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Der Wiener

Im Berliner Tageblatt ist das Folgende zu lesen:

– Wyndham Lewis ist eine der interessantesten und problematischsten Erscheinungen des heutigen Englands, was nicht verhindert, daß er der Menge ganz unbekannt ist. Er ist geistreich und überwältigend temperamentvoll wie der Wiener, und wie dieser schießt er mit Kanonen nach Spatzen, verschwendet seine Emotionen und Gaben im Haß gegen Personen und Vorgänge, die nur sehr lokale Bedeutung haben. – Und als Symbole dieser Gesellschaft werden eine Reihe Londoner Persönlichkeiten geschildert, denn dieses Buch ist ein Schlüsselroman, in dem der Verfasser seinen Haß und seine Verachtung gegenüber einer Anzahl Menschen austobt, deren Bedeutung er – gerade infolge dieses Hasses – ungeheuer überschätzt. Aber selten wohl sind so scharfe, grausame, giftige und trotz aller Verzerrung auf den ersten Blick erkennbare Porträts veröffentlicht worden. –

Daß die Spatzen sich durch den Gebrauch der Kanonen überschätzt fühlen, ist eine alte Tatsache; die Bescheidenheit der Theodor Wolff und Kerr überrascht gleichwohl. Das Bestreben jenes, lieber dem Mussolini als mir Reklame zu machen, dürfte jedoch hier seinen übertriebensten Ausdruck erreicht haben. Es ist ein Fall, der die Beispiele von Ausmerzung eines Namens aus der Wirklichkeit – etwa der Offenbach-Aufführungen im Berliner Rundfunk –, von der Hinausfälschung aus Bericht und Zitat weit hinter sich läßt. Er übertrifft alle Praxis des Berliner Tageblatts, ja selbst jenen Eingriff in den George-Artikel, den die befreundete und in liberaler Gesinnung verbundene Arbeiter-Zeitung verübt hat, teils meinetwegen teils »schon unter dem Gesichtspunkte des guten Geschmackes«, nämlich um die Polemik gegen Herrn Schober nicht in der Literaturrubrik zwischendurch fortzusetzen. Die Leser des Berliner Tageblatts, denen Herr Wyndham Lewis vorgestellt wurde als einer, der einem andern ähnlich sieht, der ihnen nicht vorgestellt wurde, befanden sich, soweit sie nicht Bescheid wußten und die Parallele mit Heiterkeit zur Kenntnis nahmen, in einer schwierigen Lage. Denn wenn sie lesen, daß der Engländer, als dessen wesentliches Kennzeichen die Unbekanntheit angeführt wird, eine starke Ähnlichkeit mit »dem Wiener« habe, so möchten sie doch zunächst wissen, wer dieser Wiener eigentlich sei, dessen Eigenart ihnen so genau beschrieben wird. Der Fall ist doch so beschaffen, wie wenn ein Paß alle notwendigen Angaben einschließlich der besonderen Merkmale enthielte, mit Ausnahme des Namens. Vor diesem Vergleich des Engländers mit dem Wiener hatte der Berliner die Wahl zwischen der Möglichkeit, daß ein Autor dieses Namens gemeint sei, den man vielleicht in Berlin noch nicht genug kennt, oder am Ende jener Wiener, von dem man dort immerhin schon gehört hat, daß er nicht unterzugehen pflegt. Der ist aber den Berlinern doch weit eher durch die Eigenschaft der Gemütlichkeit bekannt als gerade durch Geist und ein überwältigendes Temperament, das seine Emotionen im Haß gegen Personen und Vorgänge verschwendet, die nur sehr lokale Bedeutung haben. Kein Zweifel auch, seinem Streben nach einem Fremdenverkehr würde ein gesellschaftsfeindlicher Hang schaden und insbesondere die Eigenheit, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen, hinderlich im Wege stehen. Dieser Wiener katexochen kann also nicht gemeint sein. Einen der Menge unbekannten englischen Schriftsteller kann man aber auch nicht gut mit einem bestimmten Wiener vergleichen, der wieder so bekannt ist, daß man seinen Namen gar nicht nennen muß, um auszudrücken, daß man ihn meint und nur ihn meinen kann. Das wäre auch an und für sich unmöglich und selbst ein so exemplarischer Wiener wie Schubert könnte wohl nicht den Anspruch erheben, schlechthin »der Wiener« genannt zu werden, wie Goethe der Weimarer oder Kant der Königsberger. Solche Bezeichnungen sind eben nur der Begriffsverbindung der kleinen Stadt mit dem großen Mann angepaßt, während man schon etwa als den Frankfurter sich ebenso gut wie Goethe auch Schopenhauer oder Rothschild vorstellen könnte. Vollends würden »der Berliner« und »der Wiener« nur dann etwas von der Individualität aussagen, wenn sie bereits genannt oder anders begrifflich bestimmt wäre. Wer also ist »der Wiener«, der so berühmt ist, daß man ihn nicht nennen muß, wenn er nicht vielleicht gar den Ruhm eben dem Umstand verdankt, daß man ihn nicht nennt? Daß er, wenn er ein solcher ist, von den typischen Wesensmerkmalen des Wieners weniger an sich haben dürfte als Schubert, Lanner, Johann Strauß oder Girardi, wird man nicht leugnen. Darum aber auch nicht annehmen, daß der Autor des Artikels, und wäre er der größte Schmock des Jahrhunderts, sich solcher Abkürzung beflissen hat, vielmehr: daß sein Artikel das Opfer des redaktionellen Hasses gegen eine Person wurde, die, wiewohl sie ein Wiener ist, doch nicht bloß lokale Bedeutung hat und deren Porträt trotz der stilistischen Verzerrung, die dem Artikel angetan wurde, auf den ersten Blick erkennbar ist. Wäre freilich der Angestellte des Berliner Tageblatts annähernd so geistreich wie »der Wiener« und nicht vielmehr ein Chammer, so hätte er die Streichung des Namens aus dem Manuskript nicht vollzogen, ohne auch die Charakteristik zu beseitigen, oder wenn gegen diese als eine immerhin abträgliche Kritik nichts einzuwenden war, »jener Wiener« gesetzt. Daß da etwas passiert ist, zeigt schon der graphische Lokalaugenschein. Nicht nur der Text, auch das Druckbild (mit den auseinandergetriebenen Wörtern) verrät deutlich, daß zwischen dem Satz, in dem Lewis vorkommt, und dem folgenden der Vergleich mit dem Träger eines Namens Raum hatte, der im letzten Moment bemerkt und getilgt wurde, ohne daß die Ausführung des Vergleichs der Korrektur zum Opfer fiel. Möglich aber auch, daß der anstößige Name erst nach den Worten »der Wiener« gestanden war und der Korrektor geglaubt hatte, selbst mit so schlichtem Zugriff die einzige pflichtgemäße Obsorge zu erfüllen, die heute von Zeitungen verlangt wird. Daß die Kunst des Redigierens der zentraleuropäischen Presse hauptsächlich in dem Aufpassen besteht, daß mein Name nicht durchrutscht, weiß man. Aber so einfach wie der Beauftragte des Herrn Wolff hat sich's schon lange keiner gemacht, und es wäre kein Wunder, wenn die österreichische Gesandtschaft in Berlin, die seit der Unterdrückung der »Unüberwindlichen« ohnehin nicht viel zu tun hat, gegen die Unterdrückung des Namens ihres Autors, gegen die Verwandlung eines beiderseits unbeliebten Wieners in den Wiener, Protest erhöbe, schon um der Version vorzubeugen, daß in Wien mit Kanonen geschossen wird. Was das Problem der besonders bedrohten Spatzen anlangt, so kann ich diesen nur raten, sich damit das Hirn nicht zu ermüden. Es ist ja wahr, ich verzettle mich (in jedem Sinne des Wortes), indem ich über der Lust, gerade aus den unscheinbaren Zügen das Gesicht der Zeit zu komponieren, immer wieder den größeren Dienst versäume, ihre täuschendsten Attrappen zu zerlegen und zum Emil Ludwig der Reinhardt und Schober (und Emil Ludwig) zu werden. Das Pläsierchen jedoch, das ich an dem kleinsten Tierchen habe, möge dieses mir gönnen; es entbehrt schon nicht der tieferen Berechtigung. Finden nicht vielleicht die Eulen, daß ich sie nach Athen trage? Sie sollen mich nur lassen; ich weiß schon, warum ich das unverhältnismäßige Mittel anwende, und weit problematischer bleibt doch mein Verfahren, Perlen vor die Säue zu werfen. Es dürfte sich aber herausstellen, daß ich mit Kanonen auf eben diese zu schießen pflege. Die fortwährende Selbstunterschätzung der Herren von der Presse wie der Personen von lokaler Bedeutung, die allesamt nichts weniger vertragen als zu Symbolen gesteigert zu werden und mehr Ehre erwiesen zu kriegen, als ihnen zukommt und als sie haben, ist mir wohl lästig, aber keineswegs hinderlich. Ich kenne diese Finten. Die von der lokalen Bedeutung, die ihr eigenes Nest hinreichend verunreinigt haben, treffen den Vogel, der da findet, daß es ihn beschmutze, auf den Kopf, indem sie sagen, er habe es getan, und dann kommt die Berliner Journalistik, die den Nagel abschießt, tut mir die Schand an und nennt mich den Wiener.


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