Adolf Kußmaul
Jugenderinnerungen eines alten Arztes
Adolf Kußmaul

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Politische Streiflichter.

Seit wir die Grenze Oesterreichs überschritten hatten, schien die Weltgeschichte plötzlich stille zu stehen. Es gab in Oesterreich keine politische Presse; was sich Zeitung nannte, waren lediglich Anzeigeblätter mit einigen dürftigen Nachrichten über politische Zeitbegebenheiten. Auf unsrer Reise nach Wien hatten wir keine deutsche Zeitung »aus dem Reich«, worunter man die deutschen Bundesstaaten außerhalb Oesterreichs verstand, zu sehen bekommen, in den Vorstädten Wiens lag nur in wenigen Kaffeehäusern die Augsburger allgemeine Zeitung auf, die unsre einzige politische Quelle bildete; in den großen Kaffeehäusern der inneren Stadt wurden auch französische Zeitungen und amtliche deutsche gehalten, aber es fehlte uns an Zeit, den weiten Weg nur um ihrer willen zu machen. Unsre Wiener Bekannten lasen die Grenzboten, die unter Kurandas Leitung in Leipzig erschienen und die österreichischen Zustände beleuchteten; sie waren verbotene Frucht und wurden deshalb mit um so größerer Begierde genossen. In einer kleinen Wirtschaft begegnete ich dem »Hansjoergel«, einer in Monatsheften, wenn ich mich recht erinnere, erscheinenden Zeitschrift, die in erkünsteltem Volkston für Thron und Altar sich heftig ereiferte.

Die Mediziner, deren nähere Bekanntschaft wir machten, verhehlten uns die Verachtung nicht, die sie für ihre Regierung empfanden. Ohne Rückhalt ergossen sie die Lauge ihres grimmigen Spottes über das herrschende System. Ferdinand der Gütige, wie die Offiziösen ihn nannten, war wegen Geistesschwäche unfähig zu 361 regieren, statt seiner besorgte eine »Staatskonferenz« unter dem Vorsitze des Erzherzogs Ludwig die Staatsgeschäfte. Gehaßte Regierungen können lange bestehen, wenn sie stark sind, verachtete und schwache sind dem Untergang verfallen. Zwar die große Stille in Oesterreich stach auffallend ab von den drohenden Wetterzeichen in Frankreich, aber sie trügte, in der Tiefe arbeiteten furchtbare vulkanische Kräfte. In wenigen Monaten brachen sie hervor und setzten das Reich in Flammen, beim Klange des Fuchsenritts der Wiener Studenten brach das System und die Herrschaft Metternichs zusammen.

Was unsre Bekannten in den ärztlichen Kreisen besonders empörte, war das Günstlingswesen, das sich ohne Scheu bei der Besetzung offener Stellen an den Hospitälern, in der Fakultät und dem staatsärztlichen Dienste hervorwagte. Man nannte Professoren, Primar- und Sekundarärzte, auch Physizi, die ihre Stellung dem Patronate vornehmer Schürzen und einflußreicher Kutten verdankten.

Trotz dieser Unzufriedenheit waren unsere Bekannten große österreichische Patrioten und dem Erzhaus treu ergeben. Deutschland war ihnen Ausland. Zwar unser süddeutsches Wesen, erklärten sie ehrlich, mute sie als ein verwandtes an, aber eine norddeutsche oder gar preußische Brüderschaft blieb ihnen unverständlich. Dennoch begann der deutschnationale Gedanke in Studentenkreisen Wurzel zu fassen. Wir lernten einen Mediziner aus Siebenbürgen kennen, der uns einlud, mit ihm und seinen Freunden einen Abend zuzubringen; sie hatten eine Burschenschaft Saxonia gegründet, trugen Farben und sangen Lieder von Arndt und Körner.

Das systematische Niederhalten freien Bürgersinns und Männerstolzes schien uns auch das Ehrgefühl der akademisch Gebildeten herabgedrückt zu haben. Der deutsche Student fühlte sich im Ringkampf für Geistesfreiheit, Wahrheit und Recht als Kommilitone seiner Professoren, der österreichische war zu sehr nur der untergebene Schüler. Der Burschenkomment unsrer Hochschulen war voll Roheit, aber an dem Grundsatz hielt er fest: die Mannesehre steht höher als das Leben und danach regelte er die Formen seines Umgangs mit den Kameraden. Wir waren nicht wenig betroffen, als wir an dem Mittagstische, wo wir mit einigen Sekundar- und Assistenzärzten 362 zusammen speisten, unsre Kollegen einander in aller Freundschaft Kosenamen erteilen hörten, die kein deutscher Student von einem andern hingenommen hätte.

Am peinlichsten berührte uns eine Scene in Hebras Kurs über Hautkrankheiten, sie zeigte, wie in Oesterreich sogar ein Mann in akademischer Stellung und von hervorragenden Verdiensten um die Heilkunst keine Ahnung hatte, welche Achtung er der gewöhnlichen Menschenwürde schulde.

Wir saßen gegen 20 Kursisten an einer langen Tafel, an deren oberem Ende Hebra dozierte. Er besprach die Blutunterlaufungen der Haut und ihre Ursachen und handelte gerade von den vibices, den blutigen Striemen infolge mechanischer Einwirkungen. »Die schönsten vibices,« erzählte er, »können Sie Samstags drüben in der Alserkaserne sehen, wenn der Profoß die Mannschaften, die sich in der Woche vergangen haben, über die Bank spannt und aushaut.« Ein unwilliges Murren ging um den Tisch und vom unteren Ende her, wo einige Ungarn saßen, rief eine zornige Stimme: »Schande für Oesterreich!« – »Ah was!« erwiderte Hebra mit größter Ruhe, »hören S', was die Offiziere sagen: mit den Polakeln und Slovakeln wird man halt nit anders fertig.« – »Noch einmal sag' ich,« hallte es von unten zurück, »Schande für Oesterreich, daß es seine Völker nur durch das Hinterteil erziehen will.« Allgemeiner Beifall. Hebra ließ sich nicht im mindesten aus seinem Gleichmut bringen und fuhr in seinem Vortrag weiter: »Es gibt noch andere Formen von Blutunterlaufung, eine hat den prächtigen Namen Purpura, zu ihr wollen wir nunmehr übergehen.« 363

 

 


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