Adolf Kußmaul
Jugenderinnerungen eines alten Arztes
Adolf Kußmaul

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Das Salzburger Land.

Auf der hohen Gerlos schlug das Wetter um; wir gingen, es war am 9. Juni, eine Stunde lang in starkem Schneegestöber und kamen durchnäßt abends in Krimml an. Am andern Morgen besichtigten wir die großartigen Wasserfälle und gingen im Regen die Straße durch das Pinzgau herab. Dabei summten wir, um uns bei guter Stimmung zu erhalten, das schöne Lied vor uns hin, das wir so oft als Studenten gesungen, von der Pinzgauer Wallfahrt. Was uns früher unverständlich geblieben, begriffen wir jetzt beim Wandern, warum das Lied den Pinzgauern nachsagt:

»Sie taten gerne singen und kunnten's nit gar schön.«

Wir fanden wirklich bestätigt, was der Zillertaler Sänger bei der Hochzeit zwei Tage zuvor höhnend uns angedeutet hatte: die Bewohner des Gaus, Männer und Frauen, trugen sämtlich eine Last am Halse, die dem Wohllaut des Gesanges nicht förderlich ist.

Der Regen nahm so überhand, daß wir uns ein Fuhrwerk verschafften, um rascher vom Fleck zu kommen. Am Eingang der Rauris hellte sich der Himmel etwas auf. Wir besahen uns den Kitzlochfall und verglichen ihn sinnend mit dem Krimmlfall, als es eben wieder zu regnen begann. Das berühmte Distichon der Arkaden, das Rom und Florenz mit einander vergleicht und den Geboten der Prosodie selbstherrlich Trotz bietet, ward uns Vorbild. Gerade der klassische Zweizeiler schien uns am besten geeignet, unser Urteil poetisch einzukleiden. Ist doch das Distichon nach Schiller selbst ein herrlicher Springquell: »im Hexameter steigt die flüssige Säule, im Pentameter 337 drauf fällt sie melodisch herab.« Also machten wir uns ans Werk und ließen das Wasser des Wildbachs im Hexameter kühn über die Versklippen hinwegsetzen, wobei es auf einen Fuß mehr oder weniger nicht ankam, im Pentameter drauf anmutig tanzen durchs Tal.

Kitzlochfall, dir fehlt, was der Krimmlfall hat, diesem, was jener,
Wär' euer Wasser vereint, wär' es des Wassers zuviel.

Uns war schon der Regen zuviel geworden; wir waren herzlich froh, unsre durchweichten Kleider in einer Mühle, wo wir ein gutes Unterkommen fanden, am Herdfeuer getrocknet zu bekommen.

Am 11. Juni stiegen wir durch den Klammpaß hinauf ins Gasteiner Tal. Bei Hofgastein überraschte uns ein Schneegestöber, wie drei Tage zuvor auf der Gerlos. Wir kehrten »beim Moser« ein und speisten recht gut an der Mittagstafel für 20 Kreuzer Münz. Mit uns teilten am Tisch das Mahl der kaiserliche Badearzt und einige kaiserliche Offiziere, die zur Kur hier verweilten.

Nach Tische zeigte uns der freundliche Herr Kollege die Badeeinrichtungen und belehrte uns über die Tugenden der Gasteiner Thermen. »Die chemische Analyse,« so schloß er seinen Vortrag, »findet in unsern Thermen nichts als warmes Wasser, aber die Herrn Chemiker haben das feine Prinzip, was darin wirkt, den Brunnengeist, noch nicht erwischt. Er hält sich versteckt, doch kann man ihn deutlich wahrnehmen, wenn man gute Riechnerven besitzt. Belieben die Herren nur zu prüfen!« – Wir prüften; ein leichter, wenn auch kein feiner Geruch war in dem Badezimmer nicht zu verkennen.

Die meisten badeärztlichen Schriftsteller jener Zeit waren noch voll des Lobs der Brunnengeister ihrer Quellen und streuten ihnen Weihrauch, bald in Prosa, bald in Versen. Einer von meinen Kollegen in der Freiburger Fakultät der sechziger Jahre, ein geschätzter Balneologe, hatte in begeisterter Andacht den Stahlbrunnen des Renchtals eine feurige Hymne gesungen, der Hauptvers lautete:

»Das ist der flüchtige Brunnengeist,
Der schwellend durch die Adern kreist
Und mit der wunderbarsten Kraft
Im Körper neues Leben schafft.«

338 Er klagte mir eines Tages bitter, daß seine badeärztlichen Kollegen seine Verse, ohne ihn zu nennen, in ihre Brunnenschriften aufnähmen. Ich versuchte vergebens ihn zu trösten. – Dem Publikum leuchtete der Renchtaler Eisengeist schon deshalb ein, weil das Renchtal neben dem Eisengeist auch einen ausgezeichneten Kirschengeist hervorbringt.

Von Hofgastein gingen wir nachmittags nach Bad Gastein. Der »Straubinger« nahm uns nicht auf; für diesen vornehmen Gasthof war vermutlich unser Reisegepäck zu leicht. Man wies uns von da zum »oberen Krämer«, der uns Obdach gab. Nachdem wir uns in dem schönen Kurort genügend umgesehen und durch ein Bad erquickt hatten, nahm uns am nächsten Tage nach Tisch ein Kutscher aus Salzburg als Rückfracht mit. Vor der Abfahrt meldete sich noch ein dritter Fahrgast in Gestalt eines hochwürdigen Herrn, eines Kuraten, mit dem wir uns gut unterhielten. Er war ein belesener Mann und warmer Verehrer der Professoren der Theologie Staudenmaier und Hirscher in Freiburg. – In seiner Gesellschaft kamen wir abends nach Werfen.

In diesem hübsch gelegenen Marktflecken stiegen wir am Gasthof zur Post ab. Wir bestellten ein Zimmer und setzten uns sogleich zu Tische. Auch der Kurat verlangte ein Zimmer, ging aber, ohne ins Haus zu treten, zunächst zu seinem Amtsbruder, dem Ortsgeistlichen, um wegen der Frühmesse am nächsten Morgen Rücksprache zu nehmen. Während wir unsern Appetit stillten, kam der Wirt, um zu fragen, ob es uns störe, wenn der hochwürdige Herr über Nacht das Zimmer, das er uns versprochen habe, mit uns teile, es sei das einzige, das in dem stark besetzten Hause zur Verfügung stehe, und es habe drei Betten. Wir blickten uns verlegen an, doch faßte ich mich rasch und erwiderte: der Herr Kurat werde uns nicht stören, wir aber ihn, wie ich fürchte, denn uns binde ein Gelübde, wir müßten alle Abend vor dem Schlafengehen Fandango tanzen. Der Wirt verzog keine Miene und ging. Als wir bald darauf nach unserem Zimmer verlangten, führte uns der Hausknecht über die Straße in ein Privathaus und schloß uns darin eine gute Stube mit zwei Betten auf. Ohne ein Wort zu wechseln, machten wir uns an die 339 Erfüllung unseres Gelübdes. In einem Zimmer neben uns hörten wir laute Stimmen in lebhafter Unterhaltung, die sofort verstummten, als der Tanz begann. An diesem Abend übertraf mein Freund, der ungemein gelenkig war, die Lola und selbst die Taglioni. Unfähig, es ihm gleich zu tun, warf ich mich, vor Lachen fast erstickt, in die Kissen, bald bestieg auch er, sehr befriedigt von seinen Leistungen in dem höheren Gebiete der Tanzkunst das Lager. In dem Nebenzimmer war es wieder laut geworden, wir aber wurden stille und schliefen vortrefflich.

Bei Anbruch des Tages und prächtigem Wetter fuhren wir weiter nach Salzburg, kamen gegen Abend in der wunderschönen Stadt an, die der Welt den göttlichen Mozart beschert hat, und stiegen im Mohren ab. Die Küche dieses Gasthofs stand in großem Rufe und wir fanden, es war Sonntag, das Speisezimmer mit Salzburger Bürgern und ihren schöneren Hälften dicht besetzt. Beim Mustern des Speisezettels fiel uns ein Gericht auf, das wir nicht kannten: »gebackene Aeutern« Mein Freund wandte sich an eine hübsche Frau, die ihm zur Seite saß, und erkundigte sich, was die Aeutern bedeuteten, ob es vielleicht Fische seien? Aber die Schöne errötete sittsam und schwieg. Er geriet in Verlegenheit und fürchtete, eine unschickliche Frage gestellt zu haben. Der Gatte der Nachbarin, gerührt von des Fremden Unschuld, klärte ihn auf: Aeutern seien gebackene Kuheutern und in Salzburg ein beliebtes Essen. Bronner dankte und entschuldigte sich bei der Frau Nachbarin, sie schwieg noch immer, schien jedoch beruhigt, denn offenbar hatte der fremde Gast nicht daran gedacht, ihr zu nahe zu treten. Wir verzichteten übrigens auf die Aeutern, und dieser Leckerbissen ist mir bis heute noch nicht zu teil geworden.

Nach Tische gewährte uns der Mönchsberg das Schauspiel eines Sonnenunterganges von unvergeßlicher Schönheit. Wir verweilten zwei Tage in Salzburg, besahen das Grabdenkmal des großen medizinischen Kraftgenies, der sein Wanderleben hier beschlossen hat, des Theophrastus Bombastus Paracelsus ab Hohenheim, besuchten den Friedhof, wo Mozarts Constanze ruht, und machten einen Ausflug über Berchtesgaden nach dem Königssee.

340 In dem Stellwagen nach Berchtesgaden fuhr mit uns ein Kleeblatt von Reisenden, das sich in München zusammengefunden hatte, wie man es nicht wunderlicher hätte zusammensetzen können: ein baumstarker Brauereibesitzer von Passau, ein dünner, schwächlicher Kanzleibeamter aus Pest, und ein langer, schlanker dänischer Offizier. Der Bierbrauer war ein jovialer Mensch, der an derben Spässen seine Freude hatte, der Ungar ein drolliges Männchen mit einer schwarzen Perücke, die auf dem völlig kahlen Haupte ewig unruhig hin und her rutschte, der Däne, ein junger Mann von guter Lebensart, hatte sich wohl nur aus Mangel an besserer Gesellschaft diesen beiden angeschlossen. Der Brauer trieb fortwährend sein Spiel mit dem kleinen Ungarn, wie ein großer Jagdhund mit einem possierlichen Dackerl.

Diesem Kleeblatt begegneten wir nochmals am Tage darauf in dem Gasthof auf dem Gaisberg, den wir bestiegen hatten, um oben zu übernachten und am folgenden Morgen zu dem Wolfgangsee in das Salzkammergut hinabzusteigen. Die drei waren vor uns angekommen und saßen in dem Wirtszimmer vergnügt beim Weine. Der Passauer trieb wie tags zuvor seine derben Scherze mit dem Ungarn, und der Däne machte den Zuschauer. Gerade sahen wir die Perücke des Ungarn sich lebhaft nach vorn hin bewegen, der Bayer saß gegenüber, sprang plötzlich in die Höhe und holte sie mit einem kühnen Griffe. Den kahlen Schädel beleuchtete die Abendsonne mit ihren letzten Strahlen. Der Bayer lachte unbändig über sein gelungenes Attentat, der Skalpierte saß, wie vom Blitze getroffen, eine kurze Weile stumm und starr auf seinem Stuhle, plötzlich sprang auch er empor, wütend vor Zorn, der ihn dem Bayern noch possierlicher machte, und drang mit geballten Fäusten auf den Schänder seines Hauptes ein. Dieser, immer toller lachend, lief hurtig mit der Perücke davon und der Ungar hinterdrein, der Däne schämte sich seiner Gefährten und verschwand.

Neuer Lärm vor dem Hause trieb uns an das Fenster. Der Bayer setzte dem Ungarn gerade wieder die Perücke aufs Haupt und versuchte, ihn zu besänftigen, aber der tief gekränkte kleine Mann blieb unversöhnlich. Der Gaisberg war dem Kleeblatt zum Schandl geworden.

 


 


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