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»An der Schwelle des Goethejahres«

hat Beer-Hofmann gestanden und der Ravag Worte von so hieratischer Banalität anvertraut, daß die Neue Freie Presse, deren Interessen andauernd zwischen Goethe und Gelles geteilt sind, sich entschloß, sie als Leitartikel zu bringen. Selbst der Satire, die von Natur kein Erbarmen kennt, tut es natürlich leid, einem älteren und geistig bestrebten Autor weh tun zu müssen, der innerhalb dieser Kulturwelt, deren Repräsentanten für eine Teppichfirma Broschüren schreiben, ohne Zweifel eine privat reine und gesinnungsmäßig saubere Feder führt. Und nichts dürfte gewisser sein, als daß die, wie es heißt, »seherisch beschwingten Worte« Beer-Hofmanns, wiewohl sie im Grunde nichts anderes sind als gebändigter Ullmann, noch turmhoch über allem stehen werden, was uns für dieses Jahr der Weihe und des Greuels die ungebändigten vorbehalten. Ich habe die »Iphigenie«-Zurichtung Beer-Hofmanns nicht gesehen und nur Beispiele einer dramaturgischen Ahnungslosigkeit überliefert bekommen, die freilich erschreckend waren. Beer-Hofmann ist Zionist und soll mir das »Gebet an die Sonne von Gibeon«, das ich leider nicht mit dem Ausdruck des Bedauerns zurücknehmen kann, infolge seiner Gläubigkeit, die ihm das volle Verständnis erschwert, persönlich übelnehmen. Ich schätze ihn darum persönlich sehr hoch und nehme ihm nur seine dichterische Produktion in ihrer Gesamtheit übel, wiewohl sie durch ein jedesmaliges langjähriges Werben um die Muse Rachel versöhnlich wirkt, ein alttestamentarischer Zug, der sich von der neujüdischen Literaturmache respektabel abhebt, mag auch das Ringen dieses Jaakob mit dem deutschen Sprachgeist: »Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn« resultatlos verlaufen. Ich könnte ihm Vers für Vers seines Schaffens, von seinem »Charolais« an, den Nachweis erbringen, wie stark er gewollt hat, und er wäre, anständig und sprachlich bestrebt wie er ist, für meine Aufschlüsse sicherlich dankbar. So wird er wohl auch einsehen, daß keine Himmelsleiter auf dem Gemeinplatz aufstellbar wäre, mit dem er neue Jahr als Goethejahr eröffnet hat:

In diesem neuen noch rätselhaft verhüllten Jahr, durch dessen Torbogen wir heute – bangend und hoffend – schreiten, jährt sich zum hundertsten Mal usw.

Auch das jährt sich schon zum hundertsten Mal, es sagen's aller Orten die Telegraphisten zwischen Klagenfurt und Jericho, die einem alten Brauch zufolge wie alljährlich so auch heuer den sonstigen Sylvesterverkehr erschwert haben. Und von Goethe zu sagen, daß er vor hundert Jahren –

irdischer Zeit, irdischen Maßen entwich, um schwerlos leuchtend sich emporzuheben in alles Künftige –

es klingt mehr, als es bedeutet, und im Vergleich damit ist selbst in der höfischen Definition von Goethes Tod als einem »Schwinden aus dem Hoheitskreise« mehr Metaphysisches enthalten. Beer-Hofmann hat aber ganz richtig beobachtet, daß es sich bei der Hundertjahrfeier dieses Ereignisses nicht um einen bloßen »Gedenktag« handle,

denn sonderbar gleichzeitig an allen Enden – wie geheime rasch zugeraunte Losung die Runde macht – ist ein anderes Wort aufgeflogen, sofort gebietend den Gemütern sich aufzwingend: Gedenkjahr – »Goethe-Jahr«.

Warum nicht? Gar nicht so geheim! Die Presse hat es genau so, leider Gottes, uns zugeraunt wie das Beethovenjahr und das Schubertjahr, und die Schlächtermeister werden eben diesmal Goethebüsten aus Schweineschmalz ausstellen.

An tausend Orten, in tausend Stunden wird in diesem Jahr Ungezählten immer wieder sein Name genannt, die Legende seines Lebens berichtet, sein Wort verkündet werden.

Von Journalisten: allen denen, die da grunzen, wenn »Über allen Gipfeln ist Ruh« zu einer ulkigen Koofmichreklame verwendet wird.

Mir ist heute aufgetragen, mit einem Heroldsruf ihn zu grüßen.

Die Einladung der »Ravag« dürfte etwas neuzeitlicher gefaßt gewesen sein.

Aber

Beer-Hofmann sieht ein –

vermessenes Unterfangen – sein Herold sein zu wollen, leichthin alle Kronen zu melden, die dies Haupt wechselnd tragen darf – ohnmächtiges Unterfangen, feierlich ihn grüßen zu wollen, wo jedes Sich-Neigen zum In-die-Knie-Sinken, jedes grüßende Wort doch immer nur zu hilflos-stammelndem Bekennen tiefster Dankesschuld werden muß.

Das könnte gewiß alles von Glücksmann sein oder von einem gedämpfteren Csokor, aber die Devotion wäre vielleicht eher bei der Einrichtung der »Iphigenie«, und vermutlich auch bei der des ganzen »Faust« für einen Theaterabend, in Form der Resignation am Platze gewesen. Und was sich sonst noch alles an der Schwelle des Goethe-Jahres begibt! Da werden zum Beispiel »die Schatzkammern« ausgeleert,

die, hochkreisend, ein falkenäugiges Erkennen – alles Irdische erfassend – mit seiner Beute füllte!

Ullmann, noch reicher equipiert, hätte da ein titanisch schlichtes Vollbringen mit einem dionysisch unwirschen Behagen hinzugefügt.

Ich stehe hier. Geschlossener Raum umgibt mich. Ich rede.

Damit wäre ganz schlicht der Zustand vor dem Mikrophon bezeichnet. Aber nun kommt die Schilderung dessen, was sich dann im Äthermeer tut. Ehe das Wort sich von Beer-Hofmanns Lippen ganz löst, wird es schon erfaßt:

Von Bergen nicht aufgehalten, von Stürmen kaum gehemmt, wogt es ins Grenzenlose, vermag den Erdball zu umkreisen, landet an allen Küsten, die ihm zum Empfang bereitstehen ...

(Ganz so ist das nicht: es gibt Rückkoppler, Kommunisten, Wellen mit Jazz und sonstigen Geräuschen)

und streift, unerkannt, auf verschneiter Paßhöhe die Wangen des einsamen Wanderers, der nicht ahnt, daß es Menschenbotschaft ist, die er mit seinem Atem in sich trinkt.

Wenn es etwas von Offenbach ist, was da die Wangen des ahnungslosen Wanderers streift, so lobe ich mir die Erfindung – sonst bliebe die Luft auf verschneiter Paßhöhe besser ungeschoren.

Mag dies ein Gleichnis sein!

Mag es. Aber wenn es dann heißt.

Unhemmbar wogten die Worte

diesmal Goethes –

ins Grenzenlose, und wo Herzen offen standen zum Empfang, tonten sie, alterslos, wundervoll auf. Und, der sie nicht hört, der von ihnen nichts weiß – selbst der noch, nimmt sie unbekannt in sich auf

so klingt's auch nicht. Gleichwohl ist es etwas wie die Spur eines Gedankens. Freilich so: Niemals standen die Herzen zum Empfang für Goethe-Worte offen; nicht tausend Menschen unter einer Bevölkerung von elektrisch installierten Höhlenbewohnern haben die »Pandora« gelesen. Aber ebenso wahr, wie häufig von mir ausgesprochen, ist der Hinweis auf etwas wie die ätherischere Sendung des Wortes: die mittelbare sittliche Wirkung des Unfaßbaren, das, wie Beer-Hofmann ganz richtig sagt, »auch den letzten Kerker noch – den der Worte – schon durchbrochen« hat, so daß wir, was Goetheisch ist, »in uns atmen müssen«. Natürlich stimmt es wieder ganz und gar nicht für die heute lebende und lesende Menschheit, die auch ohne die Existenz Goethes nicht tierischer sein könnte. Und wenn der Journalist, der die »seherisch beschwingten Worte« preist, den Seher um des Vergleiches willen rühmt: wie der fromme Bauer die Initialen der heiligen drei Könige an die Tür seines Hauses schreibt, so schreibe jetzt ein großes Volk in der Zeit der Not den Namen Goethes »über die Tür seines Hauses«, so heißt das wirklich zum Schaden den Spott fügen. Keinem Angehörigen der Wertheimwelt wie der Krupnikwelt fällt es ein, den Namen Goethes über die Tür seines Hauses zu schreiben! Die Wiener Allgemeine Zeitung, der Schönheitspflege hingegeben, überschätzt den Zusammenhang ihrer Leser und weiterer Kreise mit Goethe erheblich, wenn sie den Nachbeter des Vorbeters behaupten läßt:

Sich zu Goethe bekennend, wiederum, feierlich und sich vor seinem Genius beugend, flüchtet sich ein großes und wertvolles Volk gleichzeitig in seinen Schutz und baut darauf, daß in Goethes hohem Zeichen das anhebende Jahr friedlicher, glücklicher und menschlicher werde.

Sie schreiben den Namen Goethes über die Tür ihres Hauses? Ihres Komptoirs! Ihres Pissoirs! Mosse hat den Anfang gemacht: mit einem seitenfüllenden Kopf Goethes als Annoncenakquisiteurs. Lug und Phrasentrug, der den Rebbach maskieren soll! Wortgesindel, das dem Tatgesindel den Vorspann macht! Was dieses Kontinent, das alte, das es längst schon so gut wie Amerika hat, mit Goethe verbindet, ist der Hohn der Verwandlung seines edelsten Gedichtes in eine Parole sämtlicher Branchen, ist vor allem der Humor, der tagaus tagein und ganz bestimmt auch im »Goethejahr« das einzige dieser Menschheit geläufige Zitat aus einem Prosadrama umspielt, das Zitat, das aus ihrem Vorstellungskreis wie aus ihren Gerichtssaalrubriken nicht mehr zu entfernen ist. Vor diesem Kulturzustand, der die Abortwand zum Schauplatz aller politischen, geistigen und erotischen Bestrebungen einer Bevölkerung macht, und gegenüber allem Greuel, den uns dieses Jahr vorbehält, dürfte es auch der einzige Bescheid sein, den Goethe selbst seiner Landsmannschaft zu erteilen hätte, wie er ihn ihr sein ganzes leben hindurch erteilt hat. Von der Schwelle des Goethejahres würde er alle Annäherungsversuche einer Gesellschaft, die seinen Dekor braucht, um zu morden, zu rauben und mittels der von ihm verachteten Presse zu lügen, mit einem Fußtritt und dem ihr verständlichsten Goethewort abtun!


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