Adolf Kußmaul
Jugenderinnerungen eines alten Arztes
Adolf Kußmaul

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Der Zehnte.

Das Einkommen der Pfarrei Buch am Ahorn bestand größtenteils, wenn nicht ganz, aus dem Ertrage des Zehnten und der Gülten. Zwar ist der Zehnte schon in den fünf Büchern Mosis angeordnet, und die Römer hießen das eroberte Land rechts am Oberrhein die agri decumates, das Zehntland, aber trotz Mosis und der Cäsaren Gebot wollte den Bauern diese Einrichtung wenig einleuchten. Es war der Zehnte eine unerschöpfliche Quelle von Aerger und Verdruß für Geistlichkeit und Bauernschaft. Beide empfanden fast allenthalben seine Ablösung, die auf den Antrag der zweiten Kammer in den dreißiger Jahren ins Werk gesetzt wurde, als eine Wohltat. – Das Gedächtnis des Zehnten ist nahezu erloschen, darum sei ihm ein Wort der Erinnerung geweiht; er hat mir als Knaben frohe Stunden bereitet.

War die Ernte- oder die Herbstzeit gekommen, so meldete sich der Zehnter, dem das Eintreiben des Zehnten oblag, beim Pfarrherrn. Er kam mit einem mehr als mannshohen spitzen Stabe, dem Zehntstabe, und zeigte dem Geistlichen an, daß er aufs Feld gehe, um seines Amtes zu warten. Ich durfte ihn mitunter auf seinen Gängen begleiten. Die Bauern waren gehalten, die Getreide-Garben in Reihen, Flachs und Hanf in Büscheln, Heu und Oehmd, Kartoffeln, Rüben, Bohnen u. dgl. in Haufen und Häufchen bereit zu legen und liegen zu lassen, bis der Zehnter mit seinem Stab erschien, nachsah, und jede zehnte Garbe, jeden zehnten Büschel oder Haufen wegnahm, auf den Wagen lud und wegführte.

36 Der Zehnter, ein ehemaliger Soldat, ein Vierziger, war ein stattlicher, heiterer Mann und mir freundlich zugetan. Er wahrte getreu des Pfarrers Vorteil und kannte die Bauernschliche von Grund aus. War er doch selbst aus dem Bauernstand hervorgegangen und führte das Sprichwort im Munde: »Der Bauer ist ein Lauer.« Nach Grimms Wörterbuch bedeutet Lauer einen Schelm und ist im 18. Jahrhundert ausgestorben. Im Munde des Zehnters war es aber noch im 19. lebendig.Auch lebt noch in den Kantonen Bern und Solothurn nach mündlicher Mitteilung der Spruch: »D Bure si (sind) Lüre, so lang si düre.« Er ließ sich nicht hinters Licht führen, und ich half ihm eifrig nachzählen und aufladen und freute mich seines Lobs. Heimgekehrt teilte er im Pfarrhof das Mahl mit dem Gesinde und würzte es mit Scherzen und lustigen Geschichten. Eine davon, eine Bauernparabel, habe ich gut im Gedächtnis behalten.

Ein König setzte den Bauern einen Pfarrer ins Dorf, auf daß er ihnen Gottes Wort predige. Seine Antrittspredigt lautete: »Ihr Bauern, schafft euch hirschlederne Hosen an, denn sie halten den Leib im Winter warm, im Sommer kühl, und sind dauerhaft. Und ich sage euch, gebet Gott, was Gottes, und dem Könige, was des Königes ist.« – Diese Predigt gefiel den Bauern wohl, weil sie kurz war und nützlichen Rat mit dem heiligen Worte der Schrift verband. Darum waren sie ihres Pfarrers froh. Dieser aber war trägen Geistes und pflegte lieber seines Leibs, als seines Amts. Am nächsten Sonntag und an allen Kirchentagen des Jahres mahnte er die Bauern immer wieder, hirschlederne Hosen zu tragen und Gott und dem Könige zu geben, was ihnen gebühre. Dieweil aber der Mensch auch der besten Predigt überdrüssig wird, wenn sie einmal lautet wie das andre Mal, so schickten die Bauern Abgeordnete an den König und baten um einen andern Pfarrer. Als sie ihm aber erzählten, welche Gebote ihnen der Prediger so unermüdlich ans Herz lege, ergrimmte der König nicht über den Pfarrer, sondern über die Bauern, und hieß die Lümmel stehenden Fußes heimkehren. Und rühmte den Pfarrer vor seinem Hofe als den rechten Mann Gottes. 37

 


 


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