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»Offenbach-Renaissance«

Nun ist die Tat, die ich mir gleich der Erweckung Nestroys zuschreibe, in all den lebendigen Jahren, da ich das Zeitliche verflucht habe, nun ist dies »Positive« in den Geltungsbereich der öffentlichen Meinung eingetreten. Ohne Ansehen des Urhebers, der aber auch nicht ansehen möchte, was die Theater als eine Offenbach-Renaissance praktizieren; nicht Zeuge sein wollte der Barbareien, mit denen das szenische Unwesen, Behältnis anmutlosesten Lebens, dem großen Zauberer einer versunkenen Welt seine Ehren erweist. Denn seit den »Helena«- und »Orpheus«-Schändungen des Herrn Reinhardt, der – bis zu Gogols »Revisor« – schon manche meiner geistigen Direktiven mißbraucht hat, glaubt dieses Aufmachertum ihn durch musikalische Verödung, textliche Verkitschung und hundert süße Beinchen dem Geschmack einer Jazzbanditengesellschaft annähern zu müssen. So uneitel bin ich wahrlich nicht, mit solcher Renaissance meine Offenbach-Gestaltungen, durch die sie doch neuestens angeregt wird, in einen Qualitätsvergleich bringen zu wollen; immerhin so unbescheiden, zu sagen, daß diese Stadt, wenn sie, über die kleine Gefolgschaft der Geistverbundenen hinaus, noch einen Funken echten Theatersinns hätte, die wahre Erneuerung Offenbachs nicht dreimal, sondern hundertmal in einem vollbesetzten Saal erleben müßte, um dann endgültig die Serienschmach der neuen Operette abzubrechen, und garantierte sie auch jedem der Genießer im Zwischenakt ein »Girl« auf den Schoß. Doch ein Theaterschwätzer, der alle Symptome dieser »Renaissance« anführt, ohne ihren eigentlichen Hort und Ursprung auch nur zu bemerken, hat – in der Zeit, in der eine vielleicht physiologisch nachweisbare Idiotie berufen ist, dem Operettengedudel den Text anzumessen – die Erklärung gewagt, es müsse »doch wohl lediglich an den albernen Texten liegen«, daß, von den Ausnahmen der »Helena« und des »Orpheus« abgesehen, »der Name Offenbach so selten auf dem Spielplan der Operettentheater erscheint«. Womit also gesagt wäre, daß im Vergleich mit jenen Werken – in deren Text gerade der Wiener Knödelhumor Orgien feiert und auf Kosten der Grazien, die ihn ursprünglich zubereitet haben, den Mehlspeisgeschmack dauernd anspricht –, daß im Vergleich mit dem theaterüblichen und immer neu aufgewärmten Helden- und Göttergspaß die Texte von »Blaubart«, »Die Großherzogin von Gerolstein« und »Pariser Leben« selbst nach Wiener Maßen »albern« sind. Und da ist es denn notwendig, von einer Höhe herab, von der es überhaupt keine Verbindung mit einer geistigen Gegenwart gibt außer der der Verachtung, sich zu der Albernheit dieser Texte zu bekennen; und da ist es wichtig, einiges von dem zu wiederholen, womit in meinem Aufsatz »Grimassen über Kultur und Bühne« (1909) die Distanz abgesteckt war zwischen dem tiefen Unsinn, der das Wesen, und dem flachen Sinn, der das Unwesen der Operette bedeutet.

»Die Funktion der Musik: den Krampf des Lebens zu lösen, dem Verstand Erholung zu schaffen und die gedankliche Tätigkeit entspannend wieder anzuregen. Diese Funktion mit der Bühnenwirkung verschmolzen, macht die Operette, und sie hat sich mit dem Theatralischen ausschließlich in dieser Kunstform vertragen. Denn die Operette setzt eine Welt voraus, in der die Ursächlichkeit aufgehoben ist, nach den Gesetzen des Chaos, aus welchem die andere Welt erschaffen wurde, munter fortgelebt wird und der Gesang als Verständigungsmittel beglaubigt ist. Vereint sich die lösende Wirkung der Musik mit einer verantwortungslosen Heiterkeit, die in diesem Wirrsal ein Bild unserer realen Verkehrtheiten ahnen läßt, so erweist sich die Operette als die einzige dramatische Form, die den theatralischen Möglichkeiten vollkommen angemessen ist. ... Zu einem Gesamtkunstwerk im harmonischesten Geiste vermögen Aktion und Gesang in der Operette zu verschmelzen, welche eine Welt als gegeben nimmt, in der sich der Unsinn von selbst versteht und in der er nie die Reaktion der Vernunft herausfordert. Offenbach hat in seinen Reichen phantasiebelebender Unvernunft auch für die geistvollste Parodierung des Opernwesens Raum: die souveräne Planlosigkeit der Operette kehrt sich bewußt gegen die Lächerlichkeit einer Kunstform, die im Rahmen einer planvollen Handlung den Unsinn erst zu Ehren bringt. Daß Operettenverschwörer singen, ist plausibel, aber die Opernverschwörer meinen es ernst und schädigen den Ernst ihres Vorhabens durch die Unmotiviertheit ihres Singens. Wenn nun der Gesang der Operettenverschwörer zugleich das Treiben der Opernverschwörer parodiert, so ergibt sich jene doppelte Vollkommenheit der Theaterwirkung, die den Werken Offenbachs ihren Zauber verleiht, weit über die Dauer der politischen Anzüglichkeiten hinaus, auf welche die Nichtversteher seines Wesens den größten Wert legen. An der Regellosigkeit, mit der sich die Ereignisse in der Operette vollziehen, nimmt nur ein verrationalisiertes Theaterpublikum Anstoß. Der Gedanke der Operette ist Rausch, aus dem Gedanken geboren werden; die Nüchternheit geht leer aus. Dieses anmutige Wegspülen aller logischen Bedenken und dies Entrücken in eine Konvention übereinanderpurzelnder Begebenheiten, in der das Schicksal des Einzelnen bei einem Chorus von Passanten die unwahrscheinlichste Teilnahme findet, dies Aufheben aller sozialen Unterschiede zum Zweck der musikalischen Eintracht und diese Promptheit, mit der der Vorsatz eines Abenteuerlustigen: ›Ich stürz' mich in den Strudel, Strudel hinein‹ von den Unbeteiligten bestätigt und neidlos unterstützt wird, so daß die Devise: ›Er stürzt sich in den Strudel, Strudel hinein‹ lauffeuerartig zu einem Bekenntnis der Allgemeinheit wird – diese Summe von heiterer Unmöglichkeit bedeutet jenen reizvollen Anlaß, uns von den trostlosen Möglichkeiten des Lebens zu erholen. Indem aber die Grazie das künstlerische Maß dieser Narrheit ist, darf dem Operettenunsinn ein lebensbildender Wert zugesprochen werden. ... Eine Gesellschaft jedoch, die das Lachen geistig anstrengt und die gefunden hat, daß sich mit dem Ernst des Lebens bessere Geschäfte machen lassen, hat den blühenden Unsinn zum Welken gebracht. Sie imponierte sich mit ihrer Pfiffigkeit, als sie die Unwahrscheinlichkeit einer Operettenhandlung entdeckte ... Der aufgeweckte Verstand hat den Unsinn entlarvt und seine Rationalisierung durchgesetzt. Was geschieht? Der Unsinn, der früher das Element war, aus dem Kunst geboren wurde, brüllt losgebunden auf der Szene. Unter dem Protektorat der Vernunft entfaltet sich eine Gehirnschande, welche die dankbaren Dulder ärger prostituiert als die spekulativen Täter. Die alten Operettenformen, die an die Bedingung des Unsinns geknüpft bleiben, werden mit neuer Logik ausgestopft, und der Effekt läßt sich etwa so an, als ob jetzt die opernhafte Lächerlichkeit von einer Bande entfesselter Tollhäusler demonstriert würde. Die Forderung, daß die Operette vor der reinen Vernunft bestehe, ist die Urheberin des reinen Operettenblödsinns. Jetzt singen nicht mehr die Bobèche und Sparadrap, die Erbprinzen und Prinzessinnen von Trapezunt, die fürchterlichen Alchimisten, in deren Gift Kandelzucker ist, keine musikalische Königsfamilie wird mehr vom bloßen Wort ›Trommel‹ hingerissen, kein Hauch des Tyrannen wirft einen falsch mitsingenden Höfling um. Aber Attachés und Leutnants bringen sachlich in Tönen vor, was sie uns zu sagen haben. Psychologie ist die ultima ratio der Unfähigkeit, und so wurde auch die Operette vertieft. Sie verleugnet den romantischen Adel ihrer Herkunft und huldigt dem Verstand des Commis voyageur. ... Der Drang, das Leben der musikalischen Burleske zu verifizieren, hat die Gräßlichkeiten der Salonoperette erschaffen, die von der Höhe der ›Fledermaus‹ – des Übels Urquell – über die Mittelmäßigkeit des ›Opernballs‹ in die Niederung der ›Lustigen Witwe‹ führen. Von der natürlichen Erkenntnis verlassen, daß ein phantastisches oder exotisches und jedenfalls ein der Kontrolle entrücktes Kostüm notwendig ist, um das Singen in allen Lebenslagen wahrscheinlich zu machen, und ohne Ahnung, daß ein singender Kommis im Smoking eine Gesellschaftsplage bedeutet, wagt diese neue Industrie das Äußerste.«

Wie trostlos zu denken, daß in eben dieser Kulturregion sich die Wiedergeburt Offenbachs vollziehen soll mit Hilfe einer Auffassung, die dem Geist und der Grazie durch die bewußte Antithese des Schwachsinns und der Gemeinheit zur Wirkung verhilft; und auch mit Hilfe der Techniken und Praktiken, die die neue Operettenszene zum Schauplatz von allem gemacht haben, was mit dem Theater nichts zu tun hat, von gymnastischen, kosmetischen und sonstigen Geschäften zur Beschönigung des Zusammenbruchs. Was der Komikerhumor schon vor dem des Kommis an den Texten Offenbachs vollbracht hat, die Erinnerung daran wurde mir durch das Studium aller möglichen Soufflierbücher mit den eingetragenen »Extempores« beklemmend lebendig. Allerdings vermag selbst die dickste Zutat von Alfanzerei, die sich die zwei beliebtesten Werke Offenbachs durch die Jahrzehnte gefallen lassen mußten – nun der Erneuerung aus unerschöpflichen Wiener Reserven gewärtig –, nicht an das Gesamtgreuel einer neuzeitlichen Operettenhandlung hinanzureichen, denn während dort das Orchester doch immer wieder Unfug und Minderwertigkeit der Szene sieghaft zudeckt und die Geistesluft mit dem Ungeruch fertig wird, der sich einzumischen wagte, bedeutet das Geblödel und Geknödel nebst der Wiener Einbrenn von Gemüt, womit eine Fleischbank garniert ist, die eigentliche Geistigkeit, ohne die sich die Amoretten der Herren Lehar und Kalman gar nicht entfalten könnten. Gewiß, auch hier waltet etwas wie die musikalisch-textliche Einheit, die das Wesen der Operette bildet, aber freilich so, daß man im Nebeneinander von Banalität und Ordinärheit empfindet, wie sehr diese Zugkräfte einander gemäß und würdig sind. Wäre nun der Text der wahren Operette (die ich für die Erfüllung des wahren Theatersinns halte) loslösbar von der Musik, so wäre der von Meilhac und Halévy – nehmen wir etwa nur die Grog-Episode in der »Großherzogin« – auch als Ausdruck einer rational erfaßlichen und heiter bewegten Wirklichkeit, also als Lustspiel, ein Ewigkeitswert, verglichen mit allem, was seit mehr als drei Jahrzehnten Gedankenmilieu und Wortbestand der Hurengassenhauer bildet. Es beweist aber völlige Kunstfremdheit, den Operettentext als solchen mit literarischem Maß messen zu wollen. Wohl schlägt der Idiotismus der neuen Operettenverse über die Grenze der Möglichkeit, von der Musik bewältigt zu werden. Doch wenn im Vergleich mit solcher Affenschande von einer Fragwürdigkeit der alten Operettentexte überhaupt gesprochen werden darf, so waren sie gerade so schlecht und so gut, daß sie sich der organischen Verbindung mit der Musik nicht entziehen konnten. Welch ein bukolisches Gedicht jene Verse »Ich bin dein, du bist mein«, wenn sie die Musik des »Blaubart« auf ihre Flügel nimmt, wieviel Wonne und Weh in dem Auferstehungslied der fünf Frauen; wie lieblich und rührend die mädchenhafte Erwartung in dem Brief- und Kuß-Quartett der großherzoglichen Ehrendamen: und all dieser Zauber nicht trotz, sondern vermöge der Durchschnittlichkeit eines Wortwerks, das eben die Gabe hatte, solchen Tönen entgegenzukommen. Das Doppelkunstwerk, welches die große Musik und das große Gedicht vereinigt, besteht nicht, denn das Aneinander ist weniger Kunstwerk als das eine und als das andere. Dagegen vermag die scheinbare Albernheit eines Verstextes, zu dem gewiß keine lyrische, aber eine musiktheatralische Begabung erforderlich ist, das Element eines Gesamtkunstwerks vorzustellen, und die Geringfügigkeit dessen, was die Töne der Offenbach und Lecocq zum Schwingen brachte, war wohl von Natur eine andere als die des Stichworts für die Lehar und Kalman. Die Wiener Bearbeitungen der Meilhac' und Halévy'schen Texte durch Julius Hopp und Carl Treumann sind in manchen Verspartien dem Original ebenbürtig, wenn sie es nicht gar übertreffen, in manchen freilich fallen sie jäh ab in eine lokale Niederung und Beiläufigkeit, die auf der musikbelebten Szene zwar möglich waren und es noch immer wären, aber im Munde des Vortragenden sich von der Musik lösen und den sprachlichen Unwert erkennbar machen würden. Die Arbeit an diesen unerläßlichen Reparaturen birgt insofern das ganze Problem des Operettenverses in sich, als das Ergebnis keineswegs etwa so beschaffen sein durfte, einen sprachlichen Wert, Iosgelöst von der Musik, erkennbar zu machen, sondern nur eine analoge Operettenmöglichkeit herzustellen. Darum eignen sich – mit Ausnahme der Coupletstrophen, die ja auf eigenstem geistigen Terrain entstehen – die Erneuerungen so wenig zur Publikation wie der beste Operettentext. Hingegen wäre wohl die sprachliche Leistung, die an die Veränderung gewendet erscheint, einer Betrachtung wert, durch die sich erweisen ließe, daß die Arbeit wertvoller ist als das Produkt: neue Worte auf vorhandener Grundlage entstehen zu lassen, aber so vertraut mit der Musik, als hätten sie ihr immer schon gedient, und ohne von der Patina theaterberühmter und unbedingt zu erhaltender Stellen abzustechen. Keine Veränderung oder Erneuerung wäre erträglich, die, sei es im Vers oder in dessen dialogischer Nachbarschaft gegen den Geist der Sphäre ginge, wollte sie sich nun gegen diese durch ein Plus oder durch ein Minus an Gedanklichkeit selbständig machen. Die ganze Entartung des Genres wird ja von der Trennbarkeit der in ihm ursprünglich vereinigten Elemente bezeichnet. Aber eine theaterfremde Zeit nimmt die Trennung auch dort vor, wo Einheit waltet, wo eine Realität, die losgelöst vom Klangzauber den kahlen Unsinn vorstellte, zu einem grotesken Märchen wird, darin er in Blüte prangt.

Zu solchem Wechsel und Eingang in die andere Sphäre, ohne dessen Möglichkeit nichts als die äußerste Gehirntortur übrig bleibt – und in dem Maße der Vernunftmäßigkeit, Wahrscheinlichkeit oder gar Psychologie des Geschehens –, zu solcher Verwandlung wäre die neue Operette nicht einmal mit Hilfe des Kostüms fähig, welches ja diese theatralische Lebensform erst zu beglaubigen scheint. Doch dem Genie Offenbachs gelingt selbst die Verzauberung der dem Verständnis erreichbaren, mit den Sinnen greifbaren aktuellsten Gegenwart seiner Lebzeit. Darum ist »Pariser Leben« sein stärkster Geniebeweis. Es spielt in dem Jahr, in dem es auf der Bühne erschien. Wenn ich nun als Vortragender die närrische Erotik und Königsposse einer unkontrollierbaren Vorzeit wie im »Blaubart«, wenn ich den Hohn einer militaristischen Wahnwelt in der »Großherzogin« vertreten kann, was ginge mich, der zwischen Shakespeare, der Pandora und den eigenen Schrullen einer Sprachlehre die unzugänglichsten Geistesgüter verwaltet, ein noch so brillant musiziertes Pariser Lebemannsabenteuer an? Alles mögliche schon den Nachbildner gegebener oder gewesener Welten, wenn es bloß die gültige Gestalt eines Stücks Freudenwelt, eines Beispiels verflossener Anmut wäre. Aber es ist, mit jener Kraft der Entstofflichung, die den Nachfahren der Operette gemangelt hat, die merkwürdigste Zauberposse, die dem Zauberer je gelungen ist. Denn wie noch ungleich wundersamer war es, statt Götter und Helden, statt Kartenkönige und Märchenprinzen in Menschen, eben diese in Marionetten zu verwandeln. Hier, wo die Operette mit der Oper schon sich selbst travestiert, tritt die Narrheit des gegenwärtigsten Lebens in so verkürzte Erscheinung, daß ein Expressionist Genie haben müßte, um zu solcher Albernheit imstande zu sein, wie sie sich da auf der Ankunftseite eines Pariser Bahnhofs, in der Vorhalle zum Paradies, abspielt, wo die Fremden kaum aus dem Coupé gestiegen sind, um sich in den »Strudel Strudel« zu stürzen, schwedische Ehegatten gleich ihre Sonderwünsche äußern, ein Brasilianer mit allem verfügbaren Schmuck und Bargeld die schon wartenden Grisetten bewirft und das Leben beinahe so unwahrscheinlich ist, wie es ist. Diese Raum- und Zeitverkürzung, diese Folgerichtigkeit im Irrationalen, diese Verwandlung des Lebensfaktums ins blaue Wunder konnte nur in einem musikalischen Rausch gelingen, der wohl der hinreißendste ist, der jemals auf einer Szene entfesselt wurde. Wie nüchtern in solchem Vergleiche die in allen Motiven des Rausches getreue Nachbildung einer »Fledermaus«, wo eben der Zauber ungetan ist, weil die an und für sich künstlerisch hochwertige Musik eines Undramatikers, selbstgenügsam und unverbunden, neben einem Text einherlebt, dessen unverwandelte Materie der Verstandeskontrolle ausgesetzt bleibt. »Pariser Leben«: eine Orgie lebendigster Narrheit aus einer ganz gegenständlichen Handlung heraus (darum sträflich jener Versuch einer Sprechbühne, sie mit musikalischer Verkümmerung, mit Ausmerzung des Chors, in ein Vaudeville, ein Liederlustspiel zurückzuverwandeln); die »Fledermaus«: reales Lustspiel mit Gesang, der eigentliche Ausgangspunkt der Richtung, die über den »Opernball« zur »Lustigen Witwe«, zum Greuel der Salonoperette geführt hat. Alle Essenzen, die das eigenste, unnachahmliche Wesen Offenbachs bilden und Werke wie »Blaubart«, »Die Großherzogin von Gerolstein«, »Die Prinzessin von Trapezunt« zwischen »Helena«, »Orpheus«, »Hoffmanns Erzählungen« und den vielen verschollenen Kostbarkeiten (wie »Schönröschen« und »Die Zaubergeige«) zum amor et deliciae eines besseren Theatergeschlechts gemacht haben – in »Pariser Leben« sind sie wahrlich zu einem Eßbukett von betäubender Wirkung vereinigt. Und die unnachahmliche Doppelzüngigkeit dieser Musik, alles zugleich mit dem positiven und dem negativen Vorzeichen zu sagen, das Idyll an die Parodie, den Spott an die Lyrik zu verraten; die Fülle zu allem erbötiger, Schmerz und Lust verbindender Tonfiguren – hier erscheint diese Gabe am reichsten und reinsten entfaltet. Es ist der Gipfel eines Genres, worin sich das Unnatürliche so von selbst versteht wie daß im Versdrama Leben und Sterben im Hochschritt des Sprachgedankens geschehen. Enthielte dieses Werk nichts als den musikalischen Champagnertaumel des Domestikenfestes (den man sich wohl kaum durch eine, in der Fledermaus-Soiree mögliche »Konzerteinlage« unterbrochen denken könnte), so wäre es noch immer ein Schatz der heiteren Bühne. Aber es enthält unter all den Perlen die Briefarie der Metella, jenes unbeschreiblich süße Gedicht, das den entfernten Schreiber – den armen Baron Frascata, der im Norden von den Pariser Seligkeiten träumt und an deren Spenderin den Überbringer empfiehlt – in seinem rührenden Nichtvorhandensein zu der einprägsamsten Gestalt des Stückes macht. Dies, als einen der stärksten Augenblicke, die das Bühnendasein überhaupt kennt, und alles rund herum, was da aus den Abenteuern der Herren Gardefeu und Gondremark gediehen ist, die als solche unsereinen sonst blutwenig angingen, reklamiere ich als »Theater der Dichtung« im besten, edelsten Sinne. Daß die anderen Bühnen, jene, die eine Szene mit Dekorationen zur Verfügung haben, nicht alles daran setzen, dieses einzigartige Werk würdig herauszubringen und im Repertoire zu erhalten; daß die stärkste Extravaganz, die sich die Opernhäuser gestatten, immerzu die »Fledermaus« sein soll und nicht deren unerreichtes Vorbild, zeigt, in welcher Entfernung vom Theater die Bühnen leben. Aber sie bescheiden sich wohl in der Erkenntnis jenes Wagner-Wortes, das heute keine Kränkung eines Ensembles mehr bedeutet, sondern nur den Rat zur Vorsicht: »Soweit die vorhandenen Kräfte reichen« – ehedem ein Maß derer, die der Entwicklung nicht nachkommen konnten, heute derer, die sich von ihr tragen lassen müssen, weil sie nicht die Kraft haben, stehen zu bleiben, dem Unfug zu wehren und es mit der Kunst auch auf die Gefahr hin zu versuchen, daß sie dem Gesindel nicht zeitgemäß erschiene.


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