Adolf Kußmaul
Jugenderinnerungen eines alten Arztes
Adolf Kußmaul

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Schleißheim und Abschied von München.

Zu unserer großen Freude trafen wir in München Freund Sigmund Pfeufer, er beendete eben sein Staatsexamen. Wir machten am Mittwoch vor dem Fronleichnamstag mit ihm einen Ausflug nach Schleißheim, um die dortige Bildergalerie zu sehen; Onkel und Nichte, auch unser Landsmann Sudler, schlossen sich uns an.

Der Tag verlief äußerst vergnügt. Die strotzenden Wangen Josephinchens – so hieß die Nichte – blühten noch rosiger als sonst, und ein Strahl sonniger Heiterkeit stahl sich sogar von der Jugend auf das sauertöpfige Gesicht des Onkels.

Von den vielen Gemälden, die das alte kurfürstliche Schloß in Schleißheim damals bewahrte, ist mir kein einziges in Erinnerung geblieben, wohl aber ein kleines Abenteuer, wozu die muntere Nichte Anlaß gab. Als gewissenhafter Geschichtschreiber darf ich es nicht verschweigen.

Der Onkel, der Maler und ich waren mit dem Führer bereits in dem letzten Saale angelangt, die Nichte mit Bronner und Pfeufer in dem dahinter gelegenen Saale zurückgeblieben. Ermüdet von dem vielen Schauen achtete ich nur mit halbem Ohr auf die eintönige Erklärung der Gemälde, da vernahm ich deutlich ein Pfeifen im Walzertakt und ein Schleifen von tanzenden Füßen; die Laute kamen aus dem Nebensaale. Auch der Führer schien sie zu hören, er hielt einen Augenblick mit dem Erklären inne und lauschte; plötzlich tönte es dumpf wie ein schwerer Fall; hurtig lief er in den Saal zurück, und besorgt eilte ich ihm nach. Er sah sich prüfend an allen vier 327 Wänden um, die Gemälde hingen sämtlich in richtiger Verfassung an ihren Stellen, befriedigt kehrte er zurück, ohne auf die Gesellschaft weiter zu achten. Ich dagegen betrachtete sie mit neugierigen Augen. Was konnte geschehen sein? Josephinchen stand da, purpurübergossen, das Bild größter Verlegenheit, Pfeufer, ebenfalls verlegen, lächelte, nur Bronner sah frei von Befangenheit vergnügt darein. Von ihm erfuhr ich, was sich eben zugetragen.

Die junge Dame hatte ihre Aufmerksamkeit nicht lange auf die alten Gemälde gerichtet, weit mehr interessierten sie die Spiegel und Konsols und vor allem der prächtig eingelegte Fußboden. »Wie schade!« rief sie ihren Kavalieren zu, »ein Parkett, so herrlich und glatt und gänzlich unbenützt!« Kaum hatte sie diese Andeutung gemacht, so faßte sie Pfeufer um die Hüfte, Bronner pfiff, und das Pärchen drehte sich durch den Saal. Plötzlich brachte das tückische Parkett Josephinchen zu Fall, sie zog ihren Tänzer nach, doch wie der Blitz raffte sich dieser elastisch empor und die Dame mit. Als der Führer eintrat, standen beide wieder fest auf den Füßen.

Diese Vorgänge hatten sich sehr rasch abgespielt und entgingen dem Onkel gänzlich. Obwohl er hinreichend bibelkundig war, verstand er doch die versteckten Anspielungen nicht, die auf dem Heimwege fielen, die alte, ewig sich wiederholende Geschichte von Adam und Eva, dem Sündenfall, und ach! dem verlornen Paradiese.

Am Fronleichnamstag waren wir begierig, die große Prozession zu sehen. Der Maler führte Bronner und mich morgens bei guter Zeit in ein passend gelegenes Kaffeehaus, wo wir im ersten Stock ein Fenster in Beschlag nahmen, vor dem die Prozession defilierte; zu uns gesellte sich das zutrauliche Nannerl, die fesche Kellnerin des Hauses, und gab uns manche erwünschte Auskunft. Der Zug war großartig. Der Erzbischof mit der Geistlichkeit, der König mit den Prinzen, der Hofstaat, Adel und Minister, Militär und Bürger, Männer und Frauen, alt und jung, zogen mit Musik, betend und singend, viele nur plaudernd, vorüber. Auch Ringseis sah ich hier zum ersten und letzten Mal, er durfte nicht fehlen. Ganz gegen Ende des Zugs kam psalmodierend ein Trupp Franziskaner. »Jetzt paßt auf!« kicherte das Nannerl, »seht ihr den Dicken in der Mitte? er 328 wird gleich heraufschauen und mir zuwinken.« – So geschah es. Der Dicke in der Kutte blickte zu Nannerl herauf, winkte und schmunzelte.

Der Tag war heiß, und die Andächtigen strömten nach der Prozession durstig in die Bierkeller. In der Fronleichnamsoktave wird der berühmte Bock ausgeschenkt; wir wollten die Gelegenheit nicht versäumen, ihn an der Quelle zu kosten, und zogen nach einem mit Bäumen bepflanzten Hofraum in der Nähe des Hofbräuhauses, wo er verzapft wurde. Es ging da lustig zu, gedruckte Bocklieder wurden ausgeteilt und gesungen, eine Nachfeier der Prozession.

Am folgenden Morgen nahmen wir Abschied von München und fuhren in die Berge. 329

 

 


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