Adolf Kußmaul
Jugenderinnerungen eines alten Arztes
Adolf Kußmaul

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Die Studentenschaft der Ruperto-Carola bis 1840.

Drei Monographien haben sich mit der Geschichte der Heidelberger Studentenschaft des 19. Jahrhunderts befaßt. – Heyck hat ihr Treiben im Beginn des Jahrhunderts geschildert (Heidelberg, Winter, 1886). – Die Korps ließen zur Feier des 500jährigen Jubiläums der Universität 1886 eigene Annalen im Selbstverlage drucken. – Zuletzt hat E. Dietz die Geschichte der Burschenschaft geschrieben (Heidelberg, Petters, 1895).

Als Karl Friedrich von Baden 1803 – damals Kurfürst, seit 1806 Großherzog – die Universität in Heidelberg als Regent übernahm, war die altehrwürdige Stiftung des Wittelsbachers Ruprecht I. von der Pfalz (1386) dem Untergange nahe. Unter der langen Regierung des ganz in die Schlingen der Jesuiten gefallenen Kurfürsten Karl Theodor (1742–1799) war sie mehr und mehr in Verfall geraten, und 1801 hatte sie der Friede von Lunéville ihrer Gefälle und Besitzungen links vom Rhein, und damit ihrer Einkünfte, fast ganz beraubt. Karl Friedrich gab ihr aufs neue die finanziellen Mittel zu gedeihlichem Bestehen, berief ausgezeichnete Professoren an Stelle der alten unbrauchbaren und drang nachdrücklich auf die Verbesserung von Geist und Sitten ihrer Schüler. Er wurde der Neubegründer der Hochschule. Sie blühte prächtig empor, und die Zahl ihrer Studierenden nahm rasch und beträchtlich zu. – Mit Recht verbindet die dankbare Universität den Namen ihres Stifters mit dem ihres Wiederherstellers und nennt sich seitdem Ruperto-Carola.

Ein schlimmer Geist herrschte unter den Studierenden, als der neue Regent die Reform der Hochschule ins Werk setzte. In geheime 120 Orden und Landsmannschaften geteilt, überboten sie einander in rohen Ausbreitungen, Duellen und Prügeleien, die akademische Freiheit verwechselnd mit Ziellosigkeit. Karl Friedrich trat dem wüsten Treiben mit scharfen Erlassen entgegen, doch hätten diese allein wenig ausgerichtet, wenn nicht die besseren Lehrer und Einrichtungen der Universität auch bessere Schüler nach Heidelberg gebracht hätten. Sie kamen aus ganz Deutschland und besaßen oder gewannen eine richtigere Einsicht in Wesen und Zweck des akademischen Studiums, in die sittlichen und nationalen Aufgaben der Universitäten. Ein kräftiger Drang zur Reform brach damit auch in dem Verbindungswesen durch.

Dieses bessere Streben fand seinen ersten Ausdruck in der Gründung der Korps, die sich an Stelle der Orden und Landsmannschaften bildeten. Sie bedeuteten einen wirklichen Fortschritt im Verkehr der Studenten unter sich und mit der Außenwelt, indem sie nicht bloß das Holzen, wie man die Prügeleien nannte, sondern jede tätliche Beleidigung der Kommilitonen unter sich strenge verdammten und die kommentmäßigen Grenzen der wörtlichen Beleidigung scharf feststellten. Im Fall die Beleidigung eine »Satisfaktion« durch die Waffen erheischte, so regelte der Komment genau die Wahl der Waffen und die Art ihrer Führung. – Die Regierung verkannte das Löbliche dieser Bewegung, sie sah in den Korps nichts als die alten, gänzlich verrohten Landsmannschaften unter neuem Namen und schritt auf das schärfste gegen sie ein. Um sie gleich im Beginn ihrer Gründung sicher zu vernichten, ließ die Behörde 44 Studierende auf einmal relegieren, ohne jedoch ihr Ziel zu erreichen. – Es läßt sich freilich nicht in Abrede stellen, daß die Korps noch in vielen Stücken die Nachfolger der alten Landsmannschaften waren, wie sie denn anfangs auch die Aufnahme ihrer Mitglieder von deren Heimat abhängig machten.

Die Befreiungskriege brachten neue Gedanken und Ziele in das deutsche Verbindungswesen. Viele Jünglinge hatten den Krieg mitgemacht. Sie kamen als feurige Patrioten an die Universitäten zurück, das Treiben der Korps befriedigte sie nicht, ihre Blicke gingen über die landsmannschaftlichen Grenzen hinaus in das weite, gemeinsame Vaterland. Sie wollten nicht mehr Schwaben und Westfalen oder gar Cimbern, Heruler und Vandalen sein, sondern deutsche 121 Burschen, und darum gründeten sie die deutsche Burschenschaft mit dem Wahlspruch: Ehre, Freiheit und Vaterland.

Es bleibt das unsterbliche Verdienst dieser alten Burschenschaft, den Einheitsgedanken, den die französische Zwingherrschaft bei den Besten der Nation geweckt hatte, treu gepflegt und in alle Gauen getragen zu haben. Haben auch tolle Fanatiker sich bis zum Verbrechen hinreißen lassen, ihre Verirrungen mindern den verdienten Ruhm der deutschen Burschenschaft nicht.

Auch in Heidelberg erstand eine Burschenschaft, die bald mehr Mitglieder umfaßte, als alle Korps zusammen. Da geschah 1819 Sands unsinnige und unselige Tat. Er gehörte der Burschenschaft in Jena an, und war von da über Heidelberg nach Mannheim gegangen, um einen frivolen Lustspieldichter als gefährlichen Feind des Vaterlandes mit dem Dolche niederzustoßen. Es mag unglaublich erscheinen, der Mörder erregte weit mehr Teilnahme als sein Opfer, namentlich bei den Frauen und Jungfrauen der Pfalz. Sie schmückten das Bild des blondgelockten, schlanken Jünglings in der kleidsamen Burschentracht, der sein junges Leben dem Scharfrichter hingeben mußte, mit Immortellen und hingen es auf im verschwiegenen Schlafgemach. Auch Splitter des Schafotts, worauf der beschränkte Schwärmer geendet, wurden als kostbare Reliquien aufbewahrt. Das Schafott wurde Eigentum des Heidelberger Scharfrichters, der ihn enthauptet hatte und es beim Bau eines Gartenhäuschens verwendete, das noch heute in den Weinbergen links am Weg, der von der Rohrbacher Straße nach Speierers Hof führt, zur Tiefe herabschaut.Auch dieses Andenken ist jetzt verschwunden.

Das Verbrechen Sands zog als unmittelbare Folge die Karlsbader Beschlüsse nach sich; sämtliche Verbindungen, Burschenschaft und Korps wurden aufgehoben, aber trotz Bundes- und Landesverbots bestanden sie mit zeitweiligen Unterbrechungen fort. Kamen landesherrliche Kommissäre nach Heidelberg, um nachzusehen, so lösten sich die Verbindungen auf, reisten die Kommissäre nach Karlsruhe zurück, so taten sich die Verbindungen sofort wieder zusammen. – Burschenschaft und Korps bewahrten ungeachtet häufiger Zwistigkeiten 122 ein kommentmäßiges Benehmen gegen einander, faßten auch wohl in allgemeinen studentischen Angelegenheiten gemeinsame Beschlüsse.

So blieb es bis zur Julirevolution 1830. Die große Aufregung, die sie in Deutschland hervorrief, wurde gefährlich für die Burschenschaften. Die Heidelberger beteiligte sich als Körperschaft im Mai 1832 an dem Hambacher Feste, dessen Teilnehmer als Aufwiegler und Hochverräter in Untersuchung gezogen wurden. Einige ihrer Mitglieder halfen sogar im April 1833 bei dem Frankfurter Attentat die Hauptwache stürmen. Danach brachen schwere Zeiten herein. Die bloße Teilnahme an der Burschenschaft war Hochverrat. Viele ihrer Mitglieder flüchteten über die Grenzen, selbst über das Weltmeer, andere büßten den Rausch der Jugend mit langer Kerkerhaft. Die preußische Regierung verhängte sogar Todesstrafe, teils auf dem Rade, teils durch Enthauptung, aber vollzog sie nicht. In Baden ließ man es bei leichter Haft in der sog. Festung Kißlau bei Bruchsal bewenden.

Seitdem blieb die Burschenschaft in Heidelberg unterdrückt; jeder Versuch, sie neu aufzutun, zog unfehlbar die Relegation nach sich. Auch die Korps waren anfangs streng verboten und fristeten ein kümmerliches Dasein, wurden jedoch nach wenigen Jahren stillschweigend geduldet, nur durften sie öffentlich keine Farben tragen.

Die ganze Universität mußte für die Sünden der Burschenschaft büßen, mit ihr die badische Schwesteruniversität in Freiburg. Die preußische Regierung verbot 1833 den Besuch beider als Hochschulen der Demagogie. Die Zahl ihrer Studierenden sank bedeutend. In Heidelberg waren drei Korps aus Mangel an Leuten sofort gezwungen, sich aufzulösen. Erst 1839 nahm Preußen sein Verbot zurück.

Am 1. April 1840 zeigten die Korps bei der feierlichen Bestattung des Professors Thibaut, daß sie von neuem bedeutend erstarkt waren. Sie veranstalteten dem hochverehrten Lehrer einen großartigen Leichenzug, wie ihn Heidelberg nie gesehen, und die gesamte Studentenschaft fügte sich willig ihrer Leitung. Mit dem ganzen Pompe studentischer Aufzüge bewegte er sich durch die Straßen. Ich war im letzten Jahre Lyceist, tief ergriffen sah und bewunderte ich den Glanz und die Herrlichkeit des Burschentums. 123

 

 


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