Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zur Aufhebung des Fremdenverkehrs

Da ich nicht aufbauen, sondern nur niederreißen kann, so bin ich natürlich auch nicht für die Hebung des Fremdenverkehrs, sondern für dessen Aufhebung. Mit dieser Tendenz verfolge ich, aber doch wieder ein positives Ziel, indem ich nämlich der Ansicht bin, daß durch die Hebung des Fremdenverkehrs, das heißt durch die ausschließliche Konzentrierung des Wiener Gedankenlebens auf dieses Ideal eine Senkung des geistigen Niveaus und zwar unter den Nullpunkt eingetreten ist. In meiner Jugend, als ich das erstemal von den Fremden sprechen hörte, und wie alles in Wien bemüht sei, ihnen das Leben so angenehm als möglich zu machen (nicht so wie in Tauris, wo nach einem dunklen Brauche am Altar Dianens jeder Fremde sein Leben ließ, während er Wiens wirtlicheren Sitten zufolge bloß Geld zu opfern hat), in meiner Kindheit also hatte ich den Wunsch, dereinst Fremder zu werden. Diesem Wunsch habe ich bis heute nicht entsagt, nur daß ich nicht mehr Fremder in Wien sein möchte, sondern außerhalb. Ich bin nämlich im Lauf der Zeit dahintergekommen, daß sich die Sache mit den Fremden in Wien ganz anders verhält, daß der Fremdenverkehr nur Chimäre ist, wenngleich eine, die den Wiener unterhält, und daß seiner Phantasie da schon die geringste Andeutung genügt. Ich habe entdeckt, daß die Fremden nicht viele und immer die gleichen Leute sind, die immer wiederkehren, aber nicht weil es ihnen hier so gut gefällt, sondern weil sie müssen, weil sie angeworben sind. Es sind jene, die man, in eigenen Autobussen verpackt, über die Ringstraße ziehen sieht und die einem oft leid tun, weil sie der Neugierde der Einheimischen ausgesetzt sind, weil man die Empfindung hat, daß ihre Anlagen dem Schutze des Publikums empfohlen, mithin allen möglichen Unbilden und speziell Anfechtungen preisgegeben sind, und dann, weil es überhaupt traurig sein muß, so gemeinsam die Vorzüge einer alten Kultur genießen zu müssen. Aber das Mitleid ist nicht am Platz, denn erstens sagt man sich sofort, daß sie es sich selber zuzuschreiben haben, und zweitens, daß sie dazu da sind, indem sie doch zu keinem andern Zweck gehalten werden als eben zur Hebung des Fremdenverkehrs. Als ich dahinterkam, war es aus mit meinem Jugendtraum, denn dazu würde ich mich nie und nimmer hergeben. Die Sache hat auch mit der Zeit zu allerlei Unzukömmlichkeiten geführt, da es häufig vorkam, daß sich Wiener unter die Fremden einschlichen, um die Stadt kennen zu lernen; es wurde Mißbrauch mit dem Vertrauen der Bevölkerung getrieben, indem sich Personen für Fremde ausgaben, um eine höfliche Auskunft zu erhalten, welche zum Glück aber, da das Mutteraug sie sogleich erkannte, mit der gebührenden Grobheit abgefertigt wurden, während anderseits wieder Fremde, die hier bereits wie zuhause tun wollten, Demütigungen zu erleiden hatten. Solch unliebsame Quiproquos vermochten aber von den eigentlichen Bestrebungen des Fremdenverkehrs nicht abzulenken, und um die Fremden zu vermehren, worauf es ja hauptsächlich ankommt, ist man auf die tollkühnsten Gedanken verfallen. So heißt es, daß man sich im nächsten Sommer nicht begnügen will, sie, wie es die Delphine mit den Mitgliedern des Wiener Männergesangvereins und diese mit ihnen taten, durch Gesang anzulocken, sondern es soll auch jedem Wiener aufgetragen werden, auf eigene Faust »mindestens einen Fremden« herbeizuschaffen, was, mit einiger Tatkraft durchgeführt, zur Verdrängung der Einheimischen oder zu einer katastrophalen Steigerung der Obdachlosigkeit führen würde. Es besteht aber Hoffnung, daß man im letzten Augenblick diese Folgen einer übertriebenen Heimatliebe bedenken und es bei der natürlichen Anziehungskraft des Musikfestes bewenden lassen wird. Ein eigenartiger Vorschlag, von dem man gleichfalls noch rechtzeitig zurücktrat, war auch der, einer Gesellschaft von Amerikanern eine ebenso große Anzahl von Wiener Schneidern bis Paris entgegenzuschicken, die dort auf dem Bahnhof jedem einzelnen das Maß für ein Steirergewand zunehmen und es dann bei der Ankunft in Wien mit den Bücklingen des Dorfschneiders im Märchen in fertigem Zustand zu überreichen hätten. Die Ausführung dieser zweifellos sinnigen Idee unterblieb aber wohl aus dem Grunde, weil das Steirergewand inzwischen zu anrüchig geworden war, als daß man mit ihm amerikanischen Geschäftemachern eine Freude bereitet hätte, an verzichtete also darauf, ihnen in Paris Maß zu nehmen, und begnügte sich damit, sie in Wien auszuziehen. Denn man ist überzeugt, daß man auch auf diese Art eine dauernde Erinnerung an Österreich erzielen kann, und man würde sich gewiß entschließen, den Fremden noch mit kleinen Aufmerksamkeiten wie etwa Seife in den Eisenbahnaborten entgegenzukommen, wenn Österreich nicht auch Einheimische hätte, die sie wieder forttragen. Denn wiewohl diese stark dafür interessiert sind, daß die Fremden ins Land kommen, so sind sie doch um ihretwillen zu keinem Opfer bereit. Wenn also Toilettegegenstände, so sind doch Bestrebungen im Zuge, um da gründlich Wandel zu schaffen und dafür zu sorgen, daß die Vorteile, auf welche die Fremden berechtigten Anspruch erheben können, nicht den Einheimischen zugutekommen. Ein scharfer Trennungsstrich soll gezogen werden, und seit einigen Jahren hat man, um die Institution der Fremden vor Verfälschung zu schützen und jeden von ihnen sofort als solchen kenntlich zu machen, die Kongresse eingeführt. Die Kongresse gehören zu jenen fortschrittlichen Errungenschaften, zu deren Hervorhebung man nichts weiter zu sagen braucht, als daß sie uns bisher gefehlt haben. Da man sich von ihnen, seit jenem vorbildlichen Wiener Kongreß, die Hebung des Fremdenverkehrs verspricht, so glaube ich zur Zerstörung dieser Illusion am besten dadurch beizutragen, daß ich das Geheimnis der Zusammensetzung der Kongresse verrate. Woche für Woche liest man jetzt, daß Europa, darin schon geeint, beschlossen habe, die Vertreter seiner wichtigsten Kulturinteressen nach Wien zu entsenden, die abwechselnd als Soziologen, englische Hoteliers, deutsch Schriftsteller und Journalisten, Kulturbündler, Penbrüder, Paneuropäer oder gar Europäer schlechtweg hier zusammentreten und auf Staatskosten essen sollen. Wäre dies wirklich der Fall und wäre es somit wahr, daß speziell die deutschen Schriftsteller und Journalisten, also Leute, die jeden andern kongreßwürdigen Beruf verfehlt haben, als Gäste der Bundesregierung in Schönbrunn bewirtet werden und Kulturbündler, also Menschen, die nicht einmal selbst wissen, welche Spezies von Unfug sie treiben, im Rathaus, so würde ich ganz ungescheut zur Steuerverweigerung auffordern. Ich bin jedoch überzeugt, daß die Berichte über diese Fressereien und Empfänge, über dieses Getue einer verkrachten Würde und dieses Geschmuse einer dubiösen Kultur erfunden sind. Zwar Herrn Ramek, dem Chef einer stark alkoholhaltigen Regierung, mochte ja mancherlei auf diesem G biete zuzutrauen sein; aber eine sozialistische Gemeinde hat, mit den Opfern der Kriegs- und Nachkriegswelt im Rücken, andere Sorgen als die Patronanz solcher Lustbarkeiten, denen sie sich wohl mit einer Steuer, doch mit keiner Bewirtung zu näher hat. Ich glaube aber nicht, daß es diese Kongresse gibt. Viel mehr bin ich überzeugt, daß es sich um die alte Einrichtung der Fremden handelt, die man jetzt scheinbar rudelweise, also kongreßweise vornimmt, um – wie es Provinzbühnen mit ihrer dürftigen Komparserie machen, die immer ab- und zuzugehen hat – die Fülle vorzutäuschen und den Verkehr der Fremden zu dessen Hebung zu benützen. Ein Blick auf die Bilder in den illustrierten Blättern, die uns seit Wochen die jeweiligen Kongreßteilnehmer vorführen, bestätigt diesen Verdacht. Es sind, absichtlich etwas verschwommen gehalten, immer die nämlichen Gestalten, ob sie nun die englischen Hoteliers oder die Interessenten für kulturelle Zusammenarbeit, mit ihren Gattinnen, vorzustellen haben. Der Unterschied ist nur, daß oben rechts im Oval entweder das Antlitz des Hoteliers Sukfüll zu sehen ist, des Bahnbrechers, der wie Drake die Kartoffel, so die Fremden in Österreich eingeführt hat, oder das des Dichters Hofmannsthal, die man aber gleichfalls verwechseln kann. Die Fremdenführer, welcher Branche immer sie angehören mögen, der Kultur oder dem Gastwirtgewerbe schlechthin, wechseln; die Fremden bleiben dieselben. Was insbesondere die englischen Hoteliers betrifft, so hat man sie berufen, nicht nur weil sie Fremde sind, sondern weil gerade sie in der Lage sein müssen, Anregungen zu geben, wie man mit Fremden umgeht. Denn was der Skarabäus den Ägyptern, das bedeutet für die Österreicher der Fremde. Also welcher Kongreß hier immer zusammentreten mag, es sind einfach Fremde, die gar keinen anderen Beruf haben und gar kein anderes Interesse, als hier fremd zu sein und deshalb nicht zu wissen, was man mit ihnen vorhat, nämlich daß sie ausschließlich zur Hebung ihres eigenen Verkehres, zur Fremdeninzucht, dienen sollen. Wüßten sie das, sie kämen nicht wieder. Denn die österreichische Monroe-Doktrin: Österreich den Fremden! hat ihre Kehrseite: sie sollen eine Sehenswürdigkeit für die Einheimischen abgeben. Indem ich dieses Geheimnis verrate, hoffe ich die erste Bresche in den Fremdenverkehr gelegt zu haben, zu dessen Aufhebung ich, wenn ich geselligerer Natur wäre, längst einen Verein ins Leben gerufen hätte. Denn wenn ich das ökonomische Prinzip, daß der Mensch den Gastwirt zu ernähren hat, für einen Gottesbetrug halte, so halte ich die Forderung, daß der Fremde den Gastwirt zu ernähren habe, für eine Affenschande. Wie es anders zu machen wäre, weiß ich nicht, und mehr, als auf einem Kongreß von Nationalökonomen herauskommt, muß ich nicht bieten. Eine Fremde fragte mich neulich, ob es wahr sei, daß ich nicht aufbauen könne, sie habe es von verschiedenen Seiten gehört. Nach längerem Zögern und da es sich nicht mehr verbergen ließ, entschloß ich mich, es zuzugeben, nicht ohne mich aber zugleich einer positiven Fähigkeit zu rühmen, nämlich daß ich niederreißen kann.


 << zurück weiter >>