Adolf Kußmaul
Jugenderinnerungen eines alten Arztes
Adolf Kußmaul

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Die Opposition.

In den wenigen Jahren vom Herbst 1840 bis Herbst 1844 war die politische Unzufriedenheit zu einer erstaunlichen Höhe in ganz Deutschland angewachsen. Die Politik beschäftigte alle Kreise und bemächtigte sich auch der deutschen Poesie wie nie zuvor, selbst nicht in den Befreiungskriegen. Ueberall las, sang und rezitierte man die Verse der Heine, Hoffmann von Fallersleben, Freiligrath, Herwegh und zahlloser anderer Poeten und Poetaster. Am meisten zündeten die Gedichte eines Lebendigen.

Als ich eines Morgens durch die Friedrichsstraße ging, lag ein vor kurzem zum Amtmann ernannter alter Herr der Suevia am Fenster seiner Wohnung und rief mich zu sich hinein. Er war von äußerst loyaler, streng monarchischer Gesinnung, aber die Kraft und mehr noch der Bombast der Herweghschen Muse hatten den Amtmann, der sich ums Leben gern deklamieren hörte, mächtig ergriffen. Er machte die Türe fest hinter mir zu, schloß das Fenster, warf sich in die Brust und donnerte:

    »Reißt die Kreuze aus der Erden,
Kreuze sollen Schwerter werden,
Gott im Himmel wird's verzeih'n!«

Wenn ein großherzoglich badischer Amtmann sich in der Poesie der Freiheitssänger so stark berauschte, wer mochte es den Studenten verdenken, wenn sie erst recht den feurigen Trank in vollen Zügen schlürften?

In der Tat, die allgemeine Erregung trieb an allen 151 Universitäten und nicht zum wenigsten in Heidelberg hohe Wogen; die überwiegende Mehrzahl der Studierenden verlangte mit wachsender Heftigkeit eine gründliche Reform des Studentenlebens. War doch, wie ich eben erzählte, ein Hauch des neuen Geistes sogar in den Komment der Korps gedrungen; aber gerade gegen diese richteten sich hauptsächlich die Angriffe der reformlustigen Kommilitonen und die liberale Presse sekundierte ihnen. Man bezeichnete die Korps als die gefügigen Werkzeuge Metternichs, als eines der Glieder an der großen, um den edeln Leib der Mutter Germania gelegten Kette, die sie in schmählicher Knechtschaft halte, und beschuldigte die Regierungen, daß sie systematisch die Anmaßung der Korps auf Suprematie in der Studentenschaft und ihr Treiben begünstigten. Wider das Gesetz würden sie geduldet und sogar über kecke Herausforderungen der Behörden mit Nachsicht weggesehen. Die autokratischen Machthaber benützten die Korps einzig zu dem Zwecke, die akademische Jugend von der Teilnahme an öffentlichen Dingen abzulenken, ihren idealen Sinn und das deutsch-patriotische Gefühl zu ertöten.

Der Schwabenkneipe gegenüber wohnte der Buchhändler Christian Friedrich Winter, der langjährige freisinnige Bürgermeister und Landtagsabgeordnete der Stadt Heidelberg. Man schrieb ihm den Ausspruch zu, das Schwabenkorps sei eine konzessionierte Brutanstalt zur Züchtung von Karlsruher Bureaukraten. Daran war nur soviel richtig, daß die meisten Schwaben Söhne von Staatsdienern waren und ebenfalls Staatsdiener werden wollten. Wie die meisten Alten sahen auch die meisten Jungen in der Beschränkung des Landesfürsten und mehr noch seiner Beamten durch die Verfassung eine schädliche Einrichtung. Einer oder der andere glaubte fest an das Dogma von der bureaukratischen Erbweisheit. Es wagte sogar ein Ehrenmitglied der Suevia, das ihr freilich späterhin keine Ehre machte und im Leichtsinn unterging, in der Kneipe die Behauptung: das Schwabenkorps sei der Grundpfeiler des badischen Staats, – von da an erhielt er den Beinamen »der Staat«. Auch ließ sich nicht leugnen, daß einige der reaktionärsten Beamten aus der Suevia hervorgegangen waren, beispielsweise der schlimmste von allen Zensoren der Presse, der Freiherr Uria von Sarachaga. Er wurde nach 1849 Stadtdirektor in Freiburg und 152 ließ hier bei Nacht und Nebel ein Denkmal beseitigen, das die dankbare Stadt dem Geschichtsschreiber Karl v. Rotteck gesetzt hatte.

Da die Korps samt und sonders die gleichen Grundsätze bekannten, so traf der Vorwurf des »Vaters Winter« die Suevia nicht allein, sondern die Korps alle ohne Ausnahme, aber er war ungerecht. Sie hatten keinen politischen Charakter und nahmen Fort- und Rückschrittler gleich bereitwillig auf, vorausgesetzt, daß sie sich dem Komment unterwürfen, nach Vorschrift kneipten und paukten. Ein fertiges politisches Glaubensbekenntnis besaßen die jungen Leute nicht, sie konnten ebenso gut zu schwarzen Reaktionären wie zu roten Revolutionären ausreifen.

Friedrich Hecker,

»eine Feder auf dem Hut,
lechzend nach Tyrannenblut«

war ein wilder Bursche des ehemaligen Korps der Hassia in Heidelberg gewesen. Er hieß der rote Hecker zum Unterschied von seinem zahmeren Bruder Karl, dem schwarzen Hecker, der bei den Rheinländern eingetreten war. Die beiden Korps gerieten aneinander und schickten sich Mensurforderungen pro patria zu, auch Friedrich Hecker forderte seinen Bruder Karl; seitdem hieß er der krasse Hecker. Es mag unglaublich erscheinen, aber Karl Hecker, später Professor der Chirurgie und mein Kollege in Freiburg i. Br., bestätigte mir diese Geschichte, die ich als Student gehört hatte, mit dem Beifügen, daß er die Paukerei abgelehnt habe.

Heckers politischer Gegner Karl Mathy, der liberale badische Staatsminister, war aus der Heidelberger Burschenschaft hervorgegangen, ebenso das Haupt der preußischen Kreuzzeitungsmänner, Friedrich Julius Stahl, der in Heidelberg Sprecher der Burschenschaft gewesen war.

Den patriotischen Grundgedanken der Burschenschaft hat keiner aus ihren Reihen verwirklicht, diese Mission war einem Korpsburschen aus Göttingen beschieden, dem Studiosus Otto von Bismarck.

Im Winter 1842/43 erzählte mir ein Schulkamerad, der mit mir Medizin studierte, daß er sich einer angenehmen Gesellschaft 153 angeschlossen habe, die sich unter dem Namen Lumpia in der Brauerei zum Schiff zusammenfinde. Ihr geistiges Haupt sei ein stud. jur. Hermann Becker aus Elberfeld, dessen Witz und geselliges Talent er nicht genug rühmen konnte. Daß Becker wirklich schlagenden Witz besaß, erfuhren die Korps bald aus verschiedenen Zeitungsartikeln, worin er ihre Suprematie entschieden zurückwies und sich mit großem Humor über ihr Treiben lustig machte. Anfangs las ich die Artikel mit einigem Aerger, aber bei ruhiger Ueberlegung mußte ich gestehen, daß ich selbst schon ähnliche Gedanken gehegt, und zugeben, daß der rote Becker, wie man ihn nannte, recht habe. Er wurde später Sprecher der Bonner Burschenschaft, beteiligte sich an der Bewegung von 1848/49 und hat sich nachher als Bürgermeister der Stadt Köln und Mitglied des preußischen Herrenhauses weithin bekannt gemacht. – Aus der Lumpia ist nach einiger Zeit eine burschenschaftliche Verbindung Ruperta geworden.

Ungefähr gleichzeitig mit der Ruperta bildete sich eine zwanglose Gesellschaft aus Wilden und früheren Burschenschaftern, die meist von Jena gekommen waren, unter dem Namen Walhalla. Sie war zahlreich, und es gehörten ihr viele tüchtige junge Männer an, einige zeichneten sich später im deutschen Reichstag aus. Ich nenne Ludwig Bamberger, Wilhelm Genast, Meyer von Thorn, Versmann, den Bürgermeister von Hamburg, Professor Aegidi in Berlin und Karl Esmarch, den verstorbenen Prager Rechtslehrer. Auch einige badische Landsleute waren ihr beigetreten, die man nicht ungleichartiger hätte aussuchen können. Neben dem strenggläubigen, von tiefster Frömmigkeit beseelten und strengmonarchischen Theologen Specht, der 1888 als evangelischer Pfarrer in Ispringen bei Pforzheim starb, gehörten ihr drei junge Republikaner an: Karl Daenzer, der in Amerika als geachteter Publizist eine neue Heimat fand, Florian Moerdes, ein dünkelhafter junger Mensch, der 1849 im Handumdrehen vom Rechtspraktikanten zum Minister des Innern aufstieg, endlich der zerfahrene Karl Steinmetz aus Durlach. Steinmetz wurde 1849 von dem Durlacher Wahlbezirk in die konstituierende Versammlung nach Karlsruhe geschickt. Als die preußischen Truppen nach der Schlacht bei Waghäusel heran marschierten, geriet einer von den Abgeordneten in ihre 154 Hände. Empört stellte Steinmetz in der Versammlung die zornige Frage an den Diktator Brentano, was die Regierung in dieser Sache für Maßregeln zu ergreifen gedenke? Brentano erwiderte: »Sie wird den Bürger Steinmetz den Preußen entgegen schicken, um die Freilassung des Gefangenen zu verlangen.« Trotz ihrer unheimlichen Lage mußte die ganze Versammlung lachen.Vergl. Häußer, Denkwürdigkeiten zur badischen Revolution, S. 609.

Die Walhallesen wollten auf streng gesetzlichem Wege vorgehen und eine geschlossene Gesellschaft bilden, die weder Korps noch Burschenschaft sein und sich von gewöhnlichen bürgerlichen Gesellschaften kaum unterscheiden sollte. Sie legten den Behörden Statuten vor, wonach sie auf alle äußeren Abzeichen verzichten, an Stelle des Duells ein Ehrengericht einsetzen und sich ausschließlich sittlichen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Aufgaben widmen sollten. Der Senat lobte ihr Streben, aber das Ministerium wies sie ab mit dem Bemerken: Studentenverbindungen gerieten auch bei den löblichsten Absichten auf Abwege. Darauf hielten sich die Walhallesen ohne Statuten zusammen.

Nach dem Vorgang der freisinnigen Gegner der Regierung in der badischen Kammer nannten sich die Gegner der Korps in der Heidelberger Studentenschaft gleichfalls Opposition. Sie gründeten eine akademische Reformzeitung, die in Mannheim erschien, die »Zeitschrift für Deutschlands Hochschulen«. Als Redakteur wurde ein ehemaliger Burschenschafter gewonnen, der Oberhofgerichtsadvokat Gustav von Struve, ein Idealist und Sonderling. Er lebte als Vegetarianer, befaßte sich eifrig mit Phrenologie und redigierte das Mannheimer Journal, ein Blatt von gemäßigt liberaler Richtung, erst später wurde er zu dem wütenden Revolutionär der Jahre 1848/49. Zweifelsohne trug zu dieser Wandlung der ununterbrochene, erbitterte Kampf gegen die Zensur bei, die in Mannheim dem rücksichtslosesten aller badischen Zensoren, dem Freiherrn Uria von Sarachaga überlassen war.

So sah es in der Heidelberger Studentenschaft aus, als mein letztes Semester herankam, das interessanteste von allen, das Wintersemester 1844/45. 155

 


 


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