Adolf Kußmaul
Jugenderinnerungen eines alten Arztes
Adolf Kußmaul

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Die Fahrt nach München.

Den Weg von Heidelberg nach München legt man heute mit dem Schnellzug bequem in acht Stunden zurück. Damals war von der ganzen Strecke, die wir von Wiesloch nach München durchfahren mußten, nur der kleine Teil von Wiesloch bis Bruchsal und der größere am Ende der Reise von Augsburg bis München mit Schienen belegt, durch ganz Württemberg und von Ulm bis Augsburg mußten wir den Eilwagen benutzen. Wir kamen am ersten Tag abends nach Stuttgart, nachdem wir in Vaihingen an der Enz Mittag gemacht hatten, fuhren eng zusammengepfercht die Nacht hindurch bis Ulm, wo wir halb gerädert ankamen, wurden in Günzburg paßpolizeilich genau verhört, und verbrachten die zweite Nacht zu Augsburg in den altberühmten drei Mohren. Erst am dritten Tage erreichten wir München.

Gleich bei der Abfahrt von Wiesloch bekamen wir einen älteren Herrn und eine junge Dame zu Reisegefährten, die, wie wir, nach München fuhren. Er stand in den Fünfzigen, sie war ein blühendes Mädchen, hübsch, heiter und noch nicht zwanzig Jahre alt. Es waren Onkel und Nichte; er schrieb sich in den Gasthöfen als Gutsbesitzer vom Niederrhein ein und erzählte uns bei Gelegenheit, daß er als Rentner lebe und den Sommer in Tirol zubringe, wohin ihn seine Nichte in diesem Jahr zum erstenmal begleite. Der Onkel hatte nichts Anziehendes, die Nichte gefiel uns besser.

In Vaihingen wurde Halt gemacht und zu Mittag gegessen. Da stellte es sich beim Tischgespräche heraus, daß man unserem 315 Reisegefährten gegenüber die Worte auf die Goldwage legen mußte. Mein Freund unterhielt sich mit der Nichte über die Sehenswürdigkeiten, die uns in München erwarteten. Sie bemerkte ihm, daß sie neugierig sei, den Gottesdienst in der griechischen Kapelle dort kennen zu lernen, worauf er in aller Unschuld erwiderte: er meine gehört zu haben, daß der griechische Kultus noch unterhaltender sei, als der römisch-katholische. Es lag ihm nichts ferner, als die Absicht, Andersgläubige zu kränken, aber der Onkel hatte zugehört, fuhr empor und rief ihm über den Tisch zu: »Herr Doktor, die Kirche ist kein Theater! Ihre Aeußerung ist nur durch Ihre Jugend zu entschuldigen.« – Mein Freund schwieg mit richtigem Takt, und die Nichte brachte klug und geschickt das Gespräch auf ein andres, unverfängliches Thema. – Nach Tische besprachen wir unter uns die Szene. Der Onkel war offenbar ein kirchengläubiger und glaubenseifriger Mann, aber er hatte nicht gelernt, seine Heftigkeit zu zügeln; wir beschlossen, des Zwischenfalls nicht zu achten, aber dessen eingedenk auf unsrer Hut zu sein. Wir verkehrten, als wäre nichts vorgefallen, mit Onkel und Nichte weiter, scherzten und lachten mit dieser, der Onkel lächelte dazu und gemahnte uns so an einen sauern Obstkuchen mit aufgestreutem Zucker.

In den »drei Mohren« zu Augsburg legte man uns das merkwürdige Fremdenbuch vor. Der berühmteste Gast, der in dem Hause Quartier genommen, war Napoleon nach den großen Tagen von Ulm. In dem Buche stand ausdrücklich, wie der siegreiche Korse den Magistrat der freien Reichsstadt beim Einzug begrüßt hatte. Seine Worte lauteten, ich glaube mich ihrer zu erinnern, wie folgt: »Ihr habt ein heilloses Pflaster, es ist Zeit, daß ich Euch einen Monarchen gebe, der für ein besseres sorge!« – Er hielt Wort, der Preßburger Friede vernichtete die alte Reichsfreiheit der schwäbischen Stadt und brachte sie an Bayern.

Nachdem wir Augsburg am Morgen des folgenden Tages besichtigt hatten, fuhren wir nachmittags nach München. Der Onkel rühmte den »Oberpollinger« als gut und billig. Wir stiegen dort ab. Ueber der Türe unsres Schlafzimmers glänzten in weißer Kreide die Buchstaben der heiligen drei Könige: † C. M. B. †. An 316 dem Dreikönigstage kam alljährlich der Kapuziner mit Wedel und Weihwasser, besprengte das Haus und betete um himmlischen Schutz und Segen für Wirt und Gäste. In der Hut der drei Könige, der berühmteren Reisenden der christlichen Welt, schliefen wir sicher und gut; außerhalb des Hauses, auf den Wanderungen durch die Straßen, vertrauten wir auf das Münchner Kindl und verweilten so, wohlbeschirmt, sieben schöne und lehrreiche Tage in der bayerischen Residenz. 317

 

 


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