Adolf Kußmaul
Jugenderinnerungen eines alten Arztes
Adolf Kußmaul

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Heidelberg.

Weil Heidelberg Wiesloch näher lag als Mannheim, ließ mein Vater die Familie an Ostern 1838 dorthin übersiedeln, ungern vertauschte ich das liebgewordene Mannheimer Lyceum mit dem Heidelberger.

Der Frühling begann gerade die Landschaft mit Blüten zu schmücken. Von den Hügeln jenseits des Neckars leuchteten aus den Rebgärten die weißen großen Blumensterne der Mandelbäume herab ins Tal, und die Blütenknospen der Aprikosen-, Pfirsich- und Kirschbäume waren am Aufbrechen. Damals zierten mehr Mandelbäume als heute die Gärten, viele mußten im Laufe der Jahre andern, einträglicheren Arten von Obstbäumen weichen. Schade darum, denn zeitiger als diese, öffnen die Mandelbäume die Blumenkelche, und wo ihre Blüten den Hügel zieren, breitet der Lenz seinen Zauber früher über das Land.

Die Vegetation bestimmt großenteils den landschaftlichen Charakter einer Gegend. Neben der frühen und üppigen Obstblüte sind es die Kastanienwälder der Höhen um Heidelberg, die der Landschaft ihren südlichen Charakter verleihen. Auf den trocknen Abhängen der roten Sandsteinhügel gedeiht der zahme Kastanienbaum des Südens besser als die heimische Buche und Eiche. Zwar seine Frucht, die Keste, wie sie der Pfälzer nennt, ist kleiner, als die Marone, die der Sommer Italiens zeitigt, aber schmackhaft ist auch sie, und der Baum wird groß, stark und schön. Reizend ist die wechselnde Färbung des Kastanienwalds im Laufe der Jahreszeiten. 61 Im Frühjahr prangt die Bergwand in frischem Grün, im Juni mischt es sich mit dem blassen Gelb der Kastanienblüte, auf der grünen Wand treten die gelben Kuppen der Baumkronen in schärferen Umrissen hervor. Nach der Blüte kehrt ein satteres Grün zurück, bis der Herbst das Laub mehr und mehr in ein bräunlichem Gelb und Rot taucht.

Mein erster Spaziergang galt der Schloßruine und dem Schloßgarten, einem Park von mäßigem Umfang; aber kein Park der Welt gewährt auf so beschränktem Raum eine gleiche Fülle der mannigfaltigsten, herrlichsten Bilder.

Von da flieg ich auf die Höhe, die das alte Schloß hieß, weil hier oben die letzten Mauertrümmer der ältesten Bergfeste Heidelbergs standen; sie haben in den fünfziger Jahren einer Wirtschaft, wo Molken geschenkt wurden, Platz gemacht und seitdem wird der Ort die Molkenkur genannt. Er bietet eine Aussicht auf die Schloßruine unter ihm, auf die Stadt, auf die Mündung des Neckartals, und ein prächtiges Panorama des Rheintals. Durch die fruchtbare Ebene windet sich anmutig in silbernen Schlangenlinien der Neckar dem Rhein entgegen, der aus der Mitte des Tals in leuchtenden Streifen aufblitzt. Der Blick reicht südwärts hinauf zu den Bergen des Schwarzwalds und über den Rheinstrom westwärts zu der rebengesegneten Hügelkette des Haardtgebirgs und dem Donnersberg, der sie mit ernstem Haupte geheimnisvoll überragt. – Am lohnendsten ist die Aussicht, wenn der glühende Sonnenball hinter den Bergen versinkt.

Oft ist nur ein Schritt vom Erhabnen zum Lächerlichen. – Auf der Molkenkur genoß ich an einem schönen Sommerabend das Schauspiel des Sonnenuntergangs. Viele Gäste waren heraufgestiegen und richteten den Blick zur scheidenden Königin des Tags mit tiefer Andacht. Da ließ plötzlich eine Dame ihre Stimme hell erschallen: »O! wie schön ist es doch hier oben, auch wenn man eben aus Paris zurückgekehrt ist!«

Ein zweiter Spaziergang führte mich über den Neckar auf den Philosophenweg, von dessen Höhe die Lage Heidelbergs am schönsten hervortritt. Hier mag die berühmte Ode an Heidelberg in Hölderlins 62 Seele aufgegangen sein. Wie ein Sohn begrüßt er innig und warm die geliebte Stadt:

»Lange lieb' ich dich schon, möchte dich mir zur Lust
Mutter nennen und dir schenken ein kunstlos Lied,
    Du, der Vaterlandsstädte
        Ländlich schönste, so viel ich sah.«

Zu des begeisterten Dichters Füßen glänzt der Neckar, an der Stadt vorbei zieht der Flnß hinaus in die reizende Ebene, um hier liebend unterzugehen; in den Wellen beben die Bilder seiner Gestade und über ihn schwingt sich leicht und stark die Brücke, wie der Vogel des Waldes über die Gipfel fliegt. Von den Hügeln rauschen die Wälder herab auf die gigantische, schicksalskundige, von den Stürmen niedergerissene Burg, die Sonne gießt verjüngendes Licht auf das alternde, efeuumgrünte Riesenbild.

»Sträuche blühen herab, bis wo im heitern Tal
An den Hügel gelehnt oder dem Ufer hold
    Deine fröhlichen Gassen
        Unter duftenden Gärten ruhn.«

Klassische Verse und ein wunderbares Gemälde der idealen Landschaft, aber kein kunstloses Lied, wie es das Volk zum Gesang hinreißt und wie fröhliche Gesellen es hinausschmettern im grünen Wald, auf schaukelndem Kahn, oder beim perlenden Wein. Der Meister, der diese Weise fand, mußte erst noch kommen. Als wir Gymnasiasten die Ode Hölderlins rezitierten, saß auch er noch auf der Schulbank und schmiedete in Karlsruhe deutsche Verse nach griechischem Takt. Bald aber lehrten ihn Fink und Lerche in Wald und Flur aus freier Kehle frisch und fröhlich singen. Der Frühling kam und sein Lied, ein Brautlied, zart und jubilierend, wie es nur der gottbegnadete Sänger singt, pries Altheidelberg, die Feine und Ehrenwerte.

    »Und kommt aus lindem Süden
Der Frühling übers Land,
So webt er dir aus Blüten
    Ein schimmernd Brautgewand. 63

    Auch mir stehst du geschrieben
Ins Herz gleich einer Braut,
Es klingt wie junges Lieben
    Dein Name mir so traut.«

Und ins Herz blieb ihm die Schöne geschrieben bis zum letzten Hauche seines Lebens. Ein gebrochener Mann, todmüde, verlangte es ihn nach der Geliebten. In ihrem Anblick seine Qual vergessend, rüstete er sich zur letzten Wanderung in das unbekannte Land, von wo niemand wiederkehrt.Heidelberg gegenüber, in dem Hause Nr. 2 an der Neuenheimer Landstraße, damals Neckarhotel, wohnte Scheffel in dem Erdgeschoß linker Hand von Oktober 1885 bis zum 2. April 1886. An diesem Tage kehrte er nach Karlsruhe zurück und verschied eine Woche später, am 9. April, in dem Hause, wo seine Wiege gestanden hatte.

In den dreißiger Jahren trug die Stadt noch immer ein ländlich schönes Gewand, wie es Hölderlin entzückt hatte, und noch immer lagen ihre fröhlichen Gassen, namentlich die der westlichen, »Vorstadt« genannten Hälfte, inmitten duftender Gärten. So lange Heidelberg befestigt gewesen war, hatte ein Wall mit Graben die östliche Altstadt von der westlichen Vorstadt geschieden; der Graben lief in der Richtung der heutigen Grabengasse vom Klingentor zum Neckar herab; was heute von den vielen Ziergärten der Vorstadt übrig ist, gibt keinen Begriff mehr von deren früherer Ausdehnung; sie mußten im Laufe der Zeit Straßen und Gebäuden weichen; wo Gärten blühten, stehen heute Wohnhäuser, Werkstätten, Fabriken, Schulen und Universitäts-Anstalten.

Freilich nicht überall in der Vorstadt roch es nach Rosen und Veilchen, in dem westlichen Teile wehten die kräftigeren Düfte der Landwirtschaft und hausten Bauern, vielleicht die Nachkommen der Bewohner des Dorfes Bergheim, die Kurfürst Rupprecht II. gezwungen hatte, 1392 nach Heidelberg überzusiedeln. Eine alte Dame, die in der Vorstadt geboren und aufgewachsen war, wir nannten sie die Frau Doktorin, ich werde später genauer auf sie zurückkommen, erzählte uns Jünglingen gerne von den idyllischen Zeiten, die sie noch zu Beginn des Jahrhunderts in der geliebten Vaterstadt erlebt 64 hatte. In aller Frühe lief der Hirt mit Stab und Horn durch die Gassen der Vorstadt, tutete das Vieh aus den Ställen auf die Weide und trieb es abends wieder heim. Mit Vergnügen lauschte ich ihren Schilderungen und längst vergangenen Geschichten. Von diesen gefiel mir am besten die von dem höflichen Nachtwächter Eiselein. Er hielt gute Freundschaft mit den Studenten, damals in Stadt und Umgegend Juristen geheißen; sie ihrerseits betätigten ihre Wertschätzung des biederen Mannes mit Vorliebe um Mitternacht, wenn er in Hut und Mantel mit Spieß und Horn seines Amtes waltete, die zwölfte Stunde abblies und die schlummernde Bürgerschaft singend mit dem Sprüchlein mahnte: »Lobet den Herrn und laßt euch sagen, die Glocke hat zwölf geschlagen, bewahrt das Feuer und das Licht, damit niemand kein Schaden geschiecht!« Dann kamen sie an jeder Ecke herbeigelaufen, bald einzeln, bald truppweise, und grüßten ihn freundlich: »Guten Abend, guten Abend, Herr Eiselein, auch wieder fleißig beim Tuten!« Der höfliche Mann nahm bedächtig das Horn aus dem Mund und erwiderte den Gruß mit geziemendem Danke: »Man tut seine Schuldigkeit, meine Herren, wie es die hohe Obrigkeit gebietet.« Sie lobten seinen treuen Sinn, seinen schönen Gesang, schüttelten ihm die Hand und gingen weiter; aber es kamen immer wieder neue, wenn er gerade das Horn ansetzte, und grüßten ihn, worauf er doch danken mußte, bis er zuletzt die jungen Freunde höflichst ermahnte, ihres Weges zu gehen und sich lieber zu Hause aufs Ohr zu legen. Wenn endlich die letzten lachend weiter gezogen waren, so schüttelte er das graue Haupt und seufzte: »Juristen, böse Christen!«

Nur langsam erholte sich die vielgeprüfte Stadt von den furchtbaren Drangsalen und Verwüstungen, die sie im 17. und 18. Jahrhundert erduldet hatte. Noch in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts war sie kaum über die Grenzen ihres ehemaligen Festungsgebiets aus dem engen Neckartal in die Rheinebene hinausgewachsen. Jenseits der Sophienstraße standen nur wenige Gebäude. Vor dem Mannheimer Tor nahm die Stelle des heutigen schönen Bismarckgartens der stille Neckarhafen ein, ein Hafen ohne Schiffe. Ihm gegenüber südwärts lag der botanische Garten zwischen Sophien- und Rohrbacherstraße bis zur Leopoldsstraße, die den 65 landwirtschaftlichen Garten – er ist heute zu dem schattigen Neptungarten umgewandelt – von dem botanischen schied. In beiden Gärten befanden sich Teiche für Wasserpflanzen zu Lehrzwecken, vermutlich die letzten Reste versumpfter Festungsgräben, woraus an dieser Stelle mein Vater noch 1818 die Leiche eines verunglückten Juden herausholen sah.

Nur eine Brücke, die alte auf den steinernen Bögen, die von der Altstadt über den Fluß führt, mit den Standbildern Karl Theodors, »palatinorum patris«, und der etwas leichtgemuten Pallas Athene mit Speer und Medusenschild, verband die beiden Ufer. Die neue Brücke auf eisernen Pfeilern, die heute im Westen Heidelberg mit Neuenheim verbindet, wurde erst 1877 dem Verkehr übergeben. Wollten wir an dieser Stelle über den Neckar, so mußten wir Kähne benützen; die Reisenden, die von Frankfurt herfuhren, mußten, am Neckar angelangt, ostwärts umbiegen und zur alten Brücke hinauffahren, um in die Stadt zu gelangen. Neuenheim war noch 1835 ein kleines Dorf mit 750 Einwohnern und ist erst 1891 ein Teil der Stadt geworden, die in meiner Schulzeit nur 13 400 Einwohner hatte, die Studenten und die Bewohner des Vorortes Schlierbach und des Kohlhofs mitgerechnet; heute (1900) hat Heidelberg mit Neuenheim 40 100 Einwohner.

Der Schloßgarten hatte bereits seine jetzige Gestalt als Park. Zu Beginn des Jahrhunderts war er eine Wildnis, und die Schloßruine schien der gänzlichen Zerstörung, teils durch Naturgewalt, teils durch Menschenhand, verfallen. Wer in der Stadt Steine brauchte zum Bauen, brach sie aus den Mauern des Schlosses. Das »Wunder der Welt«, der hortus palatinus des Kurfürsten Friedrich V., des Winterkönigs, lag mit seinen Pomeranzen und Lorbeerbäumen, Springbrunnen und Marmorbildern begraben in Schutt und Gestrüppe, an gerodeten Stellen pflanzte ein Pächter Cichorie! Da sicherte, nach dem Uebergang der rechtsrheinischen Pfalz an das Haus Baden 1803, der neue Herrscher Karl Friedrich das Schloß vor weiterer Verwüstung und ließ die Anlagen, wie sie heute kaum verändert bestehen, als Lustgarten und zu forstbotanischen Zwecken 66 herstellen. Viele der Bäume und Sträucher des Gartens sind mir vertraute Jugendfreunde, Fink und Drossel singen auf ihren Zweigen die alten Lieder, nur das Lied der Königin des Gesanges, der Nachtigall, dem wir so oft in den lauen Nächten lauschten, vermisse ich. Sie nistete noch in den fünfziger Jahren in dem reizenden Tälchen zu Füßen des gesprengten Turmes, wir nannten es das Matthissons-Tälchen, dem elegischen, damals sehr gefeierten Dichter zu Ehren. Die Sängerin ist entflohen, verscheucht von dem jährlich wachsenden Lärm der Fremdenschwärme; sie nahm ihre Zuflucht zu der friedlichsten Stelle in Heidelbergs Umgebung, dem städtischen Friedhof an der Rohrbacher Straße, dem wenige in Deutschland an Schönheit gleichkommen.

Wie der Schloßgarten, ist auch die schönste Straße der Stadt, die Leopoldsstraße mit Allee und Anlagen, eine Schöpfung der ersten Jahrzehnte dieses Jahrhunderts. Sie war 1830 fertig geworden, mit ihr die Sophienstraße, die an der Stelle der ehemaligen westlichen Umwallung zum Neckar und der neuen Brücke führt. Bis dahin war die Leopoldsstraße nur ein Fußpfad gewesen, den man am Ende des vorigen Jahrhunderts nach der Abtragung der Festungswerke angelegt hatte. Es geschah zur Zeit der französischen Revolutionskriege, und der Spazierweg erhielt den Namen »der Pariser«, weil auf ihm nach seiner Herstellung sofort die Franzosen, die alten schlimmen Bekannten, eingezogen waren, um ihren gewohnten Besuch abzustatten.

Nachdem der Weg zur Fahrstraße geworden, hieß er noch immer »Pariser«, auch »Anlage«, sein amtlicher Name Leopoldsstraße, zu Ehren des Großherzogs Leopold, kam nur allmählich in Gebrauch.

Als ich das Lyceum besuchte, standen erst wenige von den heutigen Bauten an der Leopoldsstraße, es waren nur Gärten und Anlagen da und die beiden alten Friedhöfe, der heutige an der Rohrbacher Straße wurde erst 1844 eingeweiht. Einer der alten Friedhöfe umgab die damals noch ganz schmucklose St. Peterskirche mit ihrem unfertigen Turm, der andere lag in dem Winkel zwischen Leopolds- und Sophienstraße bei der St. Anna-Kapelle. Auf diesem wohnte ich noch Beerdigungen bei.

67 Die Leopoldsstraße war ihrer schattigen Allee und der hübschen Ausblicke nach dem Schloß und den Bergen wegen, auch um ihrer geschützten Lage und friedlichen Stille willen, ein beliebter Spazierweg, namentlich für ältere Gelehrte, denen der Weg auf das Schloß zu steil war. Die bequem ansteigende Fahrstraße, die Stiftung eines Heidelberger Arztes, des Dr. Kleinschmidt, führt erst seit 1875 hinauf. Man war sicher, auf dem Pariser zu bestimmten Stunden gewissen Berühmtheiten der Universität zu begegnen. Ich sehe noch heute den alten Kirchenrat Paulus seine großen Augen, wie glühende Kohlen, auf die Begegnenden richten, den knorrigen Historiker Schlosser seinen Kopf mit dem einen durchdringenden Auge wie ein Vogel seitlich drehen, um zu grüßen, die vornehme Erscheinung des Pandektisten Thibaut an mir vorübergehen, auch den frommen Theologen Rothe und den berühmten Staatsrechtslehrer Zachariae, der stets einsam, steif und gerade in schäbigem Gewande daherschritt. Uns Studenten fiel am meisten sein abgegriffener hoher Filzhut auf, wir erzählten einander, er habe ihn testamentarisch der Bibliothek als eine der größten Sehenswürdigkeiten für künftige Zeiten zugewiesen.

Es sind nun mehr als 50 Jahre verflossen. Die Universität hat ihr 500jähriges Jubiläum gefeiert, auch ich habe, als ihr dankbarer Schüler, ehemaliger Lehrer und als Abgeordneter der Straßburger Kaiser-Wilhelms-Universität, vom 2. bis 7. August 1886 daran teilgenommen. Altheidelberg hat das Gewand der ländlichen Schönen, das einst Hölderlin und uns in der Jugend so wohl gefiel, abgelegt und mit der anspruchsvolleren Tracht der modernen Touristen- und Industriestadt vertauscht. Seit der Dampf Herrscher der Welt geworden, muß die Stadt sich an den Lärm und Ruß der Bahnzüge, der rasselnden Omnibusse, rauchenden Schlote und Fabrikessen gewöhnen. Spekulation und Industrie ließ sie frei gewähren und vergaß, daß die beiden kein ästhetisches Gewissen drückt. Es konnte nicht ausbleiben, daß dem wertvollsten Besitze der Stadt, ihren landschaftlichen Reizen, da und dort empfindlicher Abbruch geschah. So zu Häupten des Schlosses, wo eine Fremdenherberge von ausgesuchter Häßlichkeit auf die edlen Trümmer der Paläste 68 eines kunstsinnigen Fürstengeschlechtes herabschaut. Ja, man hat es sogar zugelassen, daß die wunderbar schöne Aussicht, die das Schloß von der Gartenterrasse darbot, viele Jahre lang durch einen Schleier grauer Rußwolken verdeckt wurde, die von den turmhohen Kaminen eines riesigen Zementwerkes über den westlichen Teil der Stadt und deren Umgebung ausgeschüttet wurden. Wie beklagte ich den armen Scheffel! Man hat sein bronzenes, vorzüglich gelungenes Standbild am 11. Juli 1891 auf der Terrasse aufgestellt. Vom hohen Granitsockel herab richtet er den Blick nach den sonnigen Hügeln der Haardt. Vier Jahre lang spähte der Arme vergebens und sah nur Ruß und Rauch. Da erbarmten sich die Elemente des Dichters. Feuer verzehrte das Werk der pietätlosen Spekulation in einer Nacht, am 4. Februar 1895, und heute lacht ihm die gesegnete Pfalz wieder in alter Schönheit entgegen. 69

 

 


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