Adolf Kußmaul
Jugenderinnerungen eines alten Arztes
Adolf Kußmaul

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Das Schwabenkorps.

In den ersten Wochen des Semesters lebte ich ausschließlich meinem Studium, saß untertags in den Hörsälen oder dem anatomischen Präpariersaal und abends auf meiner Bude hinter den Büchern, – kurz gesagt, ich war, was der flotte Bursch ein richtiges Kamel nannte. Auf die Dauer jedoch war ich zum Einsiedler nicht geschaffen.

Einer meiner früheren Schulkameraden redete mir eines Abends zu, ihn auf die Schwabenkneipe zu begleiten; er war Mitkneipant des Korps geworden. Die Korps gewährten unbescholtenen Studenten die Gunst, gegen einen mäßigen Beitrag ihre Kneipe und ihren Fechtboden zu besuchen, sich auf diesem im Schlagen zu üben, sicherten ihnen außerdem Schutz und bei etwaigen Ehrenhändeln Waffen und Sekundanten zu. Besondere Verpflichtungen übernahm der Mitkneipant nicht. Ich folgte der Einladung, um mir die Gesellschaft anzusehen, wenn sie mir nicht gefiel, so brauchte ich nicht wiederzukommen.

Die Suevia war das älteste Korps in Heidelberg. Es bestand seit 1810 und besteht noch heute. Auch hatte es seit einer langen Reihe von Jahren dieselbe Kneipe in Miete, ein großes Lokal in bester Lage der Stadt an der Hauptstraße gegenüber der Winterschen Buchhandlung, in der nunmehr eingegangenen Brauerei zur alten Pfalz, zwischen Hauptstraße und Ludwigsplatz. Die Kneipe war, wie alle Korpskneipen jener Zeit, sehr einfach eingerichtet, sie hatte nur Tische, die in Hufeisenform aneinander gereiht standen, und ungefähr 40 Holzstühle. Die Wände waren mit Bildern behangen, teils mit, teils ohne Rahmen, meist Lithographien: Porträts alter Schwaben oder Aufnahmen des ganzen Korps, auch Darstellungen des 124 Burschenlebens und mancherlei Scherze anderer Art, wie die vom Roehrle und Hansjörgle (s. S. 87 und 99). Eigene Klubhäuser, wie sie die Verbindungen heute besitzen, gab es nicht.

Die Kneipe war an diesem Abend stark besucht, die Gesellschaft sehr aufgeräumt, und ich unterhielt mich gut. Namentlich gefiel mir mein Nachbar, der Stud. jur. Karl Wieland aus Karlsruhe. Er stand schon im vorletzten Semester und war nur noch »passives« Mitglied der Verbindung; er sprudelte geradezu von neckischen und witzigen, mitunter bizarren Einfällen, seine Augen blitzten von munterem Feuer, auf der linken Wange trug er eine kurze, aber tiefe Hiebnarbe. Wir wurden gute Freunde. Ein Jahr nachher machte er sein Staatsexamen und brachte es im Laufe der Jahre bis zum Senatspräsidenten am Oberlandesgericht in Karlsruhe, wo der liebenswürdige und geistreiche Mann 1884 starb.

Da es mir bei diesem Besuche in der Suevia wohl gefallen hatte, ließ ich mich als Mitkneipant einschreiben und kam an den drei oder vier vorgeschriebenen Kneipabenden in der Woche regelmäßig als Gast. Die Mitglieder der Verbindung waren fast lauter badische Landsleute, die meisten hatten das Karlsruher Lyceum absolviert. Auch gehörten ihr einige Westfalen und preußische Rheinländer an, weil die Suevia mit dem Korps der Westfalen in Bonn ein Kartell eingegangen hatte, was die Mitglieder dieser Verbindung verpflichtete, wenn sie Bonn mit Heidelberg vertauschten, bei der Suevia einzutreten, wie umgekehrt die Mitglieder dieser in Bonn bei der Guestphalia.

Das Bier auf der Schwabenkneipe war leicht und billig; der Schoppen, vier Deciliter, kostete zwei Kreuzer. Es lud oft wenig zum Trinken ein, mitunter bestellten wir es beim Kellner als »ein Glas Gift.«

Die neuen Freunde, die ich in der alten Pfalz gewann, rieten mir, in die Verbindung einzutreten. Mein Bedenken, es reiche mein Taschengeld nicht dazu aus, wußten sie zu zerstreuen. In der Tat war das Korpsleben noch billig, auch bei geringen Mitteln konnte man seine Freuden genießen. Bier und Tabak kosteten wenig. Die besseren bayerischen Biere waren freilich teuer, aber sie wurden 125 nur ausnahmsweise getrunken, man fing überhaupt erst an, sie in einzelnen Restaurationen auszuschenken; der Transport aus den Bezugsorten, München, Erlangen und Kulmbach war bei den wenigen fertigen Eisenbahnen noch allzu schwierig und kostspielig. Wein wurde nur bei Ausflügen und beim Stiftungsfest getrunken. Stutzerhafte Kleidung wurde verhöhnt. Der Haarkräusler verdiente bei den Musensöhnen noch wenig, nur ausnahmsweise an Ballabenden, machte er bessere Geschäfte; der Student ordnete sein Haar mit eigener Hand, und viele trugen es lang. Man hatte noch keine besonderen Kneipröcke und saß am liebsten, wenn es die Wärme im Sommer oder der Ofen im Winter zuließ, zwanglos in Hemdärmeln, viele mit dem bunten Cerevismützchen auf dem Haupt, die Korpsburschen mit dem Band um die Brust. Die Mitkneipanten mußten sich mit der einfachen schwarzen Mütze begnügen, die Renoncen oder Korpsfüchse hatten das Anrecht auf die Farben schwarz und gelb an Mütze und Pfeifenquasten, nur der Korpsbursch war berechtigt, in stolzer Würde das Band mit den drei Farben schwarz gelb weiß zu tragen. Die heute bevorzugte gelbe Mütze kam erst in den letzten Jahren meiner Studienzeit auf. – Um elf Uhr trat der Pedell, Pudel genannt, in die Kneipe und gebot Feierabend. Er nahm keine Notiz von den farbigen Abzeichen, denn die Korps waren, obwohl verboten, von den Behörden geduldet; auch bei öffentlichen Aufzügen prangten die Korps in ihren Farben.

So wagte ich es denn, noch vor Abschluß des Jahres 1840 um Aufnahme in die Verbindung einzukommen. Senior war der nachmalige badische Minister Rudolf von Freydorf, er nahm mich unter die Renoncen des Korps auf, und man erwartete, daß ich als braves Schwabenfüchsle möglichst bald die Mensurprobe ablegen werde. Ich übte mich fleißig auf dem Fechtboden, dessen Besuch Füchsen und Burschen zur heiligen Pflicht gemacht war. In kurzer Zeit war ich mit der Führung des Schlägers hinreichend vertraut, lernte auch etwas Säbel schlagen. Nachdem ich meine Tapferkeit an den Tag gelegt, wurde ich im Sommer 1841 unter die Burschen aufgenommen. Jetzt gehörte ich zu der studentischen Ritterschaft, worin Prinzen und Barone, Beamten und Bauernsöhne einander als freie 126 und gleiche Burschen ehrten; auf die »obskuren Kamele«, die sich kein farbiges Band im Turnier erstritten, sahen wir mitleidig, viele mit Verachtung herab.

Das Schlägerschlagen kräftigt den Arm, der die Waffe führt, aber die Muskeln des übrigen Leibs haben wenig Nutzen davon. An den drei Universitäten Jena, Erlangen und Würzburg hatte noch vor kurzem der Stoßkomment gegolten, die Mensuren wurden mit dem Stoßdegen, Pariser genannt, ausgefochten, man hatte sich deshalb dort auf dem Fechtboden mit Stoßrappieren eingeübt. Diese Uebungen im Fleuret- oder Stoßfechten nehmen weit mehr die gesamte Muskulatur in Anspruch, als die mit dem Schlägerrappier, und machen den Leib gewandter, aber die Mensur auf Pariser ist weit gefährlicher, als die auf Schläger. Die spitze Klinge des Parisers drang leicht in die Lungen, der Verletzte warf Blut aus und wurde nur zu oft siech und schwindsüchtig, wenn er nicht gar tot auf dem Platze blieb. Die Regierungen hatten lange vergeblich versucht, diese gefährlichen Paukereien aus der Welt zu schaffen; sie waren glücklich, als die Studenten endlich selbst den Stoßkomment mit dem minder bedenklichen Hiebkomment vertauschten.

Auf dem Fechtboden wurden die Füchse streng ermahnt, nicht bloß hauen, sondern auch parieren zu lernen. Geholzt sei nicht gefochten. Die Aufgabe eines guten Schlägers sei die, den Gegner zu zeichnen, aber man solle sich nicht zeichnen lassen. Es sei eine Schmach, wenn das Paukbuch, worin das Korps die sämtlichen von ihm ausgeteilten und empfangenen »Schmisse,« d. i. Wunden, eintrug, am Ende des Semesters eine Unterbilanz zeige, und die Suevia vielleicht sogar eine Reihe von »Abfuhren« erlitten habe. »Abgeführt« war der Paukant dann, wenn er infolge der Verwundung den Kampf aufgeben mußte. – In dem besseren Parieren, vielleicht auch in der damals üblichen verhängten Auslage, die das Parieren leichter machte, mag die Ursache zu suchen sein, daß die greulichen Verunzierungen des Gesichtes, wie sie heute so häufig sind, damals seltener vorkamen.

Neben dem Pauken spielte das Kommersieren eine wichtige Rolle im Leben des Korpsstudenten. Die Verbindung kommersierte unter sich oder bei dem Antritts- oder Abschiedskommers der Korps mit 127 allen andern zusammen, lud auch wohl befreundete ein oder wurde von diesen eingeladen. Das höchste Fest der Verbindung war der jährliche Stiftungskommers, der auswärts abgehalten wurde. Ein »solenner« Schmaus leitete ihn ein, und das edle Getränk des Bacchus floß in Strömen. Ehe die Feier begann, sorgten erfahrene Männer für die unentbehrliche Totenkammer, ein abgelegenes, mit gutem Stroh belegtes Asyl für die Abgefallenen. Es galt für ungehörig, sich vor dem Landesvater seiner vollen Burschenwürde zu begeben, aber nachher weder für schimpflich noch für unerläßlich. Den Preis errangen die starken Zecher, die bis zum Morgengrauen fort pokulierten und das nächtliche Werk mit tollem Unfug krönten. – Bei einem Stiftungskommers in Schwetzingen, im Dezember 1840, endete das Fest mit dem Zertrümmern des Hausgeräts, was nicht niet- und nagelfest war. Der Gastwirt nahm die Verwüstung gelassen hin. Er wußte, wie die Herren es hielten, und hatte vorgesorgt. Was Wert besaß, war aus dem Weg geschafft und allerlei Gerümpel von schadhaften Tischen und Stühlen, blinden Spiegeln und ausgedienten Gläsern und Schüsseln in die bedrohten Räume gebracht worden. Auf der Rechnung erschienen die Geräte als neu zu vollem Werte angesetzt. – Was blieb übrig? Man mußte die hohe Zeche begleichen und zog aus ihr die Lehre, in Zukunft auf den kostspieligen Schlußakt zu verzichten oder es doch billiger bei einigen zerschlagenen Flaschen und Gläsern bewenden zu lassen.

Viel Vergnügen gewährten den Musensöhnen die »Spritzfahrten« in die schöne Umgebung. Unter »Spritzen« verstand der Student Lohnkutschen zum Selbstkutschieren. Besonders gefielen sich die Füchse als Rosselenker. Glücklicherweise erwiesen sich die gutmütigen Klepper auf der Heimfahrt in der Regel klüger und zuverlässiger als die angeheiterten Jünglinge auf dem Kutschbock. Aber zu festlichen Aufzügen war die Spritze nicht schicklich. Dazu brauchte man Kutscher in Gala, stolze Landauer und gute Pferde mit feinem Geschirr.

Gegen Schluß meines zweiten Semesters gab die Suevia einem scheidenden Ehrenmitgliede ein feierliches Geleite, ein Komitat. Der verdiente Veteran, stattlich und wohlbeleibt, Hamster genannt, war um seines gesunden Verstandes und glücklichen Humors willen der Verbindung doppelt wert und teuer. Vierzig bis fünfzig Freunde 128 zu Pferd und Wagen bewegten sich mit dem »alten Hause« in festlichem Aufzug durch die Straßen, es war eine Auffahrt wie aus den Tagen von Louis XV., die Teilnehmer in herkömmlicher Weise großenteils kostümiert in der eleganten Tracht jener Zeit. Wie ein Souverän unter seinen Getreuen nahm der Gefeierte den Hintersitz eines Sechsspänners ein, ihm gegenüber zwei Füchslein prächtig ausstaffiert als »Chapeaux d'honneur«, in Vierspännern folgten die »Chargierten«, in Zweispännern die übrigen. Was der Student bei solchen Gelegenheiten brauchte an Federhüten und Tressen, Jabots und Manschetten, Schärpen, seidenen Kniehosen und zierlichen Degen, hielten die Trödler in gutem Stande bereit. Wir fuhren nach Schriesheim, wo ein Mahl gerichtet war, nahmen gebührend Abschied und – brachten den Freund mit sinkender Sonne wieder nach Heidelberg in die alte Pfalz zurück.

Das Biertrinken hatten die Korps in die feste Ordnung des Bierkomments gebracht. Der Senioren-Konvent setzte halbjährlich ein Vorgericht ein, das die Korps mit Richtern beschickten. In meinen letzten Semestern behandelten wir in der Suevia diesen »Bierhock« als einen abgestandenen Scherz, in den ersten aber war noch streng auf Vor- und Nachtrinken nach der Ordnung des Bierkomments gehalten worden. Obwohl ich sein Lobredner nicht sein möchte, so zwingt mich doch mein gerechter Sinn, anzuerkennen, daß er unter besonderen Umständen die gute Sitte in Kraft erhielt und sicherte. Einer der alten Herrn, als gefährlicher Schläger von den Feinden, als großer Schreier in der Kneipe gefürchtet, ließ seine Freunde oft nicht zu Worte kommen. Trieb er es zu arg, so ermahnten sie ihn, seine Stimme zu mäßigen, widrigenfalls man ihn zu Boden tränke. Er war ein starker Mensch, aber das Biertrinken vertrug er schlecht. Beachtete er die Warnung nicht, so wurde er unbarmherzig mundtot gemacht. Ein wohlgeeichter älterer Korpsbruder trank ihm 2 Schoppen vor, einen »Doktor«, die er, gehorsam dem Komment, nachtrinken mußte, und stellte ihm, falls ihm diese Bierpromotion nicht genüge, die höchste mit 4 Schoppen zum Bierpapst in Aussicht. Die zwei genügten jedoch. Wehklagend bezwang er sie, nach dem zweiten neigte er das Haupt, kreuzte die Arme, legte die Stirne auf den Tisch, schlief und – schwieg. 129

 


 


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