Adolf Kußmaul
Jugenderinnerungen eines alten Arztes
Adolf Kußmaul

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Der ärztliche Lizenzschein und das Doktordiplom.

Die oberste Sanitätsbehörde des Großherzogtums Baden war zugleich die ärztliche Prüfungsbehörde und hielt in Karlsruhe die Staatsprüfung ab, von deren Ausfall die »Lizenz,« oder, wie heute die amtliche Bezeichnung lautet, die »Approbation« zur Ausübung der Heilkunst im badischen Lande abhing.

Nur der staatliche Lizenzschein berechtigte zur Praxis, das Doktordiplom der Universitäten, auch der Fakultäten des eigenen Landes, gewährte das Recht nicht dazu. Die Promotion verlieh dem Mediziner nur den Schmuck des Doktortitels, mit dem das Publikum freigebigst auch die Heilgehilfen, bis zum Barbier herab, bedachte. Nur diejenigen, die sich an den Universitäten dem Lehrfach widmen wollten, waren genötigt, zu promovieren. Obwohl der Lizenzschein schwieriger zu erwerben war, als das Doktordiplom, so beschränkte sich seine Bedeutung doch einzig auf die engen Grenzen des badischen Landes, im Auslande war er wertlos. Dort galt nur das Doktordiplom, namentlich gereichte das Heidelberger auch in fernen Weltteilen seinen Besitzern zu besonderer Empfehlung. – Die alten Herren der Fakultät waren auf das Karlsruher Staatsexamen nicht gut zu sprechen, und ich selbst hörte Tiedemann sagen: »Das Heidelberger Doktordiplom wird allenthalben respektiert, nur nicht in der Türkei und im Großherzogtum Baden!«

Die Mehrzahl der badischen Aerzte begnügte sich mit dem staatlichen Lizenzschein, sie verzichteten auf das Diplom der Fakultät, nicht weil sie es gering schätzten, sondern der Kosten halber. Das 266 medizinische Studium war von allen das kostspieligste, das Staatsexamen verursachte einen weiteren Aufwand durch den mehrwöchentlichen Aufenthalt in Karlsruhe und die Erlegung der Prüfungstaxe; sie betrug 114 fl. 30 Kr. Auch mußte nach der Prüfung der junge Arzt sich zahlreiche, teure Instrumente anschaffen, und viele gingen zu ihrer weiteren Ausbildung noch an größere Hospitäler.

Auch ich unterließ es zu promovieren, obwohl mein väterlicher Freund Naegele mir dringend dazu geraten hatte. Das Heidelberger Diplom sei in den fernsten Ländern angesehen, wo nicht einmal der Name des Großherzogtums Baden bekannt sei; ich könne nicht voraussehen, welches Los mir die Zukunft bringe. Leider mußte ich ihm erklären, daß ich meinem Vater nach den großen Opfern, die er mir bereits gebracht hätte, keine weiteren zumuten dürfe. Er kam von da an nicht mehr auf die Sache zu sprechen. Nachdem ich aber die Preisfrage mit Auszeichnung gelöst hatte, stellte er, ohne mir vorher ein Wort davon zu sagen, in einer Sitzung der Fakultät den Antrag, sie möge mich auf Grund meiner Abhandlung gratis zum Examen pro gradu zulassen. Gegen Erwarten drang er nicht durch. Eine Minderheit war dagegen; darunter befand sich Henle, der seine radikale Seite herauskehrte und das Doktordiplom für einen alten Zopf erklärte, den man den jungen Leuten nicht ohne Not anheften solle.

Diese, nahe an Verachtung streifende, Geringschätzung der Promotion hatte Naegele arg verdrossen. Er sah in dem Heidelberger Doktortitel eine besondere Auszeichnung. Die Fakultät hatte bei den Promotionen auf gute Dissertationen strenge geachtet, denn darin beruhte zum großen Teil das Ansehen, worin die Graduierten der Heidelberger Fakultät standen. Namentlich hielt Naegele seine Schüler zu guten Dissertationen an, und viele dieser Abhandlungen werden noch heute zitiert und geschätzt. Tief gekränkt verriet mir mein Gönner den Vorgang, den er hätte verschweigen sollen. – Henle mag für seine Ablehnung gute Gründe gehabt haben, mit dem Grund aber, den er vorbrachte, kann es ihm nicht ernst gewesen sein, denn er hat noch 40 Jahre lang in Heidelberg und Göttingen Doktorzöpfe angeheftet. 267

 


 


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