und sich an Montur und Armatur gewöhnt. Er ist 1849 über das große Wasser gesegelt und hat in 408 der neuen Welt eine neue Heimat gefunden, nicht als Prediger und nicht als Soldat, sondern bei einem friedlich ehrsamen bürgerlichen Gewerbe.

Wir verweilten in dem Städtchen Mühlburg bis zum 16. August. Am 15. besichtigte Großherzog Leopold die Brigade in Karlsruhe.

Leider war die Völlerei bei den Truppen eingerissen, sie wurden allenthalben zu reichlich mit Wein bewirtet, darunter litt die Mannszucht. Am 15. abends vergriff sich ein betrunkener Soldat auf dem Wege von Karlsruhe nach Mühlburg an einem Leutnant tätlich, dieser zog den Degen und durchbohrte ihm die Lunge. Ich leistete dem Verwundeten den ersten Beistand.

Erst am 19. August erreichten wir nach vier kleinen Tagemärschen das große Dorf Seckenheim bei Mannheim. Auf dem Marsch erzählte mir ein Korporal namens Groß, ein schöner Mann und gewesener Schauspieler, er sei weit in Deutschland herumgekommen, auch schon in Holstein gewesen. Man habe dort das beste Fleisch der Welt, aber die üppige Holsteiner Küche verlange einen starken Magen. Der seinige sei gottlob der Aufgabe gewachsen. – In Seckenheim nahm das Abschiedtrinken kein Ende. Am 20. wurde abends nach Mannheim abmarschiert, um zwei Uhr nachts das Bataillon auf drei Dampfschiffe verladen und den Rhein hinab nach Köln spediert. Einer der Oberfeldwebel gab Befehl, man solle ihn erst bei Ehrenbreitstein aus dem Schlafe wecken, er wünsche die berühmte Festung zu sehen, was auch geschah; am besten gefiel ihm an der Festung, daß man Reben um sie pflanzte. Wir landeten bei sinkender Nacht in Köln, fuhren am 21. mit der Bahn durch Rheinland und Westfalen nach Bückeburg, am 22. nach Harburg und am 23. Morgens früh zu Schiffe über die Elbe nach Altona, wo der Brigadestab bereits Quartier bezogen hatte.

Nach unsrer Ankunft erhielten wir Befehl, uns nicht anders als in Paradeuniform auf den Straßen von Altona und Hamburg zu zeigen. Generalarzt Griesselich, der das Sanitätswesen der Brigade leitete, erteilte mir persönlich nebst andern Weisungen auch die, recht bald ein großes Feldspital zu besichtigen, das in Altona neu 409 eingerichtet worden war. Nachdem ich die nötigen Geschäfte in meinem Quartier besorgt hatte, vertauschte ich meine Dienstmütze mit dem Paradehut der badischen Militärärzte, suchte das Feldspital auf, mit dessen Einrichtungen mich ein junger, hier angestellter Zivilarzt aus Hannover bekannt machte, und lenkte dann meine Schritte nach Hamburg, um hier mein verspätetes Mittagsmahl einzunehmen. Der Kollege begleitete mich bis zur Vorstadt St. Pauli.

Mein ärztlicher Paradehut war ein prächtiger Schiffhut, geziert mit einem mächtigen Busche flatternder Hahnenfedern, mit goldenen Tressen und zwei riesigen, über einander weithin glänzenden Kokarden, der deutschen, schwarzrotgolden, und der badischen, goldrotgolden. Er war das Entzücken der Dorfjungen gewesen, wenn ich in der badischen Heimat genötigt war, mit ihm durch die Ortschaften zu reiten, sie liefen mir dann bewundernd nach und riefen: »der General! der General!« Wie ich jetzt bescheiden zu Fuße gegen das Tor von St. Pauli hinschritt, das von der Hamburger Kommunalgarde bewacht war, hörte ich plötzlich den Posten aus Leibeskräften die Wache herausrufen. Die ganze Mannschaft stürzte zu den Gewehren und nahm Stellung zum Salutieren. Ich blickte hinter mich, um zu sehen, wem das Salutieren gelten solle, aber mein Begleiter belehrte mich: »Es gilt Ihnen, Herr Kollege, oder doch Ihrem Hute! Es sind in letzter Zeit so viele hohe Offiziere und uniformierte Prinzen durch Hamburg gekommen, Ihr Hut wetteifert mit den schönsten, die man bis jetzt gesehen hat. Halten Sie sich zum Gegengruße bereit! Bedenken Sie die große Ehre, die unsrem Stande widerfährt!« Wir schritten vorüber, die Wache präsentierte, ich grüßte mit Würde. – Wie einst in Ischl mein Pariser Klapphut, verhalf mir an diesem denkwürdigen Tage mein medizinischer Paradehut zu unverdientem hohem Ansehen. Doch schon am nächsten Tage waren die Herren von der Kommunalgarde über die Bedeutung meiner Uniform besser unterrichtet. Als mich mein Weg diesmal an der Hauptwache der Stadt vorbeiführte, sah der Posten von ferne den leuchtenden Schiffhut, rief die Wache heraus und es stürzte die gesamte Mannschaft zu den Gewehren. Schon harrte ich der Ehren des gestrigen Tags, da musterte mich der Kommandant der Wache 410 flüchtig und wies die Truppe in ihr Lokal zurück, nur der Posten schulterte. Diesmal war ich der Getäuschte.

Nachdem mich mein Kollege in St. Pauli verlassen hatte, begegnete mir ein Soldat meines Bataillons, ein gemütlicher Schwarzwälder, er hielt mich an und fragte: »Wissen Sie schon, Herr Feldarzt, was dem Herrn Generalarzt zugestoßen ist?« – Ich verneinte und erfuhr, er sei vom Pferde gefallen. Diese Nachricht regte mich nicht auf, der Soldat erzählte sie so ruhig und der Unfall verwunderte mich nicht; die Militärärzte waren meist schlechte Reiter, der lange Friede hatte ihrer Reitkunst, falls sie je reiten gekonnt, Eintrag getan. Auch Griesselich hatte es, wie ich später erfuhr, verlernt und sich erst, kurz bevor er nach Holstein abging, ein Pferd gekauft. Darum erkundigte ich mich gelassen, ob der Generalarzt Schaden genommen habe. »Es muß wohl sein,« erwiderte er, »denn das Pferd ist auf dem Dammtorwall mit ihm durchgegangen, weil es vor den Windmühlen gescheut hat; aus dem Sattel geschleudert, ist er mit den Sporen im Steigbügel hängen geblieben und eine Strecke weit geschleift worden.« – »Um Gottes willen!« rief ich entsetzt, »wo ist er?« – »Ich habe mitgeholfen, ihn auf die Dammtorwache zu tragen, er war bewußtlos und blutete aus den Ohren.«

Der Soldat führte mich zum Dammtor. Da lag der Unglückliche. Vor wenigen Stunden hatte er noch mit gewohnter Frische, gesund und heiter, mit mir gesprochen, jetzt lag er blaß und unbesinnlich auf der Pritsche, ein verlorener Mann, mit zerschmettertem Schädel, das erste und einzige Opfer dieses ruhmlosen Heerzugs! Gleich nach mir traf der Stabschirurgus der freien Stadt Hamburg ein, er hieß, wenn ich mich recht erinnere, Fleischmann. Er stand mir getreulich bei, wir brachten den Verunglückten in das nächstgelegene Hospital, eine Stiftung der Freimaurer. Bald darauf erschien der Kommandierende unsrer Brigade mit seinem Stabe. Ich erhielt Befehl, bei Griesselich bis zum nächsten Tage zu wachen. Die Besinnung kehrte ihm nicht wieder. Er verschied am 31. August.

Am 25. August verließ unser Bataillon Altona. Wir marschierten in kleinen Tagmärschen durch das westliche Holstein über Pinneberg, Elmshorn und Itzehoe in die Gegend der Pöschendorfer 411 Heide, wo die Kompagnien, die Quartiere häufig wechselnd, viele kleine, meist sehr arme Ortschaften bezogen. Der Stab, dem ich angehörte, war immer gut aufgehoben, zuletzt, vom 3. bis 16. September, in Mehlbeck, wo wir, infolge des Waffenstillstands von Malmoe, Befehl zum Rückmarsch erhielten.

Der größte Teil des holsteinischen Landes, das ich bei dieser Gelegenheit kennen lernte, ist von der Natur wenig gesegnet. Sitten und Lebensweise der Bewohner wichen von denen Süddeutschlands bedeutend ab.

An einem der Marschtage kam ich abends zu einem wohlhabenden patriotischen Bauern ins Quartier, sein Gehöfte war sehr ansehnlich, ich erhielt eine große Stube zugewiesen, und gleich nach der Ankunft wurde mir ein prächtiges Stück gesalzenes Schweinefleisch vorgesetzt. Es hatte eine zolldicke Lage Speck, auf dem Speck lag fingerdick Zucker und Zimmet. Ich schnitt den Speck mit dem Zucker und Zimmet weg und ließ mir das Fleisch gut schmecken. Als ich zu schlafen wünschte, schob man eine Schiebtür von einem Verschlag an der Wand zurück, worin ein Bett mit einer riesigen Eiderdunendecke lag. Mit Grauen beschaute ich die Gruft, nahm das Bett ohne die Decke heraus, legte es auf den Boden und schlief vortrefflich.

In Elmshorn, auf dem Rückmarsch, lud ein patriotischer Hufschmied den Stab zu Tische. Wir bekamen eine dicke Reissuppe, mit Ingwer verschwenderisch gewürzt, einen saftigen, mit Gewürznelken reich bespickten Rinderbraten, schönen Lattich mit Rahm und Zucker, ohne Oel und Essig angemacht, und mit Scheiben von harten Eiern belegt, dazu guten Rotwein.

Uebel erging es mitunter den Kompagnien auf den armen Dörfern und Gehöften der Heide. Die Naturalverpflegung der Truppen war noch nicht eingeführt, und wir waren auf die Quartiergeber angewiesen. Besonders schlecht ging es geraume Zeit der dritten Kompagnie, der unser Korporal Groß angehörte, der schöne, ehemalige Schauspieler. Bei einem ärztlichen Besuche, den ich der Kompagnie abstattete, beklagte er sich bitter bei mir. Der vorher so blühende Mann hatte eingefallene Wangen und einen aufgetriebenen Leib, er lag im Quartier bei einer alten, armen Wittwe auf Stroh, 412 sie pflegte ihn nach besten Kräften und setzte ihm dreimal täglich Kartoffel in der Schale mit Buttermilch vor. Ich beklagte ihn: »Korporal, Sie hatten recht, als Sie mir auf dem Marsche nach Seckenheim prophezeiten, daß die holsteiner Küche einen guten Magen verlange, aber trösten Sie sich, es geht das Gerücht, wir sollen in die fetten Marschen gelegt werden, wo es wieder Rinderbraten gibt und guten Wein!« Unsere Leute konnten hier nicht einmal Schnaps auftreiben. Vielen Offizieren ging es gleichfalls schlecht. Ein Hauptmann mußte das Schlafgemach mit der Familie des Quartiergebers teilen; Vater, Mutter, Tochter und der Hauptmann schliefen in derselben Stube in zwei getrennten Wandverschlägen.

An einem schönen Septembertag war große Inspektion der Division v. Miller durch den Höchstkommandierenden der Armee, General von Wrangel; die badische Brigade bildete den rechten Flügel der Aufstellung. Der berühmte General »Drauf« wie ihn seine Soldaten nannten, kam im Wagen angefahren, trug aber riesige Reiterstiefel in denen er fast versank. Als er die Reihen musternd durchschritt, mochten die großen Stiefel die Spottlust einiger leichtsinnigen Pfälzer gereizt haben, sie lächelten, der alte Haudegen aber vertrieb ihnen das Lachen. »Ihr lacht?« donnerte er sie an, »wartet, ihr Bürschchen, ich will euch das Lachen vertreiben. Ihr seid verwöhnt; bei euch zu Hause hattet ihr Fleisch und Wein, hier, in Holstein, bekommt ihr noch Speck und Schnaps, ich werde euch nach Jütland schicken, dort sollt ihr bei Wasser und Brot im Biwak liegen!« – Die Rede verbreitete Schrecken. Konnte das Fasten noch ärger werden, als auf der Holsteiner Heide? – Glücklicherweise blieb es bei der Drohung. Es kam der Befehl, nach Baden heimzumarschieren, nur ein Bataillon, das Oberstleutnant v. Porbeck kommandierte, mußte in den Herzogtümern zurückbleiben und überwintern. Der Arzt dieses Bataillons, ein Dr. Wallerstein, der in Karlsruhe in Garnison stand und Frau und Kinder, auch Privatpraxis hatte, klagte mir bei einer zufälligen Begegnung, wie ungern er bleibe. Ich erbot mich, mit ihm zu tauschen; er wandte sich nach Karlsruhe, ehe aber die Genehmigung dazu eintraf, war ich mit meinem Bataillon auf dem Marsche durch das Königreich Hannover, die Cholera war 413 in der heimkehrenden Brigade aufgetreten, und ich durfte deshalb das Bataillon nicht verlassen.

Wir hatten die schlimme Seuche in Hamburg aufgelesen, in dessen Vororten die Truppen einquartiert worden waren, ich lag am 19. und 20. September mit einem Teil unsres Bataillons in Horn. Den größten Teil des 19. brachte ich in Hamburg zu und besuchte mit Dr. Cohen das allgemeine Krankenhaus, sah vormittags 40 Cholerakranke und wohnte nachmittags 6 Sektionen bei. Am 21. fuhr das Bataillon nach Harburg, um hier zu übernachten; als ich mich eben gelegt hatte, holte man mich zu zwei plötzlich von der Cholera befallenen Soldaten, bei denen ich die ganze Nacht bis zum Abmarsch des Bataillons am Morgen verweilte. Mein Lehrer Pfeufer und viele Aerzte sahen damals in der Eindickung des Blutes, als Folge der riesigen Wasserverluste durch die Ausleerungen, die Ursache des tödlichen Verlaufs im Choleraanfall; er hatte uns deshalb, um das Blut dünner zu machen, Aderlässe empfohlen. Ich befolgte den Rat, unerleichtert starben die beiden armen Burschen bald nach unserem Abmarsch. Es waren die einzigen Aderlässe, die ich bei der Cholera zeitlebens gemacht habe.

In Lüneburg hatten wir am 24. Ruhetag. Die Bürgerwehr feierte an diesem Tage das Fest ihrer Fahnenweihe und lud uns zu einem Ball ein. Auf dem weiteren Marsche über Uelzen nach Hannover und in Hannover selbst, von wo uns die Bahn am 29. nach Köln brachte, meldeten sich noch zwei Cholerakranke, die wir zurücklassen mußten. Auch Freund Förster schleppte sich, unterstützt von einem andern Freiwilligen, bei der Abfahrt von Hannover krank an den Bahnhof; er litt an Cholerine, und bat mich flehentlich, ihn nicht zurückzulassen. Ich legte ihn auf Stroh in den Gepäckwagen und nahm ihn mit, er nahm Opium und genas. In Köln kamen wir nachts 2 Uhr an. Unsre Leute mußten in einer übelriechenden Reitschule auf schlechtem Stroh ohne Abendbrot zwei Stunden zubringen, bis Reveille geschlagen wurde und wir die Dampfschiffe zur Fahrt rheinaufwärts besteigen konnten. Die badische Infanterie trug damals Mäntel aus weißen Schaffellen; als das Bataillon in die Reitschule getrieben wurde, wie eine Schafherde in die Hürde, 414 begannen die Leute zu blöken, worüber unser guter alter Major außer sich geriet, aber was war dagegen zu machen?

Der letzte Mann, der an Brechruhr schwer erkrankte, meldete sich gerade bei der Abfahrt auf dem Dampfschiff, wir mußten ihn mitnehmen und konnten ihn erst in Koblenz ans Land bringen, wo er in das Militärhospital getragen wurde. Er genas nach einigen Tagen, aber sein Wärter erkrankte und erlag der Seuche in 20 Stunden. Bis dahin war kein Fall von Cholera in Koblenz vorgekommen.

Der Wasserstand war niedrig, die beiden Schiffe, die uns aufwärts trugen, kamen nur bis St. Goar und Goarshausen. Der Stab übernachtete in Oberwesel. Am nächsten Tage marschierten wir nach Bingen, setzten hier über den Rhein nach Rüdesheim und nahmen Quartier in Geisenheim, wo ich in der Familie eines Freundes einen angenehmen Tag verlebte. Dann ging es durch den Rheingau nach Mainz, von da mit der Bahn nach Frankfurt; ich verbrachte hier einige Stunden mit Scheffel; den 2. Oktober fuhren wir nach Heidelberg und den 3. über Karlsruhe und Rastatt, an beiden Orten offiziell begrüßt, nach Ettenheim. Hier blieben wir acht Tage und marschierten dann nach Lörrach und Umgegend. Am 21. September waren Struve und Blind von der Schweiz aus nach Lörrach gekommen, hatten die Republik proklamiert, ihre bewaffneten Haufen aber waren bei Staufen zersprengt und sie selbst auf der Flucht gefangen genommen worden. Die Grenze wurde deshalb gegen erneute Einbrüche in den Rheinwinkel bei Basel von einer badischen Brigade bewacht, zu der das Bataillon Holtz stoßen sollte.

Der heiße Sommer hatte gute Trauben gezeitigt. Schwer beladene Wagen mit jungem Wein begegneten uns in Menge, als wir durch die obere Markgrafschaft nach Lörrach hinaufzogen. Vor jedem neuen Wagen erscholl der Gruß der vergnügten Soldaten: »Achtung, Bataillon! präsentiert das Gewehr!« 415

 

 


 << zurück weiter >>