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Winke für die Schwangerschaft

Ein Leser der Fackel schreibt aus Prag:

– Eine Dame meiner Bekanntschaft erzählte mir neulich, daß sie in den letzten Monaten vor der Geburt ihres Sohnes nichts anderes als Ihre Schriften lesen konnte. (Es war dies vor ungefähr 13 Jahren.) Der ohnehin sehr scharfe Sinn der Dame für alles Edle, Ungekünstelte hatte in jener Zeit, geschärft durch ihre grenzenlose Mütterlichkeit, die in allem Verlogenen eine Gefahr für ihr Kind erblicken mußte, nur Ihr Werk bejaht. Und als man ihr einmal zufällig Harden und einen damals sehr gerühmten französischen Roman brachte, reagierte sie mit wiederholtem Erbrechen. –

Diese Erscheinung ist in der gynäkologischen Literatur nicht unbekannt, während die andere Literatur über diesen Punkt noch immer in einer Selbsttäuschung befindlich scheint. Wenngleich nun meine Eitelkeit unter dem Maß dessen zurückbleibt, wozu sie der Anblick meiner literarischen Zeitgenossenschaft berechtigen würde, so möchte ich doch den Fall der edlen Mutter, von dem mir berichtet wird, für keinen Ausnahmsfall halten, und zwar weder was die Einwirkung meiner eigenen Schriften betrifft, noch die, welche die Leistungen meiner literarischen Zeitgenossen auf Schwangere hervorzubringen vermögen. Ich will bei weitem nicht behaupten, daß die gemütsformende Macht der Eindrücke, die in der wichtigsten Epoche des mütterlichen Daseins an die Trägerin der künftigen Menschheit herantreten, in meinem Fall gerade die Entstehung von solchen Naturen garantierte, deren Lebenswert in meinen Schriften als Gegenbild der heutigen Generation bejaht wird. Daß sie aber den eugenetischen Zweck besser fördern, als wenn eine Frau in schwangerem Zustand etwa die ›Stunde‹ liest und daselbst womöglich die Meldung, daß sie schwanger sei, daran lasse ich nicht rühren. Ohne Zweifel kann das Kind schon im Mutterschoß so gut den Abscheu vor der Niedertracht wie die Freude an ihr empfangen. Ich bin weit davon entfernt, zu bestreiten, daß die Menschheitshoffnung reiner und sicherer behütet war in einer Zeit, in der das Ideal menschlicher Gesittung vom Schrifttum unmittelbar und nicht erst durch Anschauung von Beispielen der Schande abgenommen werden konnte und wo man einer Mutter nur zu raten hatte, die Wiegenlyrik von Claudius zu lesen, damit ihre Hoffnung nicht dereinst von Verzweiflung abgelöst werde; wo sie das Abendlied vernehmen konnte, ohne, vor ihrer Stunde, des Grauens teilzuhaben, daß jeden Augenblick der Ruf des »Abeeend« an ihr Ohr dringen könne; wo Gott uns mit solchen Strafen verschonte und uns ruhig schlafen ließ und unsern kranken Nachbar auch. Aber wenn ich in der heutigen Literatur Umschau halte, so glaube ich doch, daß meine Bilder des Schreckens, bestimmt, dem Menschen zu sagen, was er leidet, mehr zur Wesensbildung im positiven Sinne beitragen als alles Positive, das die heutige Literatur ihm zu bieten hat. Anderseits bin ich überzeugt, daß die sittlichen Mißgeburten, die sich heute in Politik, presse und Gesellschaft zur Geißel des Zeitalters aufgeschwungen haben, überhaupt nicht das Dunkel dieser Welt erblickt hätten, wenn man sich rechtzeitig mehr um die Lektüre der Mütter als um den Kriegsruhrn der Väter gekümmert hätte, und daß noch weit Ärgeres zu verhüten wäre, wenn man die heutige Literatur, die doch von dem Geist dieser sittlichen Mißgeburten unmittelbar berührt und erfüllt ist, von den werdenden Müttern fern hielte. Wollte ich dieses Thema ausspinnen, so müßte ich den Inhalt meiner künftigen Sammlung »Literatur und Lüge« wiedergeben, um alles das aufzuzählen, was Schwangere nicht in ihren Gesichtskreis einzulassen hätten, und ein fluchwürdiges Gesetz könnte zum Glück auf diese geistige Form von Fruchtabtreibung nicht angewendet werden, die leider in den seltensten Fällen geübt wird.

Daß eine Schwangere auf die Lektüre Hardens mit Erbrechen reagiert hat, ist gewiß nicht unbegreiflich, wiewohl es sich hier ja nicht um einen monströsen Fall von ethischer Verlogenheit, sondern nur um eine etwas unverdauliche Stilnahrung handelt, die auch in normalem Zustand ein Menschenmagen nicht verträgt. Verdauungsstörungen kommen bei dieser Lektüre häufig vor, kein Wunder also, daß der Entbindungsakt Schwierigkeiten begegnet, und da das für ihn unentbehrliche Genetiv-s im Schlunde stecken bleibt, tritt eben noch am Geburttag vomitus ein. Aber dieser Fall erscheint ja heute fast ehrwürdig neben allem, was sich seither in den Vordergrund deutscher Geistigkeit geschoben hat und daselbst von der Langmut eines verdorbenen Geschmacks ertragen wird. Man male sich nur die Wirkung aus, wenn eine Berlinerin, die vielleicht doch der Natur nicht so ganz abgeschworen hat, daß sie nicht auch einmal in andere Umstände gelangen könnte – wenn sie also auch in dieser Lage fortfährt, achtundzwanzig Absätze einer Kerr'schen Reisebeschreibung zu schlucken. Da wehrt sich die Natur vielleicht nicht mehr durch Erbrechen, aber sie rächt sich durch den Wechselbalg, der zur Welt kommt, ein Wesen, nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht gestuft und nicht geballt, und was wird aus ihm? bestenfalls ein Tänzerich, ecco. Oder man stelle sich unter gleichen Umständen die Wienerin vor, die ein Feuilleton von Salten liest, mit den suggestiven Untertiteln: Schneller! – Noch schneller! – Nicht hinlegen! – Bravo! Ja, da weiß sie nicht, was sie zuerst tun soll, wie man's macht, ist's nicht recht, und es kann schief gehn. Zu spät seine Mahnung: Ruhe! Ruhe!! Ruhe!!! Das mag bei Burgtheaterkrisen helfen, aber nicht in dieser.

Unruh halte man fern. Er ist unter jenen, die Zukünftiges auswirken, einer der gefährlichsten, nur sehr geübten Mänaden nicht abträglich, die ohnedies ein Gefäß des Göttlichen werden wollen; Impulse sollen von ihm ausgehn heißt es, wo er hintritt, wächst Kosmisches, aber dafür könnte, wenn die Berge kreißen, ein Mausi geboren werden. Über diese und ähnliche Wirkungen wissen wir manches aus den Berichten einer sage-femme der Kultur, der Zuckerkandl, bei der die Generationen ein- und ausgegangen sind. Der Ausblick auf die Wechselbeziehungen, die sich da zwischen Leben und Literatur ergeben haben, ist keineswegs erfreulich. Seitdem die Wiegen von der Wiener Werkstätte errichtet werden, entstammt ihnen ein blutarmes Geschlecht, welches sich durch die Buchhandlung Heller zu regenerieren sucht und für das, was ihm die Natur versagt hat, in der Psychoanalyse Ersatz findet. Leider hat es diese unterlassen, bis zu den Eindrücken vorzudringen, die das ungeborene Kind von der Lektüre der Mutter empfängt und die die allein entscheidenden sind. So mancher Geist käme da in den sokratischen Ruf, daß er die Jugend verderbe, und eine richtige Geburtshilfe müßte Böcke und Schafe sondern, um dann beide aus der Wochenstube zu verdrängen. Selbst Hofmannsthal zum Beispiel wäre mit Vorsicht zu genießen, weil sich bei ihm doch unaufhörlich Bezüge ergeben und die Schwangere eine Frühgeburt tun und den alten Goethe zur Welt bringen könnte. Bei Werfel dürfte desgleichen etwas herauskommen, wovon die Spur nicht in Äonen untergeht, wenn die Presse als Geburtshelferin assistiert. Wie es in diesem Bezug mit Rilke steht, möchte ich dahingestellt sein lassen, und ob er wie in allen Lebenslagen auch in dieser den Frauen zart entgegenkommt. Sein Name besiegelt gleich dem Hölderlins alle bis zur Erhabenheit verstiegenen Gefühle und manch eine Mänade, umso tiefer empfindend, was sie nicht ganz versteht, fühlt sich ihm als Idiotima verbunden. Hat er sie doch alle mit dem Symbol des Einhorns beglückt, das durchaus keine beunruhigende Mitgift vorstellt, Einhorn ist Keinhorn, und das heute in der Lyrik die Stelle jener blauen Blume vertritt, die nicht vorhanden, aber schön war und die solange getragen wurde, bis man aufgab, sie zu suchen. Doch neuestens wandelt eine jüngere Kraft in seinen Spuren, eine Art Puerilke, welcher gleich ihm zwei Vornamen besitzt, deren einer Maria ist, weshalb er dem Meister ein Gedichtbuch gewidmet hat, das mit einem Ave Maria beginnt und die Avant-Maria in keiner Zeile verleugnet. Der Dichter heißt Alexander Maria Lernet-Holenia, ist von Hermann Bahr, der auf diesen Namen aufmerksam wurde, entdeckt worden und tut für das Einhorn, was er kann. Aber darauf kommt es nicht an, die Hauptsache ist der Edelgehalt und die ungekünstelte Sprache. Gleich dem Vorbild reimt Herr Maria Lernet alles, Präfixe, Präpositionen, Silben, Artikel, wie und die, hält Konstruktionen durch Strophen durch, atmet in einer Vitrine, verdinglicht Ätherisches und kann »die Liebe leisten«, kurz, er ist nur noch der Schatten der Maria. Das Folgende dürfte zur Anschauung dessen, was im heutigen Buchwesen möglich ist, und zur Einführung des neuen Mannes, dem sich bald auch die Theater öffnen sollen und schon der Kleist-Preis zuerkannt wurde, förderlich sein:

Sieg über Sisera

Als fiel die Schlacht herunter von den Höhn
der Ebene, war vorn durch Wand von Schreien
der schmale Fürst und seine Reitereien
verdeckt und nicht mehr einzusehn,

wo er verstürbe. Rückwärts das Aufweinen
der seinigen Mutter um ihn verlief
unhörbar aus in von der Landschaft einem
entferntesten Ende schon durch Wölbung schief

im hoch in Mittags staubigem Winde dürrer
stehnden Palast, wo sie in Tränenflüssen
um seine Wiederkehr herumgerissen

wie armer Staub war, eingekehrt in die
Winkel aus steiler Überschneidung ihrer
Ängste und wie eine Hündin schrie,

und seine Lieblingin, der die
Kiefer in lautlose, unausgeruhte
Weinung herunterstand, als schälten sich

die Zähne aus dem Mund des langen, wie
pferdäugigen Gesichtes einer Stute,
verging, wie eine Sterbende verblich.

Also, ob das gerade etwas für Schwangere wäre – ich weiß nicht. Und gar, wenn er von einer solchen sagt, daß sie

wie Himmel über einen zieren
Schläfer erlaucht herbiegen, bog die ihren
über den Ungebornen, der sie querte ...

In diesem Falle kommt denn auch tatsächlich Kain zur Welt. Wie aber, wenn sie das Gedicht liest, welches den Titel führt »Totgeborenes Kind« und also anhebt:

Aber die vorläufig herumgestellten
Verwandten, welche knieten, merkten nicht
dieses auf einmal namenlose Gelten
im kleinen, fortbestehenden Gesicht ...

Nein, die totgeborenen Kinder der neuen Lyrik, die syntaktischen Mißgeburten, deren Satzgliederverwachsungen nicht einmal die Unterscheidung zulassen, wo nicht Hand und wo nicht Fuß ist – sie sind der Natur, die sich zum Schaffen bereitet, kein gutes Omen.

Mehr Beruhigung bietet Ehrenstein. Zwar, ein besonderes Gottvertrauen wird die Wöchnerin angesichts des Haders, der zwischen Gott und diesem Autor entbrannt ist und der nur für verschiedene Verleger gewendet wird, kaum fassen. Aber dafür wird sie auch ihre Hoffnung auf ein Minimum herabsetzen, namentlich wenn sie zu der Stelle kommt, wo wahre Selbstbescheidung die Erkenntnis fand: »Der Mensch ist Schleim, gespuckt auf eine Schiene.« Ich denke, das kann man jeder Mutter getrost in die Hand geben, und wenn dann der Junge kein Literat wird, so ist es noch immer eine angenehme Überraschung. Im Gegensatz zu Ehrenstein, durch dessen Weltanschauung sie von vornherein angeleitet ist, sich auf das Mieseste gefaßt zu machen, gewährt Hans Müller himmelblaue Aspekte, und gerade dies birgt Gefahren. Eine Mutter, die den schicksalsvollen Augenblick in der festen Zuversicht erwarten wollte, daß der Mensch gut sei, und überzeugt wäre, daß er es mit dem Beistand Müllers auch werden muß, könnte eine Enttäuschung erleben. Denn der Mensch würde am Ende so gut, daß sie bedauern müßte, nicht rechtzeitig etwas Großmann gelesen zu haben. Damit soll keineswegs gesagt sein, daß Großmanns ›Tagebuch‹ als Wochenschrift in Betracht kommt. Recht unerfreulich werden die Folgen des Falles geschildert, wo sich eine an Liebstöckl versehen hat, in der Hoffnung, einen Krishnamurti zur Welt zu bringen, und es ward ein Freudenmädchen. Da die Frauen in schwangerem Zustand sonderbare Gelüste haben, verlangen sie gern nach der Lektüre Jobsens, dessen zügellose Phantasie schon mancher Mutter Bilder vorgegaukelt hat, deren Erfüllung das Leben schuldig blieb. Da hüpfen Schwalben von Ast zu Ast, Raben heben den Fremdenverkehr, Adler, denen man aus Geldgier die Flügel stutzt, trinken ihr eigenes Blut, während Pelikane ihre Jungen leer ausgehen lassen, Spinneriche erscheinen mit Konjunktursamen, Großbürger schreiten mit Vorurteilsgepäck hinter einer Ampel einher, Kaufmannsdampfer verkehren im Mittelalter, alles rennet, rettet, flüchtet, Mädchen wimmern unter Trümmern, den Leib vom Weinen gekrümmt wie eine Gerte, die übers Knie geschwungen wird, und Mütter irren, wenn sie glauben, daß derartiges für Kinder zuträglich ist, die, aufgewachsen bei Metaphern, nicht gut tun. Dabei kann sich ein Junge noch schlecht und recht durchs Leben schlagen, bei der Zeitung unterkommen und so. Wie aber, wenn die Mutter auf die Schalek erpicht ist und es wird ein Mädchen? Nicht auszudenken! Einer Schwangeren sollte man den Text der Zeitungen in jenem gesiebten Zustand darbieten, wie ihn ehedem die Monarchen erhalten haben, die ja trotzdem der Versuchung nicht widerstehen konnten, einen Weltkrieg zu unternehmen. Im Zusammentreffen mit der Geistesfrucht wird die Leibesfrucht immer den kürzeren ziehen, Totgeborenes hat Macht, und darum ist es unerläßlich, daß neben der Hebamme auch ein Zensor am Wochenbett steht. Bedarf es muckerischer Gesetzesreformen »zur Bewahrung der Jugend«, die die schlechte Publizistik ja doch nicht eindämmen, sondern nur um die Proteste des Freisinns vermehren werden? Man bewahre die Jugend, bevor sie entsteht! Unser Zeitalter ist nicht so hart, um die Einrichtung eines Taygetos zur Aussetzung lebensunfähiger oder entarteter Kinder zu haben, und es ist nicht so barmherzig, um schon vorher insoferne zum Rechten zu sehn, daß es den Abtreibungsparagraphen ausmerzt. Aber es sollte im Geiste christlicher Nächstenliebe, wie sie ein Hermann Bahr lehrt, verhindern, daß Mütter in der kritischen Zeit sein »Tagebuch« in die Hand bekommen.

Mutterschutz gegen Schmock und Barock, gegen die Inflation von Adjektiven, gegen die Fülle von Reizungen formaler und stofflicher Art, die aus einer Zeitungsspalte hervorbricht und auch das widerstandsfähigste Gemüt zum Wanken bringt, gegen das Gebrüll der Titel, gegen das Komplott von Presse und Gasse – das wäre lebenswichtiger als eine Fahnenweihe der Polizei. Und hat man sich jemals schon der Absurdität besonnen, daß diese lästige Öffentlichkeit in alles private Leben dringt, mit dem frechen Anspruch auf dessen eigenste Stelle, ja mit dem Hohn, ihren akustischen Terror noch in das Schlafzimmer zu tragen? Wie der Mensch zwischen Teppichklopfen und Fußmarsch dahinwelkt, zwischen den Ausbrüchen einer Halbmenschheit, die sich nicht anders zu entschädigen weiß als durch Raub am Lebensgut der andern? Ist einem schon einmal der Gedanke gekommen, daß diese scheußlichen Explosionen der Massenseele, diese Aufmärsche des Troglodytentums jeglicher Couleur, diese Höllenmusik des Sonntags, zu der die Rädelsführer aller politischen Gesinnungen die arme Menschheit mißbrauchen – daß diese Tobsucht als Gruß in ein Zimmer dringt, wo ein Mensch geboren wird, nein, entsetzlicher, als Lebewohl eingeht in das Ohr eines Sterbenden? Es ist ja trostlos, was alles die Menschen zum Ersatz für das, was sie nicht haben, einander antun!

Aber am schrecklichsten sind sie doch in ihrem Wahn, im Genuß den Genuß zu finden. Ob's dem Kind im Mutterleib recht ist, danach fragt eine nicht, wenn sie ihre Phantasie mit den Nichtsnutzigkeiten der Romanschreiber anfüllt. Immerhin hilft sich die Natur selbst so weit, daß sie wenigstens den Besuch von Theater und Kino in den entscheidenden Tagen ausschließt – die Folgen wären katastrophal. Leider hat die listige Erfindung des Radio dieser Vorsicht der Natur wieder ein Schnippchen geschlagen und keine Tiermutter würde vor ihrer schweren Stunde die Geräusche über sich ergehen lassen, nach denen die menschlichen Mütter Verlangen tragen. Die nächsten Jahre schon werden einen Überblick über die Folgen dieser Erfindung ermöglichen, an einem Geschlecht, in dessen Gehörgang sich die »Ravag« eingepflanzt hat und die Bereitschaft keimt, durch den Zauber dieses Wortgebildes einen Ozean von Dilettantismus zu empfangen. Mit der Technik kann es im Fortschritt ja kein Erziehungsgedanke aufnehmen, doch wo die Sprache auf das Mittel des gedruckten Wortes beschränkt bleibt, ließe sich das Ärgste verhüten. Es ist schon erfreulich, daß die szenischen Neuerungen, wie sie auf Berliner Bühnen gezeigt werden, den Frauen in den Tagen, wo das Nervensystem jedem Chok ausgeliefert ist, verborgen bleiben. Bei Piscators »Räubern«, die ich mitgemacht habe, hätte es ein Parterre von Fehlgeburten gegeben, der Mann, der elf lebendige Kinder hat, war gestrichen und der Frau hätte nicht geholfen werden können. Mit den Vertretern des dramatischen Expressionismus, soweit sie in Buchform vorliegen, hat man noch keine Erfahrungen. Einer Hochschwangeren aber Bronnen in die Hand zu geben, hieße das Kind mit dem Blutbad ausschütten, indem es direkt mit Vatermordinstinkten auf die Welt käme, und anderseits läßt sich wieder voraussehen, daß, wenn die Mutter in einem Zustand, wo sich schon die Alteration durch Namen bemerkbar macht, Brecht liest, sie beim Lesen brecht. Es bleibt der geburtshilflichen Wissenschaft, die diese Erscheinungen kennt, aber vielfach noch im Dunkeln der psychologischen Seite des Menschheitsmysteriums tappt, vorbehalten, alle diese Möglichkeiten und Gefahren einer Einwirkung der Literatur, die heute nicht mehr bestritten werden kann, zu untersuchen, festzustellen und nach Tunlichkeit zu paralysieren. Versuche sind unerläßlich, aber man wird sie gewiß nicht so weit treiben dürfen, die nachteiligen Folgen einer wahllosen Lektüre erst an der Leibesfrucht zu erkennen, vielmehr wird eine wohlverstandene Prophylaxe bei den ersten Anzeichen einer üblen Reaktion die Vorsorgen zu treffen haben, die zur Sicherung eines gesunden Nachwuchses dienlich sind und in weiterer Folge auch zum Entstehen einer gesunden Literatur.


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