Adolf Kußmaul
Jugenderinnerungen eines alten Arztes
Adolf Kußmaul

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Geschlecht und Name.

Das Geschlecht Kußmaul ist schwäbisch. Der Stifter des badischen Zweigs war ein Tischler dieses Namens, der 1701 aus Württemberg nach dem Pfarrdorf Soellingen bei Durlach zog und hier eine Soellingerin zur Frau nahm.

So wunderliche Familiennamen, wie der meinige, sind empfindsamen Gemütern anstößig, erregen die Teilnahme biederer Leute und die Heiterkeit gewöhnlicher Maier und Müller. Mein seltener, durch Alter und edle, freilich verborgene Bedeutung ausgezeichneter Name hat mir in jungen Jahren zuweilen Verlegenheit bereitet, jedoch manchmal auch recht vergnügte Augenblicke verschafft.

Es kam vor, daß man mir nicht glauben wollte, wenn ich mich nannte, wie ich urkundlich hieß. Als Student ersteigerte ich in öffentlicher Auktion die Lieder von Béranger und rief dem Versteigerer meinen Namen für das Protokoll zu; er verbat sich den Spaß und das Publikum lachte.

Besonders schlecht eignen sich solche Namen für angehende Schriftsteller, sogar auf medizinischem Gebiet, wie ich als junger Professor erfuhr.

Bei meiner Berufung von Heidelberg nach Erlangen 1859 mußte ich der Universität, die mich unter ihre Mitglieder aufnahm, ein Programm vorlegen und schrieb eine Abhandlung: »Untersuchungen über das Seelenleben des neugeborenen Menschen« (Winter, Heidelberg). Ich hatte in Heidelberg neben anderen Fächern Psychiatrie gelehrt und mich bei meinen psychologischen Studien 7 mit der Entwicklungsgeschichte der Seele beschäftigt, namentlich der seelischen Tätigkeit des neugeborenen Menschen meine Aufmerksamkeit zugewendet. Weder die Philosophen noch die Naturforscher und Aerzte waren dieser Frage bis dahin auf dem Wege genauer Beobachtung und des Versuchs näher getreten. Die Ergebnisse meiner Untersuchung stellte ich in jener Schrift zusammen. Sie fand gute Aufnahme und hat noch kürzlich, nach 36 Jahren, eine dritte Auflage erlebt (Pietzcker, Tübingen, 1896). Bald nach ihrem ersten Erscheinen hatte man sie einer hohen Dame, die solche Probleme lebhaft interessierten, zu lesen empfohlen, aber mein Name war ihr schrecklich, sie rief, wie mir erzählt wurde: »nein! es ist unmöglich! so kann man nicht heißen!« – Der unmögliche Name hinderte sie später nicht, meinen ärztlichen Rat einzuholen.

In Süddeutschland gibt es eine Reihe von Geschlechtern, die mit den Kußmaul namensverwandt sind, die Kuß, Küß, Küßwieder, und die Maul, die sich ohne Kuß behelfen. Die Küß sind Elsässer. Die linksrheinischen Alemannen lieben die Diphthongen und Triphthongen noch mehr als die rechtsrheinischen, sie machen aus gut güt, wandeln das Knie in Kneu um und das Zeitwort liegen in laijen, mich nannten sie in Straßburg, während ich dort dozierte, Küßmaul. Am bekanntesten ist aus dem Geschlechte der Küß der Professor der Faculté de médicine in Straßburg Emile Küß geworden, der letzte Maire der Stadt.

Wie verbreitet die Kußnamen im Großherzogtum Baden sind, erfuhr ich im Winter 1849/50 auf einem Ball in Karlsruhe. Während der Tanz im besten Gang war, flog ein gedruckter Zettel durch den Saal mit der erfreulichen Anzeige, daß die Herren Kuß und Kußmaul und die Fräulein Küßwieder den Ball mit ihrer Gegenwart beehrten.

In Süddeutschland erregte mein Name weniger Befremden, als in Norddeutschland. In den Jahren 1848 und 1849 marschierte ich als Militärarzt mit badischen Truppen mehrmals durch das Königreich Hannover und verweilte zweimal längere Zeit in den Herzogtümern Schleswig-Holstein. Wenn ich bei diesen Märschen nach der Ankunft in einem neuen Quartier der Dame des Hauses 8 meine Aufwartung machte, durfte ich, sobald ich meinen Namen nannte, eines vergnügten Empfangs und der neugierigen Musterung des Trägers eines so bedenklichen Namens sicher sein. Am muntersten empfing mich die hübsche Frau eines hannoverschen Kollegen, der sich den Militärarzt des angemeldeten badischen Bataillons ins Quartier ausgebeten hatte. Als ich in seinem Hause abstieg, befand sich der Kollege auf der Praxis und ich meldete mich bei seiner Gattin. Sie glaubte meinen Namen nicht richtig verstanden zu haben, sah mich zweifelnd an und bat, ihn zu wiederholen. Ich buchstabierte ihn vor und sie lachte mir fassungslos ins Gesicht.

Mein alter Lehrer und Gönner Naegele, bei dem ich als Student Assistent war, hatte mir derlei Szenen wiederholt vorhergesagt und mich dringend ermahnt, den Namen zu ändern. Ich ließ mir aber nicht bange machen und erklärte ihm eines Tages trocken, daß ich einen vornehmen, altbewährten Namen trüge und ihn nun und nimmer ablegen würde. Meine Familie sei vom ältesten medizinischen Adel. Wir stammten von dem großen Oribasius, dem berühmten Leibarzte Julians, des Abtrünnigen. Nach dem Tode des Kaisers sei bekanntlich der verdiente Mann vom Hofe verbannt worden und zu den Goten an die Donau gezogen, die seinen Namen in Kußmaul übersetzt hätten. Os der Mund und Basium der Kuß, machten zusammen Oribasius. – Diese Etymologie war Wasser auf die Mühle meines verehrten, zu Scherzen aufgelegten Meisters. Einige Tage nachher feierte die Fakultät ein Fest in engstem Kreise. Die Herren unterhielten sich vortrefflich, und Naegele brachte die Rede auf mich. Er habe in mir von allen Assistenten der Fakultät den vornehmsten, denn ich stamme von dem großen Oribasius und sei erbötig, meine Abkunft von diesem Stammvater mit Pergament und Siegel nachzuweisen. Man lachte, aber der grundgelehrte Pathologe Puchelt, durch einen verstohlenen Wink Naegeles verständigt, verteidigte meine Ansprüche auf den stolzen Stammbaum. Am nächsten Morgen jedoch ließ Puchelt sein philologisches Gewissen keine Ruhe und zwang ihn, seinem Kollegen ein Briefchen zu schreiben, worin er ihm darlegte: Oribasius sei kein lateinisches, sondern ein latinisiertes griechisches Wort. Es habe mit Mund und Küssen 9 nichts zu tun, eher mit ὄρος, Berg, und βαίνω, ich gehe. Wolle man Oribasius verdeutschen, so wäre Berggänger oder allenfalls Bergmann richtiger.

Seitdem ließ ich meine Ansprüche auf klassische Abstammung fahren, und wenn es eines Trostes bedurft hätte, würde ich ihn 25 Jahre später in der ehrenvollen Ableitung meines Namens gefunden haben, die der wackere deutsche Sprachkenner Ludwig Steub in seinem Buche: »Die oberdeutschen Familiennamen, München, 1870« aufgestellt hat. Danach ist Kußmaul ein zusammengesetzter Kosename, der auf germanische Ahnen reinen Blutes, gute und mutige Männer, bestimmt hinweist. Mit minniglichem Kusse hat die erste Silbe so wenig zu tun, als die zweite mit Mund oder Maul. Wie Friedrich aus Fritz, so entstand Kuß aus Kusso, was der Gute bedeutet, wie Gozzo und Gutilo, und Maul kommt von Mulo oder Mutilo, dem Mutigen. Die altgermanische Abstammung bekunden noch heute der lange Schädel und das Blau der Augen, die blonden Haare freilich hat das Alter längst gebleicht.

Zum Schlusse lege ich Germanisten vom Fach einen Kußnamen zur Aufhellung vor, der mir gelegentlich eines Spaziergangs in der Nähe von Walzenhausen im Appenzeller Lande zur Kenntnis kam. Der Weg führte mich zu einem reizend gelegenen Bauernhof mit einer großen prächtigen Matte. Der Hof heißt der Kuß, die Matte die Kußmatte. Ob ein Kußservitut auf dem Gute ruht, konnte ich nicht erfahrenIn dem Ortsverzeichnis des amtlichen Handbuchs: »Das Großherzogtum Baden, Karlsruhe, 1885,« finde ich ebenfalls einen, zur Gemeinde St. Märgen aus dem Schwarzwald gehörigen »Kußhof« angeführt.. 10

 

 


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